Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich würde Ihnen gern meine bisherige Lebens- bzw. Drogenlaufbahn schildern, denn ich bin der Meinung, dass ich Ihnen einen anderen Gesichtspunkt bzw. Standpunkt bieten kann, denn ich bin nicht der „normale“ Süchtige! Sondern auf Umwegen an die Drogen geraten.
Wie gesagt, ich bin auf Umwegen an die Drogen geraten. Meine Eltern, mein Vater war Frührentner, ist jahrelang zur See gefahren und ist früh durch einen Unfall in Südamerika zum Rentner geworden, hat dadurch zu viel Freizeit gehabt und angefangen zu trinken, auch andere Drogen hat er unregelmäßig konsumiert.
Meine Mutter ist durch eine Vergewaltigung ihres Bruders schwanger geworden, dies hat sie leider durch die Schwangerschaft und Geburt meines älteren Bruders seelisch verbittert und den Hass auf ihren Peiniger auf meinen Bruder projiziert, das haben meine Großeltern zum Glück für ihn sehr früh gemerkt und ihn zum Schutz zu sich genommen.
Irgendwann hat sie dann meinen Vater kennen gelernt und wieder lieben gelernt, da war mein Vater schon früh Rentner; nach drei Jahren wurde sie mit mir schwanger, und meine frühe Kindheit war nicht gerade schön, denn der Hass auf den früheren Vergewaltiger, den sie auf meinen großen Bruder abgeleitet hat, hat sie nun auf mich projiziert. Sie hat meinen Vater, wenn er getrunken hat, so manipuliert, dass er mich schlägt, zudem hat sie ein paarmal versucht, mir das Leben zu nehmen; der letzte Versuch war kurz vor meinem siebten Geburtstag, aber dann hat mein Vater das durch Zufall mitbekommen und sie schnell weggezogen, denn sonst wäre ich in der Badewanne ertrunken. Sie hat sich dann so rausgeredet: Er solle sich nicht anstellen – beim Haarewaschen müsse man halt den Kopf kurz unter Wasser haben und die Luft anhalten! Das Problem, was sie nicht erklären konnte, war, dass ich halt schon blau im Gesicht und ohnmächtig war!
Mein Vater hat sich dann mit der Mutter meines besten Freundes unterhalten, um nicht allein mit dem Problem dazustehen, diese hat dann mit mir am nächsten Tag das Jugendamt aufgesucht und dem Jugendamt-Mitarbeiter den Vorfall geschildert und auch die Vorfälle die ihr früher aufgefallen sind, erklärt!
Noch am selben Tag bin ich in eine Übergangsfamilie gekommen, die mich sehr lieb aufgenommen hat, dort bin ich knapp neun Monate geblieben. Von dort bin ich in das Jugendpflegeheim „Alteneichen“ gekommen, dort habe ich dann auch meine ersten Erfahrungen mit Alkohol und Drogen gemacht. Im Alter von zehn Jahren, besser gesagt: an meinem zehnten Geburtstag kamen ein paar von den älteren Jugendlichen mit einer Flasche Wodka und ein paar Joints, die ich dann mit diesen getrunken und geraucht habe. Das war eine der übelsten Erfahrungen, die ich mit Drogen gemacht habe.
Bis zu meinem 15. Geburtstag habe ich nichts mehr geraucht und getrunken; dann ist am Ende der achten, Anfang der neunten Klasse David in meine Schulklasse gekommen, der uns fast jeden Tag etwas Gras mit in die Schule gebracht hat. Ich habe dann auch ab und zu mitgeraucht, aber nicht den allzu großen Gefallen daran gefunden. Ich bin dann im Laufe der Zeit auch mal während zweier Freistunden mit ihm nach Hause gegangen, er hat ganz in der Nähe gewohnt. Er wollte mich zu einem Joint einladen, dabei habe ich seine Mutter kennen gelernt. Das war aber von ihm und seiner Mutter geplant, das habe ich aber erst zwei Monate später bei einer Gerichtsverhandlung erfahren. Wie gesagt wir wollten angeblich einen Joint rauchen, aber seine Mutter sagte dann: „Es ist nichts zu rauchen da“, aber sie hatte „Shore“ da, und ob ich nicht Lust hätte, sie mal zu probieren, man kann sie über Nase ziehen oder rauchen, aber ich im jugendlichen Leichtsinn habe eine Nase gezogen, habe das aber gleich im nächsten Zuge bereut, da ich mich stundenlang übergeben habe und es mir gar nicht gut ging. Natürlich war ich den Tag nicht mehr in der Lage, zurück in den Unterricht zu gehen, bin auch erst spät abends zurück in die Wohngruppe des Jugendheims gegangen, weil ich total breit war, dabei bin ich Daniel, einem Mitbewohner, über den Weg gelaufen, der war drei Jahre älter und war mit Shore (Heroin) schon in Berührung gekommen. Am nächsten Morgen kam er in mein Zimmer und hat mich gefragt, ob es Spaß gemacht hat, Heroin zu nehmen. Ich habe mich verteidigt: Ich hätte doch nur Shore genommen, das sei braun und nicht weiß gewesen; er lachte mich erst aus und als er merkte, dass ich wirklich nicht Bescheid wusste, klärte er mich auf. Danach war ich erst mal sprachlos. Das war vorläufig der letzte Konsum bis zu meiner Entlassung bei der Bundeswehr.
Nein, die Tabletten bei der Bundeswehr zum Aufputschen und Schlafen muss ich da noch mit hinzu rechnen. Aber erst einmal möchte ich die Geschichte mit David und seiner Mutter zu Ende erzählen. Nach dem Vorfall bei ihm und der Aufklärung von Daniel habe ich mich von den Klassenkameraden ferngehalten, aber das brauchte ich nicht lange zu machen, denn David hat das mit jedem gemacht, der bei uns in der Klasse gekifft hat, nur dass er Pech hatte und eine Klassenkameradin dadurch einen Kreislaufzusammenbruch gehabt hat! Leider verging David sich an ihr, dabei hat sie ein Nachbar beobachtet und die Polizei und einen Rettungswagen angerufen. Dabei fanden die Polizeibeamten ein paar hundert Gramm Cannabisprodukte und noch mal 150 Gramm Heroin. Dadurch ist rausgekommen, dass die beiden einige meiner Mitschüler auf Heroin gebracht und es noch bei weiteren versucht haben. Die Mutter bekam 15 Jahre Haft wegen Drogenverkaufs an Minderjährige und Verführung dieser zum Drogenkonsum, und David bekam fünf Jahre Haft wegen sexuellen Missbrauchs.
Zu meiner Zeit bei der Bundeswehr habe ich ab und zu getrunken, meist an den Wochenenden. Das hat sich dann während meiner beiden Kosovo-Einsätze leider schlagartig durch die dort erlebten Vorkommnisse geändert. Ich habe gute Kameraden/Freunde verloren, Dinge gesehen und gemacht, die man ein Leben lang nicht mehr vergisst; man hofft es, aber tut es nicht. Dadurch habe ich zuerst Schlaftabletten bekommen, dann, um fit zu werden, sind Amphetamine dazu gekommen. In Deutschland wurde dann von einem Psychologen der Bundeswehr an mir ein posttraumatisches Stress-Syndrom festgestellt. Es hat dann noch sechs Monate gedauert, bis ich aus dem aktiven Dienst ehrenhaft entlassen wurde. Nach meiner Entlassung wurde ich dann wie eine heiße Kohle fallen gelassen. Da habe ich mit dem Heroin richtig angefangen, um alles zu vergessen. Leider klappte das nur für ein paar Stunden, und die Erinnerungen kamen zurück. Durch die Drogen habe ich zum Schutz meiner Tochter mich von meiner großen Liebe getrennt. Denn ich wollte meiner Tochter die Jagd nach den Drogen nicht vorleben. Außerdem ging es auch allmählich mit dem Teufelskreis des Strafvollzugs los. Zwar fahre ich nicht regelmäßig ein, aber es ist nicht das erste Mal, dass ich einsitze. So geht es jetzt seit 13 Jahren; ich bin zwar seit einigen Jahren frei vom Gebrauch harter Drogen, bekomme aber noch etwa Methadon. Ohne das habe ich Angst, wieder völlig abzustürzen, weil es doch wie ein kleiner Schutzschild wirkt. Zudem habe ich in der letzten Entzugsklinik beim Entzug einen echten Herzinfarkt gehabt und bin auch sonst nicht mehr der Gesündeste.
Ich hoffe, dass ich Ihnen einen Einblick in mein bisheriges Leben geben konnte Außerdem möchte ich Ihnen noch sagen, dass der Herr Tietze mir in der Haft viel Halt und seelischen Beistand gegeben hat.
Mit freundlichen Grüßen,
XXX.
Weiterführend zum Thema das wunderbare Buch von Pastor Ulrich Tietze: "Nur die Bösen", 231 Seiten, Lutherisches Verlagshaus, erschienen am 20. September 2011, ISBN-10: 3785910576/ ISBN-13: 978-3785910573
Über den Autor
Ulrich Tietze wurde 1954 geboren; Theologiestudium in Hermannsburg/Celle (Theologische Akademie); erste Pfarrstelle in Fallingbostel, dann als Gemeindepastor in Lüneburg und in Neetze tätig; seit 2002 Seelsorger an der JVA Hannover; Schwerpunkte: Theaterprojekte, Kirchenchor, Einzelgespräche. Hobbies: Reisen in den Nahen Osten, besonders in die Wüste, Radfahren, Schreiben, Malen, Kabarett.