Kerstin und Anne
„Wir wollen ein familiäres Leben führen, ohne jeden Tag Angst davor zu haben, keine Rechnung mehr zahlen zu können.“
Kerstin und Anne leben in einer sogenannten „Homoehe“. Zwei Hunde und eine Katze machen die kleine Familie komplett.
Unser Vereinsmitglied Stephanie traf Kerstin und Anne zu einem offenen Gespräch.
Stephanie:
Könnt ihr mir von Euch erzählen?
Anne:
Kerstin und ich sind seit 5 Jahren ein Paar. Wir leben seit einem halben Jahr zusammen mit unseren beiden Hunden und einer Katze in einem kleinen ehemaligen Ferienhaus auf dem Land. Zuvor hatten wir zwar eine größere Wohnung, in der hat es aber geschimmelt. Der Vermieter wollte nichts dagegen unternehmen. Obendrein hat der Vermieter dieser Wohnung seine Nebenkosten auf unsere Kosten mit abgerechnet und wir waren uns ständigen Beleidigungen aufgrund unserer Homosexualität ausgesetzt. Die Situation war unerträglich für uns. Ich bin froh, dass wir da endlich raus sind. Hier ist zwar sehr beengt, aber dafür wesentlich ruhiger.
Ich habe einen Job als Verkäuferin und Kerstin ist leider wieder arbeitslos. Da ich trotz vieler Überstunden nicht so viel verdiene, beziehen wir aufstockend Hartz IV, um überhaupt über die Runden zu kommen.
Kerstin:
Ich habe in meinem Leben, bevor ich Anne kennengelernt habe, schon viele Fehler begangen. Erst mit Anne ist es mir gelungen, ein geregeltes Leben aufzubauen und mich endlich um meinen Schuldenberg zu kümmern. Dies führte leider in die Privatinsolvenz, da mir keine andere Möglichkeit blieb. 2011 bin ich dann krank geworden und musste mich in den letzten Jahren 3 Operationen unterziehen. Dadurch bin ich nur sehr eingeschränkt arbeitsfähig und kann nicht mehr in meinem gelernten Beruf arbeiten. Ich habe mich bemüht, eine geeignete Alternative zu finden. Weder von der Agentur für Arbeit noch vom Rententräger habe ich Unterstützung hierfür erhalten. Wegen meiner Einschränkungen ist es jedoch schwierig, eine Tätigkeit für Ungelernte zu finden. Letztes Jahr im September ist mir das trotzdem kurzzeitig gelungen.
Anne:
Ich war total glücklich darüber, dass Kerstin endlich wieder Arbeit gefunden hatte. Nur so war es uns möglich, aus unserer verschimmelten Wohnung auszuziehen.
Stephanie:
Kerstin, warum bist Du wieder arbeitslos geworden?
Kerstin:
Eigentlich lief alles ganz gut. Okay, der Job war zwar nicht das Gelbe vom Ei aber endlich wieder eigenes Geld und nicht mehr von Hartz IV abhängig sein. Ich fühlte mich wieder wie ein vollständiger Mensch und nicht als Schnorrer der Nation. Doch dann kam die herbe Enttäuschung. Im Dezember kündigte mein Chef an, dass er aufgrund gestiegener Lohnkosten (Mindestlohn) Mitarbeiter entlassen müsse. Leider war ich noch in der Probezeit, so dass ich mit auf der Abschussliste stand und gehen musste.
Es wird schwer, wieder was Vergleichbares zu finden. Es ist sehr belastend, dass Anne so viele Überstunden machen muss und ich nichts beisteuern kann.
Stephanie:
Wie sieht euer Leben derzeit aus?
Kerstin:
In den letzten Monaten waren bei uns viele Ausgaben zu bewältigen. Wir mussten aus unserer alten Wohnung raus, weil diese verschimmelt war. Das Auto, auf das Anne täglich angewiesen ist, um zur Arbeit zu kommen, musste repariert werden und zum TÜV. Das war mit unserem geringen Einkommen nicht ohne Weiteres zu schaffen. So mussten wir viele Ratenzahlungen vereinbaren, um unsere laufenden Kosten zu decken. Seitdem ich arbeitslos bin, ist es gar nicht mehr zu schaffen.
Anne:
Und nicht zu vergessen, den Kredit, den ich schon mit in die Beziehung gebracht habe. Es erdrückt uns immer mehr.
Kerstin:
Durch meine Arbeitslosigkeit können wir nicht mehr alle Raten für Strom, Miete und Gas bezahlen. Nun soll uns der Strom und das Gas abgestellt werden und wir wissen nicht mehr weiter.
Stephanie:
Was sind eure Wünsche für die Zukunft?
Kerstin:
Unsere neue Unterkunft ist eigentlich sehr schön. Es gehört ein kleiner Garten dazu, wo die Hunde etwas Auslauf haben. Es ist zwar sehr klein, aber für uns vollkommen ausreichend. Ein paar Sachen müssten jedoch noch gemacht werden, damit man sich dort richtig wohlfühlen kann. Ich würde gerne so schnell wie möglich wieder eine geregelte Arbeit finden, damit auch ich meinen Beitrag für unsere Familie leisten kann.
Anne:
Auch ich wünsche mir, dass Kerstin schnell wieder eine Arbeit findet, weil die Arbeitslosigkeit Kerstin psychisch sehr belastet. Wir möchten einfach nur wie eine normale Familie leben.
Unser Vereinsmitglied Katrin wird als ehemalige Arbeitsvermittlerin mit Kerstin über mögliche berufliche Alternativen sprechen und den Bewerbungsprozess unterstützen, damit die Wünsche der Beiden schnellstmöglich in Erfüllung gehen können.