Fairkauf – eine Idee auf Expansionskurs
Das soziale Kaufhaus bekommt Ableger. Eine Filiale öffnete im Herbst in Laatzen, die zweite startet bald in Langenhagen. Das bedeutet neue Herausforderungen für die Mitarbeiter – und neue Fundgruben für die Kunden
Von Bärbel Hilbig
Kostbare Kristallgläser und edle Porzellantassen leuchten den Kunden wohlsortiert auf 400 Quadratmetern Ladenfläche entgegen, Bücher, Blusen, Blumenübertöpfe. Vieles entspricht vielleicht nicht den aktuellsten Modetrends. Doch den gut erhaltenen Gebrauchsgegenständen ist in der Regel nicht anzusehen, dass die ersten Besitzer sie aus ihrem Haushalt aussortiert haben. Kenner suchen hier nach der besonderen Sammeltasse, die in der Kollektion noch fehlt, andere kommen, weil sie nur über ein schmales Budget verfügen. Besucher des vierstöckigen Fairkauf-Gebäudes in der hannoverschen Innenstadt wissen in der Regel um die Besonderheiten dieses sozialen Kaufhauses.
Quelle: Freundeskreis Hannover e.V.
Im vergangenen Oktober nun eröffnete Fairkauf seine erste Filiale: ein neues Ladenlokal im Laatzener Turm-Center. Das Geschäft hat sich in dem Fachmarktzentrum mit eher niedrigpreisigem Einzelhandel schnell etabliert. Nun steht bereits der nächste Schritt an, der Sprung nach Langenhagen: Dort startet Fairkauf am 15. Mail auf 700 Quadratmetern im City Center Langenhagen (CCL), in einem Einkaufszentrum also, in das Menschen auch einfach mal zum Schaufensterbummel gehen. Für den Fairkauf-Betrieb ist das durchaus ein Wagnis. Denn das oft übersehene Hauptziel des sozialen Unternehmens besteht darin, Menschen mit ganz unterschiedlichen Hemmnissen auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten. Dazu sollen auch die beiden neuen Filialen dienen. „In Langenhagen werden wir sehen, ob wir mit unseren Mitarbeitern den Anforderungen in einem Center gerecht werden, ob unser Angebot dort akzeptiert wird“, sagt Fairkauf-Geschäftsführerin Nicola Barke.
Im Fairkauf-Kaufhaus in der hannoverschen Osterstraße sind viele Menschen tätig, die über verschiedene Modelle in eine reguläre Berufstätigkeit eingeführt werden. Es gibt Langzeitarbeitslose, die befristet als Bürgerarbeiter ein festes Gehalt bekommen, andere Arbeitslose, die Förderung vom Jobcenter beziehen, oder auch junge Leute in überbetrieblicher Ausbildung. Mitarbeiter der Stammbelegschaft und Ehrenamtliche bringen den Arbeitslosen zum Beispiel nebenbei Warenkunde näher. Im Lager in Hainholz nehmen die Mitarbeiter Spenden an, sortieren die Waren, bauen Möbel auf oder liefern sie aus.
Das Secondhand-Kaufhaus dient dabei als Trainingsfeld, und zugleich wirbt es für die soziale Idee. „Wir wollen Bürger darauf aufmerksam machen, dass andere Menschen Unterstützung brauchen“, sagt Barke. Als Kunden unterstützen Bürger den Betrieb doppelt: Die Verkaufserlöse finanzieren die Gehälter. Außerdem konfrontieren die Käufer die Mitarbeiter mit Anforderungen der normalen Arbeitswelt wie Fragen oder Beschwerden. „Unsere Kunden sind aber superfreundlich“, sagt Verkäuferin Anna Poza und weist einen Käufer mit Elan auf ein Sonderangebot hin.
Die Bürgerarbeit, über die ein Teil der befristeten Mitarbeiter beschäftigt ist, ist jedoch ein Modellprojekt des Bundes, das bald ausläuft. In Langenhagen will Fairkauf deshalb Arbeitsplätze für einige ehemalige Bürgerarbeiter schaffen, in Laatzen bekommen ausgelernte Azubis eine erste berufliche Chance. „Sie lernen, eine Abteilung zu führen, und übernehmen Verantwortung. Wir wollen ihnen damit die Weiterentwicklung auf einem anderen Niveau als bisher möglich machen“, sagt Geschäftsführerin Barke.
Die Laatzener Filiale leitet Nadine Dreyer mit sichtlichem Stolz. Da Besucher bequem mit dem Auto vorfahren können, kommen viele mit Spenden. Und Dreyer staunt manchmal, was für hochwertige Dinge andere Menschen plötzlich übrig haben. Kürzlich konnte die 24-Jährige eine schöne alte Waage mit zahlreichen Gewichten in der Auslage drapieren. Das historische Stück fand schnell einen Liebhaber.
Wie bei vielen Fairkauf-Mitarbeitern verlief Dreyers Weg in die Berufstätigkeit über Umwege. Eine Motivationskrise als Schülerin erwies sich später als Stolperstein. Erst in einer überbetrieblichen Ausbildung, deren praktischen Teil sie bei Fairkauf absolvierte, fasste sie Tritt. Die Prüfung zur Einzelhandelskauffrau verlief glänzend. Und dass sie jetzt in ihrem Beruf arbeiten kann, erleichtert die junge Frau sehr. „Zufriedener kann man nicht sein. Ich bin glücklich, dass meine Chefs mir das hier anvertrauen.“
Die Expansion nach Laatzen und Langenhagen hat jedoch noch einen zweiten Aspekt. „Wir wollen ein Warenangebot für Menschen schaffen, die finanziell nicht so gut gebettet sind“, sagt Barke. Mit den Filialen rückt Fairkauf in andere Gebiete der Region vor. Mit der Stadt Langenhagen war das Unternehmen schon seit Jahren im Gespräch, das Vorhaben scheiterte bisher am passenden Standort. „Wir wollen mit unseren Geschäften sichtbar und zentral liegen, weil unsere ärmeren Kunden beim Einkaufen anderen begegnen sollen“, sagt Barke.
Das scheint zu gelingen. Auch der Fairkauf in Laatzen hat bereits bürgerliche Stammkunden wie Brigitte Loh, die das attraktive Stöberangebot lockt. „Es gibt einfach so wunderschöne Fundstücke hier. Mal entdecke ich ein schönes Buch, eine Bluse oder ein Stück Fürstenberg-Porzellan.“ Auch Marianne Zastrutzki schaut regelmäßig vorbei. „Ich bringe häufig gebrauchte Gegenstände und finde auch immer irgendetwas.“ Heute kauft die 62-Jährige Kristallgläser, die ein Mitarbeiter ihr sorgfältig einpackt. „Und so beginnt der ewige Kreislauf von Neuem“, scherzt eine andere Kundin. Sie selbst war auf Fairkauf gestoßen, als der Haushalt ihrer Tante aufgelöst werden musste. Seitdem ist die Frau treue Kundin. Nur ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Es muss ja nicht jeder wissen, wie preiswert sie zu der hochwertigen Tasse mit Blumenranken aus einer Edel-Manufaktur gekommen ist.
Quelle: Surrey
Die Mitarbeiter
Die Genossenschaft Fairkauf konnte ihren Mitarbeiterstamm seit der Gründung im Jahr 2008 deutlich erweitern. Heute gehören 54 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zur Stammbelegschaft, die den Betrieb organisiert, aufrecht erhält und andere Mitarbeiter qualifiziert.
Es gibt 28 Plätze für tariflich bezahlte Bürgerarbeiter, ehemals Langzeitarbeitslose, die in einem befristeten Bundesmodell arbeiten. Das Gehalt kommt vom Europäischen Sozialfonds, der Region und Fairkauf. Etwa 70 über das Jobcenter finanzierte Arbeitslose werden beruflich vorbereitet. Fairkauf bildet selbst Einzelhandelskaufleute aus. Außerdem können junge Leute in der überbetrieblichen Ausbildung anderer Träger den praktischen Teil im Kaufhaus erlernen. In der Filiale in Laatzen sind fünf Mitarbeiter, in Langenhagen sieben weitere beschäftigt.
60 Ehrenamtliche engagieren sich. Besonders in Laatzen und Langenhagen sucht Fairkauf Ehrenamtliche.
Das Angebot
Hannover: Das soziale Kaufhaus Fairkauf liegt in der hannoverschen Fußgängerzone in der Limburgstraße 1 (Ecke Osterstraße/Kleine Packhofstraße). Das Geschäft bietet auf vier Etagen und rund tausend Quadratmetern Verkaufsfläche gebrauchte Haushaltswaren, Kleidung, Möbel, Spielsachen, Bücher, Musik, Filme. Geöffnet ist Montag bis Sonnabend von 10 bis 18 Uhr.
Laatzen: Die Fairkauf-Filiale in Laatzen gehört zum Turm-Center an der Hildesheimer Straße 47. Bis auf Möbel entspricht das Sortiment auf 400 Quadratmetern dem Angebot in der Zentrale. Das Geschäft öffnet Montag bis Freitag von 9.30 bis 19 Uhr, Sonnabend von 9.30 bis 18 Uhr.
Langenhagen: Die Filiale im alten Teil des City Center Langenhagen startet am 15. Mai um 9 Uhr. Danach ist Montag bis Freitag von 9.30 bis 19 Uhr, Sonnabend von 9.30 bis 18 Uhr geöffnet. Die Warenpalette wird ähnlich wie in der Zentrale aussehen.
Kleinere Spenden: Sachspenden nehmen die Fairkauf-Mitarbeiter an allen Standorten entgegen (in Langenhagen ab 2. Mai Montag bis Sonnabend von 10 bis 18 Uhr)
Lager: Fairkauf nimmt an seinem großen Lager in der Mogelkenstraße 34 in Hannover-Hainholz Möbel und andere gut erhaltene Gegenstände an. Die Mitarbeiter holen auch ab und liefern sie aus. Die Spendenannahme ist Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr, Sonnabend von 9 bis 14 Uhr geöffnet.
Weiterführendes in HAZ vom 16.04.2014, S. 15