2021
HAZ vom 28.12.2021, S. 15:
Ausgerechnet zu Weihnachten: Diebe bestehlen Obdachlosen-Hilfsprojekt
Unbekannte brechen am Tag vor Heiligabend ins Bollerwagen-Café an der Hagenstraße ein und entwenden Geld und Wertgegenstände. Die Polizei ermittelt wegen schweren Diebstahls.
Von Jutta Rinas
Diebe sind ausgerechnet am Tag vor Heiligabend in ein hannoversches Hilfsprojekt für Obdachlose – das Bollerwagen-Café an der Hagenstraße – eingebrochen und haben eine größere Summe Bargeld und Wertgegenstände gestohlen. Die Unbekannten raubten nicht nur eine Weihnachtsdose des Vereins mit Spenden. Viel schlimmer noch: Sie entwendeten auch Geld, das für die Auslagen der ehrenamtlichen Helfer eines Weihnachtsessens für Obdachlose am ersten Weihnachtstag bestimmt war.
„Das ist ein Schlag gegen die Menschlichkeit. Die Obdachlosen sind doch nun wirklich die Ärmsten der Armen“, sagt Sandra Lüke, Initiatorin des Bollerwagen-Cafés am Montag. Die 52-Jährige weiß bislang nicht, wie sie ihren Helferinnen und Helfern das Geld zurückgeben soll. Der Schock ist ihr vier Tage nach dem Einbruch immer noch deutlich anzumerken.
Rund 1300 Bedürftige versorgt Sandra Lüke mit ihrem Team mittlerweile jeden Monat mit ihrem Bollerwagen-Café. Seit 2015 gibt es das Projekt. Jeden Dienstag stehen die Ehrenamtlichen von circa 16 bis 18 Uhr hinter dem Hauptbahnhof in der Passerelle vor dem „Mecki“-Laden. „Wir verteilen Essen, Getränke, Kleidung“, sagt die 52-Jährige. „Für viele Menschen auf der Straße geht es gerade im Winter ums blanke Überleben.“
Lükes Team hilft auch bei Behördengängen, Formalitäten und Übersetzungen, besucht Bedürftige in allen Stadtteilen Hannovers. Für den 25. Dezember hatte sich der Verein bei der Stadtverwaltung gemeldet, um Obdachlosen Essen und zumindest in der Zeit von 12 bis 18 Uhr ein Dach über dem Kopf zu bieten – eine einmalige Aktion. „Am 24. Dezember hatten viele Einrichtungen geöffnet, am 25. Dezember fast niemand“, sagt Lüke. „Diese Versorgungslücke wollten wir schließen.“
Der Verein mietete im selben Gebäude an der Hagenstraße, in dem Büro sowie die Lager- und Produktionsstätte des Vereins untergebracht sind, einen großen, leer stehenden Raum und richtete ihn für das Weihnachtsessen her. Am 23. Dezember verließ Lüke gegen 12.30 Uhr ihr Büro, um letzte Erledigungen zu machen. Gegen 18.20 Uhr kam sie zurück und bemerkte, dass die Haustür aufgehebelt war.
Kellerräume verwüstet
Die gut gesicherte Tür zur Lager- und Produktionsstätte des Vereins wurde mit massiver Gewalt aus den Angeln gerissen, die Bürotür aufgehebelt und beschädigt. Auch die Kellerräume des Vereins verwüsteten die Diebe, entwendeten, was ihnen wertvoll erschien. Lüke verständigte die Polizei. Die ermittelt nach Angaben einer Polizeisprecherin wegen eines besonders schweren Falls von Diebstahl und sucht nach Zeugen. Wer am 23. Dezember zwischen 12.30 und 18.20 Uhr an der Hagenstraße etwas Verdächtiges gesehen hat, soll sich bei der Polizeidirektion Mitte unter Telefon (05 11) 1 09 28 15 melden.
Team braucht jetzt selbst Hilfe
Trotz des Schocks und der zusätzlichen Arbeit: Das Weihnachtsessen für die Obdachlosen am ersten Weihnachtstag auszurichten, ließ sich das Team des Bollerwagen-Cafés nicht nehmen. „Wir haben das gerockt, damit die Menschen nicht auf der Straße sein müssen. Gerade an so einem Festtag herrscht dort besonders viel Melancholie und Traurigkeit“, sagt Lüke. Hirschgulasch mit Rotkohl und Klößen bereiteten sie zu oder wahlweise Gemüseauflauf. Belegte Brötchen gab es und Getränke. 96 Bedürftige machte das Team des Bollerwagen-Cafés für ein paar Stunden froh.
Jetzt brauchen die Ehrenamtlichen selbst finanzielle Unterstützung. Wer helfen will, kann sich unter der Telefonnummer (01 52) 01 79 73 15 melden.
HAZ vom 27.12.2021, S. 15:
„Sonst hätte ich Flaschen gesammelt“
Feier für Süchtige
und Obdachlose
Von Saskia Döhner
Was er gemacht hätte, wenn er am ersten Weihnachtstag nicht nachmittags zum Bauwagen unter der Raschplatzhochbrücke gekommen wäre? Der Mann, der sich „Mecki“ nennt, lächelt: „Nicht viel, spazieren gehen, Flaschen sammeln.“ Nun steht er bei Minustemperaturen mit einem heißen Kaffee an einem Stehtisch mit Weihnachtsdeko und singt leise „O du fröhliche“. Es gibt Suppe, Tee, Kaffee und Kuchen und Worte der Hoffnung für die, die im eigenen Leben längst alle Hoffnung aufgegeben haben.
Michael Lenzen, mit einem knallgrünen Schal um den Hals, spielt Weihnachtslieder auf der Gitarre. Seit Jahrzehnten engagiert sich der 50-Jährige in der Drogenhilfe beim Verein „Neues Land“, er lebt sogar mit seiner Familie im "Haus der Hoffnung" in Ahlem, wo Drogensüchtige nach einer Therapie ihr neues Lebens ordnen können. Weihnachten, das heißt für den Sozialtherapeuten und Krankenpfleger Lenzen, eines der drei Vorstandsmitglieder beim „Neuen Land“, Zusammenkunft am Bauwagen mit Drogensüchtigen und Obdachlosen, die über die Festtage oft keinen anderen Anlaufpunkt haben.
Andere Orte sind geschlossen
Zur großen Weihnachtsfeier des Vereins an Heiligabend, die zum zweiten Mal wegen Corona unter freiem Himmel am Bauwagen stattfand und nicht im nahe gelegenen SOS Bistro in der Steintorfeldstraße, kamen rund 100 Menschen und feierten „vollkommen friedlich“, wie Lenzen erzählt. Zur kleinen Variante am ersten Weihnachtstag sind es deutlich weniger, die Hälfte vielleicht. Viele freuen sich, dass sie sich im Bauwagen kurz aufwärmen können. Viele andere Einrichtungen sind an diesem Tag geschlossen.
„Neues Land“ ist 1972 aus christlicher Teestubenarbeit entstanden, nächstes Jahr feiert der Verein 50-jähriges Bestehen. Inzwischen verstehe er sich als überkonfessionelle Organisation, sagt Lenzen.
Quelle: Kutter
HAZ vom 20.12.2021, S. 14:
„Viele sind längst Stammgäste geworden“
Jeden Abend bringt der Kältebus warmes Essen und Hygieneartikel zu bedürftigen Menschen
Von Conrad von Meding
An diesem Abend gibt es auf dem Goseriedeplatz Erbsensuppe mit Bockwürstchen – und zum Nachtisch Schokoladenpudding. „Den Schokopudding hatte sich in der letzten Woche eine Frau gewünscht – und wir versuchen, Wünsche zu erfüllen“, sagt Charlotte Jarosch von Schweder am Einsatzwagen der Malteser.
Zugig ist es. Die Kälte dringt durch Jacken und Hosen. Peter Wefer (60) hat sich gerade einen Teller heißer Suppe geholt und genießt die Mahlzeit. „Ich freue mich, hier abends Menschen zu treffen“, sagt er. Und dass ihm das kostenlose Essen hilft, etwas Geld zu sparen, das er zum Beispiel für Kleidung braucht. „Ich habe Schuhgröße 46, da bekomme ich kaum ordentliche gebrauchte Schuhe – aber sie neu zu kaufen ist teuer, wenn man von Hartz IV lebt“, sagt Wefer.
Der Kältebus ist ein Angebot der Stadt aus dem Winternothilfeprogramm. Täglich fährt eine der Hilfsorganisationen Standorte in der Innenstadt an, um Menschen Nahrung, Hygieneartikel und ein paar warme Worte zu bringen. Immer donnerstags erledigen Ehrenamtliche der Malteser den Job. Das Essen liefert der Cateringservice Hagedorn von Gastronom Björn Hensoldt.
80 Portionen hat Hensoldt mitgebracht. Die ersten werden an der Goseriede verteilt, später geht es am Kröpcke weiter. Hensoldt ist so begeistert vom Engagement der Malteser, dass er der Organisation beigetreten ist. „Obwohl ich gar nicht katholisch bin“, sagt er.
Auf dem steinernen Goseriedeplatz haben sich derweil zwei Schlangen gebildet. Die einen stehen an der Essensausgabe an, die anderen beim Kaffeestand. Allen, die aufgegessen haben, gibt Jarosch von Schweder noch eine weihnachtliche Süßigkeit mit auf den Weg. „Wir machen das jetzt seit zwei Jahren, viele sind längst Stammgäste geworden“, sagt sie freundlich, aber auch mit etwas bitterer Stimme. Stammgäste heißt eben auch, dass die Menschen über lange Zeit auf Hilfe angewiesen sind.
In der vergangenen Woche, als es Grünkohl gab, hat sich Ordnungsdezernent Axel von der Ohe die Essensausgabe angeschaut – und sich darüber informiert, warum die Hilfsorganisationen nicht ganz zufrieden sind mit den Standorten. Ursprünglich hielt der Kältebus am Raschplatz und Kröpcke, doch die Stadt hatte verfügt, dass statt des Raschplatzes die Goseriede angefahren werden solle.
„Der Standort hat kein Laufpublikum, die Menschen müssen extra herkommen – wir würden eigentlich lieber wieder zum Raschplatz zurück“, sagt Jarosch von Schweder. Von der Ohe versprach, das Thema ins Rathaus mitzunehmen.
Quelle: Franson
Die Malteser freuen sich über Spenden und weitere Helferinnen und Helfer. Wer die Organisation unterstützen will, kann sie unter Telefon (05 11) 9 59 86 36 erreichen. Kleidungsspenden sind derzeit aus logistischen Gründen nicht erwünscht.
HAZ vom 13.12.2021, S. 11:
Tüten mit Geschenken für Obdachlose
Ehrenamtliche beschenken Hunderte Bedürftige / Party muss erneut ausfallen und wird 2022 nachgeholt
Von Simon Benne
So lange Schlangen sieht man sonst nur vor Testzentren. Mehr als 100 Menschen haben sich am Sonntagmittag schon vor dem offiziellen Start der Aktion „DIE !!! Weihnachtsfeier“ geduldig an der Eilenriedehalle angestellt. Rund 150 Ehrenamtliche hatten dort für Obdachlose und Bedürftige Geschenktüten eingepackt.
„Gut, dass es das gibt“, sagt der 52-jährige Hartz-IV-Empfänger Michael, während er die Tüte in seinem Rucksack verstaut. Der 52-Jährige war schon vor zwei Jahren dabei, als rund 1000 Bedürftige fürstlich bei Entenkeule mit Rotkohl bewirtet wurden. Solche Tafelfreuden hat Corona zwar zunichtegemacht, aber über die Tüte freut er sich trotzdem: „Das ist doch besser als nix“, sagt er.
„Wir hätten uns sehr gewünscht, richtig feiern zu können“, sagt Susanne Duhme von „Heart & Culture“, dem Trägerverein von „DIE !!! Weihnachtsfeier“ – doch angesichts der Inzidenzzahlen wäre dies ein falsches Signal gewesen.
So gab es bei der zehnten Auflage der Aktion Tüten mit Süßigkeiten, Wärmedecken, Duschgel und CDs von Fury in the Slaughterhouse. Die Band unterstützt die Aktion seit ihren Anfängen: "Wir selbst gehören zu den Glückskindern – gerade darum es ist wichtig, auch den Schwächeren unter die Arme zu greifen“, sagt Gitarrist Christof Stein-Schneider.
Auch Tierfutter wurde an der Eilenriedehalle ausgegeben. „Das ist ein tolles Angebot“, sagt die 58-jährige Jutta. „Ich habe einen kranken Kater zu Hause, und für mich ist es gar nicht so leicht, den ganzen Monat über Geld für Futter aufzubringen.“ In der kommenden Woche wollen die Ehrenamtlichen weitere 400 Tüten in Schulen an bedürftige Kinder verteilen. Und für die große Weihnachtsparty ist noch nicht aller Tage Abend: „Wir planen, die Feier möglichst schon im ersten Halbjahr des kommenden Jahres nachzuholen“, sagt HCC-Direktor Joachim König. Motto: „Weihnachten ist, wenn wir sagen, dass Weihnachten ist.“
Quelle: Schaarschmidt
HAZ vom 07.12.2021, S. 16:
Obdachlose lassen sich boostern
Druck auf ungeimpfte Wohnungslose steigt durch die
aktuellen Corona-Regeln / Bis zu 200 Dosen werden verabreicht
„Die meisten Obdachlosen wollen sich impfen lassen“, sagt Franziska Walter. „Sie sagen: Ich bin arm, lebe auf der Straße. Aber ich will nicht an Corona sterben.“ Die 58-Jährige muss es wissen. Seit 29 Jahren versorgt die Krankenschwester obdachlose Menschen im Kontaktladen „Mecki“, der Hilfsadresse für Obdachlose in Hannover in der Passerelle, medizinisch.
150 bis 200 Wohnungslose und Mitarbeiter von Hilfseinrichtungen sollten gestern geimpft werden. Es ist eine weitere große Sammelimpfung nach einer solchen Mitte April 2021. Stadt, Region, Diakonie und
Johanniter seien beteiligt, sagt Jamal Keller von der Zentralen Beratungsstelle (ZBS) der Diakonie. Je nach Alter und Gesundheitszustand wird der Impfstoff von Biontech oder Moderna verabreicht.
Manche Wohnungslose sind erst- oder sogar zweitgeimpft, kommen zum Boostern. Aber es sind auch Ungeimpfte dabei. Sie spürten die neuen Corona-Regeln besonders, könnten in kein Café mehr, um sich aufzuwärmen, nicht Bus und Bahn fahren, sagt Anne Wolter von der ZBS. Sich unter die Wartenden an den Testzentren im Stadtgebiet zu mischen, wollten viele nicht. jr
HAZ vom 02.12.2021, S. 20:
Neuer Tagesaufenthalt für Obdachlose
Seit gestern finden bis zu 50 Obdachlose auch tagsüber einen geschützten Raum
Von Andreas Voigt
Der Winter steht an, und die Stadt Hannover erweitert ihr Nothilfeprogramm für obdachlose Menschen. Seit gestern steht den Männern und Frauen in der Notschlafstelle am Alten Flughafen im Stadtteil Vahrenheide zusätzlich noch ein Tagesaufenthalt zur Verfügung. Heißt: Wer die Nacht dort verbringt, wird am Morgen nicht mehr auf die Straße gesetzt, sondern kann den Tag über in der Unterkunft bleiben. Oder: Wer die Nacht woanders verbracht hat, kann sich in den Räumlichkeiten tagsüber dort aufhalten. Der Tagesaufenthalt hat von 9 bis 17 Uhr geöffnet.
Die Corona-Pandemie schränkt die Kapazitäten von Tagesaufenthalten für Obdachlose weiterhin ein, heißt es bei der Stadt. Und handelt. 182 000 Euro lässt sich die Verwaltung den Tagesaufenthalt kosten. Der ist zwar zunächst nur befristet bis zum 28. Februar 2022, doch sei man bereit, das Angebot zu verlängern, wenn es die Witterung notwendig mache, sagt Sarah Arki, die Bereichsleiterin im Fachbereich Wohnen und Leben bei der Stadt. Der Anlauf hat noch einen weiteren Vorteil: „Unsere Gäste können sich duschen und ihre Wäsche waschen. Außerdem bekommen sie kostenfrei warme Getränke und Brötchen, und WLAN gibt es auch“, sagt Swantje Senkbeil, Sozialarbeiterin beim Deutschen Roten Kreuz, das die Unterkunft zusammen mit der Stadt betreut.
Es gibt einen Ruhebereich
Senkbeil ist eine von insgesamt zwei sozialpädagogischen Mitarbeitern des DRK, die sich um die Besucher kümmern. Platz ist im Tagestreff für etwa 50 Personen, sie können dort auch lesen, zudem gibt es acht Behelfsbetten für Besucher, die Ruhe brauchen. Und: Auch Hundebesitzer können vorbei kommen, für sie stellen Stadt und DRK Wohncontainer zur Verfügung, auch für die Nacht.
Der Notschlafbereich befindet sich im hinteren Teil der Immobilie Am Alten Flughafen. Schlafräume – die Dörfer heißen – für bis zu acht Gäste sind zurzeit noch durch blickdichte Bauzäune voneinander getrennt. Trockenbauwände will die Stadt aber noch hochziehen lassen, berichtet Arki. Überwiegend nutzen Männer diese Schlafmöglichkeit. Die 15 Frauen, die zurzeit zu Gast sind, haben einen eigenen Schlafbereich, der von Wachpersonal gesichert ist. „Zurzeit haben wir eine 55-prozentige Auslastung unserer Notschlafstelle“, so Senkbeil.
Thema Corona: Die 2-G-Regel im Haus gilt nur für Mitarbeiter und Besucher, wenn es welche gibt. Nicht für die Obdachlosen. Sollten sie an Corona erkranken oder Kontakt zu Corona-Infizierten haben, ziehen sie in das von der Region Hannover betriebene Quarantänehotel. So wie im September, als in der Unterkunft ein Besucher an Corona erkrankt war und dann insgesamt
13 Bewohner von dem Virus befallen wurden. Dem Gesundheitsamt der Region war es aber recht schnell gelungen, die Infektionskette zu unterbrechen – durch den Umzug ins Hotel.
Kontrolle am Eingang
Wer in die Unterkunft zieht oder abends dorthin zurückkommt, bei dem wird am Eingang mit Hilfe eines Stirnthermometers die Temperatur gemessen. Und die Schlafbereiche sind so entzerrt, dass der Mindestabstand gewahrt bleibt. Die Stadt Hannover stellt aktuell mehr als 205 Schlafplätze zur Verfügung. Sie sind zu 60 Prozent belegt.
Quelle: Dröse
HAZ vom 22.11.21, S. 13:
Gedenken an verstorbene Obdachlose
Gottesdienst in der Marktkirche
(be) Die Kantorei stimmte melancholische Gesänge an, Ulfert Smidt intonierte an der Orgel ein getragenes Adagio. In einem bewegenden Gottesdienst haben rund 100 Gläubige in der Marktkirche an die Verstorbenen der Gemeinde erinnert. Am Totensonntag, der in der evangelischen Kirche als Ewigkeitssonntag begangen wird, gedachten sie insbesondere der verstorbenen Obdachlosen des vergangenen Jahres.
„Unser Leben geht nicht verloren“, sagte der neue Amrktkirchenpastor Marc Blessing in seiner Predigt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfseinrichtungen verlasen Namen, Alter und Todesdatum von 28 Wohnungslosen und entzündeten für jeden eine Kerze. Der Jüngste, Daniel, wurde nur 32 Jahre alt. Die Älteste, Gisela, starb mit 86.
Nur selten nimmt die Öffentlichkeit Anteil am Sterben von Odachlosen wie beim Tod von Jim vom Lister Platzoder im Fall des 54-jährigen Dirk S., der im Juli an der Eilenriede erstochen wurde. Gerade darum sei es gut, auch der anderen Verstorbenen zu gedenken, sagt Gottesdienstbesucher Manfred Priemer.
Quelle: Villegas
HAZ vom 19.11.2021, S. 17:
Neue Anlaufstelle für Obdachlose
Nach langer Suche hat die Stadt einen zentralen Standort an der Augustenstraße 11 gefunden. Bis zu 2 Millionen Euro sind dafür in den Haushalten von Stadt und Region eingestellt.
Von Jutta Rinas
Die Stadt Hannover bekommt eine neue zentrale Anlaufstelle für Obdachlose. Standort soll nach Informationen dieser Zeitung zufolge die Augustenstraße 11 sein. Dort befindet sich ein leer stehendes, insgesamt 500 Quadratmeter großes Gebäude, das komplett erneuert und umgestaltet werden soll.
In den beiden unteren Etagen sollen verschiedene Hilfsangebote für Obdachlose gebündelt werden. Der Kontaktladen „Mecki“, der zentrale Anlaufpunkt für obdachlose Menschen in der City, könnte dort unterkommen. Zudem sind Beratungsangebote geplant, aber auch Räume für die medizinische Versorgung, die Körperhygiene und Plätze zum Wäschewaschen. In der dritten und in einer geplanten, vierten Etage soll eine Notschlafstelle für wohnungslose Menschen eingerichtet werden. In der Stadtverwaltung hofft man dem Vernehmen nach, das Projekt innerhalb von zwei Jahren an den Start bringen zu können.
Quelle: Schaarschmidt
„Wir sind sehr froh, dass die Stadt Hannover nach langem Suchen eine Lösung in dieser Frage gefunden hat“, sagte Regionssozialdezernentin Andrea Hanke. Der jetzige Standort des „Mecki“-Ladens in der Passerelle sei mittlerweile einfach zu klein für die Vielzahl der Besucher. „In den neuen Räumen können wir ein gutes Angebot für Wohnungslose machen, bei Beratungen, aber vor allem auch im medizinisch-pflegerischen Bereich“, sagte Hanke. „Wir haben einen Standort gefunden, der zentrumsnah liegt und zugleich groß genug ist, um der stetig wachsenden Zahl obdachloser Menschen gerecht zu werden “, sagte die hannoversche Sozialdezernentin Sylvia Bruns.
Ihr zufolge ist die neue Anlaufstelle ein zentraler Baustein in einer neu aufgestellten Obdachlosenhilfe in Hannover. Zudem sei geplant, Konsumräume für die Crackszene zu finden, die sich zurzeit rund um den Bahnhof aufhält. „Das wird dazu beitragen, die einzelnen Szenen – Obdachlose, Crack- und Heroinabhängige – hinter dem Bahnhof zu entzerren.“ Dazu müssten schnellstmöglich neue Räume für das „Stellwerk“ gefunden werden, das hinter dem Hauptbahnhof Drogenabhängige betreut. Das „Stellwerk“ muss spätestens 2029/2030 wegen Umbauplänen der Deutschen Bahn am Hauptbahnhof weichen.
Die Diakonie hatte sich lange Zeit dafür starkgemacht, die sogenannte neue Hilfsstation „Mecki 2.0“ mit einem deutlich erweiterten Angebot in der ehemaligen Polizeidienststelle am Raschplatz unterzubringen. Doch die Umbaukosten sowie die Reparatur eines Wasserschadens hätten einen Millionenbetrag verschlungen, sodass die Stadt Abstand von dem Vorhaben nahm. In der Corona-Pandemie waren die Arbeitsbedingungen im jetzigen Kontaktladen in der Passerelle immer schwieriger geworden. Die Kontaktbeschränkungen hatten zur Folge, dass sich drinnen nur noch wenige Obdachlose gleichzeitig aufhalten konnten – ein Problem vor allem im Winter. Draußen kam es überdies zunehmend zu Konflikten mit der Crackszene, die sich häufig am Andreas-Hermes-Platz aufhält.
Die Pläne für die neue Anlaufstelle sollen offenbar schon in den nächsten Sozialausschüssen von Stadt und Region vorgestellt werden. In den Haushalten von Stadt und Region sind bis zu 2 Millionen Euro für das Projekt vorgesehen.
HAZ vom 15.11.2021, S. 12:
Essen und Musik für Obdachlose
800 Menschen feiern Weihnachtsfest
(rue). „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Das Kästner-Zitat im Herzen wollen sich die Macherinnen und Macher von „Die!!!Weihnachtsfeier“ dieses Fest kein zweites Mal durch die Pandemie verderben lassen. 2 G ist die Antwort. Die große Sause für Bedürftige, obdach- und wohnungslose Menschen in der Eilenriedehalle im Zooviertel soll am 12. Dezember stattfinden.
Es gibt ein Drei-Gänge-Menü für 800 Menschen, die nachweisbar geimpft oder genesen sind. „Der Bratapfel mit Fruchtkompott ist gesetzt“, sagt HCC-Direktor Joachim König. Ente mit Rotkohl und Klößen als Hauptgericht ist angestrebt, „aber es gibt jetzt eben auch Engpässe bei Speisen und Getränken. Wir versprechen aber, dass es lecker wird“, so König, während Chefkoch Lars Heins zustimmend nickt.
Serviert wird das Essen unter anderem von Musikern wie Christoph Stein-Schneider und Gero Drnek, wenn diese nicht wie der Rest von Fury in the Slaughterhouse gerade für die musikalische Untermalung sorgen. Wie auch Kultmoderator Ecki Stieg, der „Die!!!Weihnachtsfeier“ sonst nur moderierte, dieses Jahr aber zusätzlich im Duett mit Ex-FFN-Kollegin Sabine Bulthaupt singt.
„Unten kam gar nichts an“
„Es ist wichtig, dass wir das tun“, meint Stein-Schneider. Man habe als Fury in the Slaughterhouse das Jahr relativ erfolgreich über die Bühne bringen können, „die Miete ist gezahlt“. Aber: „Die Situation ist ja nicht besser geworden, sondern für die auf der Straße schlimmer, weil in Krisenzeiten die Verteilung nach oben weitergegangen ist, und unten kam gar nichts an.“ Die Zuhörerinnen und Zuhörer werden gut aussehen, dafür sorgen 50 Barber Angels. 2020 konnten die Macher nur Tüten mit kleinen Geschenken verteilen. „Unsere Gäste bekommen nicht nur den Haarschnitt, sondern auch ein Stück weit ihre Würde wieder“, sagt Mirko Brinckmann von den Barber Angels.
Das Kinderfest fällt aus, ist nicht zu stemmen unter Corona-Bedingungen. „Aber wir packen Tüten mit Geschenken und bringen sie zu den Grundschülern“, sagt Sängerin Andrea Schwarz. Grundschulen, die noch Bedarf für Mädchen und Jungen in prekären Verhältnissen sehen, mögen sich melden.
HAZ vom 03.11.2021, S.22:
Kältebusse starten in die neue Saison
Ehrenamtliche Hilfe für Obdachlose
Von Peer Hellerling
Die Johanniter stehen mit ihrem Kältebus jeden Montag-, Mittwoch- und Freitagabend am Steintor sowie am Kröpcke.Foto: Sylke Heun/Johanniter
Mit den sinkenden Temperaturen starten Johanniter, Malteser und Caritas wieder in die neue Kältebus-Saison. Ab sofort machen die Ehrenamtlichen insgesamt fünfmal wöchentlich an der Goseriede und am Kröpcke Station, um Obdachlosen zu helfen. Die Hilfsorganisationen bieten unter anderem warmes Essen, Schlafsäcke und Hygieneartikel an.
Aktuell engagieren sich 27 Helferinnen und Helfer der Johanniter. Dazu kommen Ehrenamtliche, die bei Bedarf einspringen. „Das Team ist gut aufgestellt“, sagt Koordinator Michael Jakobson. Mit dabei seien auch immer medizinische Kräfte für kleinere Verletzungen. Die Freiwilligen in der Küche kochen frische Gerichte. Zusätzlich gibt es Artikel des täglichen Bedarfs – etwa Wolldecken, Rucksäcke, Seife, Zahnbürsten, Periodenartikel und mehr.
Quelle: Heun
Meldung auch per Telefon
Die Johanniter stoppen montags, mittwochs und freitags um 18 Uhr vor der Nikolaikapelle an der Goseriede. Eine Stunde später geht es weiter zum Kröpcke. An den Einsatztagen können Personen zudem zwischen 14 und 20 Uhr die kostenlose Telefonnummer (08 00) 084 84 88 wählen, wenn sie Hilfebedürftige sehen.
„Wir sind wieder jeden Dienstag unterwegs“, sagt Ramona Pold vom Caritas-Kältebus. Die Ehrenamtlichen sind ab 17 Uhr an der Goseriede, um 18.30 Uhr machen sie am Kröpcke Station. Zusätzlich zum Essens- und Wärmeangebot sind auch eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter vom Tagestreff mit dabei, falls Wohnungslose Sorgen und Nöte haben und eine Ansprache wünschen.
Die Malteser vervollständigen das Hilfsangebot unter der Woche. Die Ehrenamtlichen der Hilfsorganisation fahren ab sofort immer donnerstags vor und versorgen die Obdachlosen mit warmen Getränken und Essen. Der Kältebus steht ab 18.15 Uhr an der Goseriede, gegen 19.30 Uhr wechselt er der Standort zum Kröpcke.
HAZ vom 28.10.21 (Stadt-Anzeiger Süd), S. 3:
Bezirksrat fordert Trinkertreff
Szene wird immer auffälliger / Stadt soll vergleichbares Angebot wie in der City schaffen
Von Peer Hellerling
Misburg. Der Bezirksrat Misburg-Anderten fordert einen Treffpunkt für die immer auffälliger werdende Trinkerszene in Hannovers Osten. Angestoßen wurde die Debatte von der Gruppe Linke und Piraten. Das Problem habe in den vergangenen fünf Jahren merklich zugenommen, vor allem am Platz der Begegnung und an Meyers Garten. Es gebe Wildpinkler und zunehmend Müll. Das neue Sozialangebot soll dem Trend entgegenwirken.
Die Trinkerszene besteht laut Hans-Herbert Ullrich, dem Vorsitzenden der Gruppe Linke und Piraten, aus mindestens zehn Personen. „Zu bestimmten Zeiten halten sich sogar bis zu 25 Menschen an den jeweiligen Treffpunkten auf“, sagt er. Die Altersspanne reiche von 18 Jahren „bis weit über 60“. Vornehmlich sei die Klientel männlich, nach Polizeiangaben kommt die Mehrheit aus dem Stadtteil. „Sie sind nicht aggressiv“, sagt Ullrich, aber der Unrat und das wilde Urinieren müssten nicht sein.
Quelle: Franson
Stadt sieht keine Probleme
Im Bezirksrat wurde die Trinkertreff-Forderung nun mit acht Ja-Stimmen und drei Enthaltungen angenommen. Dagegen votierte niemand. „Das ist ein Riesenerfolg als kleine Gruppe“, sagt Ullrich. Der Treff mitsamt Sozialarbeiter soll sich am Konzept des Trinkraums „Kompass“ am Raschplatz orientieren. Dieser ist gedacht, um Spannungen in der Szene abzubauen und eine Art Notversorgung zu bieten.
Laut Stadt hat das Problem in Misburg nicht zugenommen. „Beim Ordnungsdienst sind seit 2019 lediglich vier Hinweise zu trinkenden Personen eingegangen“, sagt Sprecher Udo Möller, „letztmalig im November 2020.“ In allen Fällen seien Gespräche ausreichend gewesen. Die Polizei berichtet bloß von einer Ruhestörung und drei Pöbeleien in diesem Jahr, dazu acht Situationen mit hilflosen Personen. Sprecher Michael Bertram: „Straftaten wie Rohheitsdelikte sind nicht verzeichnet.“ Die Örtlichkeiten stellen „keinen polizeilichen Aufgabenschwerpunkt dar“.
Politiker Ullrich sagt aber: „Wehret den Anfängen.“ Der Trinkertreff soll gleichzeitig das Gegenteil von drastischen Maßnahmen sein. „Es bringt ja nichts, mit der Keule zuzuschlagen“, sagt Ullrich. Das würde die Szene nur verdrängen und Probleme verlagern.
Ullrich rechnet mit Absage
Als möglichen Standort für das neue Angebot schlägt er den Platz der Begegnung vor, auch wenn er konkrete Räume noch nicht nennt. „Anfangs würde auch ein Container reichen.“
Der Rat muss nun über die Forderung entscheiden. Eine Prognose zu den Erfolgschancen gibt Ullrich nicht ab. Er vermutet jedoch, das Gremium werde mit Verweis auf die Kosten ablehnen. „Das lasse ich aber nicht gelten.“ Das ständige Reinigen und Reparieren koste schließlich auch Geld. In spätestens vier Monaten wird es eine Entscheidung geben. Fällt sie positiv aus, könnte das Projekt laut Ullrich vielleicht schon im Sommer 2022 starten.
HAZ vom 04.10.2021, S. 13:
Mit vollem Einsatz gegen die Sucht
Die Hilfseinrichtung Step feiert 50-jähriges Bestehen – und fordert für die Zukunft mehr Unterkünfte sowie Tagesschlafplätze für Drogenkonsumenten
Von Susanna Bauch
Tagesschlafplätze, Ausbau von Unterkünften und Wohngruppen für Alkohol- und Drogenabhängige: Die Ausweitung dieser Angebote rückt die Paritätische Gesellschaft für Sozialtherapie und Pädagogik – kurz Step – für die kommenden Jahre in ihren Fokus. Die Einrichtung feiert 50-jähriges Bestehen – so lange kümmert und bemüht sie sich bereits um Menschen mit Suchtproblematik in ganz Niedersachsen.
Ausgangspunkt für das leicht zugängliche Beratungsangebot war in den Siebzigerjahren zunächst die offizielle Anerkennung von Alkohol- und Drogensucht als Krankheit. „Damals erreichte nicht allein über die Musik das Thema Heroin und Kokain die Gesellschaft“, sagt Serdar Saris, der seit 25 Jahren bei der Step ist und seit knapp zwölf Jahren Geschäftsführer.
Es wuchs der Anspruch, drogenabhängige Menschen nicht in Psychiatrien verschwinden zu lassen. Bis weit in die Neunzigerjahre hinein sei die Suchthilfe sehr stark daran orientiert gewesen, Abhängigen zu nachhaltiger Abstinenz zu verhelfen, sagt Saris. Erst nach und nach habe sich der Ansatz zu einer an Akzeptanz orientierten Hilfe durchgesetzt.
Quelle: Villegas/Kutter
Eine der ersten Anlaufstellen
Bereits Anfang der Siebzigerjahre richtete Steps die Drogenberatungsstelle „Drobs“ ein – sie war deutschlandweit eine der ersten Anlaufstellen für Menschen mit Suchtproblematik. „Allerdings gab es zunächst noch recht hochschwellige Angebote“, sagt der Step-Geschäftsführer. Ambulante Hilfe mit festen Terminen und dem Anspruch auf Motivation sei oft mit der Lebenswirklichkeit vieler Betroffener schwer vereinbar gewesen. Mit dem Café Connection versuchte Step deshalb, etwas leicht Zugängliches zu schaffen. „Eine Anlaufstelle zum Austausch und direkter Hilfe“, sagt Saris. In der Gesellschaft wuchs außerdem die Akzeptanz dafür, dass eine Sucht eine Erkrankung ist. Das half gegen die Kriminalisierung der Abhängigen.
„Wichtig war auch in den Achtzigern, den Betroffenen den Suchtdruck zu nehmen, indem die Vergabe von Ersatzdrogen wie Methadon initiiert wurde“, betont Saris. Die Drogenberatungsstelle „Drobs“ habe sich massiv für diese Substitution eingesetzt, „ein Novum in der Bundesrepublik damals“. Das Zusammenwirken medizinischer sowie psychosozialer Fachberatung an den ausgewiesenen Standorten sei eine wichtige Entwicklung in der Drogenpolitik gewesen.
Druck verlagere die Szene nur
Saris schätzt die Situation rund um den Hauptbahnhof in den Neunzigerjahren schlechter ein als die heutige. „Aber Hannover hatte bei dieser Thematik stets eine klare Haltung zur Problemlösung.“ „Fixpunkt“, „Druckraum“, „Café Connection“, mittlerweile das „Stellwerk“ – die Verantwortlichen hätten stets nach Standorten für niedrigschwellige Angebote und auch Konsum gesucht.
„Dass sich die offene Szene derzeit auf Weißekreuzplatz, Andreas-Hermes- und Raschplatz ausbreitet, ist schwer zu vermeiden“, sagt Saris. Von einer örtlichen Verschiebung der Problematik hält der Step-Geschäftsführer zwar wenig – schon gar nicht an City-Ränder. Es sei aber sinnvoll, diese Gruppen an einem Standort zu zentrieren. So könnten alle Akteure – Streetworker, Ordnungskräfte der Stadt sowie Polizei – die Suchtkranken begleiten. „Wir müssen das händeln. Auch diese Menschen haben das Recht, sich an öffentlichen Orten aufzuhalten.“ Druck verlagere die Szene nur.
Vorbild Hamburg
Saris geht nicht davon aus, dass das Drogen- und Suchtproblem komplett aus der City herausgehalten werden kann. „Wir können aber versuchen, möglichst viele zu erreichen, damit sie von den zahlreichen Hilfsangeboten profitieren können.“ Die Wohnungssituation liegt dem Step-Team dabei besonders am Herzen. Es müssten mehr Unterkünfte geschaffen werden, aber auch – nach dem Vorbild von Hamburg und Frankfurt – Tagesschlafplätze für Drogennutzer. „Nach dem Konsum brechen viele für eine Zeit zusammen, bislang im öffentlichen Raum“, sagt Saris. Die Menschen müssten eine Möglichkeit bekommen, nach dem Konsum zur Ruhe zu kommen – in einem geschützten Raum mit Tagesschlafplätzen.
Rund 4000 bis 6000 Menschen mit Suchtproblematik gibt es nach Schätzung des Step-Geschäftsführers in Hannover und der Region. „Das Suchthilfesystem in Hannover funktioniert. Jeder, der möchte, kann Hilfe bekommen.“ Die Art der Drogen hat sich mit Crack und anderen synthetischen Stoffen in den letzten Jahren stark gewandelt. Dazu kam die Pandemie. „Die Erfahrung zeigt, dass der Konsum von Suchtmitteln in problematischen Lebenssituationen steigt“, betont Saris. Die ersten Anzeichen dafür haben die Beratungsstellen 2020 registriert, wo sich bis zu 57 Prozent mehr Betroffene und Angehörige gemeldet haben. „Wir befürchten, dass dies erst Vorläufer sind. Suchterkrankungen entwickeln sich meist über Jahre.“
HAZ vom 22.09.2021, S. 19:
Wohnungslose brauchen mehrsprachige Beratung
Onlineumfrage legt offen, in welchen Bereichen die Stadtverwaltung das Angebot verbessern muss
Von Jutta Rinas
Quelle: Dittrich
Unterstützung bei der Wohnungssuche, bezahlbarer Wohnraum, mehrsprachige Beratung, medizinische Versorgung und ein besserer Überblick über soziale Angebote: In diesen Bereichen benötigen Obdachlose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in Hannover die meiste Hilfe, um von der Straße wegzukommen oder gar nicht erst dorthin abzurutschen. Das zeigt eine Online-umfrage der Stadtverwaltung zum Thema Wohnungslosigkeit. Knapp 1 400 Menschen, darunter 331 Personen ohne festen Wohnsitz, haben im April 2021 daran teilgenommen.
Viele Debatten im Winter
Die Ergebnisse standen gemeinsam mit einer im Juli durchgeführten Befragung von Bürgerinnen und Bürgern im Sozialausschuss auf der Tagesordnung. Der Grund für beide Umfragen war ein anhaltender Streit in Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft darüber, wie man mit Obdachlosen in der Corona-Pandemie umgehen muss. Schicksale wie das des Obdachlosen Jim, der Anfang 2021 auf der Straße starb, nachdem er zuvor aufgrund seiner extremen Verwahrlosung immer wieder für Ärger gesorgt hatteoder die der 17 Obdachlosen aus dem Naturfreundehaus, die zu Beginn der kalten Jahreszeit auf die Straße gesetzt worden waren, hatten für Debatten gesorgt.
Es werde deutlich, dass neuere Angebote wie Housing-First-Projekte, das Modellprojekt „Plan B OK“ und Straßensozialarbeit speziell für Frauen in die richtige Richtung gingen, sagte Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Man müsse „mit Hochdruck“ weiter Wohnraum und Unterbringungsangebote schaffen. Handlungsbedarf werde zudem etwa beim Thema Mehrsprachigkeit von Beratungs- und Unterstützungsangeboten sichtbar.
Die Teilnehmer äußerten sich auch zu der Frage, wo Wohnungslosigkeit besonders sichtbar ist. Mehr als die Hälfte nannte die Innenstadt – Bahnhof, Opernplatz und Kröpcke – als besonders betroffenen Stadtteil. Dahinter folgten Linden, List, Oststadt, Nordstadt und Südstadt. Sozialdezernentin Sylvia Bruns unterstrich, dass diese Angaben von besonderer Bedeutung seien. Man prüfe eine Verstärkung der Straßensozialarbeit über den Stadtteil Mitte hinaus. In Bezug auf die notwendige medizinische und sozialen Beratung beispielsweise in den Tagesaufenthalten würden intensive Gespräche über die Neuausrichtung des Mecki-Ladens mit der Region Hannover und der Diakonie geführt.
Das parallel durchgeführte Bürger-Panel der Verwaltung zum Thema „Wohnungslosigkeit in Hannover“ zeigt überdies, dass zwei Drittel der Befragten (insgesamt 1000 Menschen) in Notsituationen wie zum Beispiel drohendem Wohnungsverlust oder Mietschulden die städtischen Anlaufstellen nicht kennen. „Hier müssen wir nachbessern, denn die Stadt Hannover bietet umfangreiche soziale Hilfen an“, so Bruns.
HAZ vom 13.09.2021, S. 15:
„Jedes Jahr gibt es Kältetote“
Demo für Anliegen von Obdachlosen
In Hannovers Innenstadt haben am Sonnabend unter dem Motto „Stoppt das Sterben auf den Straßen“ etwa 200 Menschen für einen würdigeren Umgang mit obdach- und wohnungslosen Menschen und eine sozialere Wohnpolitik demonstriert. Nach einer Auftaktkundgebung am Raschplatz zogen die Protestler durch die Innenstadt. Anlass der Demonstration, die vom Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit und der Initiative „Armutstinkt“ organisiert wurde, war der Tag der Wohnungslosigkeit.
Quelle: Behrens
„Wir sind hier, um gemeinsam mit Betroffenen auf den unwürdigen Umgang mit Wohnungs- und Obdachlosen in Hannover aufmerksam zu machen“, sagte eine Aktivistin bei der Auftaktkundgebung über einen Lautsprecherwagen. Die Organisatorinnen forderten ein Ende der „unwürdigen Unterbringung in Massenunterkünften“. Die Bedingungen in Obdachlosenunterkünften müssten verbessert werden. Es benötige Einzelzimmer mit eigenem Bad, damit die Menschen vor Gewalt und Diebstahl geschützt seien. „Jedes Jahr gibt es Kältetote. Trotzdem geht die Stadt ohne nachhaltige Konzepte in den kommenden Winter“, sagte eine Rednerin.
Danach übernahm ein Betroffener das Mikrofon. Adrian Traube, 36 Jahre alt, hat nach eigenen Angaben etwa zehn Jahre seines bisherigen Lebens auf der Straße verbracht. „Wenn man auf der Straße lebt, wird man fast jeden Tag beklaut“, sagte er. Deshalb wünsche er sich Spinde für obdachlose Menschen, in denen sie ihr Eigentum sicher verwahren könnten.
HAZ vom 12.07.2021, S. 12:
Barber Angels“ schneiden Obdachlosen kostenlos die Haare
Initiative von Friseurinnen und Friseuren läuft nach Corona wieder an /
Etwa 100 Menschen nehmen das Angebot wahr
Von Andreas Schinkel
Föhne rauschen, Scheren klappern, und büschelweise fallen Haare ins Gras – im Garten des Caritas-Tagestreffs in der Calenberger Neustadt haben die „Barber Angels“ am Sonntag alle Hände voll zu tun. Zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren bietet die Initiative von Friseurinnen und Friseuren wieder Obdachlosen und Hilfsbedürftigen einen kostenlosen Haarschnitt an. „Wir sind so froh, dass es wieder losgeht“, sagt Carola Kherfani, Chefin der niedersächsischen „Barber Angels“.
Quelle: Behrens
Der Verein hat sich 2018 gegründet. In ihren Lederkutten mit etlichen Stickern und Abzeichen sehen die „Barber Angels“ aus wie die Mitglieder eines Motorradclubs. „Wir wollten einen Wiedererkennungswert schaffen und die Distanz zu unseren Kunden verkleinern“, sagt Kherfani. Die 40-Jährige führt einen Friseursalon in Laatzen und weiß, was Armut bedeutet. „Ich musste selbst eine Zeit lang von Hartz IV leben“, sagt sie. Jetzt gehe es ihr finanziell gut, daher wolle sie etwas zurückgeben.
25 Friseurinnen und Friseure zeigen bei sommerlichen Temperaturen ihr Können. Die Kunden werden schubweise in den Garten gelassen, sodass kein Gedränge entsteht. Jeder, der den Garten betritt, muss eine FFP2-Maske tragen und sich die Hände desinfizieren. Nach dem Haarschnitt bekommen die Menschen kostenlose Hygieneartikel, etwa Zahnbürsten und Duschgel. An einem weiteren Stand werden
T-Shirts, Pullover und andere Kleidungsstücke ausgegeben. „Wir werden heute etwa 100 Menschen die Haare schneiden“, schätzt Kherfani.
Eigentlich haben die „Barber Angels“ mit einem größeren Ansturm gerechnet. „Aber die Obdachlosen sind nach den Todesfällen in Hannover sehr vorsichtig“, sagt Kherfani. Vor wenigen Tagen wurde ein Obdachloser in der Eilenriede erstochen aufgefunden, kurz danach fanden Polizisten einen leblosen Mann in der Nähe des Hauptbahnhofs. Die Ermittlungen laufen.
Diejenigen, die am Sonntag im Garten der Caritas im Friseurstuhl sitzen, genießen sichtlich den Moment der Ruhe. „Ich fühle mich großartig“, sagt ein älterer Mann danach. Er habe eine sehr kleine Rente und könne sich einen Friseurbesuch nicht leisten. „15 Euro sind für mich sehr viel Geld“, sagt er.
HAZ vom 07.07.2021, S. 17:
Unbekannte töten Obdachlosen
Passant findet Leiche auf Bank in Eilenriede / Polizei sucht Zeugen
Von Manuel Behrens
Ein wohnungsloser Mann ist gestern Morgen in der Eilenriede in der List seinen Stichverletzungen erlegen. Ein 59-jähriger Passant hatte die Person gegen 6 Uhr auf einer Bank am Werner-Holtfort-Weg im Stadtwald nahe der Ecke Hohenzollernstraße/Bödekerstraße aufgefunden. Er alarmierte die Polizei. Ein Notarzt konnte vor Ort allerdings nur noch den Tod des Mannes feststellen.
Die Polizei Hannover geht aufgrund der Verletzungen von einem Tötungsdelikt mit einer Stichwaffe aus. „Der oder die Täter ergriffen nach der Tat, die sich wahrscheinlich in der Nacht zu Dienstag ereignet hat, die Flucht“, teilt Behördensprecher Michael Betram mit. Die genaue Todesursache wird derzeit ermittelt.
Die Spurensicherung hat unmittelbar nach dem Fund die Ermittlungen am Tatort aufgenommen. Rund um die Bank wurden Sichtschutzwände aufgestellt. Bei dem Opfer handelt es sich nach Polizeiangaben um einen Mann mittleren Alters, der sich seit längerer Zeit in diesem Bereich der Eilenriede aufgehalten hatte. Ein Passant, der am Morgen an besagter Bank vorbeigekommen war, sagte gegenüber der HAZ, dass dort ein Mann campiert habe, der einen verwirrten Eindruck gemacht habe.
Wie Mario Cordes, Vorsitzender des Vereins Obdachlosenhilfe Hannover, gegenüber der HAZ sagte, suchen wohnungslose Menschen nachts häufiger Schutz in Teilen der Eilenriede. „Es scheint ihnen sicherer als in Teilen der Innenstadt“, sagt er. „Sie wollen sich vor Angriffen schützen.“
Zeugen, die verdächtige Wahrnehmungen gemacht haben oder Hinweise zu einer obdachlosen Person an dieser Parkbank geben können, werden gebeten, sich beim Kriminaldauerdienst Hannover unter der Telefonnummer (05 11) 1 09 55 55 zu melden.
HAZ vom 07.07.2021, S. 22:
Hilfe für obdachlose Frauen
Bis zu 20 Wohnungen in Neubau geplant
Von Andreas Schinkel
An der Gustav-Bratke-Allee soll das Haus für obdachlose Frauen entstehen.Foto: LHH
Hannover soll eine Hilfseinrichtung bekommen, die sich exklusiv an obdachlose Frauen richtet. Das „Projekt Berta“, benannt nach der Frauenrechtlerin Berta Lungstras, will Frauen eine erste Anlaufstelle bieten und zugleich die Möglichkeit einer eigenen Wohnung offerieren. Das alles soll in einem Neubau in der Gustav-Bratke-Allee nahe dem Schwarzen Bären Platz finden. Auf dem städtischen Grundstück stehen derzeit ein paar Bäume. Betreiber der Einrichtung soll die Johann-Jobst-Wagenersche Stiftung sein. Im Bezirksrat Mitte stießen die Pläne jüngst auf allgemeine Zustimmung. Die Finanzierung des Neubaus scheint indes noch nicht gesichert zu sein.
Finanzierung unklar
Dem Vernehmen nach könnte das Land Niedersachsen etwa 80 Prozent der Baukosten übernehmen. Wie der Rest aufgebracht werden soll, ist bisher unklar, möglicherweise durch private Spender. Die Stadt Hannover überlässt das Grundstück per Erbbaurechtsvertrag.
Geplant ist ein mehrstöckiger Klinkerbau mit bis zu 20 kleinen Wohnungen. Die Stadt bekommt Belegrechte für einen Zeitraum von 30 Jahren. Im Erdgeschoss will die Stiftung einen „offenen Tagesbereich“ schaffen. Obdachlose Frauen können sich dort treffen, aufhalten und Beratungen in Anspruch nehmen. Es gibt Schließfächer, Postfächer, Computer und Hygieneräume.
Quelle: LHH
HAZ vom 07.07.2021, S. 22:
Stadt plant Konsumräume für Crack-Abhängige
Nach Beschwerden von Anwohnern legt die Verwaltung nun ein Konzept vor, wie sie die Drogenszene auf den Plätzen in Bahnhofsnähe in den Griff bekommen will
Von Susanna Bauch
Weißekreuzplatz: Anwohner beschweren sich regelmäßig über die Trinker- und Obdachlosenszene. Die Stadt will jetzt Abhilfe schaffen.
Seit Jahren schon währt der Konflikt zwischen Anwohnern und der Trinker- und Drogenszene auf den Plätzen hinter dem Hauptbahnhof. In jüngster Zeit haben sich die Probleme noch verschärft. Konzepte, diesen Trend zu stoppen, haben bislang nicht gegriffen. „Die aktuelle Situation zeigt, dass die getroffenen Maßnahmen nicht ausreichen“, heißt es seitens der Stadt. Sozialdezernentin Sylvia Bruns, Ordnungsdezernent Axel von der Ohe sowie der Suchtbeauftragte der Stadt, Frank Woike, haben daher jetzt ein Programm zur Verbesserung der Lage auf dem Raschplatz, dem Weißekreuzplatz und dem Andreas-Hermes-Platz vorgelegt.
So soll die Präsenz von Ordnungsdienst und Straßensozialarbeit intensiviert und die Sauberkeit der Plätze verbessert werden. Hilfsangebote sollen dezentralisiert und die Einrichtung einer Crack-Substitutionsstelle geprüft werden.
Um die Situation auf den Plätzen auch für Anlieger zeitnah zu entschärfen, sind zudem Konsumräume für Crack-Süchtige, eine Entzerrung von Drogen -und Trinkerszene, engere Zusammenarbeit von Ordnungsdienst und Streetworkern sowie eine Rufbereitschaft für Sozialarbeiter vorgesehen.
Mehr Drogenkonsumenten
„Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Konsumenten harter Drogen um 30 bis 40 Prozent gestiegen“, sagt Woike. In der Szene um den Hauptbahnhof gebe es mittlerweile allein rund 150 Crack-Abhängige. „Diese zuweilen sehr aggressive Klientel mischt sich immer mehr mit der Szene rund um den Mecki-Laden und den ehemaligen Kompasstreffpunkt – und verteilt sich bis zum Weißekreuzplatz“, so der städtische Suchtbeauftragte. Für Anlieger der Areale und Betroffene eine zunehmende Belastung.
Auf längere Sicht plant die Stadt dann eine Substitutionsstelle einzurichten, wie es sie für Heroinkonsumenten schon lange gibt. „Da das aber mit vielen Anträgen und rechtlichen Schritten verbunden ist und bis zu zwei Jahre dauern kann, wollen wir als Überbrückung zeitnah Konsumräume für Crack-Nutzer einrichten, um auch den öffentlichen Raum zu entlasten“, betont Woike. „Die Crack-Szene kommt sichtbar in Bewegung, daraus ergeben sich neue Konflikte auf den Plätzen, auf denen sich die Lage in letzter Zeit ohnehin verschärft hat“, sagt von der Ohe. Ein gemeinsames Vorgehen von Sozialarbeitern und Ordnungsdienst hält er daher für ebenso wichtig wie die verstärkte Präsenz von Ordnungsstreifen sowie Reinigungskräften auf den drei Innenstadtplätzen.
„Eine räumliche Entzerrung der verschiedenen Szenen sollte vorrangig sein“, so von der Ohe. „Wir beabsichtigen aber keine Verdrängung, sondern vielmehr fest definierte Räume für die unterschiedlichen Gruppen“, erklärt Sylvia Bruns. Die Probleme haben vor allem wegen der Durchmischung der Szene von Drogenabhängigen, Alkoholkranken und Obdachlosen stark zugenommen. „Wir arbeiten massiv an einer Lösung.“
Die Sozialdezernentin setzt vor allem darauf, künftig nicht alleine zu agieren. „Gemeinsame Sitzungen und Fallbesprechungen mit dem Ordnungsdienst sind wichtig, wir wollen zudem dafür sorgen, dass es über die Rufbereitschaft immer Ansprechpartner seitens der Sozialarbeit auf den Plätzen gibt.“ Bruns verweist auf die positiven Auswirkungen, die etwa der stärkere Einsatz von Sozialarbeit und Ordnungsdienst etwa auf dem Weißekreuzplatz verzeichnen kann. „Wir haben seit dem Bürgerdialog 24 Menschen betreut und 17 in eigene Wohnungen vermittelt.“ Zwei Personen allerdings hätten keine Hilfe angenommen, fünf weitere seien verstorben.
Es soll gleich losgehen
Vor allem Anwohnern dürften die Pläne der Stadt sehr entgegenkommen. Ordnungsdezernent von der Ohe rechnet mit einer intensiven Debatte, bevor die Beschlussdrucksache nach Beratung in den politischen Gremien zur Abstimmung kommt. Allzu lange sollen die Bürger auf die Maßnahmen zur Entschärfung der Lage aber nicht warten müssen. „Die Einrichtung der etablierten Substitutionsstelle wird noch dauern, alles andere soll gleich losgehen“, sagt Bruns.
Quelle: Kutter
HAZ vom 12.06.2021, S. 19:
Der Problemplatz
Streit, laute Musik, Dreck in den Büschen: Der Weißekreuzplatz in der Oststadt ist seit Jahren ein Hotspot für Trinker und Obdachlose – und es will nicht besser werden. Warum nicht? Eine Suche, auch nach neuen Lösungen.
Von Jutta Rinas
Hannover. Nichts ist besser geworden“. Es war der langjährige Kioskbesitzer vom Weißekreuzplatz, Erkan Degirmenci, der so frustriert über die Bemühungen der Stadt Hannover urteilte, die Zustände auf dem Brennpunktplatz zu verbessern. Der Satz ist symptomatisch für das Empfinden vieler Anwohner am Ort. Symptomatisch ist auch, dass der Ausspruch von 2019 stammt. Streit, laute Musik, Dreck in den Büschen: Die Probleme am Weißekreuzplatz gibt es seit vielen Jahren. Nach einer blutigen Auseinandersetzung zweier Männer am Montag vor einer Woche ist die Diskussion in der Stadtpolitik erneut aufgeflammt. Nichts habe sich geändert, ist auch hier der Tenor.
Quelle: Behrens
Probleme sind vielschichtig
Aber stimmt das auch? Oder ist es vielmehr so, dass es Erfolge gibt, diese aber nicht tiefgreifend genug sind, um sie den Anwohnern zu vermitteln? Und: Werden die Probleme zurzeit noch von neuen mit Suchtkranken andernorts überlagert? Wer mit Sozialdezernentin Sylvia Bruns spricht, bekommt schnell einen Eindruck davon, wie vielschichtig die Probleme rund um den Hauptbahnhof sind. „Aus sozialpolitischer Sicht ist der Weißekreuzplatz im Moment kein Hotspot“, sagt sie. „Vielmehr müssen wir die Drogenszene am Kontaktladen Mecki und am Stellwerk, die sich erheblich ausgeweitet hat, besser in den Griff bekommen.“
Es ist besorgniserregend, was die Stadtverwaltung über die Situation in der offenen Drogenszene im Innenstadtbereich sagt. Bis zu 130 Menschen umfasse sie derzeit. Durch eingeschränkte Angebote, existenzielle Sorgen und finanzielle Nöte seien in der Pandemie Suchtkranke aus der Substitution und einem nahezu drogenfreien Leben wieder in die Szene abgerutscht. Dabei falle der gestiegene Frauenanteil auf. In der Regel seien bis zu 30 Prozent in der Szene weiblich. Der Drogenbeauftragte Frank Woike beklagt überdies, dass in der Pandemie die Zahl der Crack-Abhängigen gestiegen sei. Dies sei eine Droge, die die Menschen viel unruhiger und aggressiver mache als andere Drogen.
Interessant in diesem Zusammenhang ist: Am Weißekreuzplatz erzählt man sich, dass es sich bei dem Meserstecher bei der nächtlichen Auseinandersetzung am Montag vor einer Woche um einen Crack-Abhängigen handele, der in der Toilette Drogen konsumieren wollte. Das Opfer sei einer der regelmäßigen Besucher des Platzes gewesen, der ihn vertreiben wollte. Die Staatsanwaltschaft Hannover bestätigt das bislang nicht. Der gefasste Verdächtige bestreite die Tat, heißt es. Die Ermittlungen liefen. Derzeit könnten keine gesicherten Angaben dazu gemacht werden, ob er sich vor der Tat auf der Toilette befand, um Crack zu konsumieren, oder ob er crackabhängig ist.
Sicher aber ist: Zu einem Hotspot hat sich der Bereich rund um den Kontaktladen Mecki entwickelt. Laut Stadtverwaltung konzentriert sich die offene Drogenszene nicht mehr nur am „Stellwerk“ hinter dem Hauptbahnhof, sondern verlagert sich in die Nähe des Mecki auf die Zwischenebene am Andreas-Hermes-Platz. Allein die räumliche Enge dort führe zu gewalttätigen Konflikten, das Mecki werde überdies in seiner Arbeit stark beeinträchtigt. Das könne „kein Dauerzustand bleiben“.
Wie aber sieht es am Weißekreuzplatz aus? „Mein Eindruck ist, dass einige Maßnahmen schon zur Befriedung des Platzes beigetragen haben“, sagt die Sozialdezernentin. „Es wäre enttäuschend, wenn dies durch die jüngsten Ereignisse für die Anwohner gar nicht spürbar würde.“
Tatsächlich ist es so, dass der städtische Ordnungsdienst in den vergangenen drei Monaten gerade einmal fünf Beschwerden von Bürgern erhalten hat. Die Polizeiinspektion Hannover spricht auf Anfrage der HAZ zwar davon, dass es im Gebiet des Weißekreuzplatzes durch die „sogenannte Wohnungslosen- und Trinkerszene regelmäßig zu öffentlichkeitswirksamen Sachverhalten kommt“, zu zum Teil lautstarken Streitigkeiten sowie Ruhestörungen also. Wahr ist der Polizei zufolge aber auch, dass infolge der Pandemie „Ruhestörungen an öffentlichen Plätzen in jüngerer Vergangenheit allgemein abgenommen haben“.
Vom Leben gekennzeichnet
Interessant ist überdies, wie sich die Trinkerszene am Weißekreuzplatz zusammensetzt. Wer dort vorbeischaut, kommt nicht umhin zu bemerken: In der Nähe des Pavillons gibt es zwar auch einige junge Leute, die lesend oder sonnend auf dem Rasen sitzen. Die von Rosensträuchern und Bäumen umsäumten Bänke und der der Lister Meile zugeneigte Teil aber sind wie eh und je mit vom Leben gezeichneten Menschen besetzt. Laut Verwaltung handelt es sich dabei aber nicht nur um Obdachlose oder alkoholabhängige Armutszuwanderer aus Osteuropa, sondern auch um Bewohner aus dem Stadtteil, viele aus den nahe gelegenen Seniorenresidenzen. Tatsächlich zeigte schon eine Evaluation von 2016, dass sie es häufig sind, die auf dem Platz aufgrund ihres Verhaltens (langer Aufenthalt, verstärkter Alkoholkonsum, laute Unterhaltung) auffielen. Dagegen sei es durch Straßensozialarbeit durchaus gelungen, Obdachlose in eigene Wohnungen oder andere Unterkunftsmöglichkeiten zu vermitteln.
Zunehmend Crack-Süchtige
Besorgniserregend aber ist: Die Stadtverwaltung konstatiert, dass es insbesondere am Ende des Weiße-kreuzplatzes eine neue Gruppe von Crack-Nutzern und Dealern gibt. Dies müsse bei der Sozialarbeit berücksichtigt werden. Die Stadt will auch insgesamt künftig auf einen Mix aus sozialpädagogischer Beratung über Straßensozialarbeit und regelmäßige Kontrollen durch den Ordnungsdienst setzen. Aktuell werden diese Kontrollen stündlich durchgeführt.
Die Frage ist, ob das auf Dauer durchzuhalten ist und ausreicht, um den Weißekreuzplatz endlich zu einem Ort zu machen, den nicht nur Randgruppen, sondern alle nutzen. Kioskbesitzer Erkan Demirgenci jedenfalls hat mittlerweile resigniert und sein Geschäft aufgegeben.
HAZ vom 22.05.2021, S. 24:
Obdachlose müssen City-Camp räumen
Seit dem harten Corona-Winter leben Obdachlose wettergeschützt unter den Karstadt-Arkaden / Anfang der kommenden Woche wird dort geräumt / Der Grund: Zu starke Vermüllung
Von Jutta Rinas
Quelle: Hellerling
Vor allem seit dem harten Corona-Winter halten sich viele obdachlose Menschen in Geschäftseingängen und unter Arkaden wie am leerstehenden Karstadthaus auf. Doch vor dem großen ehemaligen Kaufhaus dürfen sie nun nicht länger lagern. Anfang der kommenden Woche werde das Camp geräumt, sagte Sozialdezernentin Sylvia Bruns im Sozialausschuss. Man habe lange versucht, mit den Wohnungslosen ins Gespräch zu kommen und Alternativen für sie zu finden. Auch bis zu dem bereits feststehenden Räumungstermin würden die städtischen Sozialarbeiter dies weiter versuchen. Während der coronabedingten Kontaktbeschränkungen im Lockdown und der schwachen Frequentierung der Innenstadt sei es tolerierbar gewesen, dass Obdachlose unter den Karstadt-Arkaden wettergeschützt übernachteten. Mit der zunehmenden Belebung der Innenstadt sei dies nicht mehr möglich: „Es ist immer eine Gratwanderung, wie man mit so einer Situation umgeht“, sagte Bruns. „Aber es müssen sich alle Menschen in Hannover wohlfühlen“.
Die Arkaden bieten zumindest minimalen Schutz vor Regen, Sturm und Schnee. Dass die Stadt das auf Dauer nicht tolerieren würde, war schon länger klar. Schon Mitte März hatte es das Gerücht gegeben, das Camp werde geräumt. Damals war vonseiten der Stadt davon die Rede, dass die Verschmutzungs- und Vermüllungszustände nicht mehr akzeptabel seien. Ein Sprecher betonte aber, dass es weder im Bereich Karstadt noch sonstwo im Innenstadtbereich eine Räumung gegeben habe. Die Menschen seien lediglich regelmäßig darauf hingewiesen, dass dieser Ort absehbar nicht mehr als Bleibe dienen könne. Daraufhin hat eine Handvoll Personen den Ort samt Zelten verlassen.
Offenbar sind einige geblieben, andere zurückgekommen. Der sozialpolitische Sprecher der CDU-Ratsfaktion, Hannes Hellmann, jedenfalls konstatierte in dem Ausschuss, sämtliche Eingänge und überdachte Bereiche unter den Karstadt-Arkaden in der Georgstraße würden von Obdachlosen vermehrt als Schlafplätze genutzt. Damit einher gehe eine erhebliche Verdreckung durch menschliche Ausscheidungen – verbunden mit dem entsprechenden Geruch. Auch komme es durch die sich dort aufhaltenden Personen zur Belästigung von Passanten und aggressiver Bettelei.
Dennoch: Eine Großstadt müsse das aushalten, sagte Dirk Machentanz von den Linken und forderte, dass sie bleiben müssten.
Der Zustand sei untragbar, findet dagegen Martin Prenzler, Geschäftsführer der City-Gemeinschaft, auf Anfrage. Es gebe Obdachlose unter den Arkaden, die sehr ordentlich mit ihrem Platz und ihrer Habe umgingen. Zwei von ihnen bekämen seines Wissens in Kürze einen Platz in einem Housing-First-Projekt. Aber es gebe auch andere, bei denen das mitnichten der Fall sei. Vor allen zwei obdachlose Frauen wollen offenbar trotz aller Hilfsangebote nicht weichen.
Reinhold Fahlbusch von der Obdachloseninitiative „Stimme der Ungehörten“ (Stidu), fordert, die Obdachlosen in einer städtischen Unterkunft unterzubringen oder, wenn sie dies nicht wollten, zumindest sicherzustellen, dass sie im Zuge der Räumung nicht auch noch ihr Hab und Gut verlieren. Man wolle die Sachen in einem der älteren Tiny-Houses unterstellen, die die Stadt in Verwahrung habe, sagte Bruns.
HAZ vom 15.05.2021, S. 17:
Stadt plant Anlaufstelle für Obdachlose nahe dem Hauptbahnhof
Neuer Standort für Kontaktladen Mecki sowie Räume für Hygiene und medizinische Versorgung / Grundstück in der Augustenstraße im Gespräch
Von Andreas Schinkel
Die Anlaufstellen für Obdachlose in Hannover platzen aus allen Nähten – das soll sich ändern. Die Stadt plant, eine zentrale Einrichtung für Obdachlose in der Nähe des Hauptbahnhofs zu schaffen. Dort sollen nicht nur der Kontaktladen Mecki am Raschplatz und der Trinkraum Kompass neben der Spielbank unterkommen, sondern auch Räume für medizinische Versorgung und Körperhygiene bereit stehen. Dem Vernehmen nach soll das neue Zentrum in Leichtbauweise errichtet werden. Unklar ist bisher, wo genau die neue Anlaufstelle entsteht.
Die SPD erhöht jetzt den Druck auf das Sozialdezernat. „Wir brauchen zeitnah Klarheit darüber, wo der Standort sein soll“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Sozialausschusses, Angelo Alter. Schließlich müssten Anwohner rechtzeitig informiert und beteiligt werden. „Sozialdezernentin Sylvia Bruns muss jetzt liefern“, fordert Alter. In der nächsten Ratsversammlung will die SPD eine offizielle Anfrage stellen. Als Standort im Gespräch ist ein Grundstück in der Augustenstraße hinterm Hauptbahnhof. Dort befindet sich ein leer stehendes Gebäude, das erneuert werden könnte. „Ich würde eine Einrichtung an dieser Stelle begrüßen“, sagt die Bürgermeisterin des Bezirks Mitte, Cornelia Kupsch (CDU). Entscheidend sei, dass die neue Anlaufstellegut erreichbar ist.
Quelle: Kutter
FDP-Ratsherr Patrick Döring hat Zweifel. Er gibt zu bedenken, dass die Nähe des Grundstücks zur Suchthilfestation Stellwerk, ebenfalls in der Augustenstraße, problematisch sein könnte. Döring fordert zudem, künftig die Hygieneräume klar vom Beratungsangebot zu trennen. „Anders gesagt: Wer mal duschen gehen will, sollte nicht erst ein Gespräch mit Sozialarbeitern führen müssen.“
Die Diakonie, Betreiberin von Mecki und Kompass, begrüßt die Pläne. „Alles, was unsere Hilfsangebote voranbringt, ist gut“, sagt Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes. Der Kontaktladen Mecki sei äußerst beengt, vor allem die medizinische Versorgung könne auf acht Quadratmetern kaum gewährleistet werden. Die Diakonie hatte ursprünglich angeregt, in der früheren Polizeidienststelle am Raschplatz die Hilfsstation Mecki 2.0 unterzubringen. Doch die Umbaukosten sowie die Reparatur eines Wasserschadens hätten einen Millionenbetrag verschlungen, sodass die Stadt Abstand von dem Vorhaben nahm.
Über die Wirkung des Trinkraums Kompass neben der Spielbank sind die Meinungen geteilt. Dort können sich Obdachlose treffen und sogar leichte alkoholische Getränke mitbringen. Manche Ratspolitiker meinen hinter vorgehaltener Hand, dass es sich um eine „reine Saufbude“ handele. Die Ratsmehrheit hat das Geld für den Treffpunkt stark zusammengestrichen. Noch ist die Einrichtung geöffnet. In einer neuen zentralen Obdachlosenstation dürfte sie eine zweite Chance bekommen.
Reinhard Fahlbusch, Vorsitzender des Obdachlosenvereins Stimme der Ungehörten, regt an, eine zentrale Anlaufstelle im früheren Karstadt-Haus unterzubringen. „Dort ist Platz genug und die Obdachlosen wären sichtbar“, sagt er.
Neue Presse vom 27.04.2021, S. 15:
Protest für ein Stück mehr Sicherheit
Von Petra Rückerl
„Es hat mein Leben gerettet, dass ich im Jugendgästehaus war.“ Am Montag um kurz vor 11 Uhr steht Artur (41) in der Sallstraße 16 vor dem Wohnungsamt und hofft erneut auf Rettung. Der Pole war einer von 35 obdachlosen Menschen, die dank der finanziellen Unterstützung des Ehepaares Maria und Uwe Thomas Carstensen diesen harten Winter im Jugendgästehaus verbringen konnten. An diesem Montag ist Schluss damit, um 17 Uhr müssen alle raus. Zu diesem Zeitpunkt weiß Artur noch nicht, dass die Rettung naht.
Quelle: Franson
Neben Artur sind hier noch andere Menschen aus dem Jugendgästehaus und in Hotelunterbringung, großteils osteuropäische Obdachlose, die keinen Anspruch auf Grundsicherung haben. Und damit auch keinen Anspruch, eine Unterkunft bezahlt zu bekommen. Hier klafft das große Loch des sozialen Netzes. Axel Fleischhauer sieht das anders, der Sozialarbeiter der Organisation Sewo sagt: „Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, dann muss der Staat handeln. Auf der Straße während einer Pandemie besteht Gefahr für Leib und Leben.“
Das weiß auch einer, der sich schon lange um die Menschen auf der Straße kümmert: „30 Prozent der Covid-19-Kranken auf den Intensivstationen sind Menschen aus prekären Lebensverhältnissen“, rechnet Udo Niedergerke vor, der mit Ehefrau Ricarda und mit Uwe Thomas Carstensen den Menschen auch heute und hier beisteht. Der Mediziner und seine Frau Ricarda, ebenfalls Ärztin, haben über die Niedergerke-Stiftung 34 wohnungslose Menschen ebenfalls in der Wintersaison in Hotelzimmern untergebracht. Jugendgästehaus und Hotels wurden sogar einen Monat länger als geplant finanziert. Seit Wochen bemühen sie sich um Gespräche mit der Stadt, ihre Briefe blieben unbeantwortet, was die beiden enttäuscht. Später wird die Stadt gegenüber der NP zusagen, „noch in dieser Woche kurzfristig“ die Schreiben zu beantworten.
Wer in den Hotels untergebracht ist und Anspruch auf Transferleistungen hat, dem wird – über das Jobcenter – das Zimmer auch weiter bezahlt. Jedenfalls so lange der Hotelier mitmacht, „das gilt für einige der Leute, aber eben nicht für alle und die kann man nicht einfach wieder auf die Straße schicken“, so Niedergerke. 18 Menschen sind es an diesem Montag, denen dieses Schicksal droht.
Auf die Straße müssten die Leute nicht zwingend, manche würden mehr oder weniger freiwillig in die Notunterkunft Alter Flughafen gehen. So wie Robert Poltorak, der dort schon nächtens ausharrte, tagsüber ist die Unterkunft geschlossen. „Dort ist Gewalt und Kriminalität und es gibt keinen Schutz vor Corona, man ist sich viel zu nah“, sagt der 45-jährige Poltorak. Die Furcht treibt auch Adam (58) um, der auf Krücken gekommen ist, weil er Wasser im schmerzenden Knie hat.
All diese Männer sind vor Jahren nach Hannover gekommen, haben sich von Arbeit zu Arbeit gedient, manche mit halbjährigen Verträgen wie Adam auf der Messe oder als Lagerarbeiter, manche auf Baustellen ohne Versicherungsschutz und Arbeitsverträgen. „Ich habe immer gearbeitet“, sagt Adam. „Aber jetzt mit Corona ist es schlecht“, übersetzt Krzysztof Szmigiel. Artur hatte sogar Arbeit mit angeschlossener Wohnung – als er die Arbeit verlor, war auch die Wohnung weg. In die Heimat zurück können sie nicht. „Sie haben die Hoffnung, weiter Geld verdienen zu können, weil es zu Hause noch schlimmer ist. Und dann ist da die große Scham, mit leeren Taschen wieder heim zu kommen“, weiß AWO-Bereichsleiterin Gabriele Schuppe, die ihre Schützlinge am Montag begleitet.
Schuppe berichtet von einer Frau, die einen solch entzündete Fuß hatte, dass eine Amputation drohte. Die Polin wurde dank Caritas im Friederikenstift operiert, muss regelmäßig ihre Medikamente nehmen und darf keinesfalls wieder auf die Straße. „Sie hat mit ihrem Partner zusammen eine Zuweisung zur Obdachlosenunterkunft für ein Jahr zum Waterloo bekommen“, sagt am Nachmittag eine total erleichterte Gabriele Schuppe.
Und nicht nur das: „Alle Menschen, die heute da waren, sind untergebracht, auch die ohne Leistungsansprüche. Wir sind tatsächlich begeistert über die Kooperationsbereitschaft.“ Vier Menschen seien in Einzelzimmern, alle anderen in Zweibettzimmern, „das ist ein Riesenerfolg. Keiner muss auf die Straßen und keiner zum alten Flughafen“.
Es habe im Vorfeld Gespräche gegeben, die vier Träger Awo, Sewo, Caritas und Diakonie waren mit der mit der Stadtverwaltung, im Kontakt. „Sozialdezernentin Sylvia Bruns hat da sicher positiv eingewirkt“, denkt Schuppe. Auch die Stadt bestätigt den Austausch. „Wir konnten für alle Personen Anschlussperspektiven sowohl in der städtischen Unterbringung, als auch in den Hotels und in Plan B OK finden“, so Bruns zur NP. „Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und der Hochinzidenzsituation in Hannover und der Region wollen wir die obdachlosen Menschen schützen und unterstützen.“
HAZ vom 16.04.2021, S. 16:
250 Impfdosen gegen das Elend auf der Straße
Großer Andrang bei der ersten großen Impfaktion der Diakonie für Obdachlose in Hannover
Von Jutta Rinas
Es hat sich wie ein Lauffeuer unter den Obdachlosen in der Region verbreitet – und weit darüber hinaus. Anderthalb Stunden bevor der Kontaktladen Mecki, Hannovers Anlaufstelle für wohnungslose Menschen in der Passerelle, öffnet, stehen an diesem Tag die ersten Menschen für ihre erste Impfung gegen das Coronavirus an. Aus Hannover kommen sie, aus Burgdorf, sogar aus Celle ist eine Frau mit Gehhilfe angereist, um einen Schutz gegen Covid-19 erlangen. 69 Jahre ist die Frau alt, Rowitha heißt sie, „Asphaltverkäuferin“ ist sie, viel mehr will sie zu sich selbst nicht sagen, außer: „Dass ich jetzt gegen das Virus geschützt werde, finde ich gut.“
250 Impfdosen des Vakzins verimpfen Mitarbeiter eines städtischen mobilen Impfteams, des ASB und der Johanniter an diesem Tag an Obdachlose, Ehrenamtliche und Helfer, die sich regelmäßig um Wohnungslose kümmern. Die Diakonie hatte frühzeitig mit zum ASB und den Johannitern Kontakt gesucht, um Bedürftigen eine Impfung zu ermöglichen, sagt Jamal Keller, Koordinator des Offenen Bereichs der Zentralen Beratungsstelle des Diakonischen Werkes. Obdachlose gehören der Priorisierungsgruppe 2 an. Einen Hausarzt hätten die meisten nicht, auch die Hürden, ins Impfzentrum zu kommen, seien viel zu hoch. Dabei sei die Gefahr, sich in Notunterkünften anzustecken nicht zu unterschätzen, ergänzt Mecki-Sozialarbeiter Pascal Allewelt. Also suchte man einen Sammeltermin – und bekam ihn kurzfristig an diesem Donnerstag. Es gebe große Diskussionen um die Corona-Politik, aber solange die Menschen auf der Straße so früh geimpft würden, mache man etwas richtig, sagte Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes.
Registrieren müssen die Menschen sich hier, mit Namen, Geburtstag; Vorerkrankungen können sie ankreuzen und eine Handynummer hinterlassen. Ansonsten geht es unkompliziert und unbürokratisch zu. Auch Helmut (43) ist erleichtert, dass er künftig „einen Grundschutz“ hat. „Ich bin sicher und stecke andere nicht an“, sagt er. Mit Hund Asko steht er ganz vorne in der Schlange, später wird er als Erster in dieser beispiellosen Impfaktion in den beengten Räumlichkeiten des Mecki-Ladens geimpft. Anderthalb Jahre war er wohnungslos. Ein Verkehrsunfall, eine Trennung hatten ihn aus der Bahn geworfen, seit zwei Monaten hat er wieder eine Bleibe. Ein bisschen schonen will er sich nach dem Piks.
Er müsste es nicht einmal. Mit Moderna setzen die Mitarbeiter einen Impfstoff ein, den auch Menschen mit Suchterkrankungen vertragen – und der keine Nebenwirkungen wie schwere Grippesymptome erzeugt. „Das wäre zu gefährlich für jemanden, der auf der Straße lebt“, sagt Jamal Keller.
Quelle: Franson
HAZ vom 18.03.2021, S. 20:
Housing-First-Projekt in Hannover startet
15 Wohnungslose können jetzt ohne Vorbedingung in ein Miniappartement in Hannover-Vahrenwald einziehen
Von Jutta Rinas
Seit zwei Jahren muss Detlev L. in Hannover bereits auf der Straße leben. Seinen Stammplatz, sein „Zuhause“, hatte der 56-Jährige zuletzt an der Georgstraße gegenüber der Oper vor dem Geschäft des Kaffeeherstellers Nespresso. Obwohl der Luxus in den Läden und das Elend auf der Straße an diesem Ort einen besonders harten Kontrast bilden, fühlte er sich offenbar einigermaßen wohl, nicht zuletzt, weil Mitarbeiter aus dem Nespresso-Geschäft – so berichtet er es jedenfalls Straßensozialarbeitern – ihn manchmal mit Kaffee und anderen Dingen versorgten.
Dennoch: Auf Hilfe dieser Art wird der Mann, der schon häufiger obdachlos war, künftig nicht mehr angewiesen sein. Denn er gehört zu den 15 Bewohnern eines neuen, ganz besonderen Wohnungslosenprojekts in Hannover. Menschen, die seit mindestens einem Jahr in Hannover auf der Straße oder in Notunterkünften leben – darunter auch Alkohol- und Drogenabhängige und psychisch Kranke, erhalten ohne Vorbedingungen eine Wohnung in einem Neubau im Karl-Imhoff-Weg. Es ist zugleich eine Chance, ihr Leben dauerhaft zu stabilisieren. Sechs von ihnen sind Frauen. Mehr als 50 Bewerbungen hatte es nach Angaben von Erik Haß, Geschäftsführer der Sozialen Wohnraumhilfe und Generalmieter, gegeben. Im Laufe des Monats sollen die Mieter einziehen.
Das von zwei Sozialpädagogen betreute Modellprojekt läuft zunächst über drei Jahre, es ist nach Angaben der Initiatoren des Projekts, der Stiftung „Ein Zuhause“, das erste Projekt nach dem Housing-First-Prinzip in Norddeutschland.
Die Idee: “Wir geben den Menschen mit einer eigenen Wohnung Sicherheit“, sagt Stiftungsrat Andreas Sonnenberg. In einem zweiten Schritt könnten in jedem Einzelfall Probleme angegangen werden. Das Projekt wurde mit Zuschüssen von Stadt und Region Hannover sowie einem Darlehen des Landes gefördert. Die Nettokaltmiete für die rund 35 Quadratmeter großen Einzelzimmerwohnungen beträgt 200 Euro, eine 45 Quadratmeter große Wohnung kostet 250 Euro.
Quelle: Stratenschulte/DPA
HAZ vom 16.03.2021, S. 20:
200 Schlafsäcke für Obdachlose
Internethändler spendet / Verein Caspo liefert an Tagesaufenthalt
Von Conrad von Meding
Tagsüber ist es jetzt zwar wärmer – aber die Nächte sind weiterhin bitterkalt. Deshalb war eine Spende von 200 Schlafsäcken sehr willkommen, die Mitglieder des Isernhagener Sozialvereins Caspo jetzt an die Mitarbeiter des Tagesaufenthalts Nordbahnhof übergeben haben.
„Wir hoffen, dass all diejenigen, die es nicht in die kommunalen Unterkünfte verschlägt, dank der Schlafsäcke wenigstens ein bisschen Wärme und Schutz erfahren“, sagte Friedrich-Wilhelm Braband, als er die Anhängerladung gemeinsam mit Ehefrau Katja Steffen-Hrub an Tagesaufenthalt-Mitarbeiter Heiko Özsimsir übergab.
Der Verein Caspo betreibt in Isernhagen das gut sortierte Sozialkaufhaus 2.Heim-Art, bietet Koch- und Lesekurse und hilft Menschen etwa bei der Wohnungssuche. Immer wieder bringt Braband dabei auch Überschüssiges aus dem Kaufhaus an andere Stellen.
Die Schlafsäcke stammen allerdings nicht aus den Kaufhausbeständen. Sie wurden vom Internethändler Online-Deal-24 mit Sitz in Isernhagen-Kirchhorst gespendet. Im Tagesaufenthalt sollen die Schlafsäcke jetzt an Bedürftige verteilt werden.
HAZ vom 03.03.2021, S. 17:
Das brauchst du für einen neuen Start“
Es klingt fast mehr nach alternativem Wohnprojekt als nach einer Unterbringung. Im Jugendgästehaus in Hannover können Obdachlose in Einzelzimmern zur Ruhe kommen, ehe sie mit Sozialarbeitern ihr Leben ordnen.
Von Jutta Rinas
Hannover. Sein altes Leben hat er – kaum noch sichtbar – hinter seinem Bett verstaut. Ein Rucksack liegt da, ein Schlafsack, Handschuhe mit Fell. Dinge, die überlebenswichtig sind, wenn man gezwungen ist, auf der Straße zu leben. Aber Peter Neumann hat mittlerweile auch wieder andere Dinge um sich herum. Ein Teddy, eine Erinnerung an seinen Pflegesohn, ziert die Leuchte über dem Bett. Stolz zeigt er seinen Kleiderschrank, gleich als Erstes, wenn man sein Zimmer im Jugendgästehaus an der Wilkenburger Straße betritt. Er öffnet ungefragt die Schranktüren, bietet an, einen Blick hinein zu werfen.
Es ist überdeutlich, wie wichtig es dem so schmächtigen, freundlichen Mann ist, den Eindruck zu zerstreuen, dass er, der ehemalige Wohnungslose, verwahrlost sein könnte. Tatsächlich: Handtücher, Hosen, Pullover sind fein säuberlich gefaltet, die Trainingshose hängt auf einem Bügel, draußen findet ein Bademantel Platz. So mancher gut situierte Jugendliche könnte sich eine Scheibe von Peter Neumanns Ordnungssinn abschneiden.
Quelle: Franson
Verwilderte Natur – Obstbäume, Sträucher, Wiesen, ein See – umsäumt das Jugendgästehaus Hannover an der Wilkenburger Straße. Es herrscht Stille, auf dem Spazierweg zu dem Gebäude kommen einem Schwäne entgegen. Dass gestrandete Menschen wie Neumann an diesem beschaulichen Ort – mitten im Winter – zurzeit ein Einzelzimmer zur Verfügung haben, ist der Privatinitiative des Eheppars Maria und Uwe Thomas Carstensen (Mut-Stiftung) zu verdanken. Die beiden Privatleute, die sich auch mit hohen Beträgen in der Stiftung des Ehepaars Ricarda und Udo Niedergerke engagieren, finanzieren das neue hannoversche „Housing-first-Projekt“, eine Art Anschlussprojekt nach der Unterbringung von Obdachlosen im Naturfreundehaus und in der Jugendherberge.
Gleich vier hannoversche Träger – AWO, Diakonie, die Selbsthilfe für Wohnungslose (Sewo) und Caritas – haben sich zusammengetan, um im Jugendgästehaus mit einer zeitlich begrenzten Unterbringung für Obdachlose die Kältemonate zu überbrücken. Bemerkenswert ist: Bereits Monate, bevor die Stadt im Oktober vergangenen Jahres das Naturfreundehaus räumte – und 17 Obdachlose auf die Straße setzt -, hatte der Trägerverein freie Zimmer angeboten. Die Stadt lehnte ab. Jetzt können 33 Wohnungslose bis Ende April 2021 an diesem naturverbundenen Ort leben, rund ein Drittel stammen aus Polen, sechs sind Frauen. 18 Jahre alt ist der jüngste Bewohner.
Der älteste, Peter Neumann, ist 69. Nach einem heftigen Streit mit seiner Lebensgefährtin ist der frühere Koch – angeblich nach 30 Jahren – aus der Wohnung geflogen und hat nicht wieder Fuß gefasst. In windgeschützten Kellereingängen hat er übernachtet, wenn Freunde keinen Platz in ihrer Wohnung für ihn hatten. In der städtischen Notunterkunft in der Schulenburger Landstraße war er untergebracht, jener Unterkunft also, der vor Jahren schon Enthüllungsjournalist Günter Wallraff ein miserables Zeugnis ausstellte und die in Hannovers Obdachlosenszene immer noch einen Ruf zum Gotterbarmen hat. Auch Neumann schimpft, wenn die Rede auf sie kommt: „So einen Dreck habe ich noch nie gesehen“, sagt er. Dass er jetzt im Jugendgästehaus leben dürfe, habe ihn „gerettet“.
Das hat sicher auch damit zu tun, dass das Projekt im Jugendgästehaus etwas ganz Besonderes ist. Wenn Sozialarbeiter Axel Fleischhauer (Sewo) und Wohnungslosenhilfe-Koordinatorin Anne Wolter (Diakonisches Werk) davon erzählen, klingt es manchmal fast, als handele es sich um ein alternatives, selbst verwaltetes Wohnprojekt, wie man es von jungen und alten oder behinderten und nichtbehinderten Menschen kennt und nicht um eine Obdachlosenunterbringung.
Eine wöchentliche Hausrunde, in der alles besprochen wird, gibt es beispielsweise. Die Regeln für das Zusammenleben haben die Bewohner sich selbst gegeben: Ab 22 Uhr ist Nachtruhe, Rauchen auf den Zimmern ist verboten, Alkohol erlaubt. Auch Menschen mit Alkoholsucht sollen eine Chance bekommen. Die Bewohner entschieden sogar, wie viele Obdachlose einziehen durften. Mehr als 30 Menschen seien schon „eine Hausnummer“, sagt Fleischhauer, aber die einhellige Meinung sei gewesen, dass so viele wie möglich profitieren sollten.
Erstaunlich ist, wie gut das Ganze bislang funktioniert. Obwohl unübersehbar ist, dass hier Menschen mit multiplen Schwierigkeiten leben. Auf einem frisch gesaugten Flur entdeckt man eine ganze Reihe von zerknüllten Papierschnipseln. Das passiere regelmäßig, offenbar könne da jemand zu viel Sauberkeit nicht ertragen, sagt Wolter. Ein Pärchen gerät in helle Aufregung, als die fremden Besucher erscheinen, es fürchtet offenbar eine Zimmerkontrolle und beschwert sich lautstark.
Ja, manchmal gibt es Stress: Eine eingetretene Tür kündet davon. Dennoch: Anders als in anderen Unterkünften wird nur am Wochenende ein Sicherheitsdienst eingesetzt. In der Woche nehmen die ehemals Wohnungslosen ihr Leben weitgehend selbst in die Hand. Sechs bezahlte Minijobs gibt es für die, die Flure, Küche und Gemeinschaftsräume sauber halten. Ein Frühstücksdienst stellt täglich Kaffee und Brötchen bereit. Mittagessen spendet die ökumenische Essensausgabe. Am Wochenende wird sogar selbst gekocht.
Adi, ein Hüne in Trainingshose und mit Totenkopfmaske, serviert an diesem Tag Reis mit Lauchcreme. Für so viele Menschen einzukaufen und zu kochen sei für ihn kein Problem, erzählt der 43-Jährige fröhlich. Er sei ja gelernter Koch. Im Gemeinschaftsraum sitzen zwei ältere Männer noch beim Essen, gucken Fernsehen. Ein dritter isst im Stehen. Er hat den hochgestellten Stuhl nicht vom Tisch geräumt, sondern den Teller der Einfachheit halber auf das in die Höhe ragende Stuhlbein gestellt. Unorthodox, aber so geht es auch.
Auch Stefan zeigt stolz sein aufgeräumtes Zimmer. Der 42-Jährige gehört zu denen, die gegen ein kleines Entgelt im Haus für Ordnung sorgen. Er habe bei der Bundeswehr gedient. Pflicht und Ordnung? Kein Problem. Ein Auge hat er bei einem Auslandseinsatz verloren, Kosovo-Krieg, harte Zeiten. Lange ist es her. Vier, fünf Jahre lebte er zuletzt auf der Straße. Sein spärliches Hab und Gut passt in eine Plastiktüte, einen Rucksack und eine kleine Tasche.
Die ständige Suche nach einem Dach über dem Kopf habe ihn fertig gemacht, erzählt er. Einmal schlief er angeblich 14 Tage lang nicht. Nicht einmal die Schlaftabletten, die man ihm in einer städtischen Notunterkunft verabreichte, halfen noch. Jetzt hat er mithilfe sozialarbeiterischer Betreuung im Jugendgästehaus endlich wieder geordnete Papiere, einen gültigen Ausweis – und ein Stück Hoffnung auf ein neues Leben. „Du kannst hier die Tür hinter dir abschließen, du kannst dich ausruhen“, sagt er. „Das brauchst du für einen neuen Start.“
HAZ vom 03.03.2021, S. 17:
Steht Hannovers Trinkraum Kompass vor dem Aus?
Politik streicht Etat von 400 000 auf 60 000 Euro zusammen. Der Betrieb sei so nicht aufrechtzuerhalten, klagt die Diakonie.
Von Jutta Rinas
Steht der Trinkraum Kompass am Raschplatz vor dem Aus? Mit dem 2017 gestarteten Modellversuch wollte die Stadt die Trinkerszene hinter dem Hauptbahnhof entzerren. Fünf Mitarbeiter der Diakonie betreuen seitdem in dem Gebäude der Spielbank gegenüber dem alten ZOB Obdachlose und Menschen mit Alkoholproblemen, darunter viele Osteuropäer. Die Besonderheit des Kompass ist: Das Mitbringen von leichten alkoholischen Getränken ist dort – anders als beispielsweise im Kontaktladen Mecki – erlaubt. Rund 400 000 Euro jährlich ließ sich die Landeshauptstadt das Projekt zuletzt kosten.
Quelle: Kutter
Das Mehrheitsbündnis aus SPD, FDP und Grünen im Rat hat den Etat des Vorzeigeprojekts des früheren Oberbürgermeisters Stefan Schostok (SPD) jetzt jedoch drastisch zusammengekürzt. Bereits von diesem Jahr an soll der Trinkraum jährlich nur noch über rund 60 000 Euro verfügen können, heißt es in einem Antrag, der im Sozialausschuss bereits eine Mehrheit gefunden hat. Der frei werdende Betrag – rund 340 000 Euro – solle für den „dringenden Umzug“ des Kontaktladens Mecki, einer weiteren Einrichtung für Obdachlose des Diakonischen Werkes, aufgewendet werden.
Das Mecki platzt aus allen Nähten, die tägliche medizinische Versorgung findet in einem Extraraum mit acht Quadratmetern ohne Fenster statt. Lange Zeit hatten Politik und Diakonie einen millionenschweren Umzug in die gegenüberliegende ehemalige Poliizeiwache, das Projekt Mecki 2.0, favorisiert. Daraus wird nun offenbar nichts.
Beim Diakonischen Werk, dem Träger des Kompass, zeigt man sich entsetzt. Man sei von den Plänen vollkommen überrascht worden, sagt Ursula Büchsenschütz, Leiterin der Zentralen Beratungsstelle (ZBS) des Diakonischen Werks. Ein Problem sei: Bislang sei völlig unklar, wohin der Kontaktladen Mecki umziehen soll. Warum also schließe man schon jetzt einen der dringend benötigten Tagestreffs am Raschplatz ? „Man kann nicht etwas wegkürzen, wenn das andere noch nicht da ist“, klagt Büchsenschütz.
Dazu komme: Die Besuchergruppen von „Kompass“ und Mecki seien nur teilweise identisch, mischten sich schlecht. Der Kompass könne mit dem gekürzten Budget nicht aufrechterhalten werden: „Die 60 000 Euro sind bereits aufgebraucht.“
Den alkoholkranken Obdachlosen werde die nötige Hilfe entzogen, kritisiert auch Cornelia Kupsch (CDU), Bezirksbürgermeisterin des Bezirksrates Mitte. Der Bezirksrat sei nicht involviert worden. Kupsch fürchtet, dass sich die Probleme mit der Trinkerszene am Raschplatz wieder verschärfen. Klagen um Trinkgelage waren ein Grund gewesen, den Modellversuch anzugehen.
Der Trinkraum habe zunächst für Entlastung gesorgt. Auf Dauer führe er aber nicht zu den gewünschten Effekten, hält FDP-Chef Patrick Döring vom Mehrheitsbündnis entgegen. Ergebnis der Gespräche mit den Beteiligten sei es gewesen, dass 60 000 Euro ausreichten, um den Betrieb im abgespeckten Kompass übergangsweise aufrechtzuerhalten.
Es sei Konsens gewesen, dass die Ausrichtung des Trinkraums nach dem Umzug des Mecki nicht mehr benötigt werde. Der Umzug in die ehemalige Polizeiwache sei nicht bezahlbar und baulich nicht realisierbar. Es müsse jetzt zügigst eine Alternativräumlichkeit gefunden werden. Bei der Frage, wie schnell das möglich sei, sei man vielleicht etwas zu optimistisch gewesen.
Auch vonseiten der Stadtverwaltung kommt Kritik. Zielsetzung des Kompass sei es gewesen, wohnungslose Menschen mit sozialpädagogischer Betreuung ins Regelsystem zu vermitteln. Zum Großteil kämen jedoch Besucher, die gar keine Ansprüche auf staatliche Hilfe hätten. Dennoch habe man Obdachlosen Perspektiven für ein Leben jenseits der Straße aufzeigen können. Es sei also sinnvoll, die Konzepte des Trinkraums und des Kontaktladens Mecki zusammenzuführen.
Die Stadt werde ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Diakonie als Träger des Kompass nachkommen, hieß es am Montag weiter. Die Kündigungsfristen für Sachkosten und Personalkosten würden beachtet. Der Schließungszeitpunkt werde von der Umsetzung dieser Kündigungsmöglichkeiten abhängen.
HAZ vom 27.02.2021, S. 18:
Obdachloser stirbt vor Kirche
Achim ist bereits am Mittwoch in der Calenberger Neustadt zusammengebrochen
Quelle: Doeleke
(doe). In der hannoverschen Innenstadt ist erneut ein Obdachloser gestorben. Wie ein Sprecher der Polizei gestern bestätigte, war der Mann bereits am Mittwochabend gegen 18.30 Uhr auf dem Platz vor der Basilika St. Clemens auf einer Bank sitzend zusammengebrochen. Der Mann mit dem Namen Achim wurde 57 Jahre alt.
In der Basilika St. Clemens brennt seit Donnerstag eine Kerze für Achim. „Ohne Obdach war der Platz an der Basilika für ihn ein Ort zum Leben“, steht auf einem Schild. „Wir sind traurig und denken an ihn.“ In den Gottesdiensten am Wochenende werde Achim gedacht, sagte Rüdiger Wala, Sprecher der Propstei St. Clemens.
Achim sei regelmäßig Gast im Tagestreff der Caritas gegenüber von St. Clemens gewesen und habe in der Wärmestube St. Clemens übernachtet, erklärte Wala. „Er muss am Mittwoch einfach umgefallen sein.“ Zeugen leisteten Erste Hilfe und riefen den Notarzt – der konnte nur noch den Tod des Mannes feststellen. Eine Mitarbeiterin der Caritas habe ihn identifiziert, sagte Wala, der Achim ebenfalls kannte. „Er war eher ein zurückhaltender Typ.“
Die Polizei führt nach Angaben des Sprechers ein Todesermittlungsverfahren, hat aber „keine Hinweise auf strafbare Handlungen“.
HAZ vom 13.02.2021, S.17 :
Vergifteter Wodka in der City verteilt: Zwei Obdachlose verletzt
Täter versetzen Inhalt der Flaschen mit ätzender Flüssigkeit / Hilfsorganisationen
in Sorge / Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung
Von Tobias Morchner
Quelle: Thomas
Nicht nur die klirrende Kälte macht Hannovers Obdachlosen derzeit zu schaffen. Jetzt geht in der Szene auch noch die Angst vor gepanschtem Wodka um. Zwei 30 und 50 Jahre alte Männer sind bereits dadurch verletzt worden. Wer die Flaschen verteilt hat, ist bislang unklar. Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen.
Erster Fall vor drei Wochen
Bereits vor drei Wochen, am 21. Januar, hatte die Polizei Kenntnis von dem ersten Vorfall erhalten. Eine öffentliche Warnung hatte die Behörde damals nicht herausgegeben. Am Steintor hatte ein Obdachloser gegen 3 Uhr von einem Unbekannten eine Flasche geschenkt bekommen, die er für handelsüblichen Wodka hielt. Nachdem er aus der Flasche getrunken hatte, trug er Verletzungen an der Speiseröhre davon und musste zur Behandlung ins Nordstadtkrankenhaus. Die Polizei stellte später fest, dass der Wodka mit einer ätzenden Flüssigkeit versetzt worden war.
Der zweite Fall trug sich vor sechs Tagen, am 6. Februar, an der Münzstraße zu. Auch diesmal verletzte sich ein 30 Jahre alter Obdachloser nach einem Schluck aus einer manipulierten Flasche, wenn auch nicht so schwer wie im ersten Fall. Auch diesmal hatte das Opfer die Flasche zuvor von einem Unbekannten geschenkt bekommen. Und auch diesmal warnte die Polizei nicht öffentlich vor dem neuen Phänomen.
Obdachlosenhilfe ist informiert
Inzwischen haben die Nachrichten von den beiden Vorkommnissen auch die Hilfsorganisationen und kirchlichen Einrichtungen, in denen Obdachlose derzeit wegen der niedrigen Temperaturen unterkommen können, erreicht. Die Obdachlosenhilfe Hannover postete einen entsprechenden Hinweis am Freitag auf ihrer Facebook-Seite.
„Wir sind von anderen Organisationen darum gebeten worden, das öffentlich zu machen“, sagt Mario Cordes, der Vorstand des Vereins. Auch im Kontaktladen Mecki am Raschplatz ist die Nachricht inzwischen angekommen. „Wir versuchen so gut wie möglich, das zu kommunizieren, aber oft bereiten uns Sprachbarrieren dabei Probleme“, sagt ein Mitarbeiter.
HAZ vom 12.02.2021, S. 16:
Obdachlose weisen auf ihre Not hin
Mit starr gefrorenen Jeanshosen wollen Obdachlose in Hannover auf ihre Not bei den eisigen Temperaturen aufmerksam machen. Die Aktion „Frierende Hosen“ zeige die Lage wohnungsloser Menschen, die bei Wind und Wetter unterwegs seien und bei Eiseskälte die Nächte im Freien verbringen, teilte der Verein Werkheim gestern mit. Der Verein arbeitet den Angaben zufolge im Verbund der Diakonie und bietet 214 Plätze für wohnungslose Männer an. Auch gehe es um Hilfe bei der Überwindung sozialer Schwierigkeiten; die Kreativwerkstatt des Werkheims biete zudem Möglichkeiten, für die Menschen die Tage zu strukturieren.
Mit ihrer Installation bringen die Betroffenen steif gefrorene Jeanshosen vor dem Gebäude des Werkheims zum „Laufen“, wie der Verein mitteilte. Die Werkheim-Bewohner gestalteten demnach die „frierenden Hosen“ und versahen sie mit Begriffen, die sie mit ihrem Leben auf der Straße verbinden. Die Installation sei nur für kurze Zeit zu sehen – werde es wärmer, würden die Hosen einknicken und zusammensacken.
Quelle: Spata
Zuvor hatten Städte und Hilfsorganisationen wegen des eisigen Wetters ihre Angebote für obdachlose Menschen ausgeweitet. So können sich Betroffene in Hannover tagsüber in der Volkshochschule aufhalten. Das Angebot gilt zunächst bis zum
13. Februar. In der Marktkirche können die Menschen zunächst bis zum 14. Februar über Nacht bleiben.
HAZ vom 08.02.2021, S. 9:
Kirchen bieten Obdachlosen Schlafplätze an
Marktkirche und Räume an der Basilika stehen wohnungslosen Menschen zur Verfügung
Von Mathias Klein
„ Während Familien und Kinder das Schneetreiben am Sonntag in winterfester Kleidung genießen, leiden obdachlose Menschen unter den derzeitigen Witterungsbedingungen. „Gut, dass ich hier sein kann“, meint Hans-Heinrich Wilhelmbrock-Michaelis. Seit ein paar Stunden ist der 71-Jährige in der Wärmestube der katholischen Kirche gegenüber der Basilika St. Clemens, um sich dort aufzuwärmen und etwas zu essen.
Quelle: Franson
Die beiden großen Kirchen bieten angesichts der extremen Minustemperaturen und des Schneefalls Obdachlosen Schlafplätze und Wärmestuben für den Aufenthalt tagsüber an. Seit Sonntagmorgen hat die katholische Kirche die neue Wärmestube und den Tagestreff des Caritas-Verbandes am Platz vor der Basilika in der Calenberger Neustadt rund um die Uhr für den Aufenthalt wohnungsloser Menschen geöffnet. Dort finden obdachlose Menschen nicht nur warme Getränke, einen Imbiss und einen Platz zum Ausruhen, sondern auch zusätzliche Schlafstellen für die Nacht. Auch der 71-Jährige überlegt, dort zu übernachten. Doch davor darf er sich erst einmal ein Paar neue wetterfeste Schuhe und saubere Kleidung aussuchen. Denn hergekommen sei der Obdachlose nur mit Gummilatschen, erzählt Katrin Rütte von den Maltesern, die ihn in der Wärmestube in Empfang genommen hat.
„Die Not ist groß in diesen Tagen“, sagt Propst Christian Wirz. Daher sei es eine Selbstverständlichkeit, dass die Kirche ihre Räume für Schutz vor der Kälte öffne. „Bei Bedarf können wir noch weitere Räume zur Verfügung stellen“, erläutert Wirz.
Ehrenamtliche kümmern sich
Die spontane Hilfe wird überwiegend von Ehrenamtlichen geleistet – in Zusammenarbeit mit dem Malteser Hilfsdienst. Von Montag an stehen Sozialarbeiterinnen der Caritas für Beratung und weitere Unterstützung zur Verfügung. Bis dahin wird auch Propst Wirz aushelfen und die Nachtschicht übernehmen. „Unsere Hilfe lebt davon, dass sich möglichst viele Menschen engagieren“, unterstreicht er. Wer das Angebot unterstützen möchte – durch Mitarbeit oder Spenden – kann sich unter der E-Mail-Adresse propstei@kath-kirche-hannover.de melden.
Die Polizei hat sich ebenfalls spontan engagiert. Weil eine größere Dienstbesprechung kurzfristig ausfiel, brachten zwei Beamten am Sonntagmittag Dutzende belegte Brötchen bei der Wärmestube vorbei, erzählt Wirz.
Auch die Marktkirchengemeinde und das Diakonische Werk haben auf Initiative der Stadt auf die Wetterprognosen reagiert. Seit Sonntagabend an können Menschen ohne Wohnung in der Marktkirche übernachten. Ehrenamtliche betreuen die Betroffenen und stellen warme Getränke und Gebäck zur Verfügung. Das Angebot gilt zunächst bis zum kommenden Sonntag.
Nach Angaben der Stadt gibt es aktuell ausreichend freie Kapazitäten in den Notunterkünften. Für den Tag gibt es im Tagesaufenthalt Schulzentrum Ahlem ebenfalls noch freie Kapazitäten. Die Öffnungszeiten sind von 10 bis 16 Uhr. Die Notschlafstellen bieten von 17 bis 9 Uhr warme Aufenthaltsmöglichkeiten. In der Volkshochschule an der Burgstraße können Obdachlose zudem zwischen 7.30 und 18 Uhr verweilen.
HAZ vom 01.02.2021, S. 9:
„Jim lehnte jede Hilfe ab“
Der verstorbene Obdachlose aus der List war ein IT-Spezialist aus Norwegen, liebte Mozart und hatte eine warmherzige Familie: Sohn und Ex-Ehefrau berichten, wie sein Leben aus den Fugen geriet
Von Jutta Rinas
Hannover. Nichts auf dem schmalen Fotoausschnitt deutet darauf hin, dass dieser junge, gut aussehende Mann einmal auf der Straße landen könnte. Im Gegenteil: Auf eine unaufdringliche Art elegant gekleidet wirkt er, kultiviert, mit seinem schwarzen Hemd und dem grauen Blazer. Die modische Brille betont sein offenes, freundliches Gesicht.
Quellen: privat/Franson
Das Foto zeigt jenen Mann, den viele Menschen aus Hannover nur als den Obdachlosen Jim kennen. Jenen Mann also, der am Ende seines Lebens an der Bödekerstraße in der Nähe des Lister Platzes auf einem schmalen Streifen zwischen Fahrradweg und Autostraße kampierte – gezeichnet vom jahrelangen Leben auf der Straße, verwahrlost, verelendet, umgeben von Unrat und Dreck.
Quelle: Dröse
Er liebte Mozarts Musik
Das Foto ist eines aus glücklichen Tagen, aus einer Zeit, als der spätere Obdachlose Jim noch einer hoffnungsvollen Zukunft entgegensah. Es ist das Bild eines Mannes, der Besuche in Kunstgalerien und die klassische Musik liebte, insbesondere Mozart.
Das Bild eines Mannes, der viel in der Welt herumreiste und in Zeiten des Aufbruchs in der Computerbranche um die Jahrtausendwende von einer großen Karriere träumte, eines erfolgreichen Absolventen eines Informatikstudiums an der Universität von Tromsø, die ihm am Ende eines langen Studiums 1997 den internationalen Doktorgrad eines PhD verlieh.
Sohn lebt in Stavanger
Jims Foto stammt von seinem Sohn David, der in diesen Tagen aus dem norwegischen Stavanger nach Hannover gereist ist, um Abschied von seinem Vater zu nehmen. An jenem Ort, an dem sein Vater zuletzt lebte und am vergangenen Wochenende an Organversagen starb, hat er mit seiner Frau Blumen abgelegt. Seinen vollen Namen möchte der 34-jährige IT-Spezialist zum Schutz der Familie nicht in der Zeitung lesen.
Wer sich beides – das Bild des Obdachlosen und jenes Foto aus besseren Tagen – vergegenwärtigt, bekommt eindrucksvoll vor Augen geführt, dass Obdachlosigkeit tatsächlich jeden treffen kann. Auch Menschen aus der Mittel- oder Oberschicht sind davor nicht gefeit.
Jims Tod macht viele betroffen
Jims Geschichte hat in Hannover viele Menschen bewegt, weil er jemand war, der sich trotz vieler Bemühungen nicht von der Straße holen lassen wollte. Er entfachte eine Debatte darüber, wie man mit solchen Menschen, speziell im Winter, umgehen muss. Am Ende könnte seine Geschichte zu mehr Verständnis für die oft so verelendeten Menschen auf der Straße führen. Sie zeigt auf eine berührende Weise, welche Schicksale dahinterstehen.
Jim Holm wird als Junge namens Ahmad in dem kleinen Ort Gisch in der Nähe von Haifa, Israels drittgrößter Stadt, als eines von neun Geschwistern in eine arabisch-israelische Familie hineingeboren: gehobene Mittelklasse, finanzielle Probleme kennt man nicht. Irgendwann zieht er nach Norwegen, der Bildung wegen, eine alte Facebook-Seite weist ihn 1985 als Schüler eines Abendgymnasiums im norwegischen Kongsbakken aus. In Norwegen trifft Jim seine künftige Ehefrau Heidi, die Mutter Davids.
Ehe scheiterte schnell
Die beiden sind jung, beide Anfang zwanzig, die Ehe scheitert offenbar schnell. David wächst bei der Mutter auf, verbringt die Sommermonate aber häufig bei seinem Vater. Er sei liebevoll, humorvoll und sehr klug gewesen, sagen Ex-Ehefrau und Sohn übereinstimmend. David zeigt ein Foto, auf dem beide sich umarmen und in die Kamera lächeln. Die Ähnlichkeit ist verblüffend.
Wenn der Vater mit ihm Spaß haben wollte, habe er mit ihm oft mathematische Aufgaben gelöst, ihm Tricks und Spiele aus dem Bereich der Zahlen gezeigt, die er liebte – und deren Umgang er ungewöhnlich gut beherrschte.
Er liebte es im Freien
Jim reist viel, er liebt es, im Freien zu sein, zu wandern, er ist in Oslo bei verschiedenen IT-Firmen und in der Entwicklung von Internet-Suchmaschinen aktiv.
Irgendwann, David schätzt 2008, ändert Ahmad seinen Namen in Jim Holm. Offenbar hat er den Eindruck, dass es in Norwegen mit einem nicht arabisch klingenden Namen leichter ist, sich in der Arbeitswelt zu bewegen.
Er kocht gerne, und – besonders seiner Ex-Ehefrau ist es wichtig, das zu betonen – er hat keinerlei Probleme mit Drogen, auch nicht mit Alkohol. Er habe ab und zu gerne ein Glas Wein getrunken, das sei alles gewesen, sagt Sohn David. Was also führt dazu, dass aus dem erfolgreichen Jim Holm der Obdachlose auf Hannovers Straßen wird?
Ein Punkt ist möglicherweise, dass er mit Freunden ein Unternehmen aufbaut. Es kommt zum Streit, die Firma scheitert. Jims Ex-Frau berichtet, dass er sich mehr und mehr zurückzieht, eine Zeit lang wieder in Israel lebt, in einem großen Haus, in dem er sich immer weiter abschottet, irgendwann niemanden mehr zu sich lässt. Er entwickelt zunehmend Schwierigkeiten, sich in geschlossenen Räumen zu bewegen.
Immer wieder bieten ihm der norwegische und der israelische Zweig seiner Familie Hilfe an – auch dann noch, als er längst auf der Straße lebt. Er will sie nicht.
Erkrankung führt zum Absturz
Ex-Ehefrau und Sohn machen eine psychische Erkrankung für die dramatische Wende in Jims Leben verantwortlich. Er habe zeitweilig auch Medikamente genommen, sich letztlich aber dafür entschieden, alleine dagegen zu kämpfen. 2010 geht Jim nach Hannover, einer Stadt, in der er einstmals eine Freundin hatte – und an die er offenbar gute Erinnerungen hat.
Sohn David verliert den Kontakt, er meldet den Vater in Norwegen 2013 sogar als vermisst – und bekommt von der Polizei in Hannover die Auskunft, dass dieser in der niedersächsischen Hauptstadt auf der Straße lebt und in Ruhe gelassen werden möchte. Dennoch, ein Jahr lang schreiben die beiden sich, per E-Mail oder per SMS. Dann bricht der Kontakt endgültig ab.
Selbst als David ihn zu seiner Hochzeit einladen will, findet er den Vater nicht.
Als ihn Anfang der vergangenen Woche in Stavanger ein Priester aufsucht, weiß Sohn David sofort, dass es um seinen Vater geht. „Es ist traurig, dass er gestorben ist, vor allem auf diese Weise, aber er ist jetzt hoffentlich in einer besseren Welt und muss nicht mehr mit sich kämpfen“, sagt David gefasst.
Jim soll in Israel beerdigt werden
Jim Holm wird in Israel in der Nähe seiner Familie beerdigt werden. Sohn David macht niemandem Vorwürfe, dass sein Vater in Hannover nicht mehr Hilfe, Zuwendung, erfuhr. „Mein Vater kam aus einer großen, liebevollen Familie. Er hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, sich dorthin zu wenden“, sagt er traurig: „Er wollte es nicht.“
HAZ vom 01.02.2021, S. 11:
„Wir haben so etwas wie einen Kontrollverlust“
Die Stadtreinigung kapituliert vor der Drogenszene am Andreas-Hermes-Platz: Wegen Abhängiger und deren Spritzen vermüllt die Fläche. Die CDU fordert einen Umbau.
Von Leona Passgang
Die Zahl der Drogenabhängigen rund um den Raschplatz nimmt zu. Auch auf dem Andreas-Hermes-Platz gibt es mittlerweile ein Problem mit den Junkies und ihren Hinterlassenschaften. Mitarbeiter des Abfallunternehmens Aha haben Schwierigkeiten, die Flächen dort sauber zu halten, und beklagen eine Gefährdung durch alte Spritzen.
Der terrassenförmig gestaltete Abgang vom Andreas-Hermes-Platz rund um die Skulpturengruppe „Die Frauen von Messina“ des Künstlers Rolf Szymanski wird auch gern als Trainingsgelände von Parkoursportlern genutzt. Doch das Areal eignet sich offenbar immer weniger dafür. „An der Stelle haben wir so etwas wie einen Kontrollverlust“, sagte Claudia Göttler vom Stadtbezirksmanagement in der jüngsten Sitzung des Bezirksrats Mitte – und meinte damit den betreffenden Bereich der Unterführung in Richtung Hauptbahnhof, in dem sich auch die Skulpturengruppe befindet.
Quelle: Schaarschmidt
Hotspot für Drogenabhängige
In den vergangenen Jahren habe sich der Andreas-Hermes-Platz an dieser Stelle zu einem Hotspot für Drogenabhängige entwickelt, der so verschmutzt sei, dass Mitarbeiter des Abfallwirtschaftsbetriebs Aha Schwierigkeiten hätten, ihn zu reinigen, erklärte Göttler. Sie hat beobachtet, dass der Platz nach den Essensausgaben der Obdachlosenhilfe besonders verschmutzt sei. Neben Einweggeschirr würden oft Kleidungsstücke liegen bleiben.
Eine Verletzungsgefahr gehe vor allem von den herumliegenden Spritzen, die zwischen den Pflastersteinen klemmen, aus, sagte Cornelia Kupsch (CDU), Bürgermeisterin des Stadtbezirks Mitte. Bei einem Rundgang seien ihr auch Blutflecken und Kot zwischen den Skulpturen aufgefallen.
Aufgrund der unterschiedlichen Ebenen und der Kunst könnten die Reinigungswagen von Aha die Fläche nicht befahren. Die Mitarbeiter müssen den Platz also händisch säubern.
„Wenn Mitarbeiter bei ihrer Arbeit Personen treffen, die Alkohol konsumieren oder ihre Notdurft verrichten, können sie den Platz nicht reinigen“, sagt Aha-Sprecherin Helene Herich. Aktuell säubere die Abfallwirtschaft die Fläche rund um die Skulpturen jeden Montag sowie donnerstags bis sonntags.
CDU fordert Umgestaltung
„Die Idee des Platzes war mal gut gemeint, aber er ist nicht mehr einladend“, sagte Kupsch. Die CDU forderte die Verwaltung daher auf, den Bereich mit der Skulpturengruppe ebenerdig und barrierefrei zu gestalten. Mit der Umgestaltung sollten unter anderem das Kopfsteinpflaster und die Skulpturen verschwinden, sodass Aha den Platz mit seinen Reinigungsfahrzeugen säubern könne, schlugen die Christdemokraten vor.
Die Parkourläufer, die die Fläche rund um die Skulpturen als Trainingsgelände nutzen, solle die Stadtverwaltung in die Planungen einbeziehen, sagte Christoph Baathe von den Grünen.
HAZ vom 30.01.2021, S. 20:
Obdachloser Jim ist nicht erfroren / Ermittler gehen von natürlichem Tod aus
(pah). Der Leichnam des vergangenen Sonntag in Hannover verstorbenen Obdachlosen Jim ist obduziert. Alles deute darauf hin, dass der 57-Jährige eines natürlichen Todes starb. „Es gab keine Anzeichen für ein Fremdeinwirken“, sagt Kathrin Söfker, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, auf HAZ-Anfrage. „Auch Erfrieren wird ausgeschlossen.“ Vielmehr seien es wahrscheinlich die gesundheitlichen Auswirkungen des jahrelangen Lebens auf der Straße, die am Ende zum Tode führten.
Laut Söfker sei Jim aufgrund dessen insgesamt „nicht ganz so körperlich gesund gewesen“. Die Obduktion ergab, dass diverse Organe vorgeschädigt waren. Somit sei von einer inneren Ursache als Grund für den Tod vor fast einer Woche auszugehen. Ein Passant hatte Jims Leiche vergangenen Sonntag an der Litfaßsäule nahe dem Lister Platz entdeckt.
In der benachbarten Markuskirche findet ihm zu Ehren am Sonntag um 10.30 Uhr ein Gottesdienst statt. Pastor Bertram Sauppe wird in seiner Predigt auf die Probleme und Folgen von Obdachlosigkeit eingehen. Seit Jims Tod entzünden immer wieder Passanten Kerzen an der Litfaßsäule und legen Blumen nieder. Der 57-Jährige polarisierte über Jahre die List und die Oststadt: Die einen wollten ihn unterstützen, andere sahen vor allem den Unrat und die Verschmutzungen. Der Obdachlose selbst lehnte bis zuletzt jegliche Hilfe ab.
HAZ vom 25.01.2021, S. 11:
Obdachloser Jim aus der List ist tot
57-Jähriger leblos aufgefunden
Von Peer Hellerling und Jutta Rinas
Hannover. Jim, der Obdachlose, der seit Monaten in Hannover am Lister Platz und an der Bödekerstraße hauste, ist tot. Ein Passant entdeckte den leblosen Körper am Sonntagabend neben einer Litfaßsäule. Dort hatte der 57-Jährige sein Lager zuletzt aufgeschlagen. Derzeit gebe es keine Hinweise auf ein Verbrechen, erklärte Polizeisprecherin Jessica Niemetz. Die Todesursache ist allerdings noch unklar.
Der Notruf ging gegen 19 Uhr ein. Der Rettungsdienst konnte nur noch den Tod feststellen. Ob der gebürtige Norweger womöglich schon länger tot war, ist bislang offen. „Der Kriminaldauerdienst hat die Ermittlungen aufgenommen“, sagte Niemetz der HAZ. Unklar ist noch, ob der Leichnam obduziert werden soll.
Seit mehreren Jahrzehnten lebte der Obdachlose schon auf den Straßen der Landeshauptstadt. Er campierte unter anderem am Hauptbahnhof, an der Marienstraße und eine Zeit lang am Königinnendenkmal an der Hohenzollernstraße. Dieses Quartier aus alten Verpackungen, diversen Lebensmitteln und Essensresten rumte die Stadt allerdings im Februar 2019. Danach zog Jim weiter an den Lister Platz.
Sowohl in der Oststadt als auch in der List spaltete der 57-Jährige die Gemüter: Die einen halfen dem Obdachlosen, die anderen kritisierten sein vermülltes Lager und den Gestank. An der Bödekerstraße sorgte Jim zudem für Ärger, weil er zuletzt Hausfassaden mit Scheuermilch "säuberte" - und sie dadurch erst recht beschädigte.
Zum Jahreswechsel eskalierte die Situation am Lister Platz dann mehr und mehr: So wurde sein Lager an der Litfaßsäule am 30. Dezember geräumt. Nach Angaben eines Stadtsprechers hatten die Beschwerden erneut stark zugenommen. Die Zustände seien „absolut unhaltbar“ gewesen.
Von dort zog der 57-Jährige weiter unter das Dach der Stadtbahn-Haltestelle Lister Platz. Doch da zerrten ihn dann Protec-Mitarbeiter mit Verweis auf das Hausrecht zuletzt am 11. Januar weg. Seitdem campte Jim wieder an der wenige Meter entfernten Litfaßsäule. Dort ist er nun gestorben.
Quelle: Hellermann
HAZ vom 19.01.2021, S. 19:
„Die Not liegt buchstäblich auf der Straße“
Die katholische Kirche richtet in der Propstei eine Wärmestube für Obdachlose ein
Von Simon Benne
Der Kellerraum ist schlicht eingerichtet. Schmucklose Tische stehen auf dem gefliesten Fußboden, nebenan liegen Matratzen und Decken auf der Erde. Für Daniel aber ist es ein Segen, dass es diesen Keller gibt. „Wenn man die ganze Nacht durch die Gegend läuft, ist es gut, dass man sich hier tagsüber hinlegen kann und einen warmen Kaffee bekommt“, sagt der junge Mann, der auf der Straße lebt und sogar im Winter draußen schläft.
Die katholische Kirche hat diese neue Wärmestube für Obdachlose gewissermaßen in ihrer eigenen Zentrale eingerichtet – in der Propstei direkt neben der Basilika St. Clemens in Hannover. Tagsüber können Bedürftige sich hier aufwärmen und ausruhen, sie bekommen Getränke und Brötchen. Sechs Sitzplätze und vier Schlafstätten gibt es im Untergeschoss der Propstei in der Calenberger Neustadt. Früher war hier die ökumenische Essensausgabe für Obdachlose untergebracht, inzwischen ist diese wegen des großen Andrangs in die nahen Räume der reformierten Kirche umgezogen.
Quelle: Schaarschmidt
Corona trifft Obdachlose hart
„Die Not liegt in Hannover buchstäblich auf der Straße“, sagt Propst Christian Wirz. Obdachlose sollen in der Wärmestube auch einen Platz zum Reden finden. „Wir wollen ihnen einen geschützten Ort bieten, an dem sie Pause machen können von der Straße“, sagt Hannovers oberster Katholik. Er selbst wohnt in dem Gebäude. „Über die ungewohnte Gesellschaft freue ich mich“, sagt er.
Obdachlose trifft die Pandemie besonders hart. „Wegen Corona gibt es überall zu wenige Plätze“, sagt Daniel, der seit anderthalb Jahren in Hannover lebt. Kaufhäuser, in denen er sich sonst aufwärmen könnte, sind geschlossen. Der Mecki-Laden am Raschplatz ist derzeit nicht zugänglich, und auch im Tagestreff der Caritas nahe der Clemenskirche dürfen sich statt 48 momentan nur 14 Personen aufhalten. „Es ist grausam, wenn wir drei Viertel der Menschen nicht einlassen können“, sagt Ramona Pold, Sozialarbeiterin der Caritas.
Die Lage der Obdachlosen hat sich nach ihren Beobachtungen dramatisch verschlechtert. „Die Verelendung in der Innenstadt hat massiv zugenommen“, sagt Pold. Das kalte Wetter erschwere die Situation der Betroffenen zusätzlich. „Im Winter merkt man, dass die Verzweiflung immer größer wird“, sagt die Sozialarbeiterin. „Dann wird um die warmen Plätze gerungen, es kommt zu Konflikten zwischen den übermüdeten Menschen.“ In Obdachlosenunterkünften wollen viele von ihnen nicht übernachten. „Dort bin ich schon bestohlen worden“, sagt auch Daniel.
Hilfsbereitschaft ist groß
Die Wärmestube soll helfen, die Not zu lindern. Getragen wird das Projekt vom Caritas-Verband und mehreren katholischen Gemeinden. Die Wagenersche Stiftung steuerte eine Spülmaschine bei, die St.-Ursula-Schule die Matratzen. Binnen kürzester Zeit hat sich ein gutes Dutzend Ehrenamtliche gefunden, die Kuchen backen, Kaffee kochen und für Gespräche bereitstehen. Die Bereitschaft, Obdachlosen zu helfen, ist auch in Corona-Zeiten groß.
Andrea Weinhold ist eine der Helferinnen in der Wärmestube. „Mir geht es gut, da kann ich etwas abgeben“, sagt die 47-Jährige. Einmal in der Woche schmiert sie hier nun Brötchen und spricht mit Menschen, die in der Propstei Schutz und Wärme suchen. „Die Arbeit macht Spaß“, sagt sie. Das Projekt sei zunächst bis Ende April befristet, sagt Sozialarbeiterin Pold. „Dann werden wir sehen, wie es weitergeht.“
Die Wärmestube St. Clemens, Platz an der Basilika 2, ist montags von 8.30 bis 13 Uhr, dienstags von 13 bis 16 Uhr, mittwochs von 8.30 bis 17 Uhr, donnerstags von 8.30 bis 13 Uhr sowie freitags von 8.30 bis 13 Uhr geöffnet. Spenden sind möglich an die Basilika St. Clemens, DKM Bank, IBAN: DE73 4006 0265 0037 0327 01, Stichwort: Tagestreffpunkt für Obdachlose.
HAZ vom 08.01.2021, S. 18:
Ökumenische Essenausgabe trotzt Corona
Reformierte Kirche stellt Gemeindesaal an der Lavesallee zur Verfügung / Bedarf steigt kontinuierlich an
Von Simon Benne
Seine Plastiktüten hat Pablo neben sich abgestellt. Auf seinem Teller dampft eine Portion Calenberger Pfannenschlag. Der 54-Jährige ist häufig zu Gast bei der Ökumenischen Essenausgabe für Obdachlose. „Ich habe nicht viel Geld, und hier bekommt man jeden Tag eine warme Mahlzeit“, sagt der Mann, der in einer Unterkunft lebt. „Viele Anlaufstellen für uns haben wegen Corona geschlossen“, sagt der 51-jährige René am Nachbartisch, „da ist es gut, dass es dieses Angebot gibt.“
In den vergangenen Jahren ist der Bedarf kontinuierlich gewachsen. Wenige Tage nach dem Auftakt der diesjährigen Saison gaben die etwa 35 Ehrenamtlichen, die sich in mehreren Schichten bei der Essenausgabe engagieren, bereits 90 Mahlzeiten pro Tag aus. „Das war etwas weniger als in den Vorjahren“, sagt Elka Walpert-Niemann, die das Projekt des Diakonischen Werks und mehrerer Kirchengemeinden koordiniert. Zu Beginn des Monats hätten viele Bedürftige allerdings noch mehr Geld zur Verfügung. „Zum Ende des Monats steigen die Zahlen dann oft.“
Quelle: Heusel
Zum zweiten Mal hat in diesem Winter die Reformierte Kirche ihren Gemeindesaal an der Lavesallee in Hannover für die Essenausgabe zur Verfügung gestellt. Wege sind mit Flatterband trassiert, Besucher müssen Kontaktdaten hinterlegen und sich am Eingang die Hände desinfizieren. „Die Zahl der Sitzplätze ist begrenzt“, sagt Pastorin Elisabeth Griemsmann. Nur 26 Personen dürfen sich gleichzeitig in den Räumen aufhalten, alternativ gibt es das Essen auch zum Mitnehmen. Unterstützt wird das rund 60 000 Euro teure Projekt unter anderem vom Verein Kochen für Obdachlose sowie der Nord/LB.
„In diesem Winter ist es für Obdachlose noch schwerer als sonst“, sagt Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes. Schätzungsweise lebten rund 300 Menschen in Hannover auf der Straße. In jüngster Zeit sei es zwar gelungen, die Hilfen für Obdachlose auszubauen, sagt Müller-Brandes. Unter anderem soll ein Modellprojekt in Döhren Betroffenen helfen, wieder auf die Beine zu kommen. „Durch Corona sind aber auch die Herausforderungen besonders groß“, sagt Müller-Brandes.
Der Kontaktladen Mecki am Raschplatz beispielsweise wird voraussichtlich bis einschließlich Montag geschlossen bleiben, weil sich ein Mitarbeiter mit dem Virus infiziert hat.
„Not und Einsamkeit sind groß“, sagt auch Christine Tursi von der Heilsarmee, die bei der Essenausgabe hilft. „Die Menschen sind sehr dankbar – nicht nur für das Essen, sondern auch, weil sie sich hier einmal hinsetzen und mit Abstand ein bisschen plaudern können.“
Die Essenausgabe beliefert auch das Jugendgästehaus in Wülfel, in dem derzeit Obdachlose ein Quartier gefunden haben. Bis zu 40 Menschen können dort untergebracht werden. „Derzeit leben dort 27 Personen“, sagt Sozialpädagogin Anne Wolter. „Jeden Tag kommen etliche dazu, bald wird es voll belegt sein.“
Bis Ende Februar sind die Räume in der Reformierten Gemeinde, Lavesallee 4, montags bis freitags von 10.30 bis 13.30 Uhr geöffnet. Spenden für die Ökumenische Essenausgabe sind möglich an die Evangelische Bank, IBAN: DE76 5206 0410 0200 6012 33.