MARIE-PHILINE
Im Rahmen unseres Moduls „Soziale Kompetenz“ haben wir die Aufgabe erhalten, ein Mädchen namens Marie-Philine zu interviewen, die durch den Religionsunterricht und den Verein „Ganz Unten e.V." mit dem Thema Armut und Obdachlosigkeit konfrontiert wurde.
Wir hatten das Glück, dass Frau Dr. P. und Marie-Philine bereits schriftlich Kontakt hatten und wir dadurch eine Verbindung aufbauen konnten. Anfänglich haben wir uns überlegt, persönlich bei Marie-Philine vorbei zu schauen, um einen Termin zu vereinbaren und uns gleichzeitig vorzustellen. Dann jedoch entschieden wir uns erst einmal einen schriftlichen Kontakt herzustellen.
Die Mutter von Marie-Philine, hat sich daraufhin zeitnah telefonisch gemeldet. Über ihre Reaktion am Telefon gab sie uns das Gefühl, dass sie gegenüber unserem Vorhaben sehr aufgeschlossen war und machte sofort einen terminlichen Vorschlag.
Mit Marie-Philine in Kontakt zu treten, haben wir uns jedoch viel schwieriger vorgestellt, da wir zunächst keine Antwort erwarteten. Letztendlich waren wir positiv überrascht und freuten uns auf das Interview mit Marie-Philine.
Nachdem wir eine Sammlung von Fragen zusammengestellt hatten, führten wir das Interview am 13.02.14 durch. Wir wurden sehr freundlich empfangen und lernten Marie-Philine und ihre Mutter persönlich kennen. Nach einem kurzen Small-Talk begannen wir mit unserem Interview.
Marie-Philine ist 14 Jahre und besucht die 8. Klasse eines Gymnasiums in der Region Hannover. Sie spielt Klarinette, Blockflöte und Altflöte. Nebenbei hat sie sich Klavier beigebracht und tanzt zudem auch Ballett. Marie-Philine berichtete uns, dass sie nach dem Abitur Medizin studieren möchte.
Thema Obdachlosigkeit
Inwiefern hast Du dich mit dem Thema "Obdachlosigkeit und Armut" befasst?
„Also ich hab erstmal das, was Frau Dr. P. mir geschickt hat, benutzt. Und diese Flyer gibt es ja und da stand ja sehr viel schon dazu drin. Und dann hab ich mich aber auch noch auf anderen Internetseiten erkundigt. Besonders halt auch auf der Internetseite von Ganz unten e.V., da standen ja auch noch so einige Projekte und Erfahrungen und so und da hab ich dann auch noch was rausgefiltert.“
Weißt Du, was es bedeutet, obdachlos zu sein in Armut zu leben?
„Ja schon, weil Mama hat mir dann auch so erzählt, dass es nicht allen Menschen so gut geht, wie mir. Und dass sie kein Zuhause haben, dass sie kein Essen haben, dass sie einfach auf der Straße leben und jeden Tag ums Überleben kämpfen und dass es auch sein kann, dass sie im Winter erfrieren. Das hat mich schon ziemlich viel betroffen gemacht und deswegen spende ich auch immer. Wenn wir an Vereine spenden, gebe ich auch immer etwas dazu, weil ich dann immer an die Kinder denke, dass sie keine Bildung oder so haben. Das tut mir dann immer total Leid.“
Was glaubst Du, warum Obdachlose Alkohol konsumieren?
„Weil es ist einfach so, dass sie mit ihrer Situation nicht richtig fertig werden, glaube ich und das alles auch ändern wollen, aber es klappt halt bei den meisten nicht. Auch allein schon wegen ihres Aussehens, vielleicht wollen manche sie nicht arbeiten sehen. Dann werden sie auch ziemlich innerlich betroffen und versuchen sich mit dem Alkohol einfach selber zu befriedigen. Und deswegen machen die das wahrscheinlich und bemerken gar nicht, dass sie sich dabei nur noch mehr schädigen.“
Hast Du schon einmal einen Obdachlosen getroffen auf der Straße, in der Stadt oder mal überhaupt in Kontakt getreten? Und wenn ja, wann hast Du das erste Mal einen Obdachlosen gesehen? Kannst Du dich noch daran erinnern?
„Ja, also Mama und ich fahren immer nach Hameln und da gibt es eine kleine Passage, also damit man nicht die Straße überqueren muss, muss man dann durch diese Passage gehen und da hab ich halt das schon sehr oft gesehen, dass da Obdachlose sitzen und manchmal auch da schlafen. Und dann denk ich mir halt immer so, wenn man dann diese zerrissene Kleidung sieht und wie die auch aussehen, da denk ich mir dann immer so: ‚Warum?‘ Und dann versuche ich mir selber darüber Gedanken zu machen, warum das vielleicht so ist.“
Was denkst Du dann dabei?
„Ich denk dann immer so, ja vielleicht hat […] er seine Arbeit verloren und dann hat er sich nicht weiter darum gekümmert und dann hat er immer mehr an seinen Sachen verloren und irgendwann hat er dann auch seine Wohnung verloren und ist dann auf der Straße gelandet und hat sich dann halt auch keine Gedanken mehr darüber gemacht.“
Wusstest Du schon in diesem Moment, dass es Obdachlose Menschen gibt?
„Also ich hab, da […] muss ich 6 oder 7 gewesen sein, da hab ich das zum ersten mal so richtig wahrgenommen und dann hab ich gleich danach gefragt, war ich halt total schockiert und da hab ich auch so gefragt: ‚Mama warum leben die so? Warum haben die nicht so gute Kleidung wie wir? Warum schlafen die hier in der Unterführung?‘ Dann hat mir Mama das erklärt und ab dem Zeitpunkt hab ich dann halt auch angefangen, darüber mir mehr Gedanken zu machen und hab dann auch immer mehr danach gefragt und hab darüber mehr erfahren.“
Wie fühlst Du Dich, wenn Du einem Obdachlosen auf der Straße begegnest?
„Also erstmal denke ich mir, zum Glück geht es Dir nicht so und der nächste Gedanke ist gleich: ‚Warum lebt der so?‘ Und dann denk ich erst immer daran, dass er vielleicht seine Arbeit verloren hat und wenn man die so sieht, dann fragt man sich: ‚Ja soll ich dem jetzt etwas geben oder nicht?‘ Und dann denk ich mir aber immer, weil es so viele sind, wenn Du einem was gibst, dann wollen alle irgendwie was haben und das wär dann auch irgendwie total gemein. Innerlich fühl ich dann halt schon immer so ein Gefühl: ‚Ja so willst Du nie enden‘.“
Bist Du dann traurig oder denkst Du man ist selbst schuld?
„Ja schon, das auf jeden Fall, weil es ist ja so, wenn man seine Arbeit verliert, dann muss man zusehen, dass man eine neue bekommt. Und wenn man sich da keine Gedanken darüber macht, dann ist man halt auch irgendwann selber schuld. Und ich denke, die Menschen müssen dann selber irgendwann erkennen: ‚Ja so möchte ich nicht weiter leben oder ich möchte keinen Alkohol mehr konsumieren und jetzt aber schnell raus hier aus der Situation‘. Aber die meisten machen das halt nicht.“
Hast Du bisher mit einem Obdachlosen gesprochen?
„Nein, ich hab es nur einmal mitbekommen, das war in Hannover da haben wir ein Ausflug gemacht und da waren wir auch in einer Unterführung und da war dann so einer, der war ein bisschen betrunken oder so und da ist dann so einer lang gegangen und der Betrunkene hat den dann richtig angegriffen.“
Würdest Du gerne mit einem Obdachlosen sprechen?
„Also ich würde schon mal mit einem sprechen, wenn es sich ergeben würde, weil mich würde auch interessieren, warum die nichts daran ändern, warum die nicht einfach versuchen, Arbeit zu bekommen, egal was für eine Arbeit. Hauptsache, sie verdienen Geld und irgendwann, wenn sie genug gespart haben, dann müssen sie nicht mehr auf der Straße leben. Mich würde dann auch noch interessieren, was sie fühlen, wenn die Menschen an einem dann vorbei gehen und einen einfach so niederschmetternd angucken so: ‚Was bist denn Du für einer‘.“
Wie kann man diesen Menschen helfen? (Finanziell, Tafel, Schlafplätze, Geschenk?)
„Ja, auf jeden Fall. Man könnte zum Beispiel, wenn man alte Sachen hat, könnte man die auch statt in Altkleider oder so denen auch geben, weil die können die mehr gebrauchen. Und außerdem könnte man denen auch einfach was zu essen geben, das wär auch eine Möglichkeit.“
Was meinst Du, warum ein Mensch überhaupt Obdachlos wird?
„Wenn man seine Arbeit verliert oder wenn man wegen irgendwas von Zuhause abhaut. Allgemein Flüchtlinge oder ähnlichem.“
Wie und wo wird sich um Obdachlose und Arme gekümmert?
,,Also meine Religionslehrerin hat mal davon erzählt, dass es auch so bestimmte Einrichtungen gibt, wo denen auch geholfen wird und wo diese Leute Essen bekommen. Außerdem habe ich das auch schon mal in einem Film gesehen. Da ging es um ein Kloster und dort haben die Nonnen auch Essen verteilt und dort sind dann ganz viele Obdachlose hingekommen. Aber ich glaub es gibt auch so bestimmte Plätze, wo die Obdachlosen auch schlafen dürfen, ohne dass die auch verscheucht werden oder so.“
Thema Armut
Kennst Du in deinem Bekannten-oder Freundeskreis arme Kinder?
„Ja, also meine Freundin zum Beispiel, da verlangen die Eltern, dass die sehr gut in der Schule ist. Und zwar aus dem Grund, weil sie nicht so viel Geld haben, dass sie dann ein Stipendium bekommt und dann so studieren kann, weil die haben nicht so viel Geld und ich weiß auch, dass es an unserer Schule auch einen Elternrat gibt und da kümmert man sich dann um Kinder, wenn die auf Klassenfahrt fahren und die Eltern einfach nicht die finanziellen Mittel haben, um diese Klassenfahrt zu bezahlen. Dann macht das der Elternrat und dann können die Eltern das dann wieder abarbeiten. […]"
Was fehlt diesen Kindern? Woran merkt man das, dass die es nicht so gut haben oder nicht so einen Wohlstand haben wie manch andere?
„Man merkt es zunächst einmal an der Kleidung und dann auch, dass die versuchen, keine Fehler in ihrem Leben zu machen. Also so ist das zum Beispiel bei meiner Freundin. Sie möchte nicht, dass irgendwer anderes besser ist als sie, weil sie halt die Beste sein will. Und ja, ihr Vater versucht auch immer mit ihr so viel wie möglich nur zu lernen, lernt mit ihr schon vor, nur damit sie schon richtig gut ist und sie hat auch fast gar keine Freizeit. Und das ist dann schon ziemlich hart für sie, weil man merkt dann auch schon, dass ihr diese Ausgelassenheit […] auch gar nicht ermöglicht wird, sondern eigentlich sie die ganze Zeit nur lernen muss. Also ich mach meine Hausaufgaben, da guck ich dann auch mal kurz in die Bücher: ‚So, ja was machen wir wahrscheinlich nächste Stunde?‘ oder les mir schon mal irgendwelche Texte durch, aber ich lern den Stoff nicht schon drei Wochen im Voraus.“
Also Du meinst, dass arme Kinder mehr für die Schule tun müssen als Kinder, die in deinem Wohlstand leben?
„Naja, also sie müssen nicht mehr tun, aber es wird verlangt, dass sie mehr tun. Also es heißt nicht, dass sie jetzt irgendwie dümmer sind oder so, sondern einfach, dass von denen verlangt wird, einfach mehr zu tun, damit sie halt besser sind als alle anderen und um sich von denen abzuheben.“
Kennst Du viele in deinem Umkreis, die eher arm sind oder sind es eher weniger?
„Eigentlich keine armen Kinder. Also es gibt schon Kinder, wo die Eltern halt schon wenig verdienen, aber die haben halt trotzdem kein Problem deswegen."
Wer oder was ist schuld daran, dass man arm ist? Was soll dagegen getan werden?
„Also wenn es wirklich eine Familie ist, die arm ist, dann sind in erster Linie natürlich die Eltern schuld, weil die Kinder können erst mal gar nichts dafür und wenn es aber wirklich schon erwachsene Leute sind, dann sind die natürlich erst Mal selber schuld, dass sie auf der Straße sind.“
Wenn deine Familie plötzlich weniger Geld hätte, wie würdest Du damit umgehen? Wie würde bei euch gespart werden?
„Also, ich würde einfach versuchen, meinen Eltern beizustehen und versuchen, wenn es darum geht, dass irgendwer seine Arbeit verliert, dann würde ich natürlich auch helfen oder mich umhören, ob irgendwer Hilfe braucht irgendwo bei und würde auch auf jeden Fall was von meinem Geld abgeben.“
Also wärst Du auch bereit zu verzichten?
„Ja.“
Was bedeutet für Dich, in Armut zu leben?
„Wenn jetzt jemand einfach nur so arm ist, dann ist es halt so, dass man jetzt sich keine so teure Kleidung leisten kann. Dass man nicht irgendwie mal zu großen Veranstaltungen, zum Beispiel zum Musical gehen kann. Oder zu irgendeinem Konzert und dass man kein großes Haus bewohnen kann. Dass man nicht alle zwei Wochen shoppen gehen kann, das heißt also, dass man sich da schon bisschen zurücknehmen muss.“
Kennst Du das selber mal auf etwas zu verzichten?
„Ich hatte schon Mal ein paar Situationen, wo ich dann mir Geld mitgenommen hatte im Urlaub oder so und dann war ich dann am Ende meiner Ersparnisse [ …] Und dann hab ich mir die Frage gestellt: ‚Ja, ok kaufst Du Dir jetzt das Buch oder kaufst Du Dir jetzt das Geschenk zu Weihnachten für deine Eltern‘ […] Und dann hab ich mich aber für das Geschenk entschieden, weil ich einfach gedacht hab, das Buch kannst Du Dir auch Zuhause kaufen mit deinen restlichen Ersparnissen […].“
Was ist aus deiner Sicht am Wichtigsten? (Gesundheit, Spaß, Bildung, Freunde, Geld, Familie)
„Für mich ist das Wichtigste erst mal die Bildung, weil wenn man nicht lesen kann, dann hat man schon ein Problem. Und mir ist auf jeden Fall Familie wichtiger als Geld, also selbst, wenn die Familie ärmer ist, liebt man seine Eltern genauso wie vorher. Also für mich ist die Bildung wichtig, wenn man dann selber Geld haben kann und seinen Eltern auch mal was geben kann, dann ist das auch mal schön, weil eine Familie ist eine Familie.“
Und wie ist es mit der Gesundheit?
„Ja auf jeden Fall gesund bleiben.“
Was wünschst Du Dir für die Zukunft, in Bezug auf Armut/Obdachlosigkeit?
„Dass es auf jeden Fall nicht mehr so viel Obdachlose gibt, weil das ist schon ziemlich schlimm, wenn man das mal so sieht, dass nur ein sehr geringer Teil von den etwas reicheren Leuten sich überhaupt um die Ärmeren kümmert. Die Meisten gehen einfach so an denen vorbei und machen gar nichts. Oder gucken nur dann irgendwie betroffen weg und tun so, als ob sie nichts gesehen hätten. Einfach das mehr Leute sich um diese Leute kümmern und dann würde alles einfach besser funktionieren.“
Hast Du abschließend noch etwas das Du sagen möchtest oder uns auf den Weg geben möchtest?
„Weg schauen: nein danke, Größe zeigen: ja bitte!“
Das Interview wurde geführt von den Studentinnen Demir und Fedia