WERNER
Der schwere Weg zurück in ein "normales" Leben: Werner, ein ehemaliger Obdachloser berichtet
Werner ist 42 Jahre alt und ist Verkaufsprecher beim Asphalt Magazin. Er bezieht zur Zeit Hartz IV und ist in einer Maßnahme eingebunden. Zusätzlich ist er einer der Stadtführer des sozialen Stadtrundgangs von Asphalt und engagiert sich für weitere soziale Projekte für Obdachlose in Hannover. Er lebte ab den 18 Lebensjahr für drei Jahre auf der Straße und ist so in die Drogenszene gerutscht. Fast zwanzig Jahre ist er in diesen Teufelskreis gefangen gewesen.
An einem frühlingshaften Morgen treffen wir Werner vor dem Hauptbahnhof in Hannover. Da wir nicht wissen wie Werner aussieht, teilte er uns vorher mit, dass sein Erkennungszeichen die 96-Käppi sei. Was sein Markenzeichen ist, wie er uns später erzählte.
Wir stellen uns kurz vor und kommen sofort in ein interessantes Gespräch, als ob wir uns schon länger kennen. Auf den ersten Blick ist seine Vergangenheit nicht erkenntlich. Er ist fröhlich und berichtet von seinem derzeitigen Praktikum und seiner Leidenschaft zum Fußball.
Wie ist es dazu gekommen, dass du obdachlos geworden bist?
Ich war gerade 16 Jahre alt und holte meinen Hauptschulabschluss in einem Internat in Hildesheim nach, als meine Mutter starb. Meine Eltern lebten getrennt. Mein Bruder kam ins Heim. Nach dem Abschluss hab ich eine Ausbildung in Rheinland-Pfalz als Koch begonnen. Da ist mir alles zu viel geworden, ich hatte niemanden halt dort. Mein Bruder war soweit weg. Da habe die Ausbildung geschmissen und bin zu meinem Vater gezogen. Ein halbes Jahr hab ich bei ihm gewohnt, jeden Tag gab es Streit, da hab ich mich entschlossen lieber auf der Straße zu leben. Das tat ich dann auch, ganze drei Jahre.
Wie hast du dein Leben auf der Straße finanziert?
Ich hab einmal gebettelt, das ist echt nicht mein Ding. Alle haben mich komisch angeguckt und ich habe viele Sprüche abbekommen.“ Ich solle arbeiten gehen.“ Ne, das ging echt nicht. Ich habe definitiv keinen besseren Weg gewählt. Ich habe mit Drogen gedealt.
Wie bist du zu den Drogen gekommen?
Ich war erst in der Punkerszene unterwegs, die haben mir geholfen. Irgendwann hat mir das Alkoholgetrinke nicht mehr gepasst und ich hab mich abgewandt. Dann bin ich einfach an die falschen Leute geraten und in die Szene reingerutscht. Neugier war auch ein Grund für meinen erstmaligen Drogenkonsum.
Lebt man auf der Straße in der Gruppe oder ist man eher ein Einzelkämpfer?
Das ist je nach Person unterschiedlich, ich war eher ein Einzelkämpfer. Man trifft sich mal hier und dort mit jemanden.
Was ist negativ am Leben auf der Straße?
Dass man nicht weiß, wen man trauen kann, man muss Angst um seine letzten Wertgegenstände haben.
Wie hast du es geschafft wieder fuß zu fassen?
Das hab ich eigentlich zweimal geschafft, das erste Mal lag es an meiner damaligen Freundin. Sie hat mich vor die Wahl gestellt, entweder Drogen und auf der Straße leben oder sie. Ich hab mich für sie entschieden. Wir haben geheiratet, lebten in unseren gemeinsamen Haus und habe zwei Kinder bekommen. Ich hatte einen eigenen Imbiss, allein wurde mir dies aber alles zu viel. Es kam zur Trennung und der vorhandene Halt in meinen Leben ist wieder weggebrochen. So bin ich wieder in Drogenszene gerutscht.
Es gibt denn Spruch „Auf die Straße kommste schneller als zu 5 €“. Ich hab in eine Zeit lang in einer Einrichtung für Drogenabhängige gewohnt. In der Nähe wohnte meine heutige Freundin. Sie hat mir viel geholfen.
Ablenkung war und ist heute noch sehr wichtig für mich. Meine Leidenschaft Fußball, Asphalt und auch die Maßnahme der Agentur für Arbeit lenken mich ab und geben meinem Leben eine Struktur. Allerdings bin ich noch lange nicht wieder ganz auf den Beinen. Ich war ganz unten und bin jetzt wieder auf einen guten Weg dort hinzugelangen, wo ich hin möchte.
Wie bist du zu Asphalt gekommen und was hat es dir gebracht?
Eine Freundin hat mich darauf aufmerksam gemacht. Mir hat es geholfen, es beschäftigt mich, ich pflege soziale Kontakte und konnte welche aufbauen. Ich mache etwas sinnvolles und verdiene mir etwas Taschengeld dazu.
Wie funktioniert Asphalt?
Es gibt Festangestellte Redakteure, die die Artikel schreiben. Finanzieren tut sich die Zeitung durch Spenden. Die Asphaltverkäufer sind alle registriert, sie können in der Zentrale die Zeitungen zum Einkaufspreis von 80Cent einkaufen und dann an ihren zugeteilten Ort für 1,60€ verkaufen. Die Differenz von 80Cent dürfen die Verkäufer vollständig behalten.
Wer darf die Zeitung verkaufen?
Die Zeitung darf von Hartz-IV-Empfängern, Wohnungslosen oder unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht sind und Obdachlosen verkauft werden. Wichtig ist, dass das Einkommen nicht den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II überschreitet. Ein Nachweis und Personalausweis muss vorgelegt werden. Man lässt sich registrieren und erhält einen Verkäuferausweis, der einen berechtigt das Magazin zu verkaufen.
Kannst du etwas Positives aus deiner Zeit als Obdachloser ziehen?
Ja, ich bin durch diese Zeit stark geworden. Ich war frei und konnte meinen Tag auf eine Art und Weise so gestalten, wie ich wollte. Sich einfach unter einen Baum legen und schlafen, das vermisse ich schon manchmal. Trotzdem möchte ich mein heutiges Leben mit Wohnung und Freundin nicht mehr eintauschen.
Bereust du die Zeit auf der Straße?
Es gab viele Enttäuschungen in meinen Leben. Ich bereue schon meine Drogenabhängigkeit und sicher auch einige Dinge, die ich getan habe, aber die Obdachlosigkeit hat mich zu dem gemacht, der ich bin. Wie schon erzählt hatte die Zeit auch positive Seiten. Ich würde allgemein die Zeit noch mal wiederholen, ich möchte manch Erfahrungen, Erlebnisse nicht missen. Ohne diese Zeit wäre ich nicht so viel rumgereist, eine Zeit lang bin ich durch Europa getrampt. Ich war in Italien, Spanien, Belgien und ganz Deutschland unterwegs.
Was benötigen die Obdachlosen am nötigsten?
Das ist sehr unterschiedlich.
Frank Zander organisiert seit einigen Jahren Weihnachtsfeiern für Obdachlose. Letztes Jahr habe ich bei der Organisation einer Weihnachtsfeier für Obdachlose in Hannover mitgeholfen. Diese ist von Wingenfelder und dem eingetragenen Verein KrAss UnARTIg ins Leben gerufen worden und wir organisieren und planen schon die nächste Weihnachtsfeier. Das ist immer schön. Schließfächer für Obdachlose wären sicher hilfreich. Sonst ist es wie gesagt sehr unterschiedlich und je nach den persönlichen Bedürfnissen anders.
Wie sieht dein Alltag heute aus?
Zurzeit besuche ich eine Maßnahme von der Agentur für Arbeit, diese beinhaltet Praktika. Jetzt mache ich eins bei Arminia Hannover, dass bereitet mir viel Spaß. Es ist einfach toll meine Leidenschaft für Fußball verbunden mit einer Arbeit, die mir Freude bereitet. Weiterhin verkaufe ich je nach Zeit die Asphaltzeitung, betreue die Asphaltverkäufer als Verkaufssprecher und übernehme soziale Stadtrundführungen. Des Weiteren spendet mir meine Freundin den Halt, den ich brauche, um ein normal geregeltes Leben zuführen.
Worum geht es bei dem sozialen Stadtrundgang?
Bei dem sozialen Stadtrundgang geht es darum den Menschen zu zeigen, wie es ist obdachlos zu sein. Wie wollen die Menschen auf das Thema sensibilisieren und das Verständnis für diese Situation erzielen. Zudem geben wir einen Einblick in ein paar Hilfsanlaufstellen in Hannover. Dieser Rundgang wir von ehemals Obdachlosen und Wohnungslosen durchgeführt und zeigt authentisch die Stadt aus einer ganz anderen Perspektive. Ich bin mir sicher, dass man viele neue Dinge sieht.
Wir hatten einen sehr interessanten und amüsanten Vormittag mit Werner. Es war sehr spannend mehr von seinen Leben zu erfahren. Inspiriert hat uns seine positive Art: Er versucht das Positive aus der Obdachlosigkeit zu ziehen. Er engagiert sich für Obdachlosenprojekte und bringt sich ein. Er ist schon fast eine kleine Berühmtheit in Hannover und dient als ein Vorbild für viele Obdachlose.
Wenn Sie mehr über Werner erfahren möchten oder ihn unterstützen möchten z.B. mit einer Arbeitsstelle, dann melden Sie sich gerne bei uns. Ebenfalls können Sie bei einem sozialen Stadtrundgang noch viel mehr Interessantes erfahren. Termine und weitere Informationen können Sie direkt bei Asphalt und auf der Homepage erfahren.