HARTMUTH
Interview mit einem inhaftierten Obdachlosen der JVA: so jung und schon so verzweifelt vom Leben.... Aber - es gibt Hoffnung
An einem sonnigen Dienstag machten wir uns etwas nervös, gespannt und voller Ungewissheit auf den Weg zur JVA in Hannovers Nordstadt. Wir werden das erste Mal eine JVA von innen kennenlernen und einen Inhaftierten interviewen.
Von außen wirkt das Gebäude auf uns wie ein massiver und kalter Klotz, umzäunt von Gitter und Stacheldraht. Um auf das Gelände zu gelangen, muss man durch zwei große Eisentore schreiten. Unsere Ausweise müssen wir abgeben und erhalten dafür eine Besucherkarte, damit man auch wirklich wieder rauskommt.
Bevor wir zum Inhaftierten gelangen warten wir in einem erdrückenden Zimmer ohne Fenster und erhalten einen ersten Eindruck wie es ist in einem Raum in dem einen nur Bett und Waschbecken Gesellschaft leisten mit Ausblick auf kahle weiße Wände eingesperrt zu sein. Jede Tür lässt sich nur durch das Eingreifen der Mitarbeiter öffnen, welches ein erdrückendes Gefühl in uns auslöste.
Abschließend müssen wir noch eine Kontrollschranke passieren, um endlich in das Besucherzimmer zu gelangen, wo wir auf den Inhaftierten warten. Im Notfall sollen wir den im Raum befindlichen blauen Knopf betätigen, dann würde sofort Hilfe kommen wurde uns erklärt und beunruhigte eher, als dass es Sicherheit spendete. Vielmehr fragten wir uns was wir hier überhaupt gerade machen und was für ein Mann gleich in dem Raum eintreten wird.
Dann kommt widererwartet ein sympathisch wirkender junger Mann, wenn auch mit sichtbaren Blessuren aus der Vergangenheit gekennzeichnet in den Raum und stellt sich vor. H. ist 25 Jahre jung, als Kleinkind wurde er von seinem alkoholabhängigen Vater geschlagen. Nach der Trennung seiner Eltern lebt er bei seiner Mutter, die ebenfalls alkoholabhängig ist. Diese versucht ihren eigenen Sohn drei Mal umzubringen. Der kleine Bruder von H. bleibt verschont und wird in den Himmel gehoben. Mit acht Jahren kommt er das erste Mal ins Heim. Dort wird er gehänselt und von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Mit zwölf Jahren nimmt ihn seiner Mutter wieder bei sich auf. Nach einem weiteren Mordversuch hält er es nicht mehr aus und läuft von zu Hause weg. Nun ist er selbst Alkoholiker und lebt bis zu seiner Inhaftierung auf der Straße.
Nach den ersten paar Worten haben sich unsere Bedenken und das flaue Gefühl im Magen gelegt und wir konnten offen mit ihm sprechen. Er ermöglichte uns somit einen bewegenden Einblick in sein Leben.
Warum bist du in der JVA inhaftiert?
Ich habe mich nicht an meine Bewährungsauflagen gehalten, die aus kleineren Delikten bestanden. Letztendlich führte einfaches Schwarzfahren zu meiner Inhaftierung. Meine Lebensumstände machen mir es einfach nicht möglich mich an jedes Gesetz zu halten, irgendwie muss man auf der Straße überleben.
Wie ist es in der JVA?
In meiner Zelle befindet sich ein Waschbecken, Schrank und Bett. Derzeit bin ich in einer Einzelzelle. Ich war aber auch schon in einer Doppelzelle. Dies ist nicht so angenehm. Man muss aufpassen, dass einem der Mitinsasse nicht die eigenen Sachen wegnimmt, während man schläft. Somit hat man eine ziemlich unruhige Nacht.
Der ganze Tag in der JVA wird fremdbestimmt. Morgens wird man geweckt und hat Zeit zu duschen, zum Arzt zu gehen und seine Medikamente abzuholen. Danach wird man wieder eingeschlossen. Man kann sich für einige Beschäftigungen für den Nachmittag anmelden, z.B. Sport. Dieses benötigt aber eine Bewilligung. Man darf eine Stunde auf den gepflasterten Innenhof mit Blick auf Steinwände und Gitterzaun, wo man sich etwas bewegen kann. Danach wird man wieder in seiner Zelle eingeschlossen. In der Zeit, in der ich eingeschlossen bin, habe ich nichts zu tun bis auf ein wenig zu lesen. Frühstück, Mittag und Abendbrot wird zu einer festen Zeit gereicht.
Wie ist es zu der Obdachlosigkeit gekommen?
Ich habe in einer Mietwohnung gelebt mit meinen Hunden. Diese waren auch ein Grund für die Kündigung der Wohnung. Die Nachbarn haben sich wegen mir beschwert und eine Unterschriftenliste gegen mich erstellt, welche dann den endgültigen Schritt zur Obdachlosigkeit mit sich brachte. Letztendlich wurden mir meine Hunde geklaut. Sie waren das Einzige, was mir wirklich noch etwas bedeutete.
Wie war dein erster Tag auf der Straße und welche Einrichtung hast du zunächst aufgesucht?
Ich fühlte mich sehr hilflos und wusste zunächst nicht, welche Einrichtung ich aufsuchen sollte. Es gibt einige, jedoch besteht dort große Gefahr mit Drogen und Erpressungen in Kontakt zukommen. Ich habe den Kontaktladen „Mecki“ als erstes aufgesucht.
Wie sieht ein typischer Tag auf der Straße aus, gibt es einen Alltag?
Ja es gibt eine Art Alltag: Ich bin als erstes morgens zum Frühstücken ins „Mecki“ gegangen und danach war ich mit der Beschaffung von Alkohol und Lebensmitteln beschäftigt. Um an Geld heran zukommen habe ich gebettelt. An einen guten Tag, der regnerisch ist, bekommt man 160€ zusammen und an einem schlechten nur 5€. Dieses Geld geht zum größten Teil für Alkohol und Tabak drauf. Den Rest verwendetet ich für Lebensmittel, duschen und Wäsche waschen.
Abends hab ich mir ein Schlafplatz gesucht. Man lebt in den Tag hinein und versucht das Beste rauszumachen.
Warum bist du trotz Entzüge dem Alkohol immer wieder verfallen?
Auch wenn du den körperlichen Entzug überstanden hast, bist du vom Kopf immer noch abhängig. Durch den Alkohol schaffst du es die kalten Tage auf der Straße besser zu überstehen, weil du die Kälte nicht so spürst und ab einem bestimmten Pegel hilft er dir, deine Vergangenheit zu vergessen. Am nächsten Morgen sieht die Welt leider viel schlimmer aus, das hält mich aber nicht vom Trinken ab.
Wie finanziert man sich sein Leben auf der Straße?
Zunächst einmal wäre da das Betteln. Hierbei ist zu beachten, dass man nicht überall einfach betteln kann. In Hannover gibt es Bezirke, die sich die Obdachlosen selbst aufgeteilt haben. Man darf nicht den Anderen das Geschäft versauen, sonst gibt es Probleme. Des Weiteren gibt es die Möglichkeit sich beim Diakonischen Werk eine Postadresse zu zulegen, um Sozialhilfe empfangen zu können. Kleidung kann man sich bei Kleiderkammern besorgen, z.B. erhält man bei Bedarf im „Mecki“ einen Zettel, der es ermöglicht die Notfallkleidung zu erhalten.
Was sind die größten Probleme beim Leben auf der Straße?
Im Winter ist die Kälte unerträglich. Zudem kann man nie wirklich schlafen, man muss auf seine letztes Hab und Gut aufpassen. Ab 16 Uhr haben die meisten Hilfseinrichtungen geschlossen und man ist ganz auf sich allein gestellt.
Was ist das Negativste im Leben auf der Straße?
Die Blicke! Die Blicke von den Leuten, die sehen, dass du auf der Straße lebst. Das ist ziemlich demütigend, weil du dich einfach nur schlecht fühlst. Auch von der Polizei und Wachfirmen fühlt man sich ungerecht behandelt. Ich habe das Gefühl sofort als ein Täter angesehen zu werden, ohne überhaupt etwas getan zu haben.
Lebt man auf der Straße in der Gruppe oder ist man eher ein Einzelkämpfer?
Auf der Straße ist man ein Einzelkämpfer, man kann sich nur auf sich selbst verlassen.
Man kennt Leute und trifft sich, doch durch die innere Unzufriedenheit und Frustration können keine richtigen Freundschaften entstehen. Stimmungsschwankungen und Wutausbrüche sind die Regel.
Hast du noch Kontakt zu deiner Familie und Bekannten aus der Zeit vor deiner Obdachlosigkeit?
Nein, ich habe keinen Kontakt mehr zu den Menschen aus meiner Zeit vor der Obdachlosigkeit. Zu meiner Familie schon gar nicht. Mein Vater ist mittlerweile tot. Meine Mutter interessiert mich nicht mehr. Ich weiß nicht, wo sie wohnt, geschweige denn, ob sie noch lebt. Sie ist mir egal.
Gibt es irgendetwas, was du positiv aus dem Leben auf der Straße ziehen kannst?
Nein!!!
Was möchtest du in deiner Zeit nach deiner Inhaftierung tun?
Ich habe noch keinen Plan für die Zeit nach der JVA. Ich will erstmal hier wieder auf die Beine kommen. Weiter kann ich noch nicht planen.
Für uns war dies ein sehr berührendes Gespräch. Solch eine Lebensgeschichte kennen wir nicht aus unserem Umfeld. Es zeigt einmal mehr auf, dass zum größten Teil das Elternhaus über die Zukunft eines Kindes entscheidet. Wie soll ein Mensch mit einer derartigen Geschichte sich ein geordnetes „normales“ Leben aufbauen. Wie schrecklich muss es sein, wenn die eigne Mutter versucht einen umzubringen? Dies lies unseren Atem stocken. H. hat sich bemüht immer sehr nüchtern auf unsere Fragen zu antwortet, doch gerade bei dem Thema Familie hat man gemerkt, dass ihm nicht leicht fiel über das Erlebte zu berichten.
Wir bewundern H. für seinen doch immer noch vorhanden Lebensmut und wünschen ihn das Beste für seine Zukunft. Wenn auch Sie, lieber Leser, den jungen Mann unterstützen möchten, z.B. mit ein wenig Bargeld, einem Wasserkocher, einem persönlichen Brief oder sogar einer Ausbildungsstelle, die ihm eine Perspektive für die Zukunft bieten könnte, dann können Sie sich gerne an uns wenden. Wir leiten alles weiter bzw. stellen den Kontakt her.