2022
HAZ vom 30.12.2022, S. 16:
Straßenkinderprojekt für anderthalb Monate geschlossen
Personalmangel: Rund-um-die Uhr-Betrieb nicht mehr möglich / Anfang Januar schließt zudem der kommunale Sozialdienst in Misburg/Kleefeld
Von Jutta Rinas
Quelle: Schaarschmidt
Hannover. Der städtische Fachbereich Jugend und Familie muss wegen akuten Personalmangels mitten im Winter das hannoversche Straßenkinderprojekt „Bed by night“ für anderthalb Monate schließen. Die vom Heimverbund betriebene Einrichtung, die seit 26 Jahren in bunten Containern an der Celler Straße Jugendlichen in Not einen Schlafplatz anbietet, sei bereits seit Ende November 2022 zu, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage dieser Zeitung.
Das städtische Projekt sehe eine Betreuung der Jugendlichen im Schichtdienst vor, 24 Stunden, sieben Tage die Woche, heißt es vonseiten der Stadtverwaltung weiter. Aufgrund des Fachkräftemangels habe der Dienstplan in der Einrichtung nicht mehr sichergestellt werden können, sodass sie vorübergehend schließen musste. Personalmangel führt überdies mit Beginn des Jahres 2023 im Kommunalen Sozialdienst dazu, dass die komplette Dienststelle Misburg/Kleefeld für ein halbes Jahr geschlossen bleibt. Das bestätigte die Stadtverwaltung. Die Arbeit werde bis zur Wiedereröffnung auf andere Dienststellen verteilt.
Bereits im Oktober 2021 hatten Mitarbeiter des Jugendamts Hannover in einem Brandbrief ihre „desaströse Arbeitssituation und Überlastung“ angeprangert. Zu viele Fälle und zu wenig Zeit aufgrund von Personalnot und Vakanzen hatten sie damals beklagt: Die Stadtverwaltung hatte Anfang März 2022 deshalb die Arbeitsverträge von 25 Mitarbeitern entfristet. Als Elternzeit- und Krankheitsvertretungen hatten sie zuvor nur befristete Stellen gehabt. Eine Jugendamtsmitarbeiterin, die anonym bleiben wollte, hatte zudem schon Ende Januar 2022 beklagt, es gebe in Hannover nicht genügend Schlafplätze für Jugendliche in Not.
Das städtische Jugendamt hat die Jugendlichen und Mitarbeitenden von „Bed by night“ nach eigenen Angaben zwar zunächst in zwei andere Inobhutnahmeeinrichtungen verlegt. So habe man bestehende Plätze sichern und die Belastungen der Mitarbeitenden reduzieren können, heißt es. Dennoch will man „Bed by night“ jetzt aber offenbar bereits in der zweiten Januarwoche wieder öffnen – und zieht dazu für einen befristeten Einsatz kurzfristig Mitarbeiter aus dem gesamten Fachbereich zusammen. Insgesamt zwölf Fachkräfte werden gesucht.
Bei der Inobhutnahme von Jugendlichen in Krisensituationen handele es sich um eine hoheitliche Aufgabe, die Hannover sicherstellen müsse, schreibt die Stadtverwaltung. Die „Task-Force Bed by Night“ diene der Aufrechterhaltung des Inobhutnahmesystems in Hannover und sei von elementarer Bedeutung zur Wahrung des Kinderschutzes, heißt es in einem Brief der Fachbereichsleitung an die Mitarbeiter. Er liegt dieser Zeitung vor. Aufgrund der bundesweit schwierigen Lage in der Jugendhilfe konkurriere man mit allen örtlichen Jugendämtern um freie Plätze und müsse zwingend weitere Plätze in Hannover schaffen. Konsequenz der internen Personalakquise könne sein, dass andere Jugendeinrichtungen oder Spielparks mit eingeschränkten Öffnungszeiten arbeiten müssten, heißt es von Seiten der Stadt.
In dem Straßenkinderprojekt werden offenbar seit einiger Zeit verstärkt sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut genommen. Dass ihre Zahl steige, sei neben dem Fachkräftemangel ein Grund für den aktuellen Engpass. Dazu komme, dass viele Jugendliche für einen längeren Zeitraum in den Inobhutnahmeeinrichtungen blieben, weil es an Anschlussmaßnahmen fehle, heißt es weiter. Das Problem betreffe den Jugendschutz bundesweit.
HAZ vom 27.12.2022, S. 12:
Unterkunft für 120 Obdachlose
Nach jahrelangem Leerstand ist die städtische Einrichtung in Davenstedt eröffnet worden
Von Jutta Rinas
Quelle: Hottmann
Nach jahrelangem Leerstand hat die Stadt jetzt in Davenstedt noch eine große Unterkunft für Obdachlose eröffnet. 40 Wohnungen umfasst der dreiteilige Gebäudekomplex am Geveker Kamp 9-13. Um die 120 Menschen finden hier nach Angaben von Pascal Tadjipour vom städtischen Bereich Wohnen und Leben in Gemeinschaftsunterkünften und Wohnungen künftig Platz. Zwei zuvor obdachlose Paare und dazu zwei wohnungslose Mütter – eine mit einem Kind und eine mit zweien – konnten sich kurz vor Weihnachten schon über eine Bleibe in dem grau-weißen Gebäudekomplex freuen.
Nach letzten technischen Instandsetzungen rechne er von Mitte Januar an damit, dass die restlichen 32 Wohnungen bezogen werden können. In der Unterkunft können Einzelpersonen, Paare oder Familien in Ein- bis Vierzimmerwohnungen auf einer Größe von 35 bis 70 Quadratmetern Platz finden. Die Wohnungen sind mit Küche, Bad und Betten, Tischen, Stühlen und Spinden für die restlichen Zimmer ausgestattet.
„Die Stadt Hannover arbeitet mit Hochdruck daran, preisgünstigen Wohnraum zu schaffen“, sagte Oberbürgermeister Belit Onay bei einer Präsentation des Gebäudekomplexes. Die EU habe das Ziel ausgerufen, bis 2030 die Obdachlosigkeit ganz abzuschaffen. Auch der Bund müsse jetzt mit einem Nationalen Aktionsplan Farbe bekennen. Obdachlose Menschen könnten im Geveker Kamp zur Ruhe kommen und neue Kraft für ein Leben fernab der Straße schöpfen, sagte Sozialdezernentin Sylvia Bruns. Die Ausstattungsstandards seien hochwertig. „Das ist unser Anspruch“, sagte Bruns.
Voraussetzungen für den Bezug einer Wohnung sei, dass man obdachlos sei und sich aus diesem Zustand nicht mehr aus eigener Kraft befreien könne, sagte Pascal Tadjipour. Dazu müsse man in der Lage sein, seinen Lebensalltag autark zu gestalten. Das Wohnprojekt wird dezentral vom Deutschen Roten Kreuz in der Region Hannover betreut. Es gibt nach städtischen Angaben kein festes Betreiberbüro wie in anderen Wohnprojekten, wo Sozialarbeiter wochentags vor Ort sind.
Am Geveker Kamp wurden die ersten Wohneinheiten bereits im September 2017 geräumt, mit den Sanierungsarbeiten sollte Mitte 2018 begonnen werden, doch es kam zu Verzögerungen – und damit zu jahrelangem Leerstand. Die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Hanova Wohnen übernahm dann im Auftrag der Stadt die Sanierungsarbeiten.
HAZ vom 27.12.2022, S. 12:
Wohnungslose genießen Festessen
Homeless Care Projekt ist am 1. Feiertag mit Lastenrädern in der City unterwegs
Von Mathias Klein
Quelle: Behrens
„Eine warme Suppe wäre gut.“ Esra hält den Pappbehälter und wärmt sich an der Krautsuppe erst einmal die Hände. Er steht am Lastenrad von Myriam Abdel-Rahman Scherif. „Noch etwas anderes zu essen?“, fragt die 49-Jährige. „Nein, nein, die Suppe reicht“, sagt Esra.
Myriam Abdel-Rahman Scherif gehört zum sogenannten Homeless Care des Tibet-Zentrums Hannover. Mit Colette Sow und Janin Meyer-Boje ist die 49-Jährige per Lastenrad am 1. Weihnachtsfeiertag in der City unterwegs. Die drei Frauen versorgen wohnungslose Menschen mit Essen, Kaffee und Tee, Obst, Schlafsäcken und Isomatten und sogar Weihnachtsgeschenken.
Esra hat schlecht geschlafen in der vergangenen Nacht, berichtet er. Wo er sein Nachtlager hat, will er nicht sagen. „Mal hier und mal da.“ Bart und Haare sind lang, die dünne Jacke ist an einer Seite aufgerissen, die Turnschuhe fallen fast auseinander. Der 26-Jährige redet nicht viel. Wie es weitergeht? Weiß er nicht. „Aber die Suppe macht erst einmal schön warm“, sagt er. Und dann will er lieber allein weiteressen. Sein Tisch ist ein Behälter für Verpackungsmüll.
150 Essen haben die drei Frauen in ihre Lastenräder gepackt. Hähnchenbrust mit Couscous, dazu ein Salat und Brot. „Ein Festessen für die Menschen auf der Straße“, sagt Abdel-Rahman Scherif. Die Aktion wird von Hannover 96 finanziell unterstützt, Tüten mit Weihnachtssüßigkeiten haben Kunden eines Bioladens in der Südstadt gespendet. „Wir wollen den Menschen zu Weihnachten eine besondere Freude machen“, sagt die 49-Jährige. Denn die meisten hätten keine Gelegenheit für ein schönes Festessen.
HAZ vom 24.12.2022, Immobilien S. 12:
Mietverträge ohne Bedingungen
Das Prinzip Housing First soll dazu beitragen, Wohnungslosigkeit zu überwinden
Von Sebastian Hoff
Berlin. Auch in der Weihnachtszeit übernachten viele Menschen draußen. Eingehüllt in Schlafsäcke und mehrere Lagen Kleidung und nur notdürftig geschützt durch Hauseingänge oder improvisierte Unterstände versuchen sie, Kälte und Nässe zu trotzen.
Im Winter ist Obdachlosigkeit besonders hart. Einem Bericht der Bundesregierung zufolge sind derzeit gut 260 000 Menschen in Deutschland ohne feste Wohnung, etwa 40 000 davon leben auf der Straße – vor allem in deutschen Großstädten.
Für sie gebe es zwar einige Hilfsangebote wie Notunterkünfte, erläutert Lars Schäfer, Referent der Wohnungsnotfall- und Straffälligenhilfe der Diakonie Deutschland, aber diese werden oftmals gemieden, weil dort unter anderem wenig Intimsphäre gewahrt werden kann und es zu Diebstählen oder gewaltsamen Übergriffen unter den Bewohnerinnen und Bewohnern kommt. Außerdem dürfen in der Regel keine Haustiere mitgebracht werden, die für viele Wohnungslose wichtige Begleiter im Leben sind.
Seit einigen Jahren wollen deshalb Initiativen in mehreren Städten Wohnungslosen eine dauerhafte Perspektive bieten und ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Sie erhalten Wohnungen mit festen Mietverträgen, an die keinerlei Bedingungen geknüpft sind. Das Prinzip nennt sich Housing First und geht davon aus, dass zunächst das Wohnproblem gelöst sein muss, bevor weitere Hilfsangebote greifen können. „So wie man schwimmen am besten im Wasser lernt und Fahrrad fahren mit einem Fahrrad, genauso lernt man wohnen am besten in einer Wohnung und nicht in einer Einrichtung“, sagt Volker Busch-Geertsema von der Gesellschaft für Innovative Sozialforschung und Sozialplanung.
„Die Wohnung alleine ist ein stabilisierender Faktor“, bestätigt Schäfer. Auch der Ansatz der Freiwilligkeit sei grundsätzlich zu begrüßen. Die Bewohnerinnen und Bewohner werden nur auf Wunsch von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern unterstützt. In Deutschland galt lange vor allem das Prinzip der Wohnfähigkeit: Obdachlose müssen in einem mehrstufigen Verfahren nachweisen, dass sie in der Lage sind, allein zu wohnen. Oft scheitern sie daran oder finden keine dauerhafte Anschlusswohnung. Die Folge ist ein Drehtüreffekt: Viele landen wieder auf der Straße.
Einige der ersten deutschen Housing-First-Projekte wurden in Berlin verwirklicht – mit großem Erfolg: „Das Leben der ehemals obdachlosen Menschen hat sich erheblich verbessert. Die Wohnstabilität der Mieterinnen und Mieter ist sehr hoch“, heißt es in einer Pressemitteilung der Senatsverwaltung. Das Prinzip Housing First gilt dort inzwischen als Leitmotiv der Wohnungslosenpolitik. Beschlossen wurde eine Verstetigung des Programms, das 2023 mit 3,3 Millionen Euro hinterlegt ist und auf Paare, Familien mit Kindern und Menschen mit erheblichen körperlichen Mobilitätseinschränkungen ausgeweitet werden soll.
In Düsseldorf sind die Erfahrungen mit Housing First ebenfalls positiv. Unter anderem in Bremen, Hamburg, Frankfurt und Stuttgart wurden kürzlich weitere Modellprojekte ins Leben gerufen. In den USA kamen Studien zu dem Ergebnis, dass sich die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner verbesserte, sie weniger Drogen nahmen und die Kriminalitätsrate sank. Gestiegen war hingegen die Bereitschaft, Therapieangebote anzunehmen. Zwar sind mit dem Programm hohe Kosten verbunden, dafür sinken aber kommunale Ausgaben etwa für Einsätze von Rettungsdiensten.
Für Housing-First-Projekte werden teilweise Häuser neu errichtet, meist aber Wohnungen angemietet. Wichtig ist, dass die Bewohnerschaft gemischt ist. Zwar gab es in Berlin zunächst Bedenken und Beschwerden in der Nachbarschaft, doch schon bald stieg die Akzeptanz und wurde sogar nachbarschaftliche Hilfe angeboten. In der Hauptstadt werden aktuell rund 100 Wohnungen im Rahmen von Housing First vermietet. Sie seien aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt Schäfer. Denn die Warteliste von Interessierten ist lang.
HAZ vom 20.12.2022, S. 17:
Das ist knallhart auf der Straße“
Wenn es draußen frostig ist, kommen viele Wohnungslose ins Café Mensch, das die Obdachlosenhilfe Hannover betreibt
Von Petra Rückerl
Quelle. Tunnat
Hannover. Sonnabendabend, 22 Uhr, Mario Cordes dämmt das Licht in seinem Café. Die Hälfte seiner Gäste hat sich bereits hingelegt. Vorwiegend Männer, eingerollt in ihren Schlafsäcken, die besten Plätze befinden sich an der Heizung. Doch auch wer sich an die Wand oder zwischen die Tische legen kann, hat Glück. Hier ist es immer noch warm. Wärmer als draußen. Und hier ist es sicher.
Draußen sind es lausige minus 6 Grad, auf den Autos an der Podbi 102 glitzert der Raureif. Der Blick durch freie Fenster in den Wohnhäusern zeigt Familien, Singles und Paare im Warmen, manche sitzen am geschmückten Weihnachtsbaum, schauen auf den Sofas fern, einige machen sich bettfein. Die Gäste von Mario Cordes haben keine Sofas, keine Betten, keine Autos und keine Wohnung. Aber sie sind im „Café Mensch“ und werden zumindest in dieser Nacht nicht erfrieren.
Wenn Gaby Krun auf die Menschen schaut, die sie noch vor ein paar Stunden mit – von Cordes selbst gekochten – Gulasch, Nudeln und alkoholfreien Heiß- oder Kaltgetränken bedient hat, dann ist sie zutiefst dankbar. „Jeder kann seine Wohnung, sein altes Leben verlieren“, sagt sie. Auch ihr hätte es passieren können. 2016 wurde die jetzt 55-Jährige wegen der Krankheit Multiple Sklerose frühverrentet. „Damals war ich Einkaufsleiterin eines großen Dienstleisters, hatte bereits Rentenansprüche, von denen ich nun gut leben kann. Wäre mir das mit 20 passiert, hätte ich auch auf der Straße landen können.“ Nun arbeitet sie ehrenamtlich im Café, voller Demut, dass „es mir gut geht, ich kann etwas geben“.
Cordes kennt die vielen, denen es anders geht. „In den letzten zwei Jahren hat sich die Zahl der Menschen auf Platte von knapp 500 auf über 1000 verdoppelt.“ Corona, aber vor allem zu hohe Mieten sind die Hauptgründe für die vielen Neuen, dazu kommen oft Krankheit und Suchtkrankheit, persönliche Pro-bleme. „Die Notunterkünfte sind jedenfalls überfüllt.“ Osteuropäer im Wechsel, arme alte und neuerdings jüngere Leute, aber auch mehr Frauen leben auf der Straße. In der vergangenen Woche mussten sie eine im siebten Monat schwangere Frau irgendwo unterbringen. Das geht selbst einem Mario Cordes, der schon viel gesehen hat, an die Substanz. Frauenhäuser würden schwangere Obdachlose nicht aufnehmen. „Die ist dann erst mal in der Langensalzastraße untergekommen“, einer Einrichtung für obdachlose Frauen.
Für Frauen ist das Leben auf der Straße besonders hart, sagt Manuela Eger. Die 60-Jährige hat das selbst durchgemacht. „Das ist knallhart, ich hatte eine Nierenbeckenentzündung und musste dann in eine Frauenunterkunft.“ Mit ihrem Partner Patrick Scholz (52) musste sie aus ihrer Wohnung raus, „weil die eines Tages voller Bauschutt war“.
Details zum Vermieter will sie nicht erzählen, die beiden nahmen sich ein paar Habseligkeiten, Schlafsack, Isomatte, und zogen für ein Jahr auf ein Pfarrgelände in Bothfeld. „Im Sommer ging das, immer frische Luft“, erzählt sie. Im Winter wurde es unerträglich in der Kälte. Mittlerweile hat immerhin Manuela Eger eine kleine Wohnung, ihr Freund wohnt im Kolpinghaus nahe der Langen Laube.
„Es kommen nicht nur Wohnungslose, auch arme Menschen sind hier willkommen“, erzählt Cordes. „Manche Senioren haben hier einfach ihren Treffpunkt, weil es zu Hause so still ist und sie Hunger haben.“ So geht es auch Fabian, der eine Mietwohnung irgendwo auf dem Lande hat, sich aber nicht dauernd die Fahrten zwischen Wohnort und Stadt leisten kann. „Ich lebe am Existenzminimum.“ Der 37-Jährige hat seit seiner Kindheit psychische Probleme und findet im Café auch mal „Leute zum Reden, man geht gut miteinander um hier“.
Das ist nicht immer der Fall. Frank, wegen Drogenhandel im Knast gelandet und seit einigen Monaten auf freiem Fuß, ist nach eigenen Angaben sein bester Kokskunde. Außerdem „habe ich ein schwieriges Verhältnis zum Eigentum anderer“, sagt er, der aus „gutem Hause“ in Hannover komme. Nun fordert er allerdings nachdrücklich von einem anderen Gast sein Eigentum in Form von Barem, möglicherweise geht es um eine Drogengeschichte. Security-Mann Tarkan Kurnaz (42), selbst mal obdachlos gewesen, verweist Frank souverän des Cafés. Cordes nickt zufrieden. „Kein Alkohol, keine Drogen, keine Gewalt, daran müssen sich hier alle halten. Außerdem ist den Anweisungen des Personals hier zu folgen.“
Wer dann kommt, darf die ganze Nacht bleiben. Michael Lo Pinto (53) ist auch wieder da. Er, der mehr oder weniger freiwillig auf der Straße lebt, hat eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), frische Luft ist für ihn unabdingbar. Sein Arzt habe ihm nicht mehr viel Zeit gegeben, er bekam Depressionen nach der Diagnose, verlor seinen Job als Schlosser, seine Frau an seinen besten Freund, seine Wohnung und machte dann „auf Platte“. Nun lebt er trotzdem über den Zeitpunkt seines vom Arzt angekündigten Todes. „Ich will weder abhängig von Maschinen noch von Menschen sein, jetzt bin ich mein eigener Herr“, sagt Lo Pinto fast fröhlich.
Die Nachbarschaft an der Podbi hat das Café laut Cordes gut angenommen. „Wir haben hier einen Schlachter nebenan, der bringt uns regelmäßig Spenden.“ Wie Marthe de Vries, die einmal wöchentlich mit einer Tüte mit Hygieneartikeln oder anderen nötigen Dingen kommt. „Ich wohne hier in der Nähe und habe mich gefragt, wie ich unterstützen kann“, sagt die 32-Jährige. Sie sei auf dem Dorf aufgewachsen, das Thema Wohnungslosigkeit sei für sie neu. „Das ist für mich dermaßen bedrückend, dass ich etwas abgeben will.“
Bürokauffrau Sonja Suker, sonst ehrenamtlich im Impfteam der Johanniter, kommt einmal die Woche zur Nachtschicht. Die 56-Jährige hat in ihrer Nordstadt-Gruppe zum Spenden aufgerufen, an diesem Abend hat sie für eine obdachlose Frau eine Strickjacke, dicke Strümpfe, Pyjamahose, Süßes und mehrere Hygienebeutel, deren Inhalt eine Apothekerin gespendet hatte.
Warum schlägt sie sich die Nacht hier um die Ohren? „Um den Menschen für eine kurze Zeit Freude zu bereiten“, sagt sie spontan. Es stimme sie nachdenklich und traurig, dass es solche Armut und Wohnungslosigkeit gibt. Sie unterstütze auch andere Helfer wie „Nachtengel Martina“, die Nacht für Nacht losziehe, um Wohnungslose in der City zu versorgen.
Minijobberin Ulricke Brusberg, die schon im Nachtcafé am Hauptbahnhof dabei war und nun dreimal die Woche an die Podbi kommt, erzählt von zwei Todesfällen in der letzten Woche unter den Wohnungslosen, die herkamen. Ein „Thomas“ ist tot und eine Frau, die an Lungenentzündung starb, der Mann der Verstorbenen würde in der Ecke liegen und trauern. „Wir werden darauf achten, dass er nicht abstürzt.“
Brusberg, die selbst unter der chronischen Schmerzerkrankung Fibromyalgie „phasenweise“ leidet, arbeitete vor der Erwerbsverminderungsrente als Erzieherin mit behinderten Menschen. „Es ist total erfüllend, wenn man für andere da sein kann.“ Sie sei als Adoptivkind in eine liebevolle Familie gekommen, „das weiterzugeben ergibt Sinn in meinem Leben“.
So wie allen, die sich diese und die weiteren 364 Nächte für die Ärmsten der Armen aufraffen, wach bleiben, helfen, wo es geht. Manchmal ist das sogar von Erfolg gekrönt. Im vergangenen Jahr konnte Mario Cordes einem 72-Jährigen zu einer Wohnung verhelfen, „der hat 23 Jahre auf der Straße gelebt“. Cordes’ Credo: „Der eine Mensch ist etwas reicher, der andere ist etwas ärmer. Aber es sind alles Menschen.“
HAZ vom 20.12.2022, S. 15:
Obdachlose ziehen bald ein
40 Wohnungen am Geveker Kamp / Tagestreff erst im Januar fertig
Von Jutta Rinas
Quelle: Rinas
Gerade rechtzeitig vor Weihnachten eröffnet in Hannover eine neue Obdachlosenunterkunft. Es handelt sich dabei um den Gebäudekomplex am Geveker Kamp 9–13 in Daven-stedt, der zuvor jahrelang leer stand. Das teilte die Stadtverwaltung Hannover unserer Redaktion mit. Einzelheiten will die Stadt offenbar noch in dieser Woche präsentieren.
Die neue Unterkunft verfügt nach städtischen Angaben über 40 Wohnungen. Die ersten Obdachlosen werden offenbar schon in dieser Woche einziehen. Die wenigen Restarbeiten werden voraussichtlich im Januar 2023 abgeschlossen sein, heißt es in der Antwort der Stadt weiter. Eine Belegung der restlichen Wohnungen könne dann sukzessive erfolgen. Die Fertigstellung der neuen Wohnungen kommt offenbar zur rechten Zeit. „Wir schätzen die Zahl der Obdachlosen, die auf der Straße leben, auf 700 Menschen“, sagte Diakoniepastor Friedhelm Feldkamp gegenüber unserer Redaktion. Die Tendenz sei „stark steigend“.
Am Geveker Kamp wurden die ersten Wohneinheiten bereits im September 2017 geräumt, mit den Sanierungsarbeiten sollte Mitte 2018 begonnen werden, doch es kam zu Verzögerungen. Damit gehört der Davenstedter Gebäudekomplex zu einer Reihe von Immobilien, die die Stadt bereits seit Langem sanieren wollte. Dann kam sie aber mit dem Projekt nicht voran. Die Folge: jahrelange Leerstände. Der hannoversche Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit hatte dies bereits vor einem Jahr kritisiert. Eine Gruppe von Aktivisten hatte Mitte dieses Monats mit einer Plakataktion mit mehr als 2000 Plakaten noch einmal darauf aufmerksam gemacht – und dazu aufgefordert, leer stehende Wohnungen zu melden.
Zwei weitere Projekte der Stadt werden nach Angaben der Verwaltung bis zum Jahresende nicht mehr fertig. Die Eröffnung des neuen Tagestreffs an der Dornierstraße in Nachbarschaft der städtischen Notschlafstelle Alter Flughafen sei aufgrund andauernder Baumaßnahmen in schwieriger Witterungslage erst im Januar zu erwarten. Solange er geschlossen sei, stehe die Notschlafstelle aber weiter auch tagsüber zur Verfügung. Mit einem Ende der Sanierungsarbeiten der „Roten Reihe“, einer Reihe von Backsteinhäusern an der Schulenburger Landstraße in Vinnhorst, sei erst Ende 2023 zu rechnen.
In zwei weiteren Immobilien, die auch für Obdachlose vorgesehen waren, wohnen mittlerweile Flüchtlinge. Dabei handelt es sich um das ehemalige Schwesternwohnheim an der Kleefelder Straße und die zur Notunterkunft für Geflüchtete hergerichtete ehemalige Halle von AS Solar in Bornum.
HAZ vom 14.12.2022, S. 19:
Martina ist der „Nachtengel von Hannover“
Gegensätzlicher könnte ihr Alltag nicht sein: Tagsüber arbeitet Martina B. im Wimpernstudio, nachts auf der Straße.
Sie versorgt gut 50 Obdachlose in der Innenstadt mit Essen, Getränken, warmen Klamotten.
Von Mirjana Cvjetković
Hannover. Tagsüber macht sie etwas Schönes: Martina B. (zu ihrem eigenen Schutz behält sie Nachname und Alter für sich) arbeitet in einer Wimpernlounge in der Kröpckepassage, hübscht dort seit zehn Jahren die Augen ihrer Kundinnen auf. Keine Stunde später verlassen diese das Geschäft lächelnd, manchmal vom neuen, glamourösen Wimpernaufschlag engelsgleich beflügelt.
Quelle: Heusel
Wenn es Abend wird, dann verwandelt sich Martina B. in einen Engel. Zumindest sehen das viele Menschen hier in der Stadt so. Die Frau, die über sich persönlich gar nicht viel erzählen mag, kümmert sich um Frauen und Männer, die aus ganz unterschiedlichen Gründen ganz unten in der Gesellschaft angekommen sind – auf der Straße. Seit Jahren versorgt sie bis zu 50 Obdachlose rund um die Innenstadt mit warmen Getränken, warmer Suppe (die kocht sie selbst, die Einkäufe finanziert sie über ihren Lohn und Pfandflaschen), warmen Klamotten und warmen Worten.
„Erst bin nur am Wochenende losgezogen“, sagt sie. „Dann waren es alle drei Tage und irgendwann wurde ich gefragt, ob ich morgen oder erst übermorgen wiederkomme.“ Das geht nun seit acht Jahren so. In diesen Tagen ist B. noch bewegter als sonst. Denn auch um den Obdachlosen, der am frühen Morgen des 21. November tot im Hauptbahnhof entdeckt worden war, hatte sie sich gekümmert, Igor (†39). „Am Abend zuvor habe ich noch mit ihm gesprochen“, erinnert sie sich an die letzte Begegnung mit dem Mann aus Lettland.
„Essen mochte er nichts, nur etwas Warmes trinken.“ Wie immer hatte B. im Bollerwagen ihren bewährten „Spezial-Tee“ dabei: „Zu einem Teil schwarzer Tee, zu zwei Teilen Pfefferminze. Mit viel Zucker.“ Weil er so stark hustete und sie darum gebeten hat, habe sie den Notruf gewählt, Sanitäter schauten nach dem Mann, der im September wohl noch wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus behandelt worden war, nahmen ihn aber nicht mit. Am nächsten Tag erfuhr B.: Igor ist tot.
Es ist nicht das erste Mal, dass jemand von den Menschen, die sie betreut, gestorben ist. Der Tod als ständiger Wegbegleiter. Was Martina B. möchte, ist, den Obdachlosen Lichtblicke, Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Hilfe zu geben. „Ich lasse sie von meinem Handy telefonieren, helfe bei Amtsgängen, begleite sie zum Arzt, versuche bei Behördenärger zu helfen.“ Viele Obdachlose nennen die Frau mit den kupferroten Haaren deshalb ihre „Anwältin“.
Was sie nicht mehr tut, ist Fragen zu stellen: „Na, wie geht’s uns denn heute?“, erkundigte sich Martina B. mal bei einer ihrer anfänglichen Runden. Mittelweile zieht sie mit zwei Bollerwagen los, hat Schwielen an den zarten Händen. „Wie soll es gehen?!“, wurde ihr da nur entgegnet, B. ärgerte sich massiv über sich selbst. „Man muss einfach mal nachdenken.“ Das nicht zu tun, hält B. vielen Menschen vor. Denjenigen, die Wohnungslose beschimpfen oder ihnen Vorwürfe machen.
„Die sollen aufhören zu saufen“ und „Die sind doch selbst schuld“ stehen ganz oben im Ranking der Sätze, die B. zu hören bekommt. „Woher wissen Sie denn, dass sie selbst schuld sind?“, entgegnet sie dann. „Immer diese Schuldfrage! Immer ist irgendwer selbst schuld. Das sagen Passanten gerne, um sich freizukaufen. Dabei kann doch jeder helfen. Man muss einfach nur dort anfangen, wo man etwas sieht.“
So war es vor etwas mehr als einem Jahrzehnt auch bei ihr. Erdbeeren hatte sich Martina B. im Sommer an einem der Stände vorm Hauptbahnhof gekauft. Mit dem Schälchen kam sie an bettelnden Sinti und Roma vorbei, hielt die Schale hin. „Ich bat sie, sich eine Erdbeere zu nehmen. Und sagte dann: Nehmt zwei.“ Dass diese Bettler das Geld abgeben müssen, weiß B.: „Das, was sie gegessen haben, kann ihnen aber keiner mehr wegnehmen.“ Wochen später passierte sie einen Obdachlosen am Schillerdenkmal. „Du wolltest nicht wegsehen!“, hörte sie plötzlich Stimmen in ihrem Kopf.
Sie erschrak und ging in einen Dönerladen, um dem Wohnungslosen einen Tee zu kaufen. Drinnen kommentierte jemand: „Wir können die Welt nicht retten.“ B.s Augen ziehen sich bei dem Gedanken an diese Situationen zu Schlitzen zusammen: „Ich weiß. Aber da sitzt ja nur einer. Und selbst wenn es zwei wären, ist die Welt noch lange nicht gerettet.“ Erinnerungen wie diese notiert sie sich regelmäßig, manchmal entstehen sogar Kurzgeschichten.
Seit September berichtet Martina als „Nachtengel Hannover“ bei Instagram von ihren allabendlichen Gängen durch die Obdachlosenszene der Stadt. Sie postet Bilder mit dem Einverständnis der Frauen und Männer, dokumentiert ihre Situation. „Sie vertrauen mir, weil ich zu keiner Institution gehöre.“ B. weiß, dass manche der Obdachlosen, die sie betreut, illegal im Land sind oder Drogen nehmen. „Natürlich weiß ich das. Aber ich bringe ja nur den Tee. Ich würde nie jemanden verpetzen.“
B. wuchs selbst in sehr ärmlichen Verhältnissen im Erzgebirge auf. Die Mutter war krank, das Geld, das der Vater verdiente, war zu gering, um die vierköpfige Familie zu ernähren. Schon als Kind fing B. Touristen am Bahnhof ab, transportierte ihr Gepäck im Bollerwagen zum Hotel – „manchmal gab es 20 Pfennig, manchmal eine Mark“.
Bei Instagram bittet Martina B. auch um Sachspenden. Mal berichtet sie dort, dass jemand eine Erwachsenenwindel braucht, eine Bleibe und gerade jetzt im Winter warme Kleidung. Unternehmerin Mirela Stanoiu (58) lernte B. zufällig kennen, wollte ihr zunächst privat helfen. „Ich war gleich überzeugt von dem, was sie tut“, so die Chefin der Edelboutique „Donna“. Über ihr Geschäft startete sie Aufrufe, bat um Spenden wie Decken. „Kundinnen bringen nach wie vor Sachen vorbei. Und ich bleibe auch dran.“
Er musste sich auch nicht bitten lassen zu helfen: Rolf Eisenmenger (68). Der Herrenausstatter von „Lo & go“ spendierte Dutzende Winterjacken aus seinem Laden an der Luisenstraße. Die erste Fuhre Kleidungsstücke hat den Besitzer bereits gewechselt, eine zweite Ladung nagelneuer Garderobe hat der Geschäftsmann Martina B. just übergeben. „Ihre Nächstenliebe ist unbeschreiblich. Ich habe überhaupt keine Vorstellung, welche geistige und körperliche Kraft sie aufbringt, um das zu machen, was sie tut.“
Luxus auf der einen, blanke Armut auf der anderen Seite. Für Martina B. ist das nicht ungewöhnlich. „Reichtum wird in der Innenstadt zugelassen, Armut nicht.“ Deshalb macht sie sich dafür stark, dass Obdachlose in der City bleiben dürfen und nicht „dezentralisiert“ werden. Sie ist dagegen, dass Frauen und Männer „zur Notschlafstelle am Alten Flughafen abgeschoben werden: Da draußen lässt es sich nun mal schlecht betteln.“ Deshalb hat sie auch schon bei Ordnungsdezernent Axel von der Ohe (45) im Rathaus auf der Matte gestanden. „Ich kämpfe weiter.“
So wie in der Nacht zum 27. November. Da war Martina B. wieder unterwegs mit ihren Bollerwagen. Darin: warmer Eintopf mit grünen Bohnen, Linsen und Rindermett, warme Jacken und mit Sicherheit warme Worte. „Mir geht es gut, wenn ich sie da am Bahnhof in Reih und Glied liegen und satt einschlafen sehe. Dann weiß ich, jetzt kann ich nach Hause gehen.“ Ein Engel. Nicht nur bei Nacht.
HAZ vom 12.12.2022, S. 12:
Respekt und Entenkeule
Weihnachtsfeier für Bedürftige im HCC
Quelle: Schaarschmidt
Obdachlos ist Bärbel Vogt schon einige Zeit nicht mehr. Doch das Geld ist weiter knapp für die 60-Jährige, die von einer schmalen Rente und Grundsicherung lebt. Deshalb genießt sie am Sonntag den Luxus, sich am Rande der 10. Weihnachtsfeier für Obdachlose und Bedürftige im Hannover Congress Centrum (HCC) die Haare machen zu lassen.
„Das kann ich mir selbst nicht leisten“, sagt die Rentnerin, während Jessica Kühne-Stark sie kämmt und föhnt. Die Friseurmeisterin gehört zu den Barber Angels, die den Gästen der Feier jedes Jahr ehrenamtlich ihre Dienste anbieten. Rund 600 Menschen folgten der Einladung der Organisatoren von den Vereinen Krass Unartig und Heart and Culture. Der 52-jährige Viktor freut sich über sein Gericht mit geschmorter Entenkeule, Apfel-Rotkohl und Kartoffelklößen, das ihm Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) serviert. Vor allem zahlreiche HCC-Mitarbeiter sind ehrenamtlich im Service im Einsatz. Unterstützung bekommen sie von Regionspräsident Steffen Krach (SPD) und Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne).
HAZ vom 06.12.2022, S. 18:
Mecki 2.0“: Stadt erweitert Hilfsangebot für Obdachlose
Kontaktladen betreut Menschen in Not nur unzureichend – das soll sich ändern / Immobilie an der Augustenstraße umgebaut
Von Andreas Voigt
Quelle: Schaarschmidt
Die Wohnungslosenhilfe in der Stadt Hannover wird auf breitere Füße gestellt. In den Räumen der Augustenstraße 10 entwickeln Region und Stadt Hannover das Betreuungskonzepts des Kontaktladens „Mecki“ am Raschplatz weiter – zu „Mecki 2.0“. Wohnungssuchenden werden dort dann ausreichend Schutz- und Ruheräume angeboten, zudem gibt es eine umfängliche medizinische und pflegerische Betreuung. Trägerin von „Mecki 2.0“ ist wie bei der Einrichtung am Raschplatz das Diakonische Werk Hannover. Der alte Mecki-Laden wird später aufgegeben.
Die Region Hannover ist federführend bei diesem Vorhaben, da sie örtliche Trägerin der Sozialhilfe ist. Im zuständigen Sozialausschuss hat Sozialdezernentin Andrea Hanke nun erstmals nähere Ausführungen zum Vorhaben gegeben. „Der Kontaktladen Mecki leistet seit vielen Jahren kompetente und engagierte Beratung und Unterstützung für Menschen in schwierigen Lebensverhältnissen. Diese Arbeit soll langfristig gesichert werden“, sagte sie. Wichtig sei auch das medizinische und pflegerische Angebot, das mit dem Umzug in die neuen Räumlichkeiten auf eine gute Basis gestellt und erweitert werde.
Diakoniepastor Friedhelm Feldkamp spricht von einem „Meilenstein bei der Betreuung von Wohnungslosen“. Nach dem von der Diakonie ausgearbeiteten Konzept wird der Schutz-und Ruheraum um einen eigenen Raum für Frauen und einen für Personen mit psychischen Erkrankungen oder Reizüberflutungen ergänzt. Zudem gibt es einen Raum für selbstorganisierte Treffen und Büroräume für die Beratung der Wohnungslosen. Küche, Sanitärbereiche, Wäscheausgabe und -waschmöglichkeiten sowie Schließfächer runden das Angebot ab. Schlussendlich sind auch medizinische und pflegerische Versorgungen in größerem Umfang getrennt nach Geschlechtern möglich. Sozialpsychiatrische Angebote soll es auch geben, im Obergeschoss sind zudem Notschlafplätze für Männer vorgesehen.
Bis es soweit ist, dauert es allerdings noch eine Weile, denn erst im Mai 2023 will die Region die weiteren politischen Beratungen über „Mecki 2.0“ wieder aufnehmen. Bis dahin werde sie sich mit der Stadt Hannover, die Eigentümerin des Gebäudes an der Augustenstraße ist, etwa über Umbau, Raumaufteilung und über die konkreten Rahmenbedingungen austauschen, so die Sozialdezernentin. Auch eine größere finanzielle Beteiligung durch das Land etwa wegen der höheren Miete und mehr Personal will die Region bis dahin klären. Sowohl Region als auch Stadt Hannover haben bereits jeweils eine Million Euro für „Mecki 2.0“ in ihren Haushalten eingestellt. Die genauen Kosten, die „Mecki 2.0“ verursachen wird, will die Region ebenfalls bis Mai 2023 ermitteln.
Nötig ist eine Erweiterung vom Mecki-Laden, da es in Hannover immer mehr Wohnungslose gibt und die Kapazitäten am Raschplatz trotz Erweiterung in diesem Jahr bei Weitem nicht ausreichen. Insbesondere für die medizinische Versorgung sind die Räumlichkeiten unzureichend. 2019 war die ehemalige Polizeistation für neue Mecki-Räume ins Auge gefasst worden, doch gutachterlich ermittelte hohe Umbaukosten von etwa 2,1 Millionen Euro und eine unklare Nutzungsdauer haben Region und Stadt Hannover von dieser Immobilie dann Abstand nehmen lassen. Der Standort von Mecki 2.0 an der Augustenstraße befindet sich direkt hinter dem Hauptbahnhof gegenüber dem Arbeitsgericht. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das Stellwerk von Step, die Betreuungseinrichtung für Drogenabhängige.
Haz vom 05.12.22, S. 12:
Bundesverdienstkreuz für Karin Powser
Obdachlosen-Fotografin und „Asphalt“-Mitbegründerin wird heute von Frank-Walter Steinmeier geehrt
Von Jutta Rinas
Quelle: Hagemann
Da ist dieses Foto von der völlig verdreckten Straße, auf der zwei obdachlose Männer sich niedergelassen haben. Neben ausgedrückten Zigarettenstummeln haben sie ihren Platz gefunden, direkt auf dem kalten Steinboden. Müll liegt herum, eine leere Bierdose, eine Flasche Bier. Der eine Mann hat seinen Kopf in den Schoß des anderen gebettet, der andere fuchtelt mit einem Hut herum. Die beiden haben offenbar Spaß. Inmitten des Elends ist es der Fotografin gelungen, einen Ausdruck von Lebensfreude einzufangen, vom Schriftzug „fröhlich“ auf einem Werbeplakat konterkariert.
Oder jener Berber mit wettergegerbtem Gesicht und völlig kaputten Händen. Ganz offen vertrauensvoll, wirkt der Blick, mit dem er in die Kamera schaut. Das ist bemerkenswert, denn viele Obdachlose auf der Straße wollen nicht be-obachtet, erkannt – und schon gar nicht fotografisch festgehalten werden.
Der hannoverschen Fotografin Karin Powser aber gelingt es seit vielen Jahren, den Menschen auf der Straße nahezukommen und ihr Leben mit ihrer Kamera auf eine besonders unverstellte Art und Weise einzufangen. Ihre Fotos zeigen das Leben dieser Menschen: Männer und Frauen, die unter Pappkartons schlafen, die ihre Trinkgelage feiern, die zusammen essen oder allein im Dreck liegen. Heute wird Powser für ihre Arbeit in Berlin von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Mit ihren Por-träts von Menschen, die auf der Straße leben, habe die Fotografin Zeitdokumente geschaffen, die den Blick auf obdachlose Menschen verändert hätten, teilte das Bundespräsidialamt mit. 15 Menschen werden an diesem Montag für ihren gesellschaftlichen Einsatz geehrt. Thema ist diesmal: „Menschlichkeit leben: Wege aus der Armut schaffen“.
„Wow, was für eine Nachricht! Der Verdienstorden der Bundesrepu-blik Deutschland, im Volksmund auch das Bundesverdienstkreuz genannt, für unsere Karin Powser“, sagt Georg Rinke, Geschäftsführer des Straßenmagazins „Asphalt“, und freut sich. Die mittlerweile 74-jährige Powser ist Mitbegründerin und immer noch Kolumnistin des Straßenmagazins „Asphalt“.
Für sie sei die Auszeichnung völlig überraschend gekommen. „Bin jetzt immer noch total durch den Wind“, sagt Powser selbst. Wegen ihrer 13 Jahre langen schweren Krankheit und Sprechschwierigkeiten habe sie sich zunächst dem Stress der Fahrt nicht aussetzen wollen. Nachdem Georg Rinke sie überredet habe, fahre sie doch und hoffe, dass ihr und ihren Begleitern keine Klebe-Aktivisten dazwischenkämen. Aufgeregt ist die 74-Jährige nicht: Sie sei 1999 im Schloss Bellevue zum Jahresempfang bei Roman Herzog gewesen und wisse, wie das Ganze in etwa ablaufe, sagt sie cool.
Powser hat viele Jahrzehnte als Fotografin für „Asphalt“ gearbeitet. Dass sie den Menschen auf der Straße so nahekommen konnte, hat sicher auch damit zu tun, dass sie selbst 13 Jahre – von 1971 bis 1984 – auf der Straße lebte. Die 1948 als Kind einer Prostituierten geborene Frau, die in Kinderheimen und bei Pflegefamilien aufwuchs, kannte viele der Menschen, die sie fotografierte, kannte das Leben, das sie führten, genau. Auf ihrem eigenen Weg ins gesellschaftliche Abseits hatte sie kaum eine Station ausgelassen: Gefängnis, Psychiatrie, Trinkerheilanstalt und Frauennotunterkunft. Die zugigen Ecken in der Passerelle, die Bänke am Leineufer boten auch ihr Platz zum Schlafen, auch ihr Alltag drehte sich um die Beschaffung von Medikamenten und Bier. Auch jetzt noch, anlässlich der Ehrung, blickt sie zurück. „Die hohe Auszeichnung ist für mich eine Genugtuung gegenüber all denjenigen, die mich schon in der Hölle sahen“, sagt sie.
Später, nachdem sie den Ausstieg geschafft hatte, wurden ihre großformatigen Bilder in ganz Deutschland ausgestellt, gewannen internationale Preise. 1985 erschien im Rowohlt Verlag das Buch von Christine Swientek „Das trostlose Leben der Karin P. – Geschichte einer Pennerin“. „Pennerin“, so nannte auch Powser sich selbst. „Fotografie ist Hilfe zur Selbsthilfe“, hat Powser einmal über ihre Einstellung zu ihrer Arbeit gesagt. Sie nutzte ihre Bilder auch, um Missstände zu dokumentieren. Aber sie sind in der Art und Weise, wie sie das Leben auf der Straße dokumentieren und mit der Alltags- und Konsumwelt der Gesellschaft konfrontieren, eben auch Kunst.
Für ihr Foto „Wohnkomfort im neuen Stil“ beispielsweise wurde Powser 2008 mit dem International Street Paper Award ausgezeichnet. Es zeigt einen Obdachlosen, der ohne jeden Schutz – wie Decke, Pappkarton oder Schlafsack – auf der Straße im Schmutz liegt. Über ihm auf einem Werbeplakat werden unter anderem die neuesten Tagesdecken angepriesen.
Darüber hinaus hat sich die 74-Jährige lange Zeit im Kontaktladen Mecki des Diakonischen Werks Hannover ehrenamtlich engagiert.
HAZ vom 30.11.2022, S. 19:
Timo gibt der Straße eine Stimme
Obwohl er selbst kaum genug zum Leben hat, hilft ein 37-jähriger gebürtiger Hannoveraner anderen Obdachlosen mit dem Geld, das er sammelt. Er berichtet über das harte Leben ohne eigene Wohnung auch regelmäßig in den sozialen Medien.
Von Maike Jacobs
Quelle: Richert
Wir brauchen euch“, steht da in großen, schwarzen Lettern auf dem weißen Plakat. Und weiter unten: „Vorbeigehen ist einfach“. Nein, jetzt nicht mehr. Denn spätestens da wandert der Blick über das Plakat hoch, und man schaut in das freundlich, etwas zurückhaltend lächelnde Gesicht von Timo. Sein Name steht auch auf dem Plakat. Ein wenig erinnert er optisch und mit dem Baseballcap an Rapper Sido.
Timo ist nach eigenem Bekunden seit 28 Monaten auf der Straße unterwegs, heute steht er vor Saturn in der Innenstadt. „Essen warm/ kalt 3 Euro, Übernachtung im warmen Hostel plus Dusche 10 Euro, Wäsche waschen 5 Euro“, gibt er als Lebenshaltungskosten auf seinem Plakat an. Ein junger Mann hält inne, zieht seine Geldbörse, gibt einen Schein. Die beiden reden kurz miteinander. Und lächelnd geht der Mann weiter.
„Das ist doch das Schönste“, sagt Timo, und seine Augen blinzeln vor Freude. „Ein Lächeln weiterzugeben.“ Doch dann wird er wieder ernst. „Deswegen sitze ich auch nicht, sondern ich stehe. Ich will den Menschen ins Gesicht schauen und lasse mich ansprechen. Dann rede ich auch mit meinem Gegenüber – von Mensch zu Mensch.“
Beim Gespräch in einem Straßencafé, nur wenige Meter von seinem heutigen Standort entfernt, ist Timo froh, endlich mal sitzen zu können. Das lange Stehen strengt an, dann schmerzen die Beine. Die Straße fordert ihren Tribut – auch bei Timo, dem man auf einen ersten Blick das zehrende Leben nicht ansieht. Timo achtet sehr auf sich. Er raucht nicht, trinkt nicht, nimmt keine Drogen. So ist auch seine Erscheinung ein Grund, warum der Mann Blicke auf sich zieht: Der Bart ist ordentlich gestutzt, er achtet auf Reinlichkeit und Körperpflege, die Kleidung ist sauber.
Kein Klischee der Straße
Warum das auffällt? Weil es so wenig dem Klischee der Straße entspricht. 37 Jahre ist Timo alt, er sieht jünger aus. Und vielleicht ist es auch das, was es einem so leicht macht, ihn anzusprechen: Er bricht mit Vorstellungen, die viele möglicherweise von der Straße haben. Und das nicht nur optisch, sondern auch in dem, was er sagt und wie er sich präsentiert. Timo hat eine Website, unter „ein_phonix_aus_der_asche“ einen Instagram-Account, man findet ihn bei Tiktok unter „bleibwiedubist_1“. Timo liebt Musik, am liebsten Rap, zahlreiche Musiker wie Sammy Deluxe, Estikay, Robin Hoff hat er getroffen – und auch von Sido hat er ein Autogramm.
Spenden über die Website
Über seine Website kann man für ihn spenden – und für andere Obdachlose. Denn Timo bekommt mehr Geld als er für sich beanspruchen will. Den Rest gibt er weiter. „Ich will helfen, das macht mir wirklich Freude!“, sagt er, der – zumindest in den Augen vieler – selbst nur wenig hat. Das sieht er anders, für ihn hat Besitz nicht die Bedeutung, ihm geht es um andere Schätze im Leben. „Hier möchte und kann ich etwas bewegen. Hier werde ich gebraucht und kann etwas zurückgeben. Das gibt dem Leben erst Sinn.“ Da ist es wieder, das Lächeln, das sein Gesicht so strahlen lässt.
Sich für die Gesellschaft einsetzen und das Gefühl zu bekommen, menschlich gebraucht zu werden, das ist Timos Motivation. So erklärt sich, dass es ihm schwerfällt, einen Job allein aus finanziellen Aspekten zu absolvieren – nach wenigen Tagen oder Monaten kündigte er oder flog heraus. „Ich habe zum Beispiel in einer Drogerie geputzt, das war nichts“, erinnert er sich. Ein Mann kommt vorbei, er hat einen großen, gelben Rucksack auf dem Rücken. Die beiden grüßen sich, wechseln ein paar Worte: „Hey Timo, hast Du ein paar Flaschen?“ „Nein, ich rede gerade mit der Presse, komm später noch mal vorbei!“ Per Handschlag verabschieden sie sich.
Bundesweit unterwegs
„Ich helfe, gebe Tipps, wenn die Menschen, die auf der Straße leben, nicht mehr weiterwissen oder an wen sie sich wenden können, ich begleite sie dahin“, erklärt Timo. „Auf der Straße kennt man sich. Und ich bin ja nicht ständig in Hannover, ich ziehe durch Deutschland. Komme ich dann zurück, freut es mich immer sehr, wenn ich sehe, dass es den Leuten noch gut geht.“ Die persönliche Kommunikation sei extrem wichtig. „Keiner ist ein Niemand, nur weil er auf der Straße lebt“, sagt Timo.
So ist Timo ein selbst ernannter Streetworker – ohne offiziellen Auftrag. „Ich helfe von unten her, ich kenne die Szene, da ich selbst in ihr lebe beziehungsweise lange obdachlos war. Die Menschen vertrauen mir, weil ich einer von ihnen bin. Ich rede mit den Leuten, ich besorge Sachen wie Socken, Schuhe, Medizin.“ Schnell, unbürokratisch, vor Ort – das ist Timos Einsatz für die Menschen auf der Straße. Aber er will mehr, er will der Straße eine Stimme verleihen. „Ich möchte von uns erzählen. Ich führe Menschen durch die Szene, war in Schulen.“ Es gibt TV-Reportagen über ihn, derzeit schreibt er an einem Buch über sein Leben.
In Berlin lebt seine Verlobte
Über ein Leben, dass von Anfang an nicht leicht lief: In Hannover geboren, in Garbsen aufgewachsen. Timo hat noch zwei Halbschwestern. Als Kind lässt er sich nur schwer etwas sagen, mit seiner Mutter kommt er auf keinen Nenner, mit elf Jahren kommt er ins Heim. Dort bleibt er bis zur Volljährigkeit. Eine Zeit, die ihm nicht unbedingt guttut. Er raucht, feiert Partys, verliert den Fokus für die Schule. So geht es für ihn mit einem Sonderschulabschluss hinaus in die Welt, körperlich bereits angeschlagen. Ein Arzt gibt ihm den Rat, mit dem Rauchen aufzuhören. Schließlich geht er nach Berlin, hat eine Freundin. Doch die Beziehung bricht auseinander, Timo fliegt aus der Wohnung. Es ist der Einstieg in die Obdachlosigkeit. Ein böser Gerichtsstreit folgt, vier Monate sitzt er schließlich im Gefängnis – unschuldig, wie er betont. Es sei seine schlimmste Zeit im Leben gewesen, resümiert er. Schließlich wird er freigesprochen. Er hat eine neue Freundin in Berlin, ist inzwischen verlobt. Die beiden führen eine besondere Beziehung, sie unterstützt ihn auf seinem Weg und akzeptiert ihn so wie er ist und lebt. Dadurch gibt sie ihm viel Halt.
Die größte Herausforderung auf der Straße sei, sich treu zu bleiben, erzählt Timo, denkt nach und fügt an: „Und morgens wieder aufzuwachen – auf der Straße keine Selbstverständlichkeit.“ Wenn er jetzt in der kalten Jahreszeit draußen schläft, liegt er auf einer Isomatte, er wickelt sich in voller Kleidung in eine Rettungsfolie und dann in zwei Schlafsäcke. Auf Bänken oder anderen Plätzen in der Stadt schlafe er nicht, das sei zu gefährlich. Ebenfalls gehe er nicht in Obdachlosenunterkünften. „Zu viel Alkohol.“ Nein, er schlafe irgendwo draußen, im Wald oder Parks, am besten an einsamen Stellen, wo es keiner vermutet.
Einen wichtigen Schritt aus der Obdachlosigkeit hat er für sich geschafft: Er hat einen Wohnwagen in Berlin auf einem Campingplatz, das ist sein Zuhause, hier lebt er, wenn er nicht unterwegs ist. Den Campingwagen baut er aus, macht ihn winterfest, richtet das Grundstück darum her. In der Hauptstadt ist er auch gemeldet, hat eine Adresse für seine Post. Das ist ein Riesenvorteil – so bekommt er leichter staatliche Unterstützung.
Sein Traum? Timo hat eine Tochter im Teenageralter, die er gern mal sehen würde. Aber das erst, wenn er ihr ein Zuhause präsentieren, wohin er sie auch mal einladen könne, sagt er. Vielleicht klappt das ja eines Tages über den Wohnwagen. Dann verabschiedet sich Timo, nimmt sein Cap und geht – wieder hinaus, auf die Straße.
Erreichen kann man Timo per E-Mail unter bleibwiedubist@mail.de.
HAZ Stadtanzeiger Süd vom 24.11.2022, S. 2:
Cäcilienstraße: Zukunft des Obdachlosenheims ist ungewiss
Anwohner beschweren sich über Lärm und Müll / Stadtverwaltung spricht von Einzelfällen / Projekt ist auf drei Jahre angelegt und läuft 2023 aus
Von Patricia Oswald-Kipper
Quelle: Kutter
Döhren. Die Beschwerden von Nachbarn der Obdachlosenunterkunft in der Cäcilienstraße in Döhren häufen sich. Immer wieder kommt es zu Polizeieinsätzen wegen Ruhestörungen. In mindestens einem Fall ist Schilderungen zufolge eine Flasche aus der Unterkunft in dem Wohnviertel auf den Bürgersteig geworfen worden. Mittlerweile sind die Anwohnerinnen und Anwohner schon so genervt, dass sie auf Abstand zu den Bewohnerinnen und Bewohnern der Unterkunft gehen und sogar ihre Gärten einzäunen. „Welche Möglichkeiten sieht die Stadtverwaltung, die inzwischen recht angespannte Situation zu entschärfen“, wollte Claudia Meier, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtbezirksrat Döhren-Wülfel, dazu wissen.
Auslöser für die konkreten Probleme sei ein zugewiesener Bewohner gewesen, sagte Stadtbezirksmanager Sven Berger. Dieser habe sich aufgrund seiner Krankheit zunächst eigengefährdend – und später auch fremdgefährdend verhalten. Nachdem er sein Verhalten nicht geändert habe, habe man ihm ein Haus- und Grundstücksverbot erteilt, sagte Berger. Danach habe sich die Situation verbessert und auch die Zahl der nächtlichen Einsätze habe seitdem deutlich abgenommen.
Träger des Obdachlosenprojekts in dem Wohnhaus in Döhren sind Stadt und Region Hannover. Das Projekt, das 2021 startete, ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Die Bewohnerinnen und Bewohner können während der Projektphase mehrere Monate in der Unterkunft wohnen und werden dabei von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern unterstützt.
Viele der Obdachlosen litten insbesondere unter Suchterkrankungen und suchten deshalb die Hilfe in der Cäcilienstraße auf, heißt es von der Stadtverwaltung dazu. Ziel sei es, dass Menschen ohne Dach über dem Kopf mithilfe des Projekts wieder in geordnete Mietverhältnisse oder eine andere geeignete Einrichtung kämen.
In der Antwort verwies die Verwaltung zudem darauf, dass in dem Gebäude an der Cäcilienstraße wie in anderen vergleichbaren Unterkünften ein Alkoholverbot herrsche. Dieses werde durch Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen sowie einen Sicherheitsdienst durchgesetzt. Allerdings gäbe es keine Kontrollen beim Einlass, auch die Taschen würden nicht durchsucht. Ob Bewohnerinnen und Bewohner außerhalb der Unterkunft Alkohol trinken, werde nicht überprüft.
Wie geht es nach 2023 mit dem Projekt weiter? Das ist derzeit noch unklar. Die Kooperationspartner Stadtverwaltung und Region Hannover haben sich trotz regelmäßiger Treffen zu diesem Thema bislang nicht verständigen können. Aktuell könne hinsichtlich einer Fortführung des Projekts „noch keine verbindliche Aussage getroffen werden“, heißt es.
HAZ vom 23.11.2022, S. 24:
Geht die Essenausgabe weiter? Stiftung sagt Unterstützung zu
Die Finanzierung des kostenlosen Mittagstischs für Flüchtlinge ist nur noch bis 20. Dezember gesichert / Niedergerke-Stiftung könnte ihren Beitrag erhöhen
Von Patricia Oswald-Kipper
Quelle:Heusel/Kupas
Steht die Essenausgabe für Geflüchtete vor dem Aus? Im Café Leibniz an der Callinstraße werden am 20. Dezember zum letzten Mal kostenlose, warme Mittagessen ausgeben. Darüber hinaus ist die Finanzierung nicht gesichert.
Das Diakonische Werk, der Stadtkirchenverband und die Initiative Help-Network betreuen das Angebot seit mehreren Monaten. Rund 150 überwiegend ukrainische Flüchtlinge holen sich von Montag bis Freitag mittags in der Hauptmensa der Leibniz-Universität ein vom Studentenwerk zubereitetes warmes Essen ab. Inzwischen nutzen auch andere Bedürftige aus Hannover das Angebot. Nachdem sich die Stadt Hannover im Sommer aus der Finanzierung zurückzog, schultern nun Unternehmer Dirk Roßmann und die Niedergerke-Stiftung die monatlichen Beträge von rund 10.000 Euro – vorerst nur bis 20. Dezember.
Den Mittagstisch nutzen viele Flüchtlinge übergangsweise, bis sie selbst eine Wohnung gefunden haben, wo sie kochen können. Einige kommen aber nicht nur zum Essen, sie nutzen den Ort auch, um Gleichgesinnte zu treffen – und sich über den Alltag mit Arbeits- und Wohnungssuche oder über die Schule ihrer Kinder auszutauschen. Im Café Leibniz erhalten sie auch kostenlose Sprachkurse und Hilfe beim Ausfüllen von Dokumenten. „Das ist eine tolle Einrichtung, die den Menschen Halt und ein gutes Netzwerk bietet“, sagt Diakonin Margarethe von Kleist-Retzow, die das Projekt unter anderem als Seelsorgerin betreut.
Obwohl alle Geflüchteten Anspruch auf Hilfeleistungen haben, bleibt die Nachfrage nach den kostenlosen Mahlzeiten bestehen. Nach Ankunft in Deutschland dauere es immer noch rund einen Monat, bis Leistungen erbracht würden, weiß Diakoniepastor Friedhelm Feldkamp. Zudem mangele es in Hannover an Wohnraum. Vor allem möblierte Wohnungen sind rar. Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen ist Feldkamp deshalb dafür, dass das Projekt „in irgendeiner Form“ weitergeführt wird.
Der Fortbestand hängt vor allem an der Finanzierung. Der größte Geldgeber des Projekts, Unternehmer Dirk Roßmann, wollte sich zur weiteren Unterstützung der Essenausgabe im Café Leibniz bislang nicht äußern. Eine Entscheidung dazu sei noch nicht gefällt, sagt Unternehmenssprecher Vincent Taussaint.
Weitere Hilfe verspricht unterdessen die Niedergerke-Stiftung. „Wenn Menschen vor Ort in Not sind, dann helfen wir“, sagt Stifter Udo Niedergerke. Er lobt das Projekt, das sich inzwischen als „sozialer Treffpunkt“ etabliert habe, und betont, dass das Angebot allen Geflüchteten in Hannover offenstehe.
Niedergerke will den Mittagstisch für Flüchtlinge in Hannover unbedingt am Laufen halten. Er kann sich auch vorstellen, den bisherigen Beitrag der Stiftung „bei Bedarf zu erhöhen“. Wir machen auf jeden Fall weiter. Das ist uns eine Herzensangelegenheit.“
HAZ vom 22.11.22, S. 18:
(ub). Lette leblos am Bahnhof gefunden
Polizei ermittelt, genaue Ursache noch unbekannt
Ist er das erste Opfer der Kälte in diesem Winter? In der Nacht zu gestern ist ein Mann mit lettischer Staatsbürgerschaft am Hauptbahnhof leblos aufgefunden worden. Die Sicherheitskräfte, die ihn gegen 4 Uhr entdeckt hatten, riefen einen Notarzt herbei, der allerdings nur noch den Tod des Mannes feststellen konnten.
„Eine genaue Todesursache können wir noch nicht bestätigen“, hieß es mit Blick auf einen möglichen Kältetod. Die Polizei ermittele, Hinweise auf eine Straftat gebe es nicht, so ein Sprecher.
Seit Freitag sind die Temperaturen in der Nacht in Hannover stets unter den Gefrierpunkt gesunken – auf bis zu minus 6 Grad Celsius. Auch in der Nacht zu Dienstag werden noch einmal Minusgrade erreicht, zur Wochenmitte wird es wieder spürbar wärmer.
HAZ vom 12.11.2022, S. 23:
Feier für Bedürftige im HCC
Weihnachtsgans für 800 Gäste
Zwei Jahre lang mussten die Organisatoren wegen der Corona-Pandemie improvisieren. In diesem Jahr soll die Weihnachtsfeier für wohnungslose und bedürftige Menschen in der Eilenriedehalle am Hannover Congress Centrum (HCC) wieder wie gewohnt stattfinden. Am 11. Dezember hoffen die austragenden Vereine Krass Unartig und Heart and Culture auf 800 Gäste.
Das Rahmenprogramm ist vorbereitet. Von 14 bis 19 Uhr treten verschiedene Musiker auf. Die Schirmherrschaft des Events übernimmt nun bereits zum zehnten Mal die Band Fury in the Slaughterhouse. Auch über die Musik hinaus ist für die Gäste gesorgt. Jeder bekommt ein kostenloses Essen. Durch zahlreiche Kooperationen, unter anderem mit dem Friseur Barber Angels, können sich die Bedürftigen zudem im Laufe des Tages die Haare schneiden oder ihre Brille richten lassen.
Darüber hinaus soll jeder Besucher eine Geschenktüte erhalten. Dafür können am 3. und 4. Dezember in der Zeit von 10 bis 15 Uhr Sachspenden im Weihnachtsfeierlager in der Ikarusallee 13 abgegeben werden. Besonders gefragt sind alte Handys, Hygieneartikel, Bücher und Kleidung. Auch Geldspenden helfen den Vereinen. Die Organisatoren suchen darüber hinaus dringend nach helfenden Händen. Infos gibt es im Internet unter: weihnachtsfeier-für-hannover.de.
HAZ vom 10.11.2022, Stadtanzeiger Süd, S. 1:
Anwohner beschweren sich über Lärm und Müll
Obdachlosenunterkunft an der Cäcilienstraße: Stadt nimmt heute im Bezirksrat Stellung
Von Patricia Oswald-Kipper
Quelle: Kutter
Döhren. Wie geht es mit dem Obdachlosenprojekt in einem Wohnhaus an der Cäcilienstraße in Döhren weiter? Anwohnerinnen und Anwohner beschweren sich seit geraumer Zeit über Lärm und Müll. Das Thema steht auch auf der Tagesordnung des Bezirksrats Döhren-Wülfel, der am heutigen Donnerstag ab 18 Uhr öffentlich im Thurniti-Saal des Döhrener Freizeitheims tagt.
Seit fast zwei Jahren gibt es die Unterkunft, in der Menschen ohne Dach über dem Kopf eine vorübergehende Bleibe finden sollen. Das Projekt, das von der Stadt Hannover ins Leben gerufen wurde und auf drei Jahre angelegt ist, soll obdachlose Menschen nach drei Monaten Aufenthalt wieder in ein Mietverhältnis bringen.
Bis Anfang des Jahres sei das Projekt gut gelaufen, sagt Claudia Meier, stellvertretende Vorsitzende der Grünen im Bezirksrat, die zu dem Thema eine Anfrage an die Stadt gestellt hat. Nachbarn hätten die Gärten gemeinsam genutzt. Seit ein paar Monaten ist das anders. „Es gibt jetzt immer wieder Beschwerden von Anwohnerinnen und Anwohnern“, sagt Meier, die selbst in der Nähe wohnt. Dabei gehe es nicht nur um Lärm, der aus dem Haus dringe, sondern auch um Müll wie leere Flaschen vor dem Gebäude. So sei mindestens einmal eine Weinflasche von einem mutmaßlich alkoholisierten Bewohner aus dem Fenster der Unterkunft geworfen worden und auf dem Bürgersteig zerschmettert. Meier hält das für unverantwortlich.
Auch nach Beschwerden bei den Betreuern des Projekts sei nichts passiert. Nachbarinnen und Nachbarn seien daher auf Distanz gegangen, bedauert Meier. So hätten sie ihre Grundstücke nun wieder mit Zäunen unterteilt, „um ihre Gärten zu schützen“. Die Grünen-Politikerin fordert die Stadt auf, nach Möglichkeiten zu suchen, „die inzwischen recht angespannte Situation zu entschärfen“. Es gehe dabei nicht um die generelle Ablehnung des Projekts, betont sie. Vielmehr solle dafür gesorgt werden, dass Regeln wie etwa ein Alkoholverbot in dem Haus umgesetzt werden, damit das Projekt innerhalb Döhrens „keinen weiteren Schaden nimmt“.
Bezirksbürgermeisterin Antje Kellner (SPD) hat von den Problemen mit der Obdachlosenunterkunft auch schon gehört. Auch sie sieht Handlungsbedarf und erwartet von der Stadtverwaltung dazu eine Stellungnahme im Bezirksrat.
HAZ vom 19.10.2022, S. 22:
Zwei zahlen, einen spenden
Caffè sospeso soll Bedürftigen helfen
Quelle: Hottmann
„Am wichtigsten bei der Aktion ist, dass die Bedürftigen wertgeschätzt werden und wieder ein Teil der Gesellschaft sein können. Sie können jetzt ins Café gehen und fühlen sich willkommen“, sagt Georg Rinke, Geschäftsführer des Obdachlosenmagazins „Asphalt“. Der Anlass für sein Lob: Die Hannoversche Kaffeemanufaktur an der Marktkirche und an der Wunstorfer Straße führt den sogenannten Caffè sospeso wieder ein.
Das Prinzip kommt aus Italien und besagt, dass jemand etwa zwei Espresso bezahlt und einen davon für einen Bedürftigen „aufschiebt“. Auf einer Tafel vor dem Café werden diese Getränke per Strichliste festgehalten, und Bedürftige können einfach im Laden einen Caffè sospeso bestellen.
Kostenloser Filterkaffee
„Die Idee haben wir wieder aufgegriffen. Einen ersten Versuch gab es 2019, wegen Corona mussten wir aber eine Pause machen“, sagt Andreas Berndt, Geschäftsführer der Kaffeemanufaktur. „Der aufgeschobene Kaffee ist das eine. Jetzt, wo es wieder so kalt wird, gibt es ab null Grad für alle „Asphalt“-Verkäufer auch einen kostenlosen Filterkaffee“, ergänzt er. Bei jedem Kauf eines „250g Asphalt-Kaffees“ gehen außerdem 3 Euro an „Asphalt“.
Kabarettist Matthias Brodowy, Herausgeber von „Asphalt“, kritisiert: ,,Den Verkäufern von ,Asphalt’ wird oft mit Zurückhaltung begegnet, kein Blickkontakt, oder die Menschen laufen einen Bogen um sie.“ Durch den Kaffeekauf seien sie wieder ein Teil des öffentlichen Lebens.
Bisher ist die Kaffeemanufaktur nach eigenen Angaben das einzige Café in Hannover mit dem Caffè-sospeso-Prinzip. ,,Wir hoffen aber, dass bald auch weitere Cafés an der Aktion teilnehmen“, sagt Berndt.
HAZ vom 17.10.2022, S. 9:
Stadt Hannover öffnet im Winter neuen Tagestreff für Obdachlose
Halle an Dornierstraße in Vahrenwald wird angemietet / Winternothilfe wird generell ausgeweitet – mit Tagesaufenthalt, Nachtcafés und Kältebus
Von Bärbel Hilbig
Quelle: Otto
Die Stadt weitet diesen Winter ihre Hilfsangebote für Obdachlose aus. Ein zusätzlicher Grund für die Fürsorge ist die sich verschärfende Energiekrise. „Wir wollen obdachlosen Menschen in Hannover zeigen, dass wir sie in diesem Winter der besonderen Unsicherheit nicht alleinlassen“, betont Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne).
Ganz neu richtet die Stadt an der Vahrenwalder Dornierstraße einen neuen Tagesaufenthalt ein. Dafür mietet die Stadt eine Veranstaltungshalle mit knapp 1400 Quadratmetern an und will den Tagesaufenthalt voraussichtlich auch nach Ende der Winternothilfe dauerhaft beibehalten, wie Sozialdezernentin Sylvia Bruns (FDP) ankündigt. Anders als bei anderen Tagestreffs ist die Region Hannover nicht an der Finanzierung beteiligt. „Wir zahlen das“, betont Sozialdezernentin Bruns. Die Stadt wird für ihren Tagesaufenthalt in der Dornierstraße noch per Ausschreibung einen Betreiber suchen.
Direkte Nähe zur Notschlafstelle
Die Halle bietet Platz für bis zu 100 Menschen und liegt in direkter Nähe zur Notschlafstelle Alter Flughafen. Vergangenen Winter öffnete die Stadt den Alten Flughafen wegen der Kälte erstmals auch tagsüber, sodass Menschen nach dem Übernachten dort bleiben konnten. Das lief aber nicht immer reibungslos, weil die Räume auch geputzt werden mussten. Im neuen Tagesaufenthalt können die Obdachlosen sich aufwärmen, Wäsche waschen, Speisen zubereiten, WLAN nutzen und mit Sozialarbeitern sprechen. Außerdem bekommen sie kostenlos Heißgetränke. Die Einrichtung öffnet zunächst von Mitte November bis Ende März 2023 täglich von 9 bis 17 Uhr. Durch die unmittelbare Nähe zur Notschlafstelle Alter Flughafen haben Obdachlose die Möglichkeit, sich durchgängig vor Ort aufzuhalten. Geplant ist, den Tagestreff auch nach Ende des Winters aufrechtzuerhalten. Bereits im vergangenen Winter hatte sich nach Beo-bachtung der Stadt die Situation am Andreas-Hermes-Platz entspannt, weil Obdachlose sich tags am Alten Flughafen aufhielten.
Einen warmen Aufenthalt in der Nacht bieten diesen Winter zwei Nachtcafés. Das Diakonische Werk Hannover öffnet den Kontaktladen Mecki 2 erstmals vom 1. November an als „Café Nachtlicht“ von 20 Uhr bis 6 Uhr morgens. Die Obdachlosenhilfe Hannover richtet wie bereits im vergangenen Jahr ebenfalls ein nächtliches Angebot ein. Das „Café Mensch“ öffnet ab 14. November täglich von 19 bis 7 Uhr in der Podbielskistraße 102, dienstags und donnerstags bereits ab 17 Uhr.
Caritas, Johanniter Unfallhilfe sowie Malteser fahren mit ihren Kältebussen wieder Stellen an, an denen sich Obdachlose aufhalten, verteilen warme Mahlzeiten und leisten medizinische Versorgung. Sozialarbeiter beraten und vermitteln Hilfe. Bei starker Kälte öffnen evangelische und katholische Kirche Räume. Die Üstra lässt Obdachlose in der Station Kröpcke übernachten, sobald die Außentemperatur unter drei Grad Celsius sinkt.
Die Stadt weitet die Zeiten der Notschlafstellen auf 16 bis 10 Uhr aus, sobald die Temperaturen erstmals unter null Grad sinken. Werden Werte ab minus fünf Grad erreicht, bleiben die Notschlafstellen Wörthstraße 10, Langensalzastraße 17, Podbielskistraße 117 und Vinnhorster Weg 73 A durchgehend geöffnet.
HAZ vom 11.10.2022, S. 20:
Eine Feier für Obdachlose
Kaffee und Kuchen in der Marktkirche
(voi). Es gibt Kaffee und Kuchen, Musik und Zeit für Gespräche: Zu der zweiten Geburtstagsfeier der evangelischen Kirche für obdachlose Menschen in der Marktkirche kamen am Sonntagnachmittag rund 35 Männer und Frauen, um nachträglich ihren Geburtstag zu feiern. Eine Idee, die erstmals im Frühjahr umgesetzt wurde, und die so gut ankam, dass sie jetzt wiederholt wurde – mit deutlich besserer Resonanz als bei der Premiere. Ausgerichtet wurde die Geburtstagsfeier erneut gemeinsam vom Diakonischen Werk und vom evangelischen Stadtkirchenverband Hannover, Kontakt zu den Obdachlosen besteht über die verschiedenen sozialen Einrichtungen.
„Es ist gut, dass es auch mal andere gibt, die für einen sorgen. Und das wollen wir heute gerne für Sie machen“, begrüßte Marktkirchenpastor Marc Belling die Gäste in der geöffneten Marktkirche. Zu einer Geburtstagsfeier gehört auch ein Geschenk, und das gab es am Sonntag auch: einen 10-Euro-Einkaufsgutschein für einen Discounter und eine Tafel Schokolade.
HAZ vom 07.09.2022, S. 16:
Aufnahmestopp bei der Lebensmittelausgabe
Großer Ansturm in Mittelfeld nicht mehr zu bewältigen / Rund die Hälfte der Bedürftigen sind Rentner
Von Patricia Oswald-Kipper
Hannover. Die Tafeln in Hannover stehen unter Druck: Die Spendenbereitschaft ist zurückgegangen, hohe Energiepreise und gestiegene Lebensmittelkosten haben einen enormen Andrang zur Folge. Zusätzlich suchen nun auch vermehrt Geflüchtete die Lebensmittelausgaben auf.
An der DRK-Lebensmittelausgabe am Musäusweg in Mittelfeld stehen am Freitagmorgen schon um 9 Uhr viele Menschen vor dem Eingang und warten. Leiterin Gabriele Jakobs öffnet um 10 Uhr und lässt die Gäste nach und nach in das Gebäude ein. Auf der rechten Seite sitzt eine ehrenamtliche Helferin hinter einer Glasscheibe. Hier müssen sich die Tafelgäste ausweisen und einmalig zwischen 3 und 6 Euro bezahlen, abhängig von der Anzahl der Familienmitglieder. Damit werden Kosten gedeckt, etwa für die Unterhaltung des Gebäudes.
Wer nicht registriert ist, wird aber dennoch nicht weggeschickt. Er darf das Angebot dann ein einziges Mal nutzen.
Bedürftige packen mit an
Zur Lebensmittelausgabe kommen ganz unterschiedliche Menschen. Eine Rentnerin erzählt, dass sie seit elf Jahren am Musäusweg Lebensmittel abholt, weil das Geld nicht reicht. Eine andere Frau berichtet, dass ihr Mann krank sei und nicht mehr arbeiten könne. Mit dem Geld, das sie im Minijob verdiene, könne sie ihre Familie mit drei Kindern nicht versorgen.
Viskhaidiy Taramov ist im Jahr 2015 mit seiner Familie von Tschetschenien nach Hannover geflüchtet. Seit einigen Monaten ist auch er auf die Lebensmittelausgabe angewiesen: „Meine Frau macht jetzt eine Ausbildung zur Krankenschwester, und ich kümmere mich um unsere vier Kinder“, sagt der 34 Jahre alte Familienvater.
Er packt regelmäßig in der Ausgabestelle mit an und holt beispielsweise als einer von fünf Fahrern Lebensmittel von den Supermärkten ab. „Das Mitmachen gibt vielen ein gutes Gefühl, die hier Lebensmittel beziehen“, weiß Tafelleiterin Jakobs.
Sie berichtet von einem riesigen Ansturm. „Die gestiegenen Lebensmittelpreise und die Angst vor weiter steigenden Energiekosten im Herbst haben die Situation jetzt enorm verschärft.“ Täglich bekommt sie Anrufe und E-Mails dazu, manche Menschen kommen direkt vorbei, Familien, Rentner, Geflüchtete aus der Ukraine. Doch Jakobs muss momentan allen absagen. „Wir mussten einen Aufnahmestopp verhängen. Wir können das nicht mehr bewältigen“, begründet Jakobs, die sich auch im Stadtbezirksrat Misburg-Anderten engagiert.
Quelle: Behrens
Rund 1500 Bedürftige versorgt die DRK-Ausgabestelle in Mittelfeld regelmäßig mit Lebensmitteln. Unter den Kunden, die dienstags und freitags die Ausgabestelle aufsuchen, seien mittlerweile 50 Prozent Ältere, Menschen mit wenig Rente.
35 Ehrenamtliche helfen regelmäßig, sie holen Lebensmittel ab, sortieren und packen. „Ohne das gute Team wäre die Arbeit nicht zu schaffen“, betont Jakobs.
Die Ausgabestelle ist fast wie ein Ladengeschäft organisiert, es herrscht Selbstbedienung. Es gibt einen Raum mit Backwaren, im Flur stehen Kartons und Kisten mit Obst und Gemüse, in einem weiteren Raum gibt es Frisches wie Molkereiprodukte oder Fleisch. Jeder soll selbst entscheiden dürfen, welche Lebensmittel und wie viel er davon mitnehmen möchte.
Leiterin Jakobs befürchtet aber, dieses Prinzip nicht mehr lange durchhalten zu können: „Supermärkte haben weniger Lebensmittel übrig, die sie spenden können, besonders bei Molkereiprodukten und Fleisch ist es weniger geworden.“ Sie vermutet, dass wegen gestiegener Preise und nachlassender Kundennachfrage weniger eingekauft wird und damit auch weniger übrig ist.
Aktuell stehen viele Lebensmittelausgaben in Niedersachsen unter Duck. Weil die große Nachfrage nach Speisen aktuell nicht durch genug Spenden ausgeglichen werden kann und die Freiwilligen an ihre Belastungsgrenzen stoßen, rechnet Gabriele Jakobs damit, dass der Zustand noch bis in den Herbst andauern könnte.
„Wenn es im Herbst und Winter weniger Obst und Gemüse gibt, könnte es bei uns knapp werden. Dann müssen wir vielleicht wieder fertige Tüten packen“, meint Jakobs.
HAZ vom 15.08.22, S. 1:
Tafel-Chef will Verteilzentrum in Hannover
In Niedersachsen sind drei Standorte vorgesehen / Bis zu 3000 ehrenamtliche Helfer fehlen in den Hilfseinrichtungen
Von Britta Lüers
Hannover. Viele der mehr als 100 Tafeln in Niedersachsen haben seit Monaten mehr Zulauf, aber nicht genug Lebensmittelspenden, um alle Bedürftigen zu versorgen. Das Land will die Hilfseinrichtungen im Rahmen seines 100-Millionen-Euro-Notfallplans nun stärker in den Fokus nehmen.
Bis zu drei Logistikzentren sollen entstehen. Dort könnten Großspenden von den Lebensmittelherstellern zentral angenommen und an die einzelnen Tafeln in der Fläche Niedersachsens verteilt werden. Die Standortfrage sei nach Aussage von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) noch ungeklärt, man warte den Vorschlag der Tafeln ab.
Uwe Lampe, Vorsitzender des Landesverbandes und Gründer der Tafel in Springe, sagt: „Wir haben drei Wunschstandorte: in der Region Hannover, nahe Bremen und im Nordwesten Niedersachsens.“ Nun werde nach geeigneten Lagern gesucht, so Lampe: „Besonders wichtig ist eine zentrale Autobahnanbindung.“
Rund 1,5 Millionen Euro würde die Einrichtung der Verteilzentren laut Lampe kosten. Der Effekt, den man damit erzielen würde, wäre gewaltig, so der Tafel-Landeschef: „Wir könnten die Menge der Lebensmittel und Hygieneartikel um das Dreifache steigern.“ Kerstin Tack, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtverbandes Niedersachsens, sagt: „Die Logistikzentren erleichtern es den Herstellern, Waren zu spenden, und machen es den Tafeln leichter, die Spenden fair aufzuteilen. Mit dem Konzept müssten zudem weniger Lebensmittel vernichtet werden.“ Auch werde eine App entwickelt, mit der Direktvermarkter, wie beispielsweise Geflügel-, Gemüse- oder Eierproduzenten, schneller ihre überschüssige Ware an die Tafeln vermitteln können.
Bundesweit gibt es 31 Verteilzentren, aber keins im Norden. „Auch Niedersachsen hat die Tafeln bisher stiefmütterlich behandelt. Man kann auch sagen, die Landesregierung hat das Thema verschlafen“, sagt Landesvorsitzender Lampe. Inzwischen habe die Politik erkannt, dass die Tafeln systemrelevant seien. „Nur deshalb sitzen wir jetzt mit am Tisch.“
Zu Jahresbeginn registrierten Niedersachsens Tafeln rund 150.000 Kunden. Mittlerweile sind es 200.000 – bundesweit sogar mehr als zwei Millionen. Ab Oktober, wenn die Gasumlage in Kraft tritt, rechnet der Landesverband mit einem weiteren Anstieg. „Es werden Leute zu uns kommen, die heute noch nicht wissen, dass sie bald Tafel-Kunden sein werden“, sagt Lampe.
Mit einer landesweiten Werbekampagne will Niedersachsen zudem mehr Helfer gewinnen. Aktuell arbeiten rund 7000 Ehrenamtliche bei den Tafeln – und immer mehr seien psychisch am Limit, berichtet Lampe: „Die Zahl der Bedürftigen steigt, die Menge der Lebensmittel reicht nicht mehr für alle. Dadurch kommt es immer öfter zu Streit und Beleidigungen.“ Viele Helfer würden kapitulieren. „Wir brauchen aber dringend 2000 bis 3000 neue Helfer, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Deeskalationsbeamte der Polizeibehörden sollen künftig die Tafel-Mitarbeiter schulen.
Quelle: Schaarschmidt
HAZ vom 05.08.2022, S. 17:
Das große Flaschendrehen
Eine Landschaft aus 35.000 Pfandflaschen: Das Schwarmkunstprojekt am Georgsplatz ist eröffnet
Von Ronald Meyer-Arlt
Die Flaschensammlung ist abgeschlossen. Etwa 35.000 Kunststoffflaschen sind für das Schwarmkunstprojekt „Ob(D)Acht – My Home is my Castle“ zusammengekommen. Sie wurden in Drahtgitter gedreht, mit bunten Deckeln versehen, teilweise mit dem Motiv einer menschlichen Iris beklebt und am Drahtgestell festgeschraubt. Die Masse macht’s: Zusammen ergeben die Flaschen mehr als ein Flaschenmeer. Hier sind aus den Flaschen Wände, Türme, wellenartige Flächen entstanden und etwas, das wie ein Sofa aussieht. Die Flaschenkunst am Georgsplatz ist temporär. Ende August soll das Flaschendrehen rückwärts ablaufen. Dann werden die Flaschen abgebaut. Bedürftige Menschen können dann das Pfandgeld (25 Cent pro Flasche) nutzen.
Quelle: Hottmann
Auftakt Anfang Juni
Anfang Juni ging’s los mit der Schwarmkunst. Etwa 800 Menschen haben an dem niedrigschwelligen Angebot teilgenommen. Auch jetzt, nachdem die Ausstellung fertiggestellt ist, ergeben sich Gelegenheiten, mit denen in Kontakt zu kommen, die am Aufbau der Flaschenwelt mitgewirkt haben. Etwa mit Peter, der das Leben auf der Straße kennt. Er sagt: „Die Leute wissen nicht, wie es ist, ohne Wohnung zu leben.“ Und er erzählt davon, dass Obdachlose in der Weihnachtszeit zuweilen Zahnpasta und Duschgel als Geschenke bekommen. „Was sollen wir damit?“, sagt Peter. „Wer auf der Straße lebt, hat keinen selbstverständlichen Zugriff auf Wasser.“
Das Kunstprojekt zeigt nicht nur ein vielfach gewundenes Flaschenmeer, sondern auch Fotos. Zu sehen sind auch Bilder von Karin Powser, die selbst obdachlos in Hannover lebte. Für sie war Fotografie eine Möglichkeit, die Obdachlosigkeit hinter sich zu lassen. Nebenan sind Bilder ausgestellt, die vor drei Jahren bei dem Projekt „Mein Hannover“ entstanden sind, bei dem Obdachlose mit Einwegkameras ihre Sicht auf die Stadt festgehalten haben. Die Fotos sind auf Planen gedruckt, die auf Bauzäune gespannt sind. Die Zäune sind zu Dreiecken angeordnet. Wie kleine Dächer liegen sie auf dem Georgsplatz. Wer weiß – vielleicht werden Obdachlose hier Schutz suchen.
Im Rahmen des Schwarmkunstprojektes auf dem Georgsplatz sind im August weitere Veranstaltungen – Lesungen, Konzerte, Filmabende und Podiumsdiskussionen – rund um das Thema Obdachlosigkeit geplant. Zum Projekt ist auch ein Katalog erschienen. Es gibt ihn am Georgs-platz oder beim Atelier Dreieck.
HAZ vom 29.06.2022, S. 18:
Stadt gründet einen Fonds für arme Kinder
Politik und Verwaltung wollen bessere Bildungschancen für rund
22.500 Mädchen und Jungen in Hannover ermöglichen
Von Jutta Rinas
Quelle: Kutter
Mehr als jedes vierte Kind in Hannover gilt als arm. Das bedeutet, es lebt in einer Familie, die auf finanzielle Unterstützung vom Staat angewiesen ist. Hannover gehört damit laut dem aktuellsten Monitoringbericht der Stadt zu den fünf Großstädten mit der höchsten Jugendarmut in Deutschland. Um Kindern aus solchen Verhältnissen dennoch eine einigermaßen gleichberechtigte Chance zu bieten, an der Gesellschaft teilzuhaben – an Bildung, kulturellen oder sportlichen Aktivitäten etwa –, hat die Verwaltung jetzt den sogenannten Hannoverfonds ins Leben gerufen.
Neue Geschäftsstelle
250.000 Euro können künftig jährlich zum Beispiel von Einrichtungsträgern oder von Schulen abgerufen werden, um Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen auszugleichen und Armutsfolgen abzumildern. Weitere 100.000 Euro stehen jährlich für Personalkosten zur Verfügung. Die Stadtverwaltung hat für den Fonds eine eigene, zwei Personen starke Geschäftsstelle eingerichtet, die unter anderem für die Förderrichtlinien und die Verwaltung von Spenden zuständig ist. Schon für das laufende Jahr sind 350.000 Euro für Kinder und Jugendliche vorgesehen.
In der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses wurde der Antrag, der ursprünglich noch von der alten Ratsmehrheit aus SPD, Grünen und FDP gestellt und in Schritten umgesetzt worden war, nun einstimmig angenommen.
Aktuellen Statistiken zufolge gelten in Hannover zurzeit 26,7 Prozent aller Kinder und Jugendlichen als arm. In Zahlen ausgedrückt sind das 22.544 junge Menschen. Zwischen 2016 und 2019 war laut Stadt zwar ein Armutsrückgang bei den unter 18-Jährigen von insgesamt 1521 Kindern und Jugendlichen festzustellen. Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie stieg die Kinderarmut im Jahr 2020 jedoch wieder um 401 Kinder an.
Dabei sind die Armutsrisiken Statistiken der Stadtverwaltung zufolge auf bedrückende Weise ungleich verteilt. Sie hängen auch von der Frage der Staatsangehörigkeit – deutsche Familien haben ein Armutsrisiko von 19 Prozent, ausländische Familien von 61 Prozent – und von der Frage ab, ob ein oder zwei Elternteile das Kind getrennt (51 Prozent) oder gemeinsam großziehen (19 Prozent).
Umso wichtiger sei es, dass der Hannoverfonds jetzt auf die Schiene gebracht worden sei, sagte die jugendpolitische Sprecherin der SPD, Joana Kleindienst. Sie lobte das große Spektrum der Fördermöglichkeiten: vom Einzelfall bis zum großen Stadtteilprojekt, von einer Unterstützung von unter 1500 Euro bis hin zu 30.000 Euro. Wichtig sei auch, dass die Stadt ein sogenanntes atmendes Konzept entwickelt habe, mit dem schnell auf Krisen wie den Ukraine-Konflikt oder die Pandemie, auf veränderte Lebensbedingungen in Hannover oder auf Gesetzesänderungen reagiert werden könne. Viermal jährlich wird dazu künftig eine 15 bis 20 Menschen große Expertenkommission aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung tagen. „Wir wollen, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie am nötigsten ist“, sagte Kleindienst weiter.
Jeder kann spenden
Iyabo Kaczmarek, jugendpolitische Sprecherin der Grünen, hob hervor, dass es Bürgern und Unternehmen künftig möglich sei, für den Hannoverfonds zu spenden und so die Fördersumme noch zu erhöhen. Auch die Beteiligung von Stiftungen sei möglich. Der Hannoverfonds solle ein Aushängeschild für die Stadt werden, sagte Kaczmarek.
HAZ vom 24.06.2022, S. 18:
Zu wenig Bewohner bei „Plan B – OK“
Im Schnitt 19 Obdachlose im neuen Projekt in Döhren / Aufenthaltsdauer soll verlängert werden
Von Jutta Rinas
Hannover. Die im Januar 2021 eröffnete Obdachlosenunterkunft mit dem etwas rätselhaften Namen „Plan B – OK“ in Döhren stößt offenbar auf keine so große Resonanz wie erhofft. Die Konsequenz: Das Projekt soll nicht – wie ursprünglich geplant – von 21 auf 70 Plätze erweitert werden. Das geht aus einen Bericht der Regionsverwaltung hervor, der in der kommenden Woche Thema im Sozialausschuss der Region ist.
Ein Problem war offenbar bislang, dass viele Betroffene die auf drei Monate befristete Aufenthaltsdauer, in der die Wohnungslosen mit Sozialarbeitern eine Zukunftsperspektive entwickeln sollen, als zu kurz empfanden. Um den Druck auf sie zu verringern, hätten Stadt und Region daher bereits Anfang April dieses Jahres entschieden, die Aufenthaltsdauer auf sechs Monate zu verlängern, heißt es in dem Bericht weiter.
„Wir haben von Anfang an gesagt, dass drei Monate zu kurz sind“, sagt Andreas Sylvester von der Obdachloseninitiative „StiDU“ („Stimme der Ungehörten“). Auch dass nur ein Sozialarbeiter für alle Bewohner in dem Projekt zuständig gewesen sei, sei zu knapp bemessen. Die neuen Pläne von Stadt und Region findet Sylvester aber gut. „Es ist nicht sinnvoll, wenn Plätze leer stehen“, sagt er. Die, die in dem Projekt lebten, hätten jetzt aber eine realistische Chance auf eine bessere Zukunft.
Das Modellprojekt „Plan B – OK“ sollte Obdachlosen nicht nur – befristet auf drei Monate – ein Dach über dem Kopf bieten. Mit sozialer Beratung sollten überdies Anschlussperspektiven entwickelt werden, um sie langfristig von der Straße zu holen. Nach massiven Protesten nach der Schließung des Naturfreundehauses als Obdachlosenunterkunft im Oktober 2020 hatte die Stadt das Projekt gemeinsam mit der Region in kurzer Zeit als eine Alternative auf den Weg gebracht. Die Abkürzung „OK“ steht für Orientierung und Klärung.
21 Einzelzimmer auf mehreren Etagen, jeweils drei in sieben kleinen Wohnungen mit Küche und Bad, gibt es in dem Mehrfamilienhaus an der Cäcilienstraße in Döhren. Laut Bericht hatte sich der durchschnittliche Verbleib von Obdachlosen in dem Modellprojekt im Oktober 2021 aber bei nur 14 wohnungslosen Menschen eingependelt. Die restlichen Plätze seien nicht besetzt gewesen. Alle 21 Plätze seien lediglich an drei Tagen belegt gewesen, heißt es weiter. Neue, im Mai 2022 kurzfristig ermittelte Zahlen zeigten überdies, dass die Unterkunft mit 19 belegten Plätzen gut ausgelastet sei. Insgesamt sei sie von 73 Bewohnern, darunter neun Frauen, in Anspruch genommen worden. Laut Bericht brauchten die Obdachlosen nach dem Einzug in die Unterkunft häufig zunächst eine Phase des Ankommens und des „Zur-Ruhe-Kommens“. Der Zeitpunkt, zu dem es möglich gewesen sei, mit begleitenden Hilfen zu beginnen, sei individuell sehr unterschiedlich gewesen. Oft sei der durch die beschränkte Aufenthaltsdauer vorgegebene Zeitraum zu knapp gewesen, was zu weiterer Frustration und Mutlosigkeit geführt habe.
Quelle: Dröse
HAZ vom 13.06.2022, S. 9:
Tafel verhängt Aufnahmestopp
Andrang ist aufgrund steigender Lebensmittelpreise zu groß, ehrenamtliche Helfer stoßen zeitlich und organisatorisch an ihre Grenze
Nur noch registrierte Gäste zugelassen
Von Andreas Schinkel
Quelle: Hottmann
Obst, Gemüse und Backwaren geben die Helferinnen und Helfer der Hannöverschen Tafel kostenlos an sechs Orten im Stadtgebiet aus – aber derzeit nur noch an registrierte Bedürftige, gewissermaßen Stammkunden. „Wir haben einen Aufnahmestopp für neue Gäste verhängt“, sagt Horst Gora, organisatorischer Leiter der Tafel. Der Andrang sei zu groß gewesen. Zwar habe man noch genügend Lebensmittel im Lager, aber organisatorisch und zeitlich stoße der Verein mit seinen ehrenamtlichen Helfern an seine Grenzen.
Die Hannöversche Tafel hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bedürftige mit Lebensmitteln zu unterstützen. Die Produkte stammen aus Supermärkten und Bäckereien. Die Waren sind alle noch genießbar, würden es aber nicht mehr in den Verkauf schaffen, sondern in der Tonne landen. Auch Unternehmen, Privatpersonen und Stiftungen spenden Lebensmittel für die Tafel. „Wir kaufen keine Produkte hinzu“, sagt Gora. Seit der Corona-Pandemie sei die Spendenbereitschaft in Hannover sehr hoch.
Gäste kommen regelmäßig
Ursprünglich wurde die Tafel gegründet, um Obdachlose zu unterstützen. Später reihten sich auch Sozialhilfeempfänger und Geringverdiener in die Warteschlangen vor den Ausgabestellen ein. Jetzt kommen noch Geflüchtete aus der Ukraine hinzu – und all diejenigen, die wegen der hohen Lebensmittelpreise nicht mehr zurechtkommen. „Viele von unseren registrierten Gästen sind nur gelegentlich zu uns gekommen. Die erscheinen jetzt aufgrund der Preisanstiege regelmäßig“, sagt Gora. Da man registrierte Besucher nicht zurückschicken wolle, müsse man Neubewerber notgedrungen abweisen.
Zwar würden die Lebensmittel durchaus für eine höhere Zahl von Bedürftigen reichen. „Aber wir können unseren meist älteren Ehrenamtlichen nicht zumuten, viele Stunde an der Ausgabe zu stehen“, sagt Gora. Erschwerend komme hinzu, dass das Aushändigen der Lebensmittel länger als üblich dauere, weil der Verein noch immer unter Corona-Bedingungen arbeite. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen Masken, und wir achten auf Abstände. Daher können wir immer nur eine begrenzte Zahl von Gästen einlassen“, sagt Gora.
Kritik an Sozialamt
Unter den ukrainischen Flüchtlingen hat sich der Aufnahmestopp schnell herumgesprochen. „Die Menschen sind gut vernetzt. Schon am nächsten Tag standen deutlich weniger in der Schlange“, sagt Gora. Dennoch glaubt er, dass demnächst die Nachfrage wieder steigen werde. Weil die Geflüchteten jetzt Hartz-IV beantragen können, „und für Hartz-IV-Empfänger sind wir ja eigentlich da.“
Klar sei aber auch, sagt Gora, dass die Tafeln vom freiwilligen und ehrenamtlichen Engagement leben und keine staatlichen Pflichten übernehmen. „Darum ärgere ich mich auch, wenn das Sozialamt die Bedürftigen zu uns schickt, als seien wir eine staatliche Versorgungsstelle“, sagt der organisatorische Leiter der Tafeln.
HAZ vom 10.06.2022, S.23:
Weiterhin Spenden erforderlich
Stiftung hilft Ukrainischem Verein
(jan). Vor wenigen Wochen warnte der Ukrainische Verein vor ausbleibenden Spenden für Geflüchtete aus der Ukraine. In der Lagerhalle in Bornum türmen sich zwar noch immer Kartons voller Kleidung, medizinischem Material und Schlafsäcken. Doch immer häufiger bleiben Sachspenden aus. „Dabei ist der Krieg nicht vorbei und die Zerstörung in der Ukraine groß“, sagt Spendenkoordinatorin Oksana Janzen. „Wir brauchen dringend Hilfe.“ Mitarbeitende der Stiftung Sparda-Bank Hannover haben nun reagiert – und übergaben nicht nur 10.000 Euro, sondern auch privat gesammelte Spenden.
„Wir haben vom Engagement der Helfer und Helferinnen und vom Nachlassen der Spendenbereitschaft gelesen und wollten etwas tun“, sagte Stiftungsmanagerin Stefanie Rupprecht. Also rief sie mit Kolleginnen wie Cornelia Wurm im Unternehmen zur Sammlung auf und stapelte in Büros Sommerkleidung, Hygieneartikel, Handtücher, Spielwaren und Lebensmittel. Auch Familien und Freunde sammelten. „Wir wollten ein Zeichen setzen und jetzt helfen“, sagte Wurm bei der Spendenübergabe.
Helfer kommen nicht mehr
Die Spenden nutzt der Verein für die Versorgung von Geflüchteten in der Region Hannover. Etwa 300 Menschen suchen am Tag in Bornum nach Kleidung und Unterstützung. Zudem werden die Spenden als Hilfsgüter in die Ukraine geschickt. „Es ist schwieriger geworden. Denn die Benzinpreise sind sehr stark gestiegen“, berichtet Koordinatorin Lesia Brodska, die gerade erst in Kiew war. „Viele Menschen in der Ukraine warten Stunden auf ein paar Liter Benzin.“
In Hannover tun sich weitere Probleme in der Flüchtlingshilfe auf. „Etwa 50 bis 60 Menschen besuchen am Tag Vorbereitungskurse zu Jobcenter-Unterlagen“, erzählt Janzen. Zudem würden viele Helfer und Helferinnen nicht mehr kommen. „Der Krieg wird noch dauern“, sagt Janzen. Jede Hilfe zähle darum.
Die Spendenannahme in Bornum ist montags bis freitags von 11 bis 18 Uhr geöffnet, sonnabends von 11 bis 15 Uhr und jeden letzten Sonntag im Monat von 12 bis 15 Uhr. Die Sammelstelle ist in der Nenndorfer Chausee 9. Die Ukraine-Flagge zeigt den Weg zum Eingang an.
HAZ vom 24.05.2022, S. 16:
Medizinische Hilfe für Obdachlose
5000 Patienten pro Jahr: Straßenambulanz ist seit 20 Jahren aktiv
Von Susanna Bauch
Wohnungslos und krank: Um sich um obdachlose Patienten und Patientinnen zu kümmern, gibt es seit gut 20 Jahren das Projekt „Aufsuchende Gesundheitsfürsorge für Obdachlose“. Ärztekammer (ÄKN), Caritasverband und Diakonie Hannover sowie niedergelassene Ärztinnen und Ärzte haben seitdem ein strukturiertes System geschaffen: Zu festen Zeiten und an stationären sowie mobilen Behandlungsorten finden Menschen mit und ohne Krankenversicherung Hilfe bei Erkrankungen oder Verletzungen. Die Zahl der Behandlungsfälle hatte sich bereits in den ersten zehn Jahren verdoppelt auf rund 2300 pro Jahr und liegt mittlerweile nach 20 Jahren bei etwa 5000 Patienten pro Jahr.
Quelle: Behrens
Im Fokus steht die aufsuchende Hilfe für Wohnungslose mit gesundheitlichen Problemen. „In der Straßenambulanz suchen wir Obdachlose an bekannten Orten und unter den Brücken von Leine und Ihme auf“, sagt Cornelia Goesmann, Ärztin und Initiatorin des Projektes, anlässlich der Feier zum 20-jährigen Bestehen der medizinischen Obdachlosen-Versorgung. In den vergangenen Jahren sind etliche Projekte und Initiativen entstanden, die durch Erstkontakt auf der Straße eine Akutversorgung vor Ort sicherstellen und gleichzeitig die mittel- bis langfristige Rückführung der wohnungslosen Menschen zu einer medizinischen Regelversorgung zum Ziel haben. Verbessert werden soll zudem die psychiatrische Behandlung Obdachloser, vor allem Sucht ist ein häufiges Problem. „Es ist wichtig, die Menschen von der Straße und in die Regelversorgung zu bekommen“, betont ÄKN-Vorsitzender Thomas Buck.
Die Ergebnisse der regelmäßigen Evaluation helfen ÄKN und den Sozialverbänden die Angebote zu optimieren – etwa die Standortwahl für die medizinische Versorgung, Versorgungslücken oder die am häufigsten benötigten Behandlungen zu erkennen. Demnach findet ein Großteil (70 Prozent) der Versorgungen in den zwölf ortsgebundenen Sprechstunden, 30 Prozent über die mobile Straßenambulanz (zwölf Anlaufstellen) statt.
Die meisten wohnungslosen Patienten und Patientinnen sind zwischen 40 und 59 Jahre alt, knapp
30 Prozent haben einen Migrationshintergrund. Zu den häufigsten chronischen Grunderkrankungen der Menschen auf der Straße zählen psychische, suchtbedingte und Herz-Kreislauf-Probleme. Jeder Dritte benötigt eine Medikamentenverordnung.
„Die medizinische Versorgungssituation für diesen Personenkreis hat sich deutlich verbessert. Die Rückführung in die Regelversorgung hat Akzeptanz gefunden“, betont Goesmann. Verschlechtert habe sich im Laufe der Jahre allerdings die soziale Situation der Menschen mit einer deutlichen Tendenz zu Armut auch in anderen Bevölkerungsteilen. Vor allem Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund könnten sich etwa anfallende Zuzahlungen nicht leisten und holten sich Arzneien bei dem Projekt ab. „Neue Patientengruppen suchen die Hilfesysteme auf. Diese Entwicklung hat überrascht.“
HAZ vom 18.05.2022, S. 19:
Mecki will Angebot für Obdachlose verbessern
Ende Mai beginnen die Umbauarbeiten
Der Kontaktladen Mecki am Raschplatz steht kurz vor dringend notwendigen Veränderungen. Das Diakonische Werk Hannover will die Anlaufstelle für Obdachlose umbauen, damit sich das Angebot verbessert.
Jeden Tag kommen mindestens 150 Wohnungslose in die Einrichtung unter der Raschplatzhochbrücke. „An den sechs Wochentagen, an denen wir öffnen, ist das Café stark besucht. Das führt zum Verschleiß des Ladens“, sagt Jamal Keller, Fachbereichsleitung bei der Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werkes. Obdach- und Wohnungslose bekommen im Kontaktladen medizinische Versorgung, Beratung und einen Aufenthaltsort.
„Im Mecki finden Menschen in einer persönlichen Krise Zuflucht. Her werden sie wahrgenommen und wertgeschätzt“, sagt Diakoniepastor Friedhelm Feldkamp, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes. Die Räume sind mit rund 100 Quadratmetern allerdings sehr beengt.
Beim Umbau sollen beide Räume zusammengelegt werden, damit Krankenschwester und ehrenamtliche Ärzte für die Behandlung der Patienten mehr Platz haben. „Wir können dann Geräte aufstellen und das medizinische Angebot erweitern“, erläutert Keller.
Das neue Büro der Sozialarbeiter entsteht im bisherigen Vorraum. „Wir wollen damit für die Gespräche bessere Bedingungen schaffen. Es ist hier oft sehr laut und für die Klienten schwer, sich zu öffnen“, sagt Keller. Beim Umbau bekommt das Mecki auch einen neuen Fußboden und die Lüftungsanlage wird instandgesetzt. Die Region Hannover trägt die Umbaukosten von rund 40 000 Euro. Zur Vorbereitung ist der Kontaktladen Mecki am 20. und 21. Mai geschlossen.
Der Umbau startet am 23. Mai und endet voraussichtlich am 7. Juni. In dieser Zeit bleibt der Kontaktladen Mecki 1 trotzdem mit einem kleinen Angebot geöffnet. „Wir wollen die Versorgung nicht komplett einstellen“, erklärt Keller. Zudem steht den Obdachlosen der Mecki 2 in der Lister Meile zur Verfügung.
HAZ vom 16.04.2020, S. 20:
Stadt will Obdachlosigkeit bis 2030 abschaffen
Verwaltung folgt Zielvorgabe des EU-Parlaments und stellt Programm gegen Wohnungslosigkeit vor / Präventive Arbeit soll Abrutschen verhindern
Von Petra Rückerl
Der Winter ist vorbei – und damit zumindest eine Sorge, die obdachlose Menschen weniger haben. „Aber der nächste Winter kommt bestimmt, und da wollen wir neue Weichenstellungen vornehmen, um auch präventiv gegen Obdachlosigkeit vorzugehen“, kündigte Sozialdezernentin Sylvia Bruns (FDP) gemeinsam mit Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) am Donnerstag an.
Nachtcafé zeigt Bedarf auf
Was heißt das konkret? Es werde eine neue „Fachstelle zur Prävention von Wohnungsverlust“ geben, bis zum Herbst solle sie startklar sein, sagt Bruns. Außerdem solle auch das „Nothilfeprogramm ausgeweitet werden, das sehr gut angenommen wurde“, sagte Onay. Er nennt das Nachtcafé an der Lister Meile, das den „Kompass“ ersetzt hatte, sowie den neu eingerichteten Tagesaufenthalt an der Obdachlosenunterkunft an der Straße Alter Flughafen. „Wir hoffen, das verstetigen zu können“, sagte die Sozialdezernentin. Allein die Tatsache, dass zu jeder Öffnungszeit durchschnittlich 42 Menschen das Nachtcafé besucht haben, „in kalten Nächten bis zu 70“, zeige den Bedarf.
Man habe Versorgungslücken identifiziert und wolle diese schließen, so Onay. Die neue Fachstelle soll Menschen durch Prävention und Beratung möglichst vor Wohnungs- und Obdachlosigkeit bewahren. Sie ist im neuen Fachbereich Gesellschaftliche Teilhabe angesiedelt, „es geht vor allem um aufsuchende Sozialarbeit“, hieß es. Dafür würden Stellen aus anderen Bereichen verschoben, aber auch neue geschaffen.
Es gehe darum, die Leute „nicht von Stelle zu Stelle zu schicken“, sondern rechtzeitig umfassend zu beraten, berichtete Bruns. Schließlich habe Obdachlosigkeit vielfältige Gründe. Zum Beispiel bei einer Räumungsklage oder Kündigung können die Menschen die neue Fachstelle in Anspruch nehmen. Bei der Beantragung von finanzieller Unterstützung, um etwa Mietschulden zu zahlen, würden die Sozialarbeiter helfen und auch mit zur Schuldnerberatung, zum Mieterverein oder ins Jobcenter gehen oder die Kontakte dorthin nutzen. Auch auf die Beratung von nicht Deutsch sprechenden Menschen sei man eingerichtet.
Onay sagte: „Die Fachstelle bündelt das städtische Know-how – zum Beispiel finanzielle oder ambulante Hilfen und sozialpädagogische Beratung.“ Er machte darauf aufmerksam, dass das Europaparlament das Ziel genannt habe, die Obdachlosigkeit bis zu Jahr 2030 abzuschaffen. „Wir unterstützen aktiv die Ziele.“
Ungleichbehandlung ein Problem
Was man dem einen gibt, nimmt man möglicherweise dem anderen: Die unterschiedliche Behandlung von geflüchteten Menschen, die auch von Obdachlosigkeit bedroht sein können, sieht auch der Oberbürgermeister. „Ukrainer und Geflüchtete aus anderen Ländern werden unterschiedlich behandelt“, das führe zu Problemen. Dass die einen schnell Hartz IV und Wohnungen bekommen, die anderen in die Röhre schauen müssen, dafür mag sich der OB nicht verantwortlich fühlen. „Als Kommune sind wir am Ende der politischen Nahrungskette.“ Bei der Unterbringung von obdachlosen Menschen aber gebe es keine Unterschiede, man werde weiterhin versuchen, für alle hochwertige Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen.
Quelle: Dittrich
HAZ vom 16.03.2022, S. 17:
„Ein Ort ohne Angst“
Von Simon Benne
Sie ist noch nicht lange in der Stadt. Vor zwei Monaten ist sie aus Italien gekommen, und sie sagt, dass sie Arbeit suche. „Im Moment übernachte ich in der kleinen Wohnung einer Freundin“, erzählt Anna. Sie weiß selbst, dass das keine Dauerlösung ist. Aber genug Geld für eine eigene Bleibe hat sie auch nicht.
Die 45-Jährige sitzt am Tisch des gemütlichen Aufenthaltsraums, als Lars Setzepfandt Kaffee und Kekse hereinbringt. Er engagiert sich im Verein Bollerwagen-Café, der sich für Bedürftige und Obdachlose einsetzt. Anna zählt zu den ersten Gästen des neuen Tagestreffs für Frauen, den der Verein jetzt in der Oststadt eröffnet hat.
„Frauen haben es auf der Straße besonders schwer“, sagt Sandra Lüke, die Gründerin des Bollerwagen-Cafés. „Sie erleben Gewalt, werden vergewaltigt oder beraubt.“ Wenn es zu Streitereien komme, seien Frauen den körperlich überlegenen Männern häufig schutzlos ausgeliefert, sagt Lüke. „Und oft bekommen sie Schlafplätze gegen sexuelle Dienste angeboten.“
Der am Mittwoch offiziell eröffnete Tagestreff soll ein sicherer Rückzugsort für Frauen sein. „Hier können sie zur Ruhe kommen und brauchen keine Angst zu haben“, sagt Lüke. Die 54-Jährige initiierte im Oktober 2015 ein erstes Hilfsangebot für Obdachlose: Mit dem Bollerwagen zog die gelernte Krankenpflegerin los, um Kaffee und Brote an Menschen auf der Straße zu verteilen.
Daraus ist längst ein Großprojekt geworden: Rund 30 Ehrenamtliche sind regelmäßig mit dem Transporter des Vereins unterwegs. Sie versorgen Betroffene in verschiedenen Stadtteilen und jeweils dienstags am Raschplatz mit Lebensmitteln. Außerdem helfen sie, Hausrat oder Möbel für sozial Schwache zu organisieren. Seit April 2021 hat der Verein seine vor allem als Lager genutzten Räume in der Hagenstraße in der Oststadt.
Quelle: Franson
Essen, duschen – und Kosmetik
Im selben Haus hat das Bollerwagen-Café jetzt den neuen Tagestreff eingerichtet. „Wir wollen Frauen ein angenehmes Umfeld bieten“, sagt Lüke. Es gibt hier eine Essensausgabe für Bedürftige, Frauen können sich bei Kaffee und Keksen ausruhen. Sie dürfen eine Nähmaschine und einen Computer mit Drucker benutzen, es gibt Schließfächer für Wertsachen, eine Waschmaschine, einen Trockner. Und ein Buchhändler bestückt ein eigens installiertes Bücherregal.
„Hier bauen wir noch eine ebenerdige Dusche ein“, sagt Sandra Lüke beim Rundgang durch die rund 70 Quadratmeter großen Räume, die sieben Jahre lang leer gestanden hatten. Davor waren hier die Büros einer Gebäudereinigungsfirma untergebracht. Langfristig sollen hier auch Notschlafplätze entstehen, sagt die Bollerwagen-Chefin.
Das gesamte Projekt sei über Spenden finanziert, viele Freiwillige haben bei der Renovierung ehrenamtlich mit angepackt. „Wir hoffen, dass der Tagestreff 2024 von der Stadt offiziell anerkannt wird“, sagt Lüke. Dann würde die Stadt sich an den Kosten für Miete und Personal beteiligen.
„Altersarmut ist oft weiblich“
Im Tagestreff hilft das Bollerwagen-Team den Frauen auch bei Anträgen und Formularen. Es unterstützt sie bei Arztbesuchen, und regelmäßig sollen hier auch eine Friseurin und eine Kosmetikerin ihre Dienste anbieten – zur menschlichen Würde gehört eben mehr als nur die Versorgung mit dem Nötigsten. Daneben gibt es ein Ergotherapie-Projekt: „Die Frauen können faustgroße weiße Steine bunt bemalen und in der Stadt auslegen“, sagt Lüke, „zum Mitnehmen oder Weiterreichen.“
Zu den ersten Besucherinnen zählt am Mittwoch auch Karin. Die 79-Jährige ist Stammkundin bei den Essensausgaben des Bollerwagen-Cafés. Sie hat zwar eine eigene Wohnung, aber wenig Geld – und sie genießt es, hier umsonst einen Kaffee trinken zu können: „So kommt man mal raus und kann mit Leuten sprechen“, sagt sie. Die Räume gefallen ihr gut: „Ich werde hier häufiger herkommen“, sagt sie.
Zwei Damen am Nebentisch nicken zustimmend. Beide stammen aus Osteuropa. Maria ist 85 Jahre alt und lebt von Grundsicherung. „Altersarmut ist oft weiblich“, sagt Lüke. Sie rechnet damit, dass die Armut in der Stadt durch den Krieg in der Ukraine noch wächst – nicht nur unter Geflüchteten, sondern vor allem durch einen Anstieg der Lebensmittelpreise.
Auch für das Bollerwagen-Café, das teils abgelaufene Produkte von Supermärkten geschenkt bekommt, werde es zunehmend schwierig, an Lebensmittel zu kommen. „Und die hohen Dieselpreise tun uns jetzt richtig, richtig weh“, sagt Sandra Lüke: „Wir brauchen dringend Unterstützung.“
HAZ vom 07.02.22, S. 26:
Ärmere stecken sich eher mit Corona an
Forscher der Leibniz-Universität untersuchen Sozialdaten aus Duisburg
Von Bärbel Hilbig
Hannover. Armut ist ein Gesundheitsrisiko. Das zeigt sich in der Corona-Pandemie noch einmal eindringlich. Eine Studie der Leibniz-Universität Hannover belegt jetzt anhand konkreter Daten zur zweiten Welle, dass Menschen in sozial benachteiligten Vierteln sich deutlich eher mit dem Coronavirus infizieren als Menschen in wohlhabenderen Stadtteilen.
Max-Leon Straßburger und Lars Mewes vom Institut für Wirtschafts- und Kulturgeografie haben für ihre Untersuchung am Beispiel der Stadt Duisburg die Gesundheits- mit den Sozialdaten aus den 46 Stadtvierteln in Beziehung gesetzt. Das Gesundheitsamt Duisburg lieferte die Corona-Infektionsraten aus den einzelnen Stadtteilen von November 2020 bis Mitte Februar 2021.
„Solche kleinräumigen Daten sind sonst nicht leicht verfügbar. Besonders zum damaligen Zeitpunkt nicht“, sagt Mewes. Die Entscheidung für Duisburg hatte daher pragmatische Gründe. Außerdem konnten Straßburger und Mewes auf detaillierte stadtteilbezogene Sozialdaten zurückgreifen.
Diese Informationen zur sozialen Lage kamen aus dem KECK-Atlas der Bertelsmann-Stiftung. Die Stiftung unterstützt Kommunen bundesweit beim Aufbau eines kleinräumigen Sozialmonitoring. Dafür werden zahlreiche Daten zusammengetragen wie der Anteil von Sozialhilfeempfängern, von Schülern am Gymnasium, von übergewichtigen Kindern und auch der Mietpreisspiegel in jedem Stadtteil.
„Mit unseren Ergebnissen lässt sich die geografische Ausbreitung von Sars-CoV-2 in Städten besser verstehen“, sagt Wirtschaftsgeograf Mewes. Entscheidungsträgern könnten die Informationen dazu dienen, um sozio-ökonomisch benachteiligte Menschen besser zu schützen. „Viele Städte haben ja bereits gezielt Impfbusse in manche Stadtteile geschickt. Das Grundproblem geht jedoch tiefer.“ Der generell schlechtere Gesundheitszustand ärmerer Bürger gehe in der Pandemie mit einem erhöhten Risiko für eine schwere Covid-Erkrankung einher. Vorbeugend sei deshalb mehr gezielte Aufklärung über Gesundheit, Ernährung und Sport in den Quartieren notwendig.
Zu den mutmaßlichen Ursachen für ein erhöhtes Infektionsrisiko gehören jedoch auch beengte Wohnverhältnisse und Arbeitssituationen, in denen Distanz schwer einzuhalten ist.
Die Studie heißt „Der Zusammenhang zwischen sozialen Ungleichheiten und Covid-19. Fallzahlen auf Stadtteilebene – Eine Fallstudie für 46 Stadtteile der Stadt Duisburg“ und ist in der Fachzeitschrift „ZFW Advances in Economic Geography“ erschienen.
Quelle: Schaarschmidt
HAZ vom 26.01.2022, S. 15:
Wirbel um Obdachlosen-Camp
Die Stadt duldet das Zelten unter dem Vordach des einstigen Karstadt-Gebäudes /
CDU fordert eine Durchsetzung des Verbotes / Kenner der Szene werben für Verständnis
Von Christian Bohnenkamp
Eine Nachnutzung für die seit Oktober 2020 leer stehende Karstadt-Immobilie im Herzen von Hannovers Innenstadt ist noch immer nicht in Sicht. Mittlerweile hat sich das Umfeld des Gebäudes zunehmend als Treffpunkt und Schlafstätte der Obdachlosenszene etabliert. Im Bezirksrat Mitte gab es deshalb am Montag Kritik. Aus Sicht von CDU-Mann Frank Stephan Laske entsteht dadurch der „falsche Eindruck, dass Hannover nichts für Obdachlose tut“.
Seine Fraktion hakte deshalb im Bezirksrat nach und wollte per Anfrage von der Stadt wissen, ob die Karstadt-Arkaden aus Sicht der Stadt als Zeltplatz geeignet seien. Wie Stadtbezirksmanagerin Claudia Göttler berichtete, ist das nicht der Fall. Das Areal erfülle „zweifellos nicht die Anforderungen“ der Verordnung über Campingplätze, Wochenendplätze und Wochenendhäuser.
Göttler stellte auch klar, dass das Zelten auf öffentlichen Straßen und Anlagen verboten sei. Dass dieses am Karstadt-Gebäude offenbar dennoch geduldet wird, sorgte für Ärger bei der CDU. „Wenn es ein Verbot gibt, dann muss das Verbot auch umgesetzt werden“, forderte Laske.
Laut Bezirksmanagerin Göttler fanden in der Vergangenheit „auch Reinigungen und Räumungen statt“. Diese seien allerdings „nicht nachhaltig“ gewesen. Die Obdachlosen würden aktuell täglich aufgefordert, ihre Zelte abzubauen. Dem kämen diese „in der Regel auch für den Tag nach“.
Der Aufforderung der CDU, gegen die Situation mit Bußgeldern vorzugehen, erteilte Göttler eine Absage. Es sei „relativ zwecklos, gegen armen Menschen, die sowieso nichts haben, ein Bußgeld auszusprechen“. Wenn sich die Obdachlosen an „gewisse Spielregeln“ hielten, sei das Übernachten unter den Karstadt-Arkaden aus Sicht der Stadt „in Ordnung“, so Göttler.
Wie Marion Feuerhahn vom neu gebildeten Fachbereich Gesellschaftliche Teilhabe berichtete, sind die Karstadt-Arkaden einer der Arbeitsschwerpunkte der städtischen Straßensozialarbeit. Denn das Übernachten im Freien sei auch bei Plusgraden lebensgefährlich. Das Ziel sei, den Obdachlosen Alternativen aufzuzeigen. Das allerdings gelinge nicht immer. Einige wollten diese Hilfen nicht annehmen. Die Situation unter den Karstadt-Arkaden sei allerdings kein Einzelfall. So etwas gebe es in allen großen Städten.
Katharina Pätzold von der städtischen Straßensozialarbeit warb um Verständnis für die Obdachlosen. „Manche bekommen Angst, wenn sie in einer Wohnung oder Unterkunft übernachten sollen“, sagte sie. Die Obdachlosen seien bemüht, sich an die Vereinbarung zu halten, die Zelte nach der Nacht wieder abzubauen, so Pätzold.
Bei den Grünen im Bezirksrat sorgte die Forderung der CDU nach einem konsequenteren Vorgehen gegen das Übernachten für Unmut. Fraktionschef Arne Käthner warf den Christdemokraten vor, dass ihre Anfrage an die Stadt „im Ton völlig unangemessen“ sowie „respektlos gegenüber der Verwaltung und den Betroffenen selbst“ gewesen sei.
Lob für den Kurs der Stadt gibt es von Martin Prenzler, Geschäftsführer der Citygemeinschaft. „Anfang Januar hat es zeitweise vor dem Karstadt-Gebäude noch schlimm ausgesehen. Aber die Streetworker haben das wirklich in den Griff bekommen“, berichtet er. Die Obdachlosen würden sich benehmen und störten Passanten nicht. Zudem würde täglich sauber gemacht.
Quelle: Dröse
HAZ vom 28.01.2022, S. 18:
Feldmann hilft Obdachlosen
Theologe ist neuer Diakoniepastor
(be) Hannover bekommt einen neuen Diakoniepastor: Friedhelm Feldmann ist vom evangelischen Stadtkirchenvorstand zum Nachfolger von Rainer Müller-Brandes gewählt worden. Dieser hatte das Amt acht Jahre lang bekleidet, ehe er 2020 zum Stadtsuperintendenten gekürt worden war. Der Diakoniepastor setzt sich für die Schwachen in der Stadt ein und gilt auch als das soziale Gesicht der evangelischen Kirche.
Friedhelm Feldmann, gebürtiger Ostfriese, hat bereits sechs Jahre lang als theologischer Direktor der Dachstiftung Diakonie gearbeitet, zu der unter anderem das Stephansstift gehört. Zuvor hatte der 60-Jährige unter anderem Pfarrstellen in Schellerten und Barsinghausen inne, wo er den Petrushof mit begründete, ein Wohnheim für Menschen mit seelischen Behinderungen.
In Hannover sieht er Brennpunkte im Bereich der Obdachlosigkeit und beim Wohnungsmangel für Geringverdienende. „Hier haben sich die Notlagen verschlimmert“, sagt er. Feldmann engagiert sich bereits bei „Housing-First-Projekten“, die darauf abzielen, Menschen über eine Wohnung den Weg aus der Armut zu ebnen.
„Wir brauchen auch Angebote für Menschen, die durch alle Raster fallen, wie beispielsweise die wohnungslosen Osteuropäer“, sagt er. Feldmann, der früher für die SPD im Rat von Barsinghausen saß, kündigt an, die Ursachen sozialer Not gegenüber Politik und Gesellschaft klar zu benennen. Er tritt seinen Dienst am 1. März an. Am 13. März um 10 Uhr wird er mit einem feierlichen Gottesdienst in der Marktkirche in sein Amt eingeführt. be
Friedhelm Feldmann, gebürtiger Ostfriese, hat bereits sechs Jahre lang als theologischer Direktor der Dachstiftung Diakonie gearbeitet, zu der unter anderem das Stephansstift gehört. Zuvor hatte der 60-Jährige unter anderem Pfarrstellen in Schellerten und Barsinghausen inne, wo er den Petrushof mit begründete, ein Wohnheim für Menschen mit seelischen Behinderungen.
In Hannover sieht er Brennpunkte im Bereich der Obdachlosigkeit und beim Wohnungsmangel für Geringverdienende. „Hier haben sich die Notlagen verschlimmert“, sagt er. Feldmann engagiert sich bereits bei „Housing-First-Projekten“, die darauf abzielen, Menschen über eine Wohnung den Weg aus der Armut zu ebnen.
„Wir brauchen auch Angebote für Menschen, die durch alle Raster fallen, wie beispielsweise die wohnungslosen Osteuropäer“, sagt er. Feldmann, der früher für die SPD im Rat von Barsinghausen saß, kündigt an, die Ursachen sozialer Not gegenüber Politik und Gesellschaft klar zu benennen. Er tritt seinen Dienst am 1. März an. Am 13. März um 10 Uhr wird er mit einem feierlichen Gottesdienst in der Marktkirche in sein Amt eingeführt.
Quelle: Dörfel