2011
HAZ vom 01.12.2011:
Ein Zuhause für Obdachlose
Von Veronika Thomas
Für Obdachlose bedeutet die Suche nach einer kleinen, preiswerten Wohnung ein noch aussichtsloseres Unterfangen als etwa für Studenten oder Bezieher kleiner Renten. Das war vor 20 Jahren nicht anders als heute.
Hannover. Mit einem kleinen Unterschied: 1991 starteten das Diakonische Werk, die Stadt Hannover, der damalige Landkreis und verschiedene Wohnungsbauunternehmen ein Projekt mit Vorbildcharakter, das am Mittwoch sein 20-jähriges Bestehen gefeiert hat: die Soziale Wohnraumhilfe (SWH). "Das Besondere daran ist, dass wir neuen Wohnraum geschaffen haben - und keine zusätzliche Konkurrenz zu anderen Wohnungssuchenden", sagt SWH-Geschäftsführer und Mitgründer Rüdiger Hoppe.
Zweiter Gründungspartner war Prof. Peter Hansen, damals Geschäftsführer des Wohnungsunternehmens Grundlach. "Wir haben in diesen Jahren sehr viel über die Bedürfnisse besonderer Mietergruppen gelernt", resümiert Hansen. Zum Beispiel, dass diese Menschen besonders kleine Wohnungen wollen, damit bloß kein zweiter Obdachloser auf die Idee kommen konnte, dort miteinzuziehen.
Das Prinzip des sozialen Wohnungsbaus für Menschen, die zum Teil jahrelang auf der Straße oder in Notunterkünften gelebt haben, funktioniert folgendermaßen: Stadt oder Region verkaufen eine Baulücke - ein Grundstück oder ein Gebäude- an die Diakonie. Das kooperierende Bauunternehmen errichtet dort auf eigene Kosten einen Neubau oder baut die Immobilie um und verpachtet sie danach an die Diakonie. Die SWH, ein Projekt der Diakonie, wiederum vermietet die Wohnungen und betreut die Bewohner mit einem weiteren Projektpartner, der Zentralstelle für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten.
Auf diese Weise wurden 151 Wohnungen in 18 über die Stadt und Region verteilten Häusern geschaffen, mehr als 600 früher obdachlose Frauen und Männer fanden in ein eigenständiges Leben. Um ihnen den Weg zu ebnen, stehen ihnen Sozialarbeiter zur Seite, die mit den ehemals Wohnungslosen den Umzug organisieren, für die Beschaffung von Mobiliar und Hausrat sorgen, ihnen bei Behördenangelegenheiten und in der Haushaltsführung zur Seite stehen.
HAZ vom 16.12.2011:
In kleinen Schritten zurück ins Leben
Er verlor seinen Job, er lebte auf der Straße, er ist schwer krank. Jetzt ordnet Karl-Heinz Mangels sein Leben neu – ein Fall für die Weihnachtshilfe.
Hannover. Eine halbe Stunde, mehr hätte er früher nicht gebraucht, dann hätte der Baum gestanden. Stamm in den Ständer, Zweige festgesteckt, Lametta herumgewickelt, ganz schnell wäre das gegangen.
Karl-Heinz Mangels* sitzt auf seiner Couch und sieht auf den künstlichen Weihnachtsbaum vor seinem Fenster. Das Bäumchen steht auf einer Bank, damit es ein wenig größer wirkt, aber es reicht nicht mal bis zur Unterkante der Scheibe. Einen Tag, sagt Mangels, habe er gebraucht, um es aufzubauen. Einen ganzen Tag. „Ist aber ja eigentlich auch kein Wunder, mit dem gelähmten Arm.“ Er hatte überlegt, den Baum nicht aufzubauen. Aber ein bisschen Schmuck soll es schon sein in dem Raum, den Mangels „mein Gefängnis“ nennt.
„Gefängnis“, das ist, einerseits, nicht richtig. Sein „Gefängnis“, das ist seine Wohnung in Vinnhorst, dem Stadtteil, in dem er von Kindheit an lebt: Schmaler Flur, kleines Bad, die Kochecke mit Glasbausteinen abgetrennt vom einzigen Raum. Ob und wann er abschließt, bestimmt Mangels selbst. Aber ganz falsch ist das Wort vom „Gefängnis“ eben auch nicht. Die Wohnung liegt im dritten Stock. Kein Fahrstuhl. Mangels kann nur mit Mühe gehen. Auf einen Rollator gestützt bewegt er sich in kleinen Abschnitten ruckartig vorwärts. Das Haus verlassen kann der 59-Jährige ohne fremde Hilfe nicht. „Die Treppen sind für mich unüberwindbar.“ Insofern ist das Wort „Gefängnis“ doch auch wieder treffend.
Karl-Heinz Mangels ist ein Beispiel dafür, dass Krankheit einsam machen kann. Und zugleich handelt sein Fall davon, wie übergroße Verletzlichkeit jemanden aus einer geregelten Welt mit fester Arbeit und Wohnung hinaustragen kann. Mangels, den die Krankheit ein wenig ausgezehrt hat, erzählt gern davon, wie er früher Menschen entschlossen seine Meinung gesagt hat, wenn er mit etwas nicht einverstanden war. „Pommerscher Dickschädel“, so nennt er sich, weil sein Vater von dort stammte. Aber vielleicht ist das nur ein Wunschbild. Jedenfalls war er selbst nie dickhäutig genug, um Schicksalsschläge und die Zumutungen der Arbeitswelt einfach an sich abprallen zu lassen.
Es gab eine Zeit, in der sah für Karl-Heinz Mangels alles nach einem sicheren Leben aus. Das war gleich nach der Bundeswehr. Mangels fand einen Job bei der Post. Zuerst als Fahrer, und dann, als es gut lief, als Austräger. Die List und die Oststadt waren seine Bereiche. Stadtteile, in deren Gründerzeitbauten es meist keine Briefkästen unten, sondern nur Briefschlitze in den Wohnungstüren gibt. „Hochlaufhäuser“ heißen sie im Postjargon. „Da habe ich Treppensteigen gelernt“, sagt Mangels. Es war eine gute Arbeit für ihn. „Fürs Büro bin ich sowieso nicht gemacht.“ Mangels ging auf die Postschule in Kleefeld, und weil die Post zu jener Zeit noch die Bundespost war, wurde er Beamter. Einfacher Dienst, aber mehr wollte er auch gar nicht. Karl-Heinz Mangels war nie ein großes Leben gewohnt.
Seine Eltern waren Arbeiter in einer Fabrik in Vinnhorst. Dort hatten sie sich auch kennengelernt. Karl-Heinz war das einzige Kind. Ein harmonisches Familienleben jedoch gab es nur in seltenen Momenten. Der Alltag waren Streit und Schläge, und weil seine Mutter das Opfer war, stand er, der Sohn, umso entschiedener auf ihrer Seite. Er und seine Mutter, das blieb eine enge Verbindung. Karl-Heinz Mangels hatte Freundinnen, aber gewohnt hat er mit seiner Mutter. Als sie starb, verlor er viel von seinem Halt.
Dies geschah unglücklicherweise zu der Zeit, im Jahr 2000, als er bei der Arbeit mehr Robustheit gut hätte brauchen können. Die Post war keine Behörde mehr, sondern ein Unternehmen, das ihn spüren ließ, dass man künftig gern mit weniger Mitarbeitern auskäme. Mangels fühlte sich hinausgedrängt, er hatte dem nichts entgegenzusetzen. Und ob es das eine oder andere Bier oder doch schon die ersten Anzeichen seiner viel später entdeckten Krankheit waren, die ihn manchmal eigenartig erscheinen ließen, das ist heute schwer zu klären. Nach der Mutter verlor er die Arbeit, und, weil er sie sich nicht mehr leisten konnte, auch die Wohnung. „Da ist mir“, sagt er, „das Leben irgendwie aus dem Griff geglitten.“
Erst kam er bei seinem besten Freund unter. Als auch der plötzlich starb, landete er auf der Straße. Aber wie die anderen Obdachlosen in der Innenstadt zu übernachten, das wollte er nicht. Er blieb in Vinnhorst. Meist schlief er neben dem Friedhof, aus Angst vor Gewalt. „Der Friedhof ist der sicherste Ort der Welt“, sagt er. Mangels suchte die Einsamkeit, er misstraute jedem.
Dass er nach wirren Jahren zunächst im Fremdenzimmer eines Gasthauses und schließlich in seiner Einzimmerwohnung landete, verdankt er Bekannten und der Einsicht, dass das Leben draußen nichts mit Einsamer-Cowboy-Romantik zu tun hat. Nur war er nun schon längst aus dem normalen Leben herausgefallen. Als die Post keine Adresse mehr von ihm hatte, stellte sie die Rentenzahlungen ein, die Bank löste sein überzogenes Konto auf. „Für die war ich tot.“
Es war der Weg, ins Leben zurückzukehren. Der Moment, in dem er im Supermarkt plötzlich umfiel, ansatzlos, ohne sich abzustützen, spielt dabei eine zwiespältige Rolle. Im Krankenhaus, in das man ihn brachte, diagnostizierten die Ärzte MS. Multiple Sklerose. „Wahrscheinlich wird’s bei dem nicht bleiben“, sagt Mangels und deutet auf den Rollator.
Andererseits vermittelte ihm das Krankenhaus Hilfe. „Er ist auf einem sehr guten Weg“, sagt der Sozialarbeiter, der sich um ihn kümmert. Nur braucht er zusätzliche, auch finanzielle Hilfe – vor allem, um in eine behindertengerechte Wohnung ziehen zu können, nach der er nun sucht. Karl-Heinz Mangels würde sein Gefängnis gern verlassen.
Er schaut viel fern, meist ARD. „Man kann auch ohne RTL II gut leben“, sagt er. Über der Couch hängt der kitschbunte Jahreskalender des Asia-Imbisses um die Ecke. Es ist der einzige Schmuck in der Wohnung, außer den Alpenveilchen, die die Schwestern vom Pflegedienst mitgebracht haben, und dem künstlichen Christbaum. Es werden schwere Tage. Mangels mag das Alleinsein nicht. Sorgen, sagt er, müsse sich dennoch niemand machen. „Dafür hänge ich viel zu sehr am Leben.“
* Name geändert
HAZ vom 25.11.2011:
Winternothilfe soll Obdachlose vor Kältetod bewahren
Zum Schutz der Obdachlosen vor dem Kältetod hat die Stadt Hannover im zweiten Jahr eine Winternothilfe gestartet. Bereits seit Oktober machen Sozialarbeiter Rundgänge durch die Innenstadt, um warme Decken und Schlafsäcke zu verteilen und medizinische Hilfe anzubieten. Ein "Kältebus" gibt an drei zentralen Plätzen heiße Getränke und Suppe aus.
Hannover. Hintergrund ist die Erfahrung, dass viele Hilfebedürftigen nicht aus eigener Initiative Tages-treffs oder Notschlafplätze aufsuchen. "Der Überlebens- kampf auf der Straße bekommt im Winter eine besondere Dramatik", sagt Gottfried Schöne Beratungs- stellenleiter vom Diakonischen Werk in Hannover. Für das bis Mitte März laufende Winter-programm stellt die Landeshauptstadt 25 000 Euro zur Verfügung.
Etwa 250 Frauen und Männer leben in Hannover im Jahresdurchschnitt auf der Straße, viele haben erhebliche gesundheitliche Probleme. Zunehmend standen hier Arbeitssuchende aus Osteuropa, die oft als Touristen einreisen und weder krankenversichert sind noch Anspruch auf staatliche Sozialleistungen haben. "Es gibt einige Leute, zu denen es schwierig ist, Kontakt aufzunehmen", berichtet Sozialarbeiter Christiane Schmid. Jedoch gelinge es in vielen Fällen, durch die ständigen Kontakte Vetrauen aufzubauen.
Zur Winternothilfe gehört auch, dass die städtischen Verkehrsbetriebe bei Minusgraden in der Nacht einige U-Bahn-Stationen geöffnet lassen. Wohnungslose dürfen sich bei eisiger Kälte auch im Hauptbahnhof aufhalten. Anfang 2010 war in Hannover ein Obdachloser in einem Park gestorben. Zwar war er nicht erfroren, sondern starb an einem Herzinfarkt, wie sich später herausstelle. "Wir wollen verhindern, dass Menschen unbekannt auf der Straße erfrieren", betonte Beratungsstellenleiter Schöne. Deshalb hat die Stadt auch eine Winternotfallnummer eingerichtet. Den Hinweis auf möglicherweise hilfebedürftige Menschen auf der Straße gehen die Sozialarbeiter nach.
Andere Städte in Niedersachsen haben bisher keine spezielles Winternotprogramm eingerichtet. In Braunschweig, Göttingen, Lüneburg und Hildesheim reichen die bestehenden Angebote nach Angaben der Kommunen aus.
HAZ vom 18.10.2011:
19 Prozent der Hannoveraner sind von Armut bedroht
Im Stadtgebiet Hannover sind 19,2 Prozent aller Einwohner armutsgefährdet. „Doch die Stadt unternimmt viel, die Not ihrer Bürger zu lindern, etwa durch den Hannover-Aktiv-Pass“, sagte Martin Fischer, Sprecher der Landesarmutskonferenz Niedersachsen (LAK), am Montag am „Internationalen Tag gegen Armut und Ausgrenzung“ bei einer Ausstellungseröffnung zum Thema.
Hannover. Als armutsgefährdet gelten Menschen, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren monatlichen Nettoeinkommens auskommen müssen – zurzeit 812 Euro. Die Quote der Armutsgefährdung lag 2010 landesweit bei 14,5 Prozent, 0,1 Prozentpunkte niedriger als 2009.
Eine Kunstausstellung im SofaLoft in der Südstadt mit dem Namen „meet!2011“, die am Montag eröffnet wurde, setzt sich mit dem Thema Armut und Ausgrenzung auseinander. Kann man Armut und Kunst überhaupt miteinander verbinden? „Natürlich, es geht um Menschen und um den Versuch, Menschen mithilfe der Kunst zu erreichen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen“, sagte Christian Sundermann, Präsident des Diakonischen Werks der Landeskirche.
„Armut bedeutet einen Mangel an Teilhabe, aber auch Ausgrenzung“, sagte LAK-Sprecher Fischer und erzählte von betroffenen Eltern, die es als besonders bedrückend empfänden, wenn deren Kinder zu Geburtstagen ihrer Freude eingeladen würden, selbst aber keine Gegeneinladung aussprechen könnten – weil sie kein Geld hätten und sich für ihre engen, schlichten Wohnungen schämten.
Die rund 40 Künstler nähern sich dem Thema Armut mit ihrer Ausstellung „Nahrung, Kleidung, Obdach“ erfrischend böse und hintersinnig. Der Holländer Hans Runge etwa hat aus einem Lastenfahrrad ein „Wohnmobil“ inklusive Schlafbox gebaut. Die hannoversche Initiative „Schuppen 68“ stellt einen festlich gedeckten Tisch neben die Tagesration eines Hartz-IV-Empfängers, und die Japanerin Kanae Kimura verkauft wunderschöne Origami-Blumen aus Zeitungspapier mit Berichten über die Reaktorkatastrophe in Fukushima zugunsten der Obdachlosen ihres Heimatlandes.
Die Ausstellung im SofaLoft, Jordanstraße 26, ist bis zum 5. November wochentags von 10 bis 19 Uhr, sonnabends von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
HAZ vom 20.09.2011:
45-Jähriger im Wohnheim erstochen
Ein Bewohner des städtischen Männerwohnheims an der Schulenburger Landstraße in Vinnhorst ist in der Nacht zu Dienstag durch mehrere Stiche in den Oberkörper getötet worden. Wenige Stunden nach der tödlichen Attacke nahm die Polizei einen Tatverdächtigen fest. Es handelt sich um einen 31-jährigen Mitbewohner des Opfers.
Hannover. Der Getötete ist in der Vergangenheit wegen verschiedener Diebstähle, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen aufgefallen. Am Dienstagmorgen suchten Polizisten das Männerwohnheim auf, weil sie den 45-Jährigen zu einem Vorfall befragen wollten. Die Beamten klopften an die Zimmertür des Mannes, doch der reagierte nicht. Daraufhin ließen die Polizisten die Tür von einem Mitarbeiter der Einrichtung öffnen – und entdeckten den leblosen Mann. Im Laufe der Befragung mehrerer Heimbewohner stellte sich heraus, dass einer der Männer am späten Montagabend laute Geräusche aus dem Zimmer des Getöteten wahrgenommen und daraufhin an dessen Tür geklopft hatte. Doch nicht der Zimmernachbar öffnete, sondern ein anderer Mitbewohner. Der 31-Jährige habe ihm versichert, dass alles in bester Ordnung sei, berichtete der Zeuge. Die Polizei suchte umgehend nach dem Mann, der das Opfer offenbar noch kurz vor dem Todeszeitpunkt besucht hatte. Als er nicht auf dem Gelände des Wohnheims aufzufinden war, leiteten die Ermittler die Fahndung ein. Der Tatverdächtige konnte schließlich gegen 16.30 Uhr vor einem Supermarkt an der Schulenburger Landstraße festgenommen werden.
Die Hintergründe der Messerstecherei sind bisher völlig unklar. Der Tatverdächtige war nach Angaben der Polizei am Dienstag zu betrunken, um von den Ermittlern befragt zu werden. Er ist der Polizei als Gewalttäter bekannt.
In der städtischen Unterkunft in Vinnhorst sind in den vergangenen fünf Jahren bereits zwei Bewohner durch Gewalttaten ums Leben kommen. Im November 2007 erstach ein 66-jähriger Mann einen 27 Jahre alten Mitbewohner. Die Männer galten als Freunde, waren aber nach einem Trinkgelage in Streit geraten. Genau ein Jahr zuvor war ein 49-jähriger Mann verstorben, nachdem er sich mit zwei anderen Bewohnern geprügelt hatte. Auch in diesem Fall war Alkohol im Spiel.
In dem Wohnheim in Vinnhorst leben rund 140 obdachlose Männer. Viele von ihnen sind alkoholabhängig und leiden unter psychischen Problemen. Nach Angaben der Polizei gibt es in dem Heim keine auffälligen Probleme mit Gewalt. „Die Klientel in solchen Unterkünften ist schwierig“, sagt ein Polizeisprecher. Die Situation in Vinnhorst weiche aber nicht von den Zuständen in anderen Heimen ab. „Im Zuge der Alkoholisierung kommt es durchaus zu Körperverletzungen“, sagt der Sprecher. Unter Obdachlosen hat das Wohnheim einen schlechten Ruf. Mancher gibt an, das Leben auf der Straße vorzuziehen, um sich nicht den Übergriffen der Mitbewohner aussetzen zu müssen.
HAZ vom 01.07.2011:
Sechs Jahre Haft für Messerangriff
Für den Messerangriff auf einen Obdachlosen am Güterbahnhof in Hannover verurteilte das Landgericht am Freitag den 34 Jahre alten Krzysztof K. wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechseinhalb Jahren Haft. Damit widersprach das Schwurgericht der Staatsanwaltschaft, die wegen versuchten Mordes eine neunjährige Freiheitsstrafe gefordert hatte.
Von Sonja Fröhlich
Hannover. Nur knapp hatte ein Obdachloser einen Angriff mit einem Messer am Güterbahnhof überlebt. Seine Kumpels riefen von der gegenüberliegenden Post einen Rettungswagen. Für die Tat verurteilte das Landgericht Hannover am Freitag den 34 Jahre alten Krzysztof K. wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechseinhalb Jahren Haft. Damit widersprach das Schwurgericht der Staatsanwaltschaft, die wegen versuchten Mordes eine neunjährige Freiheitsstrafe gefordert hatte. Der Täter sei von dem Versuch, seinen Kontrahenten zu töten, zurückgetreten, begründete der Vorsitzende Wolfgang Rosenbusch.
Was genau Ende Oktober vergangenen Jahres zwischen Täter und Opfer, die beide der Obdachlosenszene angehören, vorgefallen ist, konnte auch während des Prozesses nicht abschließend geklärt werden. Das Opfer hatte ausgesagt, den 34-Jährigen zu einer Mahlzeit eingeladen zu haben. Danach habe dieser grundlos auf ihn eingestochen. Ein Zeuge hatte erklärt, während des Zwischenfalls geschlafen zu haben. Der Täter selbst schwieg zu den Vorwürfen. Nach dem Dafürhalten des Gerichts konnte dem Angeklagten das Mordmerkmal der Heimtücke nicht nachgewiesen werden.
Auch eine anschließende Sicherungsverwahrung sah die Kammer als unbegründet an und stützte sich damit auf die Expertise des psychiatrischen Gutachters – er hatte den dafür nötigen Hang zu schweren Gewalttaten ausgeschlossen. Krzysztof K. ist zwar wegen Raub- und Diebstahlsdelikten und in einem Fall wegen Körperverletzung vorbestraft, allerdings ließen sich diese Delikte nicht mit der vorliegenden Tat vergleichen.
An den Angeklagten gewandt sagte Rosenbusch: „Sie befinden sich auf einem gefährlichen Weg, wenn Sie so weitermachen, droht Ihnen die Sicherungsverwahrung.“ Die Staatsanwaltschaft prüft Rechtsmittel. Auch K.s Anwalt Marcin Raminski überlegt, in Revision zu gehen – ihm erscheint die Strafe zu hoch.
HAZ vom 29.06.2011:
Arme Menschen scheuen regulären Arztbesuch
Immer mehr arme Menschen scheuen wegen der Praxisgebühr und Zuzahlungen den regulären Arztbesuch. Sie kommen in Hannover zu den kostenlosen ärztlichen Sprechstunden, die 1999 ursprünglich für Obdachlose unter anderem am Hauptbahnhof eingerichtet worden sind.
Hannover. Mittlerweile leben 60 Prozent dieser Patienten in eigenen Wohnungen, 30 Prozent in Heimen für Wohnungslose und nur noch 6 Prozent auf der Straße. Das ist das Ergebnis einer bundesweit einmaligen Begleitstudie zu dem Projekt, in dem sich derzeit ein 20-köpfiges Team von Medizinern und Pflegern ehrenamtlich engagiert.
„Die sogenannte Armutsbevölkerung kann sich den normalen Arztbesuch nicht mehr leisten“, sagte die Vorsitzende der Ärztekammer, Bezirksstelle Hannover, Cornelia Goesmann, am Mittwoch. „Hannover ist ein Drehkreuz geworden auf der Ost-West-Achse. Hier stranden unheimlich viele Menschen. Ein Großteil ist nicht versichert, nicht medizinisch versorgt“, berichtete die Initiatorin des Projekts, an dem auch Caritas und Diakonie beteiligt sind. Ähnliche Angebote gibt es in vielen deutschen Großstädten. Einmalig in Hannover sei aber, dass seit zehn Jahren eine begleitende wissenschaftliche Studie laufe, sagte Goesmann.
Insgesamt wertete das Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen (ZQ) 16.000 Behandlungen aus. Seit dem Jahr 2000 stieg die Patientenzahl um 50 Prozent auf etwa 900 Patienten im Jahr. Sie kommen nicht mehr wie zu Beginn vielfach wegen Hauterkrankungen und Verletzungen, sondern in 50 Prozent der Fälle aufgrund von psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen in die kostenlosen Sprechstunden - und das immer wieder. Zwar bemühen sich die Ärzte um Überweisungen in reguläre Praxen - wie oft dies erfolgreich ist, kann aber kaum festgestellt werden.
Goesmann forderte die Politik auf, die Praxisgebühr abzuschaffen und Heilmittel sowie Medikamente generell kostenlos an arme Menschen abzugeben. In jüngster Zeit kämen vermehrt alte Frauen zum Behandlungsmobil, das zum Beispiel an Tagestreffs für Obdachlose Station macht. „Diese Frauen sehen sich nicht mehr in der Lage, ihre Medikamente zu finanzieren. Da müsste unser Sozialstaat sagen, das haben wir eigentlich nicht nötig.“
HAZ vom 15.06.2011:
Polizei sichert HIV-Blutspur am Kröpcke in Hannover
Am Kröpcke in Hannover musste die Polizei am Mittwoch eine etwa 200 Meter lange Blutspur sichern - ein Obdachloser hatte dort Blut verloren. Weil die Gefahr einer HIV-Infektion und einer Hepatitis-Ansteckung bestand, bewachte die Polizei die Strecke bis zur Reinigung.
Hannover. (frx). Er war erst vor kurzem operiert worden: Am Mittwoch platzte einem Obdachlosen am Kröpcke in Hannover seine OP-Wunde. Auf etwa 200 Metern zog er eine Blutspur in Richtung Bahnhofstraße hinter sich her, bis er schließlich zusammenbrach.
Da die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass der 35-Jährige HIV-positiv sein könnte und womöglich auch mit Hepatitis-C infiziert, sicherten Beamten die Blutspur bis zur Reinigung. Beide Krankheiten werden durch Blut übertragen, daher habe hohe Ansteckungsgefahr bestanden. Die Feuerwehr übernahm die Reinigung der Flächen.
Der Obdachlose wurde nach der Versorgung durch einen Notarzt in ein Krankenhaus gebracht.
HAZ vom 07.06.2011:
Neubau in Hannover bietet Abhängigen ein Zuhause
Hell und freundlich wirkt die gelbe Fassade des Flachbaus an der Kirchhorster Straße. Ringsum gibt es Rasen- und Kiesflächen, auch Kübelpflanzen wurden aufgestellt. Für die Menschen, die dort wohnen, ist das Gebäude ein Zuhause auf Zeit – und für manche der sprichwörtliche Rettungsanker, um ihr Leben in neue Bahnen zu lenken.
Hannover. In der neu errichteten Unterkunft für drogenabhängige Obdachlose (U. D. O.) bietet die Johanniter-Unfall-Hilfe 76 Süchtigen eine Wohngelegenheit und eine Perspektive.
Einer von ihnen ist Marcos Osuna Luna. Der 39-Jährige, der seit Februar in der Unterkunft lebt, ist zurzeit in einem Methadonprogramm. „In zwei bis drei Monaten möchte ich wieder in eine eigene Wohnung ziehen und in meinem Beruf als Koch arbeiten“, sagt er. In Betrieb ist die 1350 Quadratmeter große Einrichtung, in die die Johanniter 1,5 Millionen Euro investiert haben, seit Jahresbeginn.
Am Dienstag gab es eine Feier mit allen, die dazu beigetragen haben, das Projekt umzusetzen. Als Vertreter der Stadt, die das Grundstück in Erbpacht vergeben hat, war Bürgermeister Bernd Strauch dabei. Für die Region, die den Betrieb finanziert, trat Sozialdezernent Erwin Jordan ans Mikrofon. Jens-Michael Emmelmann vom Regionalvorstand der Johanniter betonte, das Miteinander in der Nachbarschaft funktioniere. Mit der Polizei seien Sicherheitsauflagen umgesetzt worden. Dazu zählen Videokameras und eine Umzäunung des Grundstücks mit Zugangskontrolle; rund um die Uhr sind Betreuer vor Ort. Zwischen drei und acht Monaten leben die Abhängigen in der Regel in der Unterkunft – mit dem Ziel, sie auf ein Leben ohne Drogen vorzubereiten.
HAZ vom 04.06.2011:
Landstreicher hinterlässt in Hannover Schuhe und 50 Euro
Ein Rentner aus Hannover-Bothfeld hat einen Landstreicher in seinem Garten ertappt und vertrieben. Jetzt hat der 74-Jährige unfreiwillig ein gutes Paar Schuhe und 50 Euro mehr – aber auch ein schlechtes Gewissen.
Manchmal hat man nichts falsch gemacht, und trotzdem plagt einen ein schlechtes Gewissen. So geht es einem 74-Jährigen aus Bothfeld. Er besitzt Geld, das einem Obdachlosen gehört, und weiß jetzt nicht, wohin damit. „Ich kann das doch nicht einfach verjubeln“, sagt der Ruheständler.
Als der Rentner kürzlich an einem Abend mit seiner Frau aus dem Urlaub wiederkam, da sah sie Feuerschein am überdachten Grillplatz im Garten. „Deine Grillhütte brennt“, rief seine Frau erschrocken. Doch der Bothfelder, der eilig in den Garten lief, fand etwas anderes vor. Ein Stadtstreicher hatte sich zum Wärmen ein Feuer entzündet, Decken und Felle auf dem Boden ausgebreitet und es sich gemütlich gemacht. „Ich habe ihn angeschrien, dass er abhauen soll“, sagt der Hauseigentümer.
Mitte 30 sei der Mann gewesen, dunkelhaarig, wohl ein Ostdeutscher, ordentlich gekleidet. Der Ertappte habe erstaunlich gelassen reagiert. „Ich gehe hier öfter mal spazieren“, soll er gesagt haben, und auf die Drohung, dass man die Polizei holen werde, habe er nur geantwortet: „Machen Sie mal – die kennen mich schon.“ Als er schließlich doch ging, fiel dem Rentner noch auf, dass der Mann barfuß war. Doch dabei dachte er sich noch nichts.
Am nächsten Tag, als er in der Grillhütte nach möglichen Schäden sehen wollte, fand er außer etwas Tabak auch ein paar Schuhe. Gute Schuhe, sagt er: „Die haben richtig Qualität.“ Und als er sie für den Stadtstreicher an den Straßenrand stellen wollte, da fand er im Inneren einen 50-Euro-Schein vor. „Jetzt habe ich ein richtig schlechtes Gefühl“, sagt der Bothfelder: „Solch eine Summe wird für den Mann doch wirklich wichtig sein.“ Bei der Polizei aber konnte mit der vagen Personenbeschreibung keiner etwas anfangen.
Joachim Teuber, Sozialarbeiter im Wohnungslosentreff Mecki am Raschplatz, findet die Geschichte ungewöhnlich. „Eigentlich dringen Wohnungslose nicht in die Privatsphäre anderer ein“, sagt er. „Sie sind es ja gewohnt, dass sie überall weggejagt werden.“ Eine Möglichkeit, die Schuhe und das Geld zurückzugeben, sieht er kaum: „Wir können einen Aushang machen – aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich der ehrliche Besitzer meldet, ist gering.“
Für den 74-jährigen Bothfelder bleibt ein flaues Gefühl: „Ich hoffe, dass ich den Mann nicht zu sehr angeschrien habe“, sagt er, „aber wer kann denn ahnen, dass der seine Schuhe vergisst.“ Er will das Geld, wenn sich niemand im Mecki meldet, an das Kultur- und Sozialwerk seiner Freimaurerloge spenden. „So kommt es allen bedürftigen Kindern Hannovers zugute“, sagt er.
HAZ vom 24.05.2011:
Freispruch im Prozess um Flammentod bei Celle
Im Prozess um den Flammentod eines Obdachlosen in Faßberg bei Celle ist der Angeklagte am Dienstag vom Landgericht Lüneburg freigesprochen worden. Er wurde beschuldigt, im November vergangenen Jahres einen 48 Jahre alten Mitbewohner der Unterkunft schwer misshandelt und mit Grillanzündern in Brand gesetzt zu haben.
Im Prozess um den Flammentod eines Obdachlosen in Faßberg bei Celle ist der Angeklagte am Dienstag vom Landgericht Lüneburg freigesprochen worden. „Das ist ein Freispruch erster Klasse“, betonte der Vorsitzende Richter Franz Kompisch am Dienstag. Die Kammer sei von der Unschuld des Angeklagten überzeugt. Für die sechsmonatige Untersuchungshaft soll der 40-Jährige entschädigt werden. Zuvor hatten Anklage und Verteidigung auf Freispruch plädiert.
Der Mann hatte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets bestritten. Er wurde beschuldigt, im November vergangenen Jahres einen 48 Jahre alten Mitbewohner der Unterkunft schwer misshandelt und mit Grillanzündern in Brand gesetzt zu haben. Doch die Aussagen der beiden Belastungszeugen wurden von allen Prozessbeteiligten als äußerst unglaubwürdig eingestuft. Die Staatsanwaltschaft Celle prüfe jetzt die Aufnahme neuer Ermittlungen, sagte ein Sprecher.
Das Opfer hatte wie der Angeklagte und die beiden Zeugen in der abgelegenen Unterkunft in einem Waldgebiet bei Celle gelebt. Am Abend des 25. November war es unter bislang nicht geklärten Umständen zu dem grauenvollen Verbrechen gekommen. Während des Verfahrens erregten die beiden Belastungszeugen mit massiven Gedächtnislücken und unauflösbaren Widersprüchen zunehmend den Unmut der Kammer.
Statt zu schlafen, sei der zweite Belastungszeuge mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zur Tatzeit am 25. November bei dem anderen Zeugen gewesen, folgerte das Gericht aus den Aussagen und anderen Hinweisen. Dann könnte es zu einer Auseinandersetzung mit dem späteren Opfer gekommen sein, als der 48-Jährige eine Satellitenschüssel verstellt haben soll.
Das Gericht hielt allein die Aussage des Angeklagten für schlüssig, der den brennenden Trinkkumpanen gelöscht hatte. Der Kreis der Verdächtigen sei überschaubar, betonte der Vorsitzende und kritisierte die Arbeit der Polizei. So seien die beiden Belastungszeugen nach der Tat nicht getrennt verhört worden.
Die Ermittlungen der Polizei hätten sich viel zu schnell auf seinen Mandanten konzentriert, sagte auch Verteidiger Martin Fricke. Der 40-Jährige hatte im Frühjahr vergangenen Jahres die Wohnung verloren und war nach Faßberg gekommen. „Er will einen Schlussstrich unter diesen traurigen Lebensabschnitt ziehen“, sagte Fricke nach dem Prozess. Eine neue Unterkunft sei gefunden, und auch die Familie wolle helfen - Mutter und Tochter waren zur Urteilsverkündung erschienen.
HAZ vom 10.05.2011:
Obdachloser soll Kumpel angezündet haben
Weil er seinen Zechkumpanen angezündet und damit getötet haben soll, muss sich ein 40 Jahre alter Obdachloser seit Dienstag vor dem Landgericht Lüneburg wegen Mordes verantworten. Zum Prozessbeginn verweigerte der Mann die Aussage. Er hat die Tat bisher bestritten.
Dem 40 Jahre alten obdachlosen Mann wird vorgeworfen, am 25. November vergangenen Jahres den Mitbewohner einer Obdachlosenunterkunft in Faßberg im Landkreis Celle nach einem gemeinsamen Trinkgelage mit Grillanzündern in Brand gesetzt und brutal getreten zu haben.
Erst nach rund 15 Minuten soll der Angeklagte nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einen Nachbarn informiert haben, der den brennenden Mann löschte. Der 48-Jährige starb am nächsten Morgen in einem Celler Krankenhaus an seinen schweren Brandverletzungen. Die beiden Männer waren stark alkoholisiert. Bei dem Angeklagten wurden am Morgen nach der Tat noch mindestens 1,5 Promille gemessen. Die Obduktion des Opfers ergab einen noch sehr viel höheren Blutalkoholwert.
In einer ersten Aussage vor der Polizei hatte der Mitbewohner, der das Opfer gelöscht und die Feuerwehr alarmiert hatte, den Tatverdächtigen unmittelbar nach den Vorfällen schwer belastet. Dieser sei gewalttätig gewesen und habe sich mit dem späteren Opfer oft gestritten. „Lass ihn doch brennen“, habe er damals ausgerufen. Dann habe er dem am Boden liegenden Mann noch ins Gesicht getreten.
Am Dienstag zeigten sich vor Gericht bei dem Zeugen aber große Gedächtnislücken. Der Tatverdächtige habe sogar beim Löschen geholfen, hieß es nun, ganz im Gegensatz zur ersten Aussage. „Es geht hier um Mord! Das ist ihnen klar, nicht wahr?“, fragte der Richter den Mann und konfrontierte ihn mit seinen detaillierten Aussagen vom November. In einem Punkt war sich der Zeuge noch immer sicher - der Angeklagte habe sich damals wie ein Kind gefreut und grinsend gesagt: „Otti, schau mal, der brennt!“ Das Schwurgericht hat bis zum 17. Juni zehn Verhandlungstage angesetzt.
HAZ vom 22.04.2011:
Winter-Hilfsprojekt für Obdachlose in Hannover erfolgreich
Bei Eis und Schnee waren sie im Einsatz – nun zogen sie bei sommerlichen Temperaturen Bilanz. Und die Straßensozialarbeiter, die im vergangenen Winter ein Hilfsprogramm für Obdachlose in Hannover betreut haben, sind sich einig: Das erstmals von der Diakonie und dem Verein „Selbsthilfe für Wohnungslose“ (SeWo) angebotene Projekt hat sich bewährt.
„Wir haben Zugang zu Menschen gefunden, die im Elend unterzugehen drohen und selbst bei Minusgraden im Freien übernachten“, sagt Gottfried Schöne. Der Leiter der Zentralen Beratungsstelle der Diakonie ist überzeugt: Ein solches Angebot, das sich vor allem an Wohnungslose richtet, die bisher nicht in die etablierten Betreuungsstellen kommen, sollte nicht auf die kalte Jahreszeit beschränkt bleiben.
Während der Projektdauer waren vier Mitarbeiter von SeWo und Diakonie 71-mal unterwegs, vor allem am ZOB, in der Bahnhofstraße, am Kröpcke und an der Nordstädter Lutherkirche. Ausgestattet mit Schlafsäcken und warmer Kleidung, suchten sie gezielt Stellen auf, an denen sie Obdachlose vermuteten. Zudem gingen sie Hinweisen von der Polizei und aus der Bevölkerung nach – während des Projekts wurden Handzettel verteilt und ein Anrufbeantworter geschaltet. Teil des Programms war auch ein Angebot der Johanniter-Unfall-Hilfe, deren Mitarbeiter mit dem Bus unterwegs waren, um Obdachlose mit warmen Mahlzeiten zu versorgen. 1450 Essensportionen und 2900 warme Getränke wurden ausgegeben.
Für den kommenden Winter ist das Nothilfe-Angebot gesichert; auch in den Folgejahren soll es nach einem Ratsbeschluss in den kalten Monaten Bestand haben. Diakoniepastor Hans-Martin Joost versichert, dass die bestehenden Angebote der Diakonie für Wohnungslose von der aktuellen Kürzungsrunde nicht betroffen sind.
HAZ vom 09.04.2011:
Flüchtlinge für 18 Monate in Containern
Übergangslösung: Die ehemaligen Wohncontainer für drogenabhängige Obdachlose in Lahe sollen jetzt als Unterkunft für 50 Flüchtlinge dienen - allerdings nur für eine Zeit von 18 Monaten.
Die ehemaligen Wohncontainer für drogenabhängige Obdachlose in Lahe sollen für 18 Monate als Unterkunft für 50 Flüchtlinge dienen. Das hat der Rat am Donnerstag in vertraulicher Sitzung mehrheitlich beschlossen. Allein die CDU votierte dagegen. „Eine solche Übergangslösung darf aber keinen Tag länger dauern“, sagte SPD-Baupolitiker Thomas Hermann. Während der 18 Monate solle sich die Stadtverwaltung um eine bessere, dauerhafte Unterkunft kümmern, forderte Rot-Grün in einem eigenen Antrag. Im Gespräch ist ein Ausbau des Flüchtlingswohnheims am Döhrener Turm in der Südstadt. „Das wäre durchaus ein geeigneter Standort“, sagte Grünen-Baupolitiker Michael Dette.
Mit seiner Entscheidung setzte sich der Rat über das Votum des Bezirksrates Bothfeld-Vahrenheide hinweg. Dort endete die Abstimmung vor wenigen Tagen in einer Pattsituation, der Antrag galt damit als abgelehnt. Die CDU befürchtet nun eine „Gettobildung“, wenn 50 Flüchtlinge in einer Gemeinschaftsunterkunft hausen müssen. „Zudem sorgt die soziale Gemengelage an der Alten Peiner Heerstraße für Sprengstoff“, sagt CDU-Fraktionschef Jens Seidel. Damit meint er die Nähe des provisorischen Asylbewerberheims zur Unterkunft für drogenabhängige Obdachlose. Auch die Polizei sieht diese Nachbarschaft kritisch. „Von Anfang 2010 bis heute gab es dort 292 Delikte, von Dealerei über das Aufbrechen von Autos bis zur Körperverletzung“, sagte der Leiter des zuständigen Polizeikommissariats, Werner Zwick, in der Bezirksratssitzung. Dass nun in direkter Nachbarschaft ein Flüchtlingswohnheim entstehe, sei eine denkbar ungünstige Konstellation.
„Das Ganze ist auch eine Frage der menschenwürdigen Unterbringung“, meint CDU-Ratsherr Jens-Michael Emmelmann. Besser für die Flüchtlinge sei es, sie dezentral, in kleinen Gruppen einzuquartieren. Dem stimmt grundsätzlich auch SPD-Vertreter Hermann zu. „Aber nur 15 Prozent der Flüchtlinge in Hannover werden in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, der Rest in Wohnungen“, sagt er.
Notwendig wurde die schnelle Unterbringung, weil derzeit wesentlich mehr Flüchtlinge nach Deutschland strömen als in den vergangenen Jahren. Einige hundert Asylbewerber, so kündigte das Land an, müssen in diesem Jahr in Hannover aufgenommen werden. „In Anbetracht der Umwälzungen in Nordafrika könnte die Zahl noch steigen“, vermutet Hermann.
HAZ vom 08.03.2011:
Jugendliche sollen Obdachlosen erschlagen haben
Vermutlich aus Langeweile haben drei Jugendliche in der Nacht zum Aschermittwoch im Wiesbadener Kurpark auf einen Obdachlosen eingeschlagen. Der Mann ist tot und die Polizei sucht nach Indizien für einen Raubmord. Die Verdächtigen sind bereits häufiger als Schläger und Räuber aufgefallen.
Drei Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren werden verdächtigt, im Wiesbadener Kurpark einen Obdachlosen mit brutalen Schlägen ermordet zu haben. Der 45 Jahre alte Straßenmusikant aus Litauen war in der Nacht zum Aschermittwoch überfallen und so stark zusammengeschlagen worden, dass er an Ort und Stelle starb. Der Mann hatte schwerste Kopfverletzungen erlitten.
Zwei der Verdächtigen haben dem Polizeibericht vom Freitag zufolge bereits ihre Beteiligung an dem Verbrechen gestanden. „Lasst uns mal wieder jemanden klatschen und abziehen“ habe es in der fraglichen Nacht geheißen, berichtete einer der Beschuldigten. Sie hätten Aggressionen abbauen wollen.
Im Laufe des Freitags erhärtete sich laut Polizei der Verdacht, dass die drei jungen Männer ihr Opfer ausgeraubt haben. In einem Parkhaus fanden die Ermittler nach Hinweisen eines der Verdächtigen die leere Umhängetasche des Opfers, in der zuvor Geld gewesen sein soll. Zunächst hatten sich Zweifel an der Raubthese ergeben, weil bei der Leiche des Litauers noch Geld gefunden worden war. Dies hatten die Täter aber möglicherweise schlicht übersehen. Auch ein Radio und ein Fahrrad ließen sie liegen.
Einer der Jugendlichen sagte zudem, dass er es bei dem Überfall auf die Wertgegenstände des Opfers abgesehen habe. Der Haftrichter wertete die Tat denn auch als Raubmord und verhängte am Freitag gegen alle drei Beteiligten Untersuchungshaft.
Zwei von ihnen sind Deutsche im Alter von 16 und 17 Jahren. Der dritte ist ein 16 Jahre alter Türke, der schon zuvor als Intensivtäter eingeschätzt wurde. Er sitzt bereits seit Mittwoch im Gefängnis - wegen anderer Gewalttaten. Auch gegen die beiden Deutschen ist bereits früher ermittelt worden. Alle stammen aus Wiesbaden.
Auf die Spur des Schläger-Trios waren die Beamten durch einen telefonischen Hinweis gekommen. Zuvor hatten die Ermittler in der Öffentlichkeit intensiv nach den Tätern gefahndet. Einer der Jugendlichen hatte sich offenbar unmittelbar nach der Bluttat in der Nähe des Staatstheaters mit dem Überfall gebrüstet. Auf Hinweise hatte die Staatsanwaltschaft eine Belohnung von 2000 Euro ausgesetzt.
HAZ vom 11.01.2011:
Bunker am Welfenplatz hat für Obdachlose ausgedient
Von Veronika Thomas
Die Stadt Hannover eröffnet eine neue Notunterkunft mit 36 Schlafplätzen für Obdachlose in der Wörthstraße. Der alte Bunker am Welfenplatz hat dagegen ausgedient.
Die letzten 30 Übernacht-ungsgäste verließen am Montagmorgen das fenster- lose Gebäude an der Celler Straße in der Oststadt Hannovers, wo sie die Nacht von Sonntag auch Montag verbracht hatten. Damit hat der umstrittene Luftschutz-bunker aus dem Zweiten Weltkrieg als Notunterkunft für obdachlose Menschen endgültig ausgedient. Gestern Abend um 18 Uhr eröffnete nur etwa fünf Gehminuten entfernt in der Wörthstraße die neue Notschlafstelle. Dort stehen den Betroffenen jetzt 36 Schlafplätze zur Verfügung - vorwiegend in Zweibettzimmern.
Ursprünglich sollte die "Bunker" genannte Notunterkunft am Welfenplatz schon im vergangenen Jahr geschlossen werden. Weil die Containeranlage in der citynahen Wörthstraße aber bis Ende Dezember für die Unterbringung von bis zu 25 obdachlosen Drogenabhängigen benötigt wurde, musste der Umzug der Notunterkunft verschoben werden.
Die Johanniter Unfall-Hilfe (JUH) betreibt seit 1996 eine Notschlafstelle für Drogenabhängige in der Peiner Heerstraße in Lahe. Weil die alte Containerunterkunft völlig marode war und auch den Brandschutzbestimmungen nicht mehr entsprach, entschied die JUH, auf eigene Kosten einen 1,5 Millionen teuren, zweigeschossigen Neubau mit 76 Plätzen an der Kirchhorster Straße zu errichten. Dort werden seit Anfang dieses Jahres auch die Drogenabhängigen betreut, die zuvor in der Wörthstraße Platz fanden.
Der fensterlose Luftschutzbunker in der Celler Straße mit 44 Betten stand seit Jahren in der Kritik von Fachleuten. Aber letztlich war es eine Reportage von Günter Wallraff im Magazin der "Zeit", die das Aus für die Einrichtung brachte. Der Schriftsteller und Enthüllungsjournalist, der 1970 seine aufsehenerregenden "Industriereportagen" mit authentischen Einblicken in die damalige Arbeitswelt veröffentlichte und 1977 undercover als Redakteur Hans Esser bei der "Bild"-Zeitung in Hannover arbeitete, hatte im Februar 2009 in elf deutschen Städten über die Lage Obdachloser recherchiert, darunter auch in Frankfurt und Köln.
Dabei brachte er eine Nacht im sogenannten Bunker in Hannover zu, weil es offenbar die einzige Bleibe war, die kurzfristig zur Verfügung stand. "Das war mit Abstand der schlimmste Ort, den ich in dieser Zeit kennengelernt habe", berichtete Wallraff anschließend und fügte hinzu: "Ich hoffe, ich trage dazu bei, dass er schnellstmöglich geschlossen wird." Die Übernachtung sei ein einziges "Horrorszenario" gewesen, die Unterbringung dort bezeichnete Wallraff als menschenunwürdig.
In jener Nacht war der bekannte Journalist von einem Zimmernachbarn bedroht worden, der sich, nur dirch einen Vorhang getrennt, in Gewaltphantasien hineingesteigert hatte und mit einem Messer hantierte. Als Wallraff das Gebäude "panikartig" verlassen wollte, wie er später schrieb, sei die Stahltür nach draußen mit einem Schloss entgegen den Vorschriften verriegelt gewesen; auch der Sicherheitsmann im Gebäude habe in seinem Kabuff nicht auf sein Klopfen reagiert.
Die Stadt als Trägerin der Einrichtung geriet nach dem Vorfall in Erklärungsnöte, der hannoversche Bunker bundesweit in die Schlagzeilen, und die SPD-Ratsfraktion forderte seine Schließung. In den folgenden Wochen wurden zunächst einmal nachgebessert. Unter anderen wurde die Notbeleuchtung im Bunker verbessert, die schwere Stahltür war seitdem stets von innen zu öffnen, und statt der Vorhänge ließ die Stadt feste Trennwände zwischen den Betten installieren.
Die neue Notunterkunft, eine Aneinanderreihung von Containern, ist zumindest innen hell und freundlich gestaltet. Die Räume sind ebenerdig, sie haben Fenster und in jedem Raum stehen zwei Betten, zwei Stühle, ein Tisch. Nach dem Auszug der Drogenabhängigen wurden die Container einschließlich der Sanitäranlagen renoviert.
Die Notschlafstelle auf einem ehemaligen Schulhof ist- wie seinerzeit der Bunker auch- maximal für ein, zwei Nächte gedacht. Wer eine Unterkunft für unbestimmte Zeit benötigt, wird vom Sicherheitspersonal umgehend an das Wohnungsamt der Stadt verwiesen, die über knapp 300 Plätze in verschiedenen Unterkünften verfügt- 206 für Männer, 64 für Frauen und 28 für Paare. Im angrenzenden, ehemaligen Schulgebäude in der Wörthstraße beispielsweise besteht Platz für 42 wohnungslose Menschen. Außerdem gibt es stadtweit 400 weitere Plätze bei freien Trägern.
Was aus dem alten Bunker wird, steht nach Angaben von Stadtsprecher Andreas Möser noch nicht fest. Ausgeschlossen jedoch sei eine Nutzung durch das benachbarte "bed by night", in dem Straßenkinder bis 17 Jahre Unterschlupf finden. Denkbar wäre eine Nutzung als Übungstätte für Musikgruppen oder Ähnliches.