2015
HAZ vom 23.12.2015, S. 14:
Hilfe vom Rost
Nicht nur "Wurst in den Wanst": Wie ein Grillverein hannoverschen Obdachlosen dringende Wünsche erfüllt
Von Uwe Janssen
Quelle: Schaarschmidt
Am Anfang war die Wurst. Und das Steak. „Barbecue“, sagt Horst Waizenegger, „ist eine Lebenseinstellung.“ Waizenegger grillt. Gern und oft. Aber irgendwann reichte ihm das nicht mehr. Die Facebook-Gruppe, in der er sich mit Gleichgesinnten austauschte, entwuchs schon bald dem Netz, man traf sich, zum Grillen – klar. Aber das war es auch noch nicht. „Wir wollten zeigen, was man mit Grillen alles bewegen kann“, sagt Waizenegger. Sie gründeten einen Verein, und nun stehen sie an einem verregneten, aber milden Dienstag vor Weihnachten auf dem Georgsplatz, und hannoversche Obdachlose können wärmstens nachfühlen, was Grillen so alles bewegen kann.
Denn der Verein Charcoal Street BBQ, aus dessen Namen man auch Wohltätigkeit herauslesen kann, hat bei einer Grillaktion für Obdachlose in der HDI-Arena nicht nur Essen verteilt, sondern in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „Asphalt“ auch Wunschzettel schreiben lassen – und erfüllt die Wünsche nun. Auf dem Georgsplatz geben die Vereinsmitglieder Schlafsäcke, dicke Jacken, warme Schuhe, Handschuhe, aber auch Campingkocher, Rucksäcke, 96-Trikots und Eintrittskarten für Spiele in der Arena aus. Der Bundesligist ist als Partner bei der Aktion im Boot und zeigt sich großzügig. Während der Ausgabe fahren zwei 96-Bullis vor, die Getränke und Brötchen, Weihnachtsmänner und Zipfelmützen an die Bedürftigen verteilen. Weitere Sponsoren, die den guten Zweck unterstützen, könne der Verein immer gebrauchen, sagt Waizenegger.
„Super Aktion“, sagt Dennis Neubauer, der sich wie Freundin Janny eine 96-Kapuzenjacke gewünscht hat. Nun probieren sie die schwarz-weiß-grünen Stücke an und freuen sich. „Wir sind eigentlich da hingegangen, weil wir Hunger hatten“, sagt Dennis, der seinen Job als Dachdecker verloren hat und nun auf der Straße lebt. „Das ist ein Teufelskreis: ohne Wohnung kein Job, ohne Job keine Wohnung“, sagt Janny, die wie Dennis aus Nordrhein-Westfalen kommt und nun überlegt, wieder zurückzugehen. „Meine Mutter lebt hier, aber die ist voll in der Szene. Ich kenne von Hannover Steintor, Bahnhof, Raschplatz. Ich bin 21, ich kann mein Leben noch in den Griff kriegen, aber nicht, wenn ich mein altes Leben die ganze Zeit vor Augen habe.“ Sollte sich für die beiden eine Wohnung finden, würden sie aber doch in Hannover bleiben, sagt Dennis. Ein bisschen Lokalpatriotismus tragen beide jetzt ja auch auf dem Leib – und bedanken sich herzlich bei den Grillfreunden.
Deren Chef ist richtig aufgewühlt. „Dieses Gefühl, wenn du merkst, dass du gerade jemanden richtig glücklich gemacht hast, das ist etwas ganz Besonderes“, sagt Horst Waizenegger, der als Headhunter in der Lebensmittelbranche sein Geld verdient. „Wir hauen uns das Fleisch in den Wanst, und wenn du dann siehst, dass andere sich nichts zu Essen leisten können, dann schmeckt es dir nicht mehr so gut.“ Jetzt schmeckt es wieder besser.
Nach der Aktion geht es gleich weiter zur MHH. Für die Kinderonkologie hat der Verein kürzlich sein zweites Charity-Grillen veranstaltet, damit die Klinik ein teures Gerät kaufen kann. Bei der Wunschzettelaktion ist ein wenig Geld übrig geblieben. Das ist nun zu Spielzeug geworden und wird kranken Kindern Weihnachten eine Freude machen.
HAZ vom 23.12.2015, S. 14:
Wer ist der Obdachlose vom Braunschweiger Platz?
Ein Mann lebt seit Monaten an einem der verkehrsreichsten Plätze der Stadt - und gibt allerlei Rätsel auf
Von Simon Benne
Schwer zu sagen, wo Pedro herkommt. „Ich bin in Texas geboren“, sagt er selbst und zieht an seiner Pall Mall. Er sagt es auf Italienisch. Englisch spricht er nicht. Ungewöhnlich für einen Texaner. Deutsch auch nicht. Dafür Italienisch, Französisch und Spanisch. Der Mann, der in seinem Schlafsack auf der Straße liegt, erzählt, dass er als US-Captain mit einem Fallschirm über Frankreich abgesetzt wurde und vor acht Jahren nach Deutschland kam. Man tritt Pedro nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er in seiner eigenen Welt lebt. Vielleicht wird nie jemand die wirkliche Geschichte des Mannes erfahren, der mit seinem grauen Bart eigentlich sehr ansehnlich aussieht – und jünger, als er vielleicht ist: „Ich werde jetzt 60“, sagt er selbst: „soixante ans, am 24. Dezember.“
Obdachlose gibt es viele in der Stadt. Bis zu 2000 Menschen leben nicht in festen Wohnverhältnissen. Viele davon kommen bei Bekannten unter, schätzungsweise 500 leben auf der Straße. Die meisten richten sich irgendwo im Verborgenen ein. Scham ist die Schwester der Armut. Pedro jedoch hat sein Quartier direkt an einer Hauptstraße aufgeschlagen. Tausende von Autos rauschen täglich an seiner Schlafstatt unter der Eisenbahnbrücke am Braunschweiger Platz vorbei. Selbstbewusst hat er sich ein Stück vom öffentlichen Raum erobert. Er lebt hier unter aller Augen, ohne sich vor jemandem zu verstecken – und die Fläche, die er für seine Matratzen, Tüten und Koffer braucht, wächst.
Warum er ausgerechnet unter der zugigen Eisenbahnbrücke schläft? Mitten in der City? „Hier sind die Leute freundlich“, sagt Pedro. Die vielen Passanten, die hier vorbeikommen, stecken ihm gelegentlich etwas zu; er deutet auf den Vorrat an Brot, Wasser und Würstchen, den er neben sich gehortet hat: „Hunger habe ich nicht, und kalt ist es hier auch nicht.“ Wie aufs Stichwort fährt ein Rollstuhlfahrer vorüber und grüßt Pedro, wie man einen alten Bekannten grüßt. Pedro winkt lächelnd zurück: „Un amico“, sagt er. „Ein Freund. Wir sind in Vietnam zusammen in Gefangenschaft geraten.“
Die Polizei bekommt manchmal Anrufe seinetwegen. Passanten beschweren sich dann, weil er sich zu breit gemacht hat, oder sie machen sich Sorgen um ihn. „Grundsätzlich ist der Mann harmlos“, sagt ein Polizeisprecher. Einigen Anwohnern jedoch ist er ein Dorn im Auge: „Ein Schandfleck“, sagt ein Nachbar: „Der macht sich so breit, dass es die Verkehrssicherheit gefährdet.“ Jeder hier kennt Pedro, der so gar nicht zu dem Bild passt, das man sich landläufig von Bettlern macht: „Der macht, was er will“, sagt eine Frau. „Er ist für uns nur schwer zu erreichen.“
Beim Kontaktladen Mecki, der Obdachlose betreut, kennt man Pedro. Viel über ihn weiß auch hier niemand. „Als Ausländer hat er keinen Anspruch auf Grundsicherung“, sagt Straßensozialarbeiter Pascal Allewelt. Allenfalls könnte er in eine städtische Unterkunft umziehen, wenn es kalt wird. Doch das will Pedro nicht: „El Refugio? Da schlafen ja vier, fünf Leute in einem Raum – hier bin ich zufrieden“, versichert er.
Ein Hund kommt und schnüffelt an seinen Decken, ehe der Besitzer ihn zurückziehen kann. Natürlich sei es nicht immer leicht, hier draußen zu liegen, sagt Pedro. Doch er ist überzeugt davon, dass er hier sein muss. Um Beobachtungen zu machen, für den Geheimdienst. Vielleicht versöhnt ihn das mit seinem Schicksal: der Glaube, dass er unter dieser Brücke eine Bestimmung hat. „Ich bin hier im Dienst der Wahrheit“, sagt er und lächelt wieder. „Pour la vérité.“
Quelle: Benne
HAZ vom 14.12.2015, S. 12:
1000 Gäste bei der Weihnachtsfeier für Obdachlose
Künstlerverein zum vierten Mal als Gastgeber
(tm). Bis in die Nacht hinein hatten die Mitglieder des Künstlervereins Krass Unartig Geschenke verpackt, Weihnachtsschmuck aufgehängt und Kerzen aufgestellt. Denn am Sonntagnachmittag wurden im HCC die Tische zum vierten Mal für die Weihnachtsfeier für Obdachlose und bedürftige Kinder gedeckt. Die rund 650 Erwachsenen erfreuten sich an Entenkeule in Orangensoße mit Apfelrotkohl und Kartoffelklößen. Die etwa 350 Kinder bekamen Nudeln, Chicken Nuggets, Erbsen und Tomatensoße serviert. „Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir noch nicht alle Bedürftigen mit der Aktion erreichen“, sagt Susanne Duhme von den Veranstaltern, die in diesem Jahr für ihr Engagement mit dem Stadtkulturpreis ausgezeichnet worden sind.
Quelle: Dillenberg
Neben einem kurzweiligen Kulturprogramm, durch das Radiomacher Ecki Stieggemeinsam mit dem Musiker Christof Stein-Schneider und dem Kabarettisten Matthias Brodowy führte, konnten die Gäste eine Reihe kostenloser Dienstleistungen nutzen. Friseure und Visagisten standen zur Verfügung wie Tierärzte, die auf Wunsch einen Gesundheits-Check bei Tieren der Besucher vornahmen. Eine eigens eingerichtete Kleiderkammer konnte durchstöbert werden, und in der Bückerecke gab es dicke und weniger dicke Schmöker zum Mitnehmen. Weil Weihnachten ohne Geschenke undenkbar ist, erhielten alle am Ende ein Präsent.
NP vom 12.12.2015, S. 22:
Bankmitarbeiter beschenken Kinder
HANNOVER. (srt) Die Mitarbeiter der Nord/LB haben wieder Geschenke an bedürftige Kinder gespendet. „Ich freue mich, dass wir den Kindern heute ihre Wünsche ermöglichen können“, begrüßte Ulrike Brouzi, Vorstandsmitglied der Nord/LB, die Vertreter der acht Organisationen, die Geschenke für die Kinder entgegennahmen. Zum siebten Mal fand die Aktion „Weihnachtswünschebaum“ statt.
Quelle: Sielski
Rund 400 bedürftige Kinder hatten ihre Wünsche an den Weihnachtsbaum im Foyer der Bank gehängt. Mitarbeiter haben dann die Wünsche der Kinder erfüllt. Dabei kamen Spenden von mehr als 8.300 Euro zusammen. Natürlich stand auf den Wunschzetteln auch Spielzeug, aber vor allem ganz Wesentliches wie Schuhe oder Kleidung. Hanna Ates vom Kindertreffpunkt Butze 22 sagt: „Daneben wünschen sich die Kinder aber auch einfach nur, glücklich zu sein.“ Ein kleiner Wunsch mit großer Bedeutung.
HAZ vom 11.12.2015, S. 4:
Vergewaltigung vor dem Geldautomaten?
Kameras im Vorraum einer Bank haben Tat aufgezeichnet
Von Jürgen Gückel
Göttingen. Vor dem Landgericht Göttingen muss sich seit Donnerstag ein 35 Jahre alter Maurer wegen Vergewaltigung einer alkoholkranken Stadtstreicherin verantworten. Vor laufender Überwachungskamera soll er sich im Vorraum einer Bank an der schwer alkoholisierten Frau vergangen haben.
Dass es über einen Zeitraum von rund 40 Minuten gleich zweifach zu Sex gekommen ist, bestreitet der Angeklagte nicht. Das Geschehen ist dokumentiert. Die Überwachungskamera im Vorraum einer Filiale der Deutschen Bank zeichnete es in der Nacht zum 23. November 2014 auf. Demnach soll sich der gelernte Maurer und Tischler gegen 2 Uhr über die schwer unter Alkoholeinfluss stehende Frau hergemacht haben, soll ihr die Hose ausgezogen und sie mit Zerren am Kopf und unter Zuhalten des Mundes gefügig gemacht haben. Nach der ersten Tat soll er sie gegen 2.38 Uhr noch einmal vergewaltigt haben. Erst als Zeugen in den frei zugänglichen Bankvorraum kamen, endeten die Taten.
Doch dass es überhaupt eine Vergewaltigung war, bestreitet der Angeklagte. Der Verteidiger des 35-Jährigen verlas eine Einlassung, nach der er keineswegs die hilflose Lage der Frau ausgenutzt habe. Zum einen sei der Raum mit den Geldautomaten jederzeit frei zugänglich. Die Videoaufzeichnung zeige auch Zeugen, die diesen betreten hatten. Zum anderen bewiesen Aufnahmen, dass die Frau sich koordiniert verhalten habe, etwa, als sie nach der Tat aus einer Weintüte trank. Auch zeigten die Aufnahmen keine Vorwürfe, die das angebliche Opfer dem Mann, mit dem sie gerade geschlafen hatte, danach gemacht hätte. Das Opfer werden die Richter jedoch nicht dazu befragen können. Die Stadtstreicherin ist nicht aufzufinden.
HAZ vom 04.12.2015, S. 16:
Im Winter ist die Not noch größer
Ökumenische Essensausgabe rechnet im 24. Jahr mit mehr als 14.000 warmen Mahlzeiten für Bedürftige
Von Linda Tonn
Der Teller mit Gulasch und Nudeln dampft, zum Nachtisch darf gewählt werden – Schokoladen- oder Vanillepudding? Zur Mittagszeit herrscht Hochbetrieb in der ökumenischen Essensausgabe in den Räumen der Caritas am Leibnizufer 13–15. Seit 24 Jahren stehen den Bedürftigen hier von Anfang Dezember bis Mitte März jeden Tag von 11 bis 13 Uhr die Türen offen.
Quelle: von Ditfurth
Noch sind die Temperaturen mild, doch vielen Obdachlosen graut es schon vor den frostigen Tagen und Nächten, die in den nächsten Monaten auf sie warten. Für durchschnittlich 170 Menschen gibt es hier eine Mahlzeit, ein Getränk und ein offenes Ohr – an besonders frostigen Tagen kommen noch mehr.
„Keiner wird gefragt, woher er kommt, jeder ist willkommen“, sagt Pfarrer Johannes Lim von der katholischen Gemeinde St. Heinrich. Mehr als 14 000 Mahlzeiten verteilten die Organisatoren im vergangenen Jahr.
Weil sich die Situation der Wohnungslosen in Hannover verschlechtert hat, rechnet Rainer Müller-Brandes, Vorsitzender des Diakonischen Werks Hannover, in diesem Jahr mit noch mehr Menschen: „Aktuell müssen etwa 4000 Menschen jeden Tag nach einem Schlafplatz suchen.“ Gerade deshalb sei die Essensausgabe ein wichtiger Baustein in der Notfallhilfe im Winter. Wie sich die aktuelle Flüchtlingssituation auf die Essensausgabe auswirke, könne man aber noch nicht abschätzen.
Allmuth Kuring ist eine der 25 Ehrenamtlichen, die täglich in der Küche stehen, das Essen zubereiten und verteilen – seit 17 Jahren schon. Wenn ihr einer der Bedürftigen seine Lebensgeschichte anvertraue, zeuge das von größter Dankbarkeit: „Wir geben viel, bekommen aber auch viel zurück“, sagt sie.
Es sei wichtig, die vielen Bedürftigen in Hannover angesichts der Flüchtlingsthematik nicht aus den Augen zu verlieren und ihnen offen zu begegnen, so Pfarrer Lim. „Auch mitten in der Gesellschaft gibt es Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, um eine warme Mahlzeit am Tag zu bekommen.“
Gekocht werden die Mahlzeiten in der Zentralküche des Friederikenstifts. Außerdem unterstützen ortsansässige Gastronomen, wie Cord Kelle und sein Verein „Kochen für Obdachlose“, an einigen Tagen die Essensausgabe. „Gestern gab es ein Schweinenackensteak“, so der Besitzer des Restaurants Jägerhof in Langenhagen-Krähenwinkel. In diesem Jahr konnte das Restaurant Meiers Lebenslust dazugewonnen werden. Mahlzeiten und Personal werden komplett aus Spenden finanziert.
HAZ vom 30.11.2015, S. 9:
Region macht Druck beim Wohnungsbau
Dezernent Jordan: „Wer wenig Geld hat, findet derzeit auf dem Markt kaum eine Wohnung“ / Neue Zuschüsse auch für Privateigentümer
von Conrad von Meding
Die Region will angesichts der Knappheit auf dem Wohnungsmarkt ihr Förderprogramm erweitern. „In Stadt und Umland werden viel zu wenig neue Wohnungen für Menschen mit wenig Geld gebaut“, sagt Sozialdezernent Erwin Jordan (Grüne). Ärgerlich sei, dass das Landesförderprogramm falsche Anreize setze und Wohnungsbau für Mittelschichtfamilien fördere. Dabei sei der Bedarf insbesondere bei Studenten und Menschen hoch, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. „Die haben in Linden oder der Nordstadt derzeit keine Möglichkeit, auf dem normalen Wohnungsmarkt etwas zu finden“, sagt Jordan.
Die Region ist unter anderem für die Beobachtung des Wohnungsmarkts in Hannover und den 20 Umlandkommunen zuständig. Jordan sagt: „Der Anstieg der Mietkosten um rund 2 Prozent ist an sich nicht alarmierend – aber die enorme Verknappung im unteren Segment wird zum echten Problem.“ Frauenhäuser könnten keine von Gewalt bedrohten Frauen mehr aufnehmen, weil die Bewohnerinnen am Wohnungsmarkt keine Angebote fänden. Ehemalige Obdachlose mit Schufa-Einträgen oder Menschen mit Handicap seien chancenlos bei der Wohnungssuche.
Sowohl die Stadt als auch die Region haben Förderprogramme aufgesetzt, die auch mit Landesprogrammen kombinierbar sind. Im HAZ-Interview allerdings bemängelt Jordan, dass das Landesförderprogramm Wohnungsbau mit Quadratmeter-Kaltmieten von 7 Euro fördere: „Das ist eine echte Mittelschichtförderung.“ Wichtiger sei, dass Wohnungen zum Quadratmeterpreis von 5,40 Euro gebaut würden, von denen Familien mit geringerem oder gar keinem Einkommen profitierten.
Die Region schlägt ihren Kommunalpolitikern morgen vor, das Wohnungsförderprogramm um Studentenwohnen zu erweitern und auch Belegrechtsverträge mit privaten Immobilieneigentümern in Hannover und Umland zu schließen. Damit können Wohnungseigentümer einen Zuschuss über die amtlich festgestellte Durchschnittsmiete hinaus erhalten, wenn sie der Region Wohnraum zur Verfügung stellen.
Ein weiteres Problem sei es, dass es vor allem im Umland oft zu wenig Bauland für Mietwohnungsbau gebe. „Wir müssen mit den Kommunen in Verhandlungen treten, denn wir brauchen mehr Flächen.“ Jordan betont, dass es dabei nicht nur um die Unterbringung von Flüchtlingen gehe. „Aber wir müssen dafür sorgen, dass es nicht durch weitere Verknappungen am Wohnungsmarkt zu Ressentiments zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen kommt.“
HAZ vom 28.11.2015:
Hilflos in Uelzen
Nur Freiwillige helfen gestrandeten Menschen
Von Isabell Rollenhagen
UELZEN/GÖTTINGEN. Auf niedersächsischen Bahnhöfen sitzen bei eisigen Temperaturen Nacht für Nacht Flüchtlinge fest. Die Menschen, die oft nach Hamburg oder Skandinavien weiterreisen wollen, stranden häufig in Göttingen und Uelzen. Freiwilige helfen jetzt den erschöpften Menschen.
Weil die Flüchtlinge meist nur Fahrkarten für den Nahverkehr haben, sind sie in Niedersachsen vor allem auf den Metronom-Strecken unterwegs. Problematisch wird es nach Angaben von Harald Lukaschewsky, Sprecher der Verkehrsgesellschaft Metronom, wenn die Reisenden den letzten Zug von Hannover nach Uelzen nehmen: Der erreicht den Hundertwasser-Bahnhof erst um 1.39 Uhr - zu spät. Anschlusszüge gibt es erst am frühen Morgen wieder.
In Uelzen haben sich in der vergangenen Woche freiwlllige Helfer zusammengetan. Um die Flüchtlnge vor Kälte zu schützen, bringen sie sie in einem Raum der BAhnhofsmission unter, bis der nächste Zug fährt. "Ich war geschockt, als ich gehört habe, dass auf dem Bahnhof die Menschen in der Ecke lagen, ohne Decke und kaum warm genug gekleidet", sagt die Autorin aus dem Kreis Lüneburg. "Und niemand hat ihnen geholfen." Also organisiert die 45-Jährige mit dem Arzt Ijos Bietzer seit vergangenem Wochenende NAcht für NAcht eine Betreuung.
In dem Raum, den sie abends aufschließne können, haben sie Isomatten und Decken ausgelegt, es gibt warme Getränke und Snacks. Wie viele Menschen in Uelzen eintreffen, wissen Sezgin und die Helfer vorher nie so genau. "Manchmal sind es nur drei, manchmal aber auch 15 oder 18 Menschen." Häufig seien auch Kinder dabei.
Auch in Göttingen verbringen reisende Flüchtlinge Nächte am Bahnhof. Deshalb arbeitet auch die dort ansässige Bahnhofsmission mit Freiwilligen an einer Nothilfe, nachdem die Deutsche Bahn an die Einrichtung herangetreten ist. "In etwa ein bis zwei Wochen können wir damit starten", sagt Matthias Schökel, der stellvertretende Leiter der Göttinger Bahnhofsmission.
Quelle: DRK Uelzen
HAZ vom 21.11.2015:
Gottesdienst gedenkt Obdachloser
(be). Am morgigen Ewigkeitssonntag erinnert ein Gottesdienst in der Marktkirche an die verstorbenen Wohnungslosen. Darin werden die Namen von 32 Männern und acht Frauen verlesen, für jeden Verstorbenen wird eine Kerze entzündet. Der Gottesdienst wird gestaltet von Stadtsuperintendent Hans-Martin Heinemann und Marktkirchenpastorin Hanna Kreisel-Liebermann, es musizieren die Kantorei St. Georg und das Bachorchester unter der Leitung von Jörg Straube. In Hannover leben etwa 450 Menschen auf der Straße, insgesamt 4000 leben ohne gesicherte Mietverhältnisse. Aufgrund ihrer prekären Lebensbedingungen sterben viele vor dem 60. Lebensjahr.
HAZ vom 16.11.2015, S. 9:
Kannte „Malutki“ seine Mörder
Toter Obdachloser: Fahnder nehmen zwei Verdächtige fest / Männer alarmierten damals Polizei
Von Jörn Kießler
Die Polizei hat zwei Männer festgenommen, die unter dem Verdacht stehen, einen obdachlosen Letten getötet zu haben. Anfang September war die Leiche des Mannes in einem Bothfelder Waldstück gefunden worden. Bei den beiden 35 und 36 Jahre alten Verdächtigen handelt es sich ebenfalls um Männer aus dem Obdachlosenmilieu. Sie sind zwei der drei Männer, die damals der Polizei den Hinweis auf den Toten gegeben hatten. Damals sagten sie aus, sie hätten ihren Bekannten leblos in der Barackensiedlung im Waldstück Große Heide gefunden. Die Polizei geht nach ihren weiteren Ermittlungen aber davon aus, dass sie es waren, die Aleksandrs B. töteten.
Quelle: Dillenberg
Der aus Riga stammende Mann, den man in der Obdachlosenszene auch unter den Namen „Malutki“ oder „Brox“ kannte, war am 7. September tot in einem selbst gebauten Lager entdeckt worden. Nach Erkenntnissen der Rechtsmediziner der Medizinischen Hochschule wurde er erschlagen. Sie führen seinen Tod auf „multiple Verletzungen, beigebracht durch stumpfe Gewalt“ zurück. Die Waffe, mit der dem Opfer die tödlichen Verletzungen zugefügt wurden, stellten die Ermittler der Mordkommission „Camp“ bei den Untersuchungen am Tatort sicher, wie jetzt bekannt wurde. An ihr entdeckten die Fahnder DNA-Spuren der beiden Verdächtigen.
Nachdem diese Spur durch Aussagen von Personen aus dem Obdachlosenmilieu erhärtet wurde, erließ das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft am Freitag Haftbefehl gegen die beiden Männer. Kurz darauf spielte der Zufall der Polizei in die Karten. Bei einer routinemäßigen Personenkontrolle der Bundespolizei am Hauptbahnhof nahmen Beamte gegen 17.35 Uhr den 36-jährigen Verdächtigen fest und brachten ihn auf die Wache. Wenig später erschien dort sein 35 Jahre alter Bekannter, um nach seinem Begleiter zu fragen. Daraufhin wurde auch er festgenommen.
Gegen sie ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft jetzt wegen des Verdachts des Totschlags. Sie befinden sich mittlerweile in Untersuchungshaft und wurden in eine Justizvollzugsanstalt gebracht. Welches Motiv die beiden Männer hatten, ihren Bekannten zu töten, ist bisher unklar. Bei ihrer Befragung im September schafften sie es aber offensichtlich, die Polizei davon zu überzeugen, dass sie nichts mit dem Tod des Letten zu tun hatten.
Da die Ermittler damals auch durch die intensive Spurensuche am Tatort keine konkreten Hinweise auf einen Täter hatten, bat die Polizei die Öffentlichkeit um Hilfe. Beamte verteilten Flyer mit dem Bild des getöteten 36-Jährigen. Zudem wurde eine Belohnung von 3000 Euro ausgesetzt, für Hinweise, die zur Ergreifung und Überführung der Täter führen.
HAZ vom 28.10.2015, S. 11:
Kabinett will Girokonto für alle beschließen
Chance für Obdachlose und Asylbewerber
Von Sebastian Raabe
Berlin. Banken sollen künftig niemanden mehr abweisen dürfen, der bei ihnen ein einfaches Girokonto auf Guthabenbasis eröffnen will. Von einem entsprechenden Gesetzesvorhaben, das das Bundeskabinett am heutigen Mittwoch beschließen will, profitieren vor allem Obdachlose sowie Asylbewerber und Ausländer, die mit einer Duldung in Deutschland leben. Sie wurden bisher häufig als Kunden abgelehnt, weil sie entweder keinen festen Wohnsitz oder aber keine Ausweispapiere vorlegen konnten. In Zukunft sollen sie trotzdem bei einer Bank ihrer Wahl ein Konto eröffnen können. Einzige Voraussetzung für die Einrichtung des sogenannten Basiskontos ist, dass sie sich legal in der Europäischen Union aufhalten.
Der Inhaber des Basiskontos erhält eine Bankkarte und darf Geld überweisen. Er kann aber nicht sein Konto überziehen. Seit 1995 gibt es für die Einrichtung sogenannter Jedermann-Konten in Deutschland eine Selbstverpflichtung der Banken. Die Bundesregierung war mit der Umsetzung der freiwilligen Maßnahme aber nicht zufrieden. Mit dem geplanten Gesetz zu den Regelungen für Girokonten werden zum Teil auch EU-Vorgaben umgesetzt.
Bei einigen Banken stößt das Gesetzesvorhaben auf wenig Begeisterung. Sie verweisen auf internationale Vorschriften zur Verhinderung von Geldwäsche, die eine eindeutige Identifizierung von Bankkunden verlangen. In Deutschland waren nach früheren Schätzungen rund 670 000 Menschen ohne Konto. Nach dem großen Flüchtlingsandrang in den vergangenen Monaten ist allerdings anzunehmen, dass die Zahl der „Kontolosen“ hierzulande inzwischen auf über eine Million gestiegen ist.
Die Bundesregierung will die Banken mit dem geplanten Gesetz auch zwingen, ihre Girokonto-Konditionen so zu veröffentlichen, dass es für die Verbraucher leichter wird, das günstigste Angebot zu finden. Internet-Seiten, auf denen die Konditionen verschiedener Geldinstitute verglichen werden, sollen zudem von staatlicher Seite ein Zertifikat erhalten, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen.
HAZ vom 20.10.2015, S. 6:
Obdachlose freuen sich über Hochzeitsbüfett
Trauung abgesagt – Mutter der Braut lädt Bedürftige ein
Von Carsten Bergmann
Sacramento. Es sollte eine Märchenhochzeit werden, es wurde ein Festmahl für die Obdachlosen im amerikanischen Sacramento. Weil der Bräutigam in letzter Minute kalte Füße bekam und die Trauung absagte, lud die Brautmutter kurzerhand die Bedürftigen in eines der nobelsten Hotels der Stadt ein.
Die prunkvolle Feier mit feinsten Speisen, Musik und Dekoration konnte so kurz vor dem großen Tag ohnehin nicht mehr storniert werden. Kostenpunkt: stolze 35 000 Dollar (30 000 Euro). Die Mutter der 27-jährigen Ex-Braut, Kari Duane, sagte dem Lokalsender KCRA, es wäre zu schade gewesen, „das bereits bezahlte Geld zum Fenster hinauszuwerfen“. Also wurden die 120 Hochzeitsgäste aus- und die Obdachlosen eingeladen. Ein Glücksfall für die Bedürftigen, die sich über feine Vorspeisen, saftige Steaks und Lachsfilets sowie süße Desserts freuten.
Via Twitter machten schnell einige Bilder die Runde, auf denen die Obdachlosen an den langen Tafeln bei Kerzenschein speisten und von den Angestellten des Citizen Hotels im Bankettsaal bedient wurden. „Es war ein Segen“, sagte einer der Obdachlosen dem TV-Sender. Ein anderer, der mit seiner Frau und seinen fünf Kindern zu dem Event kam, hatte Mitleid mit der Braut, bewunderte aber die Aktion. Seine Frau sagte: „Etwas so Wichtiges zu verlieren – und dann zugleich anderen so viel zu geben ist wirklich aufopferungsvoll und sehr gütig.“
Während Kari Duane die Gäste persönlich in Sacramento begrüßte, blieb die geprellte Braut mit Freunden zu Hause. Ihre Mutter sagte: „Ich fühle so sehr mit ihr, auch mein Herz ist gebrochen. Aber ich werde etwas sehr Positives aus der ganzen Sache mitnehmen.“ Die Flitterwochen ließen sich übrigens auch nicht stornieren. Daher reisen nun Tochter und Mutter gemeinsam nach Belize
HAZ vom 13.10.2015, S. 11:
Immer mehr Obdachlose campieren in Parks
Parkranger beklagen zunehmende Aggressivität in Konflikten / „Wollen nur noch zu zweit Streife laufen“
Von Andreas Schinkel
Auf den Grünflächen Hannovers campieren immer mehr Obdachlose. Dabei handelt es sich überwiegend um Zuwanderer aus Osteuropa. Das geht aus dem aktuellen Bericht der städtischen Parkranger hervor, der dem Umweltausschuss des Rates gestern vorgestellt wurde. Zudem kündigte der Leiter der Parkranger, Gøsta Liebelt, an, dass seine Kollegen künftig nur noch zu zweit Streife laufen werden. „Dann sind wir zwar weniger in den Parks präsent, aber es erhöht die Sicherheit meiner Mitarbeiter“, sagt er. Das ist offenbar notwendig: Immer häufiger schlage den Parkrangern Aggressivität entgegen, wenn sie etwa Hundehalter bitten, ihre Vierbeiner anzuleinen, oder Trinkergruppen auffordern, Spielplätze zu verlassen. „Die Polizei schmunzelt, wenn sie hört, dass wir bisher nur allein unterwegs waren“, sagt Liebelt. Im Grunde benötige er ingesamt 17 Kollegen, um mit Doppelstreifen das bisherige Einsatzgebiet abdecken zu können.
Derzeit sehen zehn Parkranger auf den Grünflächen Hannovers nach dem Rechten. Sie kümmern sich unter anderem um 500 Hektar Grünfläche, 150 Hektar Parkanlagen und 400 Spielplätze. Seit 1999 versehen die städtischen Ordnungskräfte ihren Dienst. Sie sollen die Bürger freundlich darauf hinweisen, dass auch im Grünen gewisse Regeln gelten.
„Leider scheint das vielen immer weniger bewusst zu sein“, sagt Liebelt. Mehrere Anzeigen wegen Beleidigung haben die Parkranger bereits aufgegeben. Auch zu Handgreiflichkeiten sei es schon gekommen, berichtet Liebelt. „Was meine Kollegen aus den vergangenen Jahren erzählen, ergibt ein erschreckendes Bild“, sagt er. Eigentlich soll der Auftritt der uniformierten Parkranger deeskalierend wirken. Aber manche Bürger schalten auf stur, wehren sich gegen Anweisungen und wollen ihre Personalien nicht angeben. „Dann schalten wir die Polizei ein“, sagt Liebelt.
Quelle: Stadt Hannover
Im Falle der Obdachlosenzelte auf Grünflächen müssen die Parkranger sensibel vorgehen. Nicht nur Sprachbarrieren führten zu Missverständnissen, sagt Liebelt. In manchen Kulturkreisen sei es weniger unüblich, im Freien zu nächtigen als hier in Deutschland. „Die Menschen fragen: ,Warum darf ich nicht mein Zelt aufbauen, ich störe doch niemanden?‘.“ Man müsse ihnen deutlich machen, dass das in Parks nicht erlaubt sei. Wie stark der Anstieg der Obdachlosen in Parks tatsächlich ist, lasse sich nicht beziffern, sagt der Leiter der Parkranger. Man führe darüber keine Statistik.
Bezifferbar ist aber eine Zunahme von Alkohol- und Drogenmissbrauch auf Spielplätzen. Haben die Parkranger im Jahr 2013 in 662 Fällen mit solchen „Missnutzern“ zu tun gehabt, sind es in 2014, dem Berichtsjahr, 727 – eine Steigerung um rund 10 Prozent. Die häufigsten Verstöße, die die Parkranger im vergangenen Jahr registrierten, waren falsch geparkte Fahrzeuge und Hunde, die nicht an der Leine geführt wurden.
HAZ vom 13.10.2015, S. 15:
Wenn die Rente nicht reicht
Ausstellung in Hannover beleuchtet Altersarmut
Von Jutta Rinas
Gerda V., 84 Jahre alt, hat ihr ganzes Leben lang gearbeitet: als selbständige Kioskbesitzerin. Agnes H., 76 Jahre, dagegen war Hausfrau und hat zwölf Kinder großgezogen. Alfred W. war lange Informatiker, bevor zwei Schlaganfälle ihn arbeitslos machten – und er abrutschte, bis in eine Notunterkunft.
Gemeinsam ist den Menschen auf den Fotos von Cynthia Rühmekorf in der Ausstellung „Arm, Ärmer, Alt“ im Freizeitheim Vahrenwald, dass sie im Alter verarmt sind. Zu wenig Lohn, das unbezahlte Hausfrauendasein, zu wenig Beiträge in die Rentenkasse – es gibt viele Gründe, im Alter plötzlich nicht mehr genug Geld zum Leben zu haben. In Hannover gelten 20 Prozent aller Bürger als armutsgefährdet, das heißt ihr Einkommen liegt unter der niedersächsischen Armutsschwelle von 900 Euro monatlich. 12 000 der über 60-Jährigen hier beziehen Grundsicherung. Tendenz steigend. Betont sachlich, schlicht, um ja „jede Mitleidsschiene zu vermeiden“, hat Rühmekorf ihre Porträts gehalten. Ganz kurz hat sie biografische Eckdaten dazu notiert. Alle Bilder sind in Schwarz-Weiß gehalten. Warum? „Das Leben dieser Menschen ist einfach oft farblos“, sagt Cynthia Rühmekorf dazu.
Bis 16. 10. im Freizeitheim Vahrenwald, vom 2. bis 6. 11. im Stadthaus Laatzen, vom 9. bis 13. 11. im Rathaus Langenhagen.
HAZ vom 09.10.2015, S. 12:
Obdachlose werden vergessen
Leserbrief von Christa Grüner, Hannover
"Ich möchte mich herzlich bedanken für den Kommentar "Langsam grummelt`s in der Stadt". Ich glaube, einen gesunden Menschenverstand kann man nicht in die „rechte Ecke“ stellen. Aber genau das ärgert mich. Keine Partei hat sich je der Obdachlosen angenommen. Für Flüchtlinge wird Wohnraum gezaubert. Ich werde keinen einzigen Cent für Flüchtlinge spenden, sondern es einem Obdachlosen für ein warmes Essen geben."
HAZ vom 29.09.2015, S. 15:
Musik und Artistik für Obdachlose
Die Ricarda und Udo Niedergerke Stiftung sammelt bei Benefizabend im GOP
Von Mathias Klein
Es war ein vergnüglicher Abend, der aber doch ganz im Zeichen der medizinischen Versorgung für Obdachlose und andere Menschen in Not in Hannover stand. Unter dem Motto „Wir lassen niemanden im Regen stehen“ hatte die Ricarda und Udo Niedergerke Stiftung für Montagabend zur Benefizveranstaltung in das GOP geladen.
Quelle: Behrens
Unter der Regie von Erwin Schütterle, dem langjährigen Chef der Kulturkneipe Kanapee, traten unter anderem Pianist Uli Schmid, Entertainer Robert Wicke, die Jongleure Frank & Frank sowie die Fünf mutigen Frauen auf. Durch den Abend führte Sängerin und Schauspielerin Alix Dudel. Die Begrüßung der Gäste, deren Eintrittspreis für diesen Abend vollständig an die Stiftung gegangen ist, hatten die Integrationsbeauftragte des Landes, Doris Schröder-Köpf und Oberbürgermeister Stefan Schostok übernommen.
„Wieder einmal scheinen Ricarda und Udo Niedergerke etwas im Namen ihres Anliegens zu einer Erfolgsgeschichte zu machen“, sagte Schostok. Das mache das Ehepaar jeweils mit so großem Erfolg, dass die Stiftung und die von ihr geförderten Projekte profitieren könnten. „Sie sorgen dafür, dass Obdachlose in Hannover nicht vergessen werden, während wir auch anderen, wie zurzeit den Flüchtlingen helfen“, betonte der Oberbürgermeister.
HAZ vom 24.09.2015, S. 17:
Nach der Hilfe ist vor der Hilfe
Bratwurst, Musik, ernste Worte: Eine kleine Feierstunde zum 30-jährigen Bestehen des Kontaktladens Mecki für Wohnungslose
Von Uwe Janssen
„Wir wollten eigentlich 30 Jahre Kontaktladen Mecki feiern“, sagt Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes mit Betonung auf „feiern“, doch das Feiern „ist uns ein bisschen im Halse stecken geblieben, weil die Situation so ist, wie sie ist“. Das Flüchtlingsthema beschäftige alle, trotzdem ist der Leiter des Diakonischen Werkes Hannover dankbar, dass man mit diesem Tag auch einen Akzent setzen könne, nach dem Motto: „Vergesst die Wohnungslosen nicht.“ Laut ist es um ihn herum.
Quelle: Janssen
Vor dem Laden unter dem niedrigen Durchgang zwischen Raschplatz und Pavillon haben sich ein paar Dutzend Menschen versammelt, viele Wohnungslose, aber auch Unterstützer des Sozialprojekts, aktive Helfer. Bürgermeister Thomas Hermann und Regionspräsident Hauke Jagau sprechen vor der kleinen Bühne kurze Grußworte. Ministerpräsident Stephan Weil hat kurzfristig abgesagt, er ist in Wolfsburg, wo später am Tag ein Vorstandsvorsitzender zurücktreten wird. „Aber er wäre sicher lieber hier“, mutmaßt Müller-Brandes und mag damit recht haben.
Es gibt Bratwurst und Musik, es gibt eine Protestballade von Steinkünstler Wilfried Behre, und es gibt viele warme, aber auch mahnende Worte über ein ernstes, manchmal todernstes Thema. Denn bei allen Verdiensten des Projektes hat die Sozialarbeit immer die aktuellen Probleme vor Augen. Niemand ruht sich auf Erfolgen aus, auch bei dieser kleinen Feierstunde nicht.
„Es gibt Anzeichen von Verelendung“, sagt der Pastor. Volle Wohnunterkünfte in der Stadt, volle stationäre Einrichtungen, Menschen, die in Wälder ziehen – ein System, das „mit einem Stau belegt“ sei. Rund 3000 Wohnungslose gibt es in Hannover, vermehrt aus Russland und dem Baltikum. Mehrere Hundert schlafen im Freien.
Der Mecki-Kontaktladen in Trägerschaft des Diakonischen Werks ist für viele Wohnungslose ein Anker. Bis zu 120 kommen täglich nach einer draußen verbrachten Nacht, anfangs, vor 30 Jahren, waren es gerade 20. Der kleine, schmucklose, neonbeleuchtete Raum mit der Kaffeetheke, in dem an diesem Tag trotz des Feiertrubels einige Menschen schlafen, ist aber auch eine erste Anlaufstelle, um, wie es Insa Becker-Wook vom Stadtkirchenverband formuliert, „das Hilfesystem kennenzulernen“ – und Wege, eine feste Bleibe zu suchen und vielleicht zu finden. Neben Kleidung, Kaffee und vor allem ärztlicher Erstversorgung vor Ort.
Gerade in der medizinischen Hilfe des Mecki-Ladens hapert es. 80 000 Euro, finanziert aus Spenden, sind da, das sind rund 35 000 Euro zu wenig. Mittlerweile sind fast 60 Prozent der Wohnungslosen nicht krankenversichert. „Für die fühlt sich niemand zuständig, aber wir können die nicht wegschicken“, sagt Müller-Brandes.
Akute Fälle würden stationär behandelt, fügt Sozialarbeiter Joachim Teuber hinzu, mit chronischen Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes sehe das anders aus. Teuber hat viel Elend erlebt und gesehen in den zurückliegenden Jahren, bekommt aber auch ab und zu gute Nachrichten. Zum 30-Jährigen hat er einige alte Bekannte begrüßt, die mittlerweile Wohnungen oder Jobs gefunden haben und einfach zum Jubiläum vorbeigekommen sind. Aber „häufig erfahren wir nichts“.
Und so bleibt auch bei Jubiläum, Bratwurst und Musik der Blick nach vorn. Der Winter kommt. Merkblätter für das „Winternotprogramm“ werden verteilt. Mit Ratschlägen, wie man Obdachlosen in bedenklichen Situationen bei Minustemperaturen schnell und effektiv helfen kann.
Die Arbeit, auch das wird bei dieser kleinen Feier klar, fängt gerade erst wieder an.
HAZ vom 22.09.2015, S. 14:
Immer mehr Patienten brauchen ehrenamtliche Hilfe
Zahlreiche Künstler sammeln Geld für die Straßenambulanz
Von Martina Sulner
„Mehr Patienten, mehr Nichtversicherte, mehr Ältere“: So sieht laut Annelie Heidenreich die Entwicklung bei der Straßenambulanz aus. Seit 2006 arbeitet die Ärztin ehrenamtlich in diesem Caritas-Projekt. Rund 2500 Menschen haben im vergangenen Jahr dort Hilfe gesucht. Nicht mehr nur Obdachlose wenden sich an die Ambulanz, sondern zunehmend auch Migranten und ältere Menschen, die unter Armut leiden. Das sagten Mitarbeiter der Caritas, die gestern die Zahlen zur Straßenambulanz vorstellten. Höchstwahrscheinlich, so hieß es, werde der Bedarf weiter steigen: durch die Flüchtlingsströme, durch Migranten von den Rändern Europas, die ohne Krankenversicherung ankommen, durch Menschen, die in der Illegalität leben.
Um die Ambulanz weiterführen zu können, seien Ehrenamtliche – durchaus auch Ärzte – und Geld nötig, hieß es gestern. Geld wird am kommenden Montag dazukommen: Bei einem Benefizabend im GOP, bei dem etwa Comedian Robert Wicke, Clown Monsieur Momo und Diseuse Alix Dudel auftreten, wird der Erlös an die Ricarda und Udo Niedergerke Stiftung gehen, die die medizinische Versorgung Wohnungsloser unterstützt. Die Stiftung will laut Udo Niedergerke etwas gegen soziale Kälte unternehmen und den Menschen ihre Würde wiedergeben.
Für den GOP-Abend gibt es nur noch wenige Restkarten.
Quelle: Wilde
HAZ vom 18.09.2015, S. 8:
Rolle als Bettler geht Richard Gere an die Nieren
Richard Gere (66) hat mit einem ungewöhnlichen Experiment für Aufruhr gesorgt. Eigentlich kennt die Welt seit vier Jahrzehnten das Gesicht der Hollywoodstars. Doch kein Mensch auf den Straßen von New York nahm von Richard Gere auch nur Notiz, als er mehrere Stunden lang auf einem Bürgersteig saß. Der 66-Jährige trug zerlumpte Kleidung und eine Wollmütze und bettelte die Leute um ein paar Cents an. Es war ein Experiment für seinen neuen Film, brachte aber auch eine echte Erkenntnis: „Ich war wie unsichtbar für die Leute. Und für wirklich niemanden ist es ausgeschlossen, durch unvorhergesehene Umstände auf der Straße zu landen.“
NP vom 16.09.2015, S. 13:
Mord in Bothfeld lässt viele Obdachlose kalt
Polizei sucht Zeugen - bislang mit wenig Erfolg
Von Britta Mahrholz
HANNOVER. In der Obdachlosenszene am Hauptbahnhof läuft das Leben, als sei nichts passiert. Der Mord an Aleksandrs B. (36) in einem Waldstück in Bothfeld vor eineinhalb Wochen (NP berichtete) interessiert dort niemanden. „Das ist hier eine ganz alltägliche Sonntagsnachricht“, sagt Alf (50), den alle Nichtsesshaften am Raschplatz „das Urgestein vom Bahnhof“ nennen. „Es ist zwar traurig“, so der 50-Jährige, „ aber die Leute haben hier ganz andere Sorgen.“
In der Hoffnung, im Milieu neue Hinweise auf denjenigen zu bekommen, der den Letten eiskalt erschlug, verteilte die Polizei gestern neue Zeugenaufrufe am Hauptbahnhof. Immerhin gibt es seit Montag 3.000 Euro Belohnung für den Tipp, der zur Ergreifung des Mörders führt. Polizist Dimitri Matwejew-Vutto hängte gestern neue Plakate aus und sprach auch mit einigen Tippelbrüdern. Er kann Russisch und sich so mit der osteuropäischen Fraktion im Bahnhof gut verständigen.
Quelle: Dillenberg
Viele haben den Toten irgendwie gekannt. Kennen bedeutet in der Obdachlosenszene allerdings nicht viel – maximal, dass einem das Gesicht des Toten bekannt vorkommt. Auch Alf war der Lette im Bahnhof aufgefallen: „Er war ein- oder zweimal hier“, so der gebürtige Kölner, der selbst seit 18 Jahre auf der Straße lebt. Mehrere Obdachlose berichten, dass der 36-Jährige häufiger mit Polen im Milieu zusammengehockt habe.
Die brennenden Fragen in dem Mordfall, wer B. zwischen Sonntag und Montag, 5. und 6. September, noch gesehen hat, mit wem er Kontakt hatte und wer ihn begleitete, kann am Hauptbahnhof wahrscheinlich niemand beantworten. Oder will es nicht. Die Aufklärung des Tötungsdelikts ist für die Mordkommission „Camp“ nicht gerade ein leichtes Unterfangen.
Inzwischen liegt auch das letzte Ergebnis der Obduktion von B. vor. Danach steht fest, dass der Osteuropäer unter Alkohol stand, als er im Wald an der Burgwedeler Straße zu Tode geprügelt wurde. Wer Hinweise im Mordfall Aleksandrs B. geben kann, sollte sich mit der Polizei unter Telefon 0511/1095555 in Verbindung setzen.
HAZ vom 10.09.2015, S. 4:
Mord im Trinker-Milieu: 35-Jähriger steht vor Gericht
Braunschweig. Ein Mord nach einem Zechgelage und zwei Mordversuche im Kreis Wolfenbüttel werden einem 35-Jährigen vor dem Landgericht Braunschweig zur Last gelegt. Dort hat am Mittwoch der Prozess gegen den Mann begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, im Januar einem Zechkumpanen in Cremlingen mit einem Küchenmesser die Kehle durchgeschnitten und einen weiteren Mann lebensgefährlich verletzt zu haben. Rund sechs Wochen später soll er laut Anklage erfolglos versucht haben, einen 77 Jahre alten Nachbarn zu töten. Bislang stritt der Beschuldigte die Vorwürfe ab. Auch das Motiv für die beiden Taten ist unklar. Sie spielten sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft im Trinker-Milieu ab.
HAZ vom 09.09.2015, S. 14:
Obdachloser Lette aus Bothfeld wurde erschlagen
Ermittler haben noch keine heiße Spur / Zahl der Tötungsdelikte schon jetzt höher als 2014
Von Tobias Morchner
Der 36-jährige Obdachlose, der am Montagnachmittag tot in einem Wald in Bothfeld gefunden wurde, ist erschlagen worden. Das ist das Untersuchungsergebnis der Rechtsmediziner der MHH. Demnach starb das Opfer an „multiplen Verletzungen, beigebracht durch stumpfe Gewalt“. Unklar ist weiterhin, wer dem aus Riga stammenden Mann die tödlichen Verletzungen beigebracht hat.
Die Leiche des Letten war am Montag gegen 16.20 Uhr in einer Barackensiedlung im Waldstück Große Heide, das sich zwischen der Burgwedeler Straße und der Straße An den Hilligenwöhren erstreckt, gefunden worden. Drei Bekannte des 36-Jährigen im Alter zwischen 20 und 36 Jahren hatten den leblosen Körper in dem Lager entdeckt und die Polizei verständigt. Der Notarzt konnte vor Ort nur noch den Tod des Mannes feststellen. Bislang kennen die Mordermittler weder das Motiv noch haben sie eine heiße Spur. Unklar ist auch, ob die drei Männer, die den Toten entdeckt haben, ebenfalls in den Baracken einen Unterschlupf gefunden hatten oder nicht.
Die illegalen Unterkünfte im Waldstück sind dem Bezirksrat schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Nach Angaben des Bezirksbürgermeisters Harry Grunenberg (SPD) bemühen sich die Verantwortlichen schon lange darum, dass die Baracken abgerissen werden. „Im Sommer wohnen dort regelmäßig zwei bis drei Menschen, meist kommen sie aus Osteuropa“, sagt Grunenberg. Doch eine zerstrittene Erbengemeinschaft, die sich um das Gelände nach dem Tod des Besitzers kümmern sollte, machte die Pläne lange Zeit immer wieder zunichte. Erst vor Kurzem kaufte die Stadt das Grundstück der Erbengemeinschaft ab. „Im September sollten die illegalen Bebauungen eigentlich entfernt werden“, sagt Bothfelds Bezirksbürgermeister.
Das Gewaltverbrechen an dem 36-Jährigen gilt in der Statistik der Polizeidirektion in diesem Jahr als das neunte vollendete Tötungsdelikt. Damit liegt die Zahl bereits jetzt höher als die Gesamtzahl der Tötungsdelikte im Jahr 2014. Damals war die Kripo mit der Aufklärung von insgesamt acht Morden befasst. Seit 2007 war die Anzahl der Tötungsdelikte in der Landeshauptstadt nicht mehr so hoch wie in den ersten gut acht Monaten im Jahr 2015. Vom Höchststand 2007 mit insgesamt 14 Taten pendelten sich die Zahlen in den darauffolgenden Jahren zwischen sieben und acht ein. 2012 verzeichnete die Behörde mit nur vier Morden einen Tiefstand. Seitdem steigt die Zahl der Tötungsdelikte wieder kontinuierlich an.
Im aktuellen Fall sucht die Kripo Zeugen, die in dem Waldstück verdächtige Beobachtungen gemacht haben. An dem Gelände führt ein bei Hundebesitzern und Spaziergängern beliebter Pfad vorbei. Hinweise an den Kriminaldauerdienst unter Telefon (05 11) 1 09 55 55.
HAZ vom 08.09.2015, S. 11:
36-Jähriger tot in Bothfeld gefunden
Obdachloser Lette hatte sich Baracke im Wald gebaut
Von Tobias Morchner
In einem Waldstück in Bothfeld ist am Montagnachmittag die Leiche eines 36- Jährigen Mannes entdeckt worden. Wie die Polizei mitteilt, sind die Umstände des Todes des aus Riga stammenden Mannes bislang vollkommen unklar. Näheres soll eine Obduktion der Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule klären, die noch in der Nacht vorgenommen wurde.
Der 36-Jährige war offenbar ohne festen Wohnsitz. In dem Waldstück an der Burgwedeler Straße in der Nähe eines Edeka-Marktes hatten sich mehrere Obdachlose Baracken als Unterschlupf gebaut. Ein Bekannter des Letten fand den leblosen Körper des Mannes gegen 16 Uhr in einer dieser Baracken und verständigte die Polizei. Bis in die Nacht hinein suchten die Ermittler das Gelände, zu dem nur ein schmaler Feldweg führt, nach Spuren ab. Dazu leuchteten sie das Gelände aus und legten einen Trampelpfad zu den Behausungen der Obdachlosen an. Anschließend deckten sie den Fundort der Leiche mit Planen ab, um das Gelände gegen Witterungseinflüsse zu schützen.
Das Gelände soll heute Morgen weiter untersucht werden, wenn das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung vorliegt. „Bislang können wir weder einen Unfall, noch einen Suizid, noch ein Tötungsdelikt ausschließen“, sagt Polizeisprecherin Martina Stern.
HAZ vom 26.08.2015, S. 5:
Junge Heimatlose suchen Schutz in Niedersachsen
Die Diakonie warnt vor Überforderung
Von Gabi Stief
Sie verlassen ihre Familien in Syrien, Eritrea oder Ghana, und ihr Ziel ist immer häufiger Deutschland: Die Zahl der Flüchtlinge unter 18, die ohne Eltern nach Deutschland kommen, steigt rasant. Bislang stranden die meisten bei den Jugendämtern in Bayern. Im nächsten Jahr wird sich dies ändern. Ein Gesetzentwurf sieht vor, dass die jungen Flüchtlinge künftig wie Asylbewerber auf alle Bundesländer nach festen Quoten verteilt werden. Die Diakonie fürchtet, dass viele Landkreise in Niedersachsen überfordert sein werden. „Die wenigsten sind auf die Aufgabe vorbereitet, die von den Mitarbeitern spezielle Kompetenzen verlangt“, warnt Christoph Künkel, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen.
2014 kamen rund 18 000 sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) nach Deutschland; in den ersten fünf Monaten dieses Jahres waren es bereits 22 092. Etwa jeder zweite wird in Bayern betreut, während sich in Niedersachsen gerade einmal 678 aufhalten, fast ausschließlich in Hannover, Osnabrück und Göttingen. 90 Prozent sind Männer.
In der Regel werden die Jugendlichen von der Bundespolizei aus der Bahn geholt und den örtlichen Behörden übergeben, weil sie ohne Fahrkarte reisen. Manchmal werden sie auch von Schleusern direkt vor den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber abgesetzt.
Dort können sie jedoch nicht bleiben, denn solange die alleinreisenden Jugendlichen unter 18 sind, ist nicht die Ausländerbehörde, sondern das Jugendamt zuständig. Anstelle eines Asylverfahrens sieht das Gesetz eine sogenannte Inobhutnahme der Flüchtlinge vor. Nach der Meldung ans Landesjugendamt verbringen sie etwa drei Monate in Clearinggruppen, in denen geklärt wird, woher sie kommen, ob es Verwandte in Deutschland gibt und wie stark sie unter traumatischen Erlebnissen leiden.
Anschließend wird über die künftige Unterbringung entschieden. Nach Ansicht von Diakonie-Vorstand Künkel haben sich vor allem therapeutische Jugendhilfeeinrichtungen bewährt, in denen ausländische und deutsche Jugendliche gemeinsam in kleinen Wohngruppen betreut werden. Die Diakonie Deutschland arbeitet zudem an einem Konzept zur Vermittlung der minderjährigen Flüchtlinge in Familien. Eine weitere Alternative, die derzeit in Hamburg getestet wird, ist die Unterbringung in studentischen Wohngemeinschaften, die regelmäßig von Sozialarbeitern besucht werden.
Heiner Dirks, Geschäftsführer der Evangelischen Jugendhilfe in Osnabrück, ist überzeugt, dass viele Landkreise noch gar nicht ahnen, was auf sie zukommt, wenn sie im nächsten Jahr junge Flüchtlinge aufnehmen müssen. Nicht nur Dolmetscher, die auch seltene Sprachen wie Eritreisch übersetzen können, werden gebraucht. Notwendig seien geschulte Sozialtherapeuten und Mitarbeiter, die über den kulturellen Hintergrund der jeweiligen Herkunftsländer informiert sind.
Ein weiteres Problem ist die Finanzierung. Während ein Asylbewerber mit etwa 10 000 Euro im Jahr zu Buche schlägt, schätzt Dirks die Kosten für die Begleitung eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings auf bis zu 6000 Euro im Monat.
HAZ vom 17.08.2015, S. 7:
Obdachloser wird von Lkw überrollt
50-Jähriger stirbt noch an der Unfallstelle
Von Jörn Kiessler
Bei einem tragischen Verkehrsunfall in der List ist in der Nacht zu Sonnabend ein Obdachloser ums Leben gekommen, als er von einem Lastwagen überrollt wurde. Sein 46 Jahre alter Begleiter bleib unverletzt. Die Polizei ermittelt gegen den Fahrer des Lastwagens wegen fahrlässiger Tötung bei einem Verkehrsunfall.
Quelle: Dillenberg
Nach Informationen der Polizei kam es gegen 2.45 Uhr zu dem Unglück, als der 23 Jahre alte Fahrer in die Einfahrt des Netto-Supermarktes an der Kriegerstraße fuhr. Dort hatten sich zuvor die beiden Obdachlosen einen Schlafplatz gesucht und waren durch den Lärm des Lkw wach geworden. Nach ersten Erkenntnissen der Polizei wollte der 50-Jährige einen Einkaufswagen mit seinem Hab und Gut in Sicherheit bringen, als sich der Lastwagen diesem näherte. Das übersah offensichtlich der Fahrer des Zwölftonners und prallte mit seinem Fahrzeug gegen den Obdachlosen, der durch den Zusammenstoß zu Boden gerissen wurde. Daraufhin rollte der Lastwagen über den 50-Jährigen hinweg und verletzte ihn schwer. Die alarmierten Rettungskräfte konnten dem Unfallopfer nicht mehr helfen, es starb noch am Ort des Geschehens in der Einfahrt des Discounters.
Um den genauen Ablauf des Unfalls rekonstruieren zu können, bittet die Polizei Zeugen, die das Unglück vor dem Supermarkt beobachtet haben und dazu Hinweise geben können, sich mit dem Verkehrsunfalldienst Hannover unter der Telefonnummer (05 11) 1 09 18 88 in Verbindung zu setzen.
HAZ vom 14.08.2015, S. 8:
Keine Burger für Obdachlose bei McDonald’s
Hyères. Ein Burger für französische Obdachlose ist ein Fall für die Zentrale des Fast-Food-Riesen McDonald’s geworden. Mit der Weitergabe seiner eigenen Ration soll ein Angestellter in Hyères einen Streit zwischen zwei Obdachlosen geschlichtet haben. Die Leitung der Filiale untersagte den Angestellten daraufhin per Aushang im Restaurant, Fast-Food an Clochards weiterzugeben. „McDonald’s ist nicht dazu berufen, alle Hungernden der Gegend zu ernähren“, hieß es auf dem Zettel. Mögliche Sanktionen für Mitarbeiter: Rauswurf. Als der Aushang über Twitter verbreitet wurde, reagierte die Zentrale: Es sei „in keiner Weise“ Vorgabe des Konzerns, die Bedienung von Obdachlosen zu verweigern. Ob die Burger nun doch geteilt werden dürfen, blieb jedoch unbeantwortet.
HAZ vom 08.08.2015, S. 8:
Arm im Aussteigerparadies
Neben Luxus-Hotels entstehen auf Mallorca Slums – der soziale Abstieg trifft vor allem die Mittelklasse
Von Emilio Rappold
Palma de Mallorca. „Mücke“ schaut sich um, blinzelt in die Sonne und sagt dann resignierend: „Jau, die Konkurrenz wird hier von Woche zu Woche größer.“ Mit „Konkurrenz“ meint der 58-jährige Aussteiger aus dem Ruhrgebiet die anderen Obdachlosen und Bettler, die an diesem schwülen Sommervormittag auf der Plaça d’Espanya im Zentrum von Palma de Mallorca wieder plötzlich von überall auftauchen. Sie sitzen oder irren umher, halten Passanten häufig einen Spendenbecher oder einfach nur die leere Hand hin. Im Schatten der neuen Fünf-Sterne-Hotels und dennoch sichtbar: Trotz des Aufschwungs in ganz Spanien nimmt die Armut auf Mallorca und den gesamten Balearen zu.
Quelle: BILD
Nach Schätzung des Roten Kreuzes ist die Zahl der Wohnungslosen allein in Palma von einigen Dutzend zu Krisenbeginn im Jahr 2008 auf mindestens 1100 im vergangenen Jahr geklettert. „Man muss mit dem Vorurteil aufräumen, dass alle Obdachlosen Säufer oder Drogenabhängige sind“, sagt Tomeu Miralles, der als Mitarbeiter der Noteinheiten des Roten Kreuzes genau weiß, wovon er spricht. Sehr viele seien Opfer der Krise. Das „Drama“ der Armut, wie die Regionalzeitung „Última Hora“ jüngst schrieb, beschränkt sich nicht auf die Wohnungslosen. „Früher sind vorwiegend sogenannte gescheiterte Existenzen zu uns gekommen, auch viele ärmere Einwanderer aus Afrika oder Lateinamerika. Inzwischen sind unter den Hilfssuchenden die Vertreter der sozial abgestürzten Mittelklasse in der Mehrheit“, sagt die Präsidentin der Hilfsorganisation „Club Elsa“, Rafi Córdoba. 2014 habe man rund 3600 zum Teil gut ausgebildete Menschen unter anderem mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten, aber auch durch Zahlung von Mieten oder Rechnungen unter die Arme gegriffen, erzählt sie stolz. Der Wert der Hilfe: mehr als 85 000 Euro. Wie „Club Elsa“ gibt es in Palma viele andere private und öffentliche Hilfsstellen. Es gibt zahlreiche Suppenküchen. „Aber wir sind trotzdem total überfordert. Die Zahl der Notleidenden wird immer größer“, stöhnt Señora Córdoba, während sie mit ihren vorwiegend älteren Mitstreiterinnen des „Club Elsa“ Kleidungsspenden sortiert.
Ein ziemlich präzises Bild der schlimmen Situation lieferte im Sommer die Caritas. Das Armutsproblem sei auf Mallorca „so chronisch geworden wie nie zuvor“, klagte das katholische Hilfswerk. Die Zahl der Menschen, denen man geholfen habe, sei 2014 allein in Palma im Vergleich zum Vorjahr um 26 Prozent auf 4229 gestiegen. Laut Caritas sind auf den Balearen insgesamt mehr als 300 000 Menschen – fast ein Drittel der Bevölkerung also – von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Diese Menschen könnten die laufenden Wohnungskosten wie Miete, Wasser oder Strom nicht mehr bezahlen. 3,7 Prozent aller Inselbewohner leiden demnach sogar unter Hunger. Die Caritas stellte auch fest, dass die „Substandard-Wohnplätze“ immer mehr würden: Slums und Mini-Slums.
„Die (konservative) Regierung in Madrid sagt, dass die Krise vorbei sei. Von wegen!“, schimpft Caritas-Sprecher Llorenç Riera. Die langen Schlangen bei der Ausgabe von kleinen belegten Brötchen vor dem Kloster des Kapuzinerordens unweit der Plaça d’Espanya tue „in den Augen und im Herzen weh“.
Auch der Magen von „Mücke“ knurrt häufig. Der abgemagerte Mann sagt: „Hömma: Noch vor einem Jahr habe ich in Mülleimern Essen in gutem Zustand gefunden. Das gibt’s nicht mehr, die Konkurrenz halt. Jetzt muss ich mit den Gaben der Passanten auskommen, oft reichen die paar Münzen gerade, um mir eine Stange Brot zu kaufen.“
HAZ vom 23.07.2015, S. 15:
„Die Situation ist unerträglich geworden“
Im Kontaktladen Mecki werden Obdachlose medizinisch versorgt – doch jetzt ist die Finanzierung des Projekts nicht mehr sicher
Von Simon Benne
Die medizinische Versorgung von Wohnungslosen wird immer schwieriger. Jetzt schlägt der Kontaktladen Mecki, der Obdachlosen ärztliche Hilfe anbietet, Alarm: „Mittlerweile ist die Situation unerträglich geworden“, sagt Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes. Grund für die Misere ist der anhaltende Zustrom von Bedürftigen aus Osteuropa – und eine vergleichsweise kleine Finanzierungslücke: „Für das Jahr 2016 erwarten wir ein Defizit von mindestens 23 000 Euro“, sagt Nadine Haandrikman-Lampen, Leiterin der Sozialen Beratungsstelle für Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten.
Im Kontaktladen Mecki versorgt eine Krankenschwester täglich Obdachlose, sie wechselt Verbände oder verarztet kleine Wunden. Zweimal wöchentlich gibt es dort zudem ärztliche Sprechstunden. Für viele der rund 3000 in Hannover lebenden Obdachlosen ist dieses Angebot die einzige Möglichkeit, eine medizinische Grundversorgung zu bekommen: Rund 3200 Behandlungen werden in dem mittlerweile viel zu kleinen Kontaktladen unterhalb der Raschplatz-Hochstraße Jahr für Jahr durchgeführt.
Quelle: Schaarschmidt
Seit zwei Jahren nehmen nun verstärkt Osteuropäer das Angebot in Anspruch: „Allein im vergangenen Jahr haben rund 600 Personen zusätzlich zu den bisherigen medizinische Hilfe bekommen“, sagt Müller-Brandes. Das Problem dabei: Der Versicherungsstatus der Polen, Letten oder Rumänen ist oft nur schwer zu klären. Auch bei wohnungslosen Deutschen ist es oft sehr aufwendig herauszufinden, welche Krankenkasse für sie zuständig ist. Immer häufiger muss daher die Diakonie für die Behandlung selbst aufkommen – in manchen Monaten muss sie die Kosten für mehr als 90 Prozent der Behandlungen übernehmen.
„Seit Jahren verhandeln wir mit den Krankenkassen“, sagt Haandrikman-Lampen: „Wir wollen erreichen, dass wir eine Pro-Kopf-Pauschale für alle Behandlungen bekommen.“ Bislang blieben die Gespräche jedoch erfolglos.
Inzwischen ist die Finanzierung des medizinischen Angebots nicht mehr gesichert: In den vergangenen Jahren hatte der Landesverband des Diakonischen Werks mit jeweils 20 000 Euro einen großen Teil des Projekts finanziert, das jährlich mit rund 61 000 Euro zu Buche schlägt. Diese Förderung läuft jetzt aus. „Wir sind auf finanzielle Hilfe angewiesen“, sagt Haandrikman-Lampen. Das Landessozialamt und die Region beteiligten sich zwar mit jeweils rund 10 000 Euro an dem Projekt, und dazu kommen regelmäßige Spenden: „Doch diese decken den Bedarf bei Weitem nicht mehr.“ Im kommenden Jahr gebe es ein Defizit von mindestens 23 000 Euro.
Dazu kommt, dass der Bedarf steigt: Immer mehr Menschen nehmen die medizinische Versorgung im Kontaktladen Mecki in Anspruch. Der nur etwa zehn Quadratmeter große Behandlungsraum sei im Grunde längst zu klein, sagt Müller-Brandes: „Wir bräuchten dringend größere Räume.“
Ähnliche Probleme hat, wie berichtet, die Malteser Migranten Medizin, die unter dem Dach der Caritas ebenfalls Flüchtlingen ohne Krankenversicherungsschutz und Illegalen, darunter viele Rumänen, Bulgaren und Frauen aus Ghana, eine kostenlose ärztliche Behandlung anbietet. Da die Patientenzahlen und damit die Kosten rapide gestiegen sind, zahlen die Malteser mittlerweile nicht mehr für Geburten in einer der städtischen Kliniken.
HAZ vom 23.07.2015, S. 1:
Die Pfand-Pflicht
Flaschensammler sind meistens akkurate, pflichtbewusste und disziplinierte Arbeiter
Von Dirk Schmaler
Sie wühlen im Müll, sind mit tütenbehangenen Fahrrädern auf den Straßen unterwegs und sammeln leere Bierflaschen. Pfandsammler gehören vor allem in größeren Städten seit Jahren zum Straßenbild – die Ergebnisse einer neuen Studie des Armutsforschers Alban Knecht dürften dennoch manchen verblüffen. Demnach sind die Flaschensammer in der Mehrzahl nicht etwa Obdachlose oder Alkoholkranke, sondern im Allgemeinen überaus pflichtbewusste, geradezu pedantische Arbeiter.
Quelle: dpa
Der typische Flaschensammler ist der Studie zufolge männlich, über 55 Jahre alt und hat neben den Pfandeinnahmen noch ein anderes Einkommen – meistens eine kleine Rente, eine Frührente oder auch Hartz-IV-Bezüge. Flaschensammeln ist für ihn ein Zuverdienst, etwa weil die Rente zu gering ist. „Pfandsammler arbeiten in der Regeln fünf oder sechs Tage die Woche, viele erlegen sich einen akkuraten Achtstundentag auf“, erklärt Knecht, der mit Studenten der Hochschule München Flaschensammler systematisch befragt hat.
Die Befragungen hätten gezeigt, dass viele Pfandsammler in der Nachkriegszeit groß geworden sind und Werte wie Sparsamkeit und Disziplin wichtig finden. „Das Geld liegt auf der Straße, das kann man doch nicht liegen lassen“, erklärten Befragte ihr Arbeitsethos. Die meisten bezeichnen das Flaschensammeln als ihre Arbeit, rechnen ihre Erlöse jeden Abend penibel zusammen und führen Buch darüber. Knecht zufolge liegen sie pro Tag bei etwa 3 bis 6 Euro, an guten Tagen auch mal bei 10 Euro. Nur bei Großveranstaltungen wie etwa Fußball-Bundesligaspielen können die Sammler ein Vielfaches verdienen. Nicht wenige Flaschensammler schafften den Sprung vom Flaschensammeln in einen 400-Euro-Job, sagt Knecht.
Die Reaktionen auf die Pfandsammler seien in der Bevölkerung unterschiedlich. Sie erführen durchaus Diskriminierung, erklärt Knecht. Zahlreiche Menschen allerdings reagierten auch sehr positiv. Sammler berichteten von spontanen Spenden. Auch ihr Beitrag zum Umweltschutz werde gelobt. Pfandringe oder das Abstellen von leeren Flaschen neben dem Mülleimer kommen bei den Profi-Sammlern laut Knecht nicht gut an, weil dies das Geschäft beeinträchtigt. „Dann kann die Flaschen ja jede Hausfrau mitnehmen“, erklärten die Profis.
HAZ vom 16.06.2015, S. 14:
„Neue Wohnungsnot sorgt für Sprengstoff“
Anhörung im Sozialausschuss: Sozialverbände fordern neue preiswerte Wohnungen
Von Gabi Stief
Sozialverbände und Obdachloseninitiativen schlagen Alarm. „Die Wohnungsnot birgt sozialen Sprengstoff“, warnte Rainer Müller-Brandes, Vorsitzender des Diakonischen Werks Hannover, gestern anlässlich einer Anhörung im Sozialausschuss. Mehr als 1000 Menschen warteten in den Obdachlosenunterkünften mittlerweile über Jahre vergeblich auf den Umzug in eine eigene Wohnung. Dabei erlebten Wohnungslose, dass es eine Hierarchie der Hilfebedürftigen gebe und für Flüchtlinge Hilfe da sei. „Sie fragen sich, warum die?“ Weitere Redner forderten die Stadt auf, Grundstücke bereitzustellen, den Bau preiswerter Wohnungen zu fördern und in Neubauprojekten wie der Wasserstadt Limmer Wohnungen für Wohnungslose zu reservieren.
Christian Katterle, Geschäftsführer der Jugendwerksiedlung in Misburg, schloss mögliche Klagen Hilfebedürftiger nicht aus. Laut Gesetz seien alle Einrichtungen für Obdachlose in der Stadt Übergangswohnheime. Doch das Ziel – die Vermittlung einer eigenen Wohnung – sei seit drei Jahren kaum noch umsetzbar. Gerade einmal sieben Umzüge registrierte die Jugendwerksiedlung, eine von fünf Einrichtungen, im vergangenen Jahr; 2008 waren es noch 22. Werkheim-Geschäftsführer Andreas Sonnenberg berichtete, dass einige Familien mit ihren Kindern bis zu zehn Jahren in der Obdachlosenunterkunft lebten.
Harald Bremer, Chef des Karl-Lemmermann-Hauses, eines weiteren sozialpädagogisch betreuten Wohnprojekts, teilte die Befürchtung der Diakonie, dass das Aufeinandertreffen von Zuwanderern, Flüchtlingen und hiesigen Wohnungslosen für „Sprengstoff“ sorge. Die „Bedarfsgruppen“ empfänden sich zunehmend als Konkurrenten.
Jürgen Schabram, Geschäftsführer des gemeinnützigen Unternehmens „Soziale Wohnungsraumhilfe“, warb für sein Geschäftsmodell, das Vermietern die Angst vor Problemmietern nehmen will. Schabrams Firma bietet als „sozialer Hausverwalter“ dem Wohnungseigentümer nicht nur technische Dienste und die Übernahme des Leerstandsrisikos an, sondern auch die Betreuung der Mieter durch Sozialarbeiter. Mittlerweile verwaltet das Unternehmen 179 Wohnungen in 17 Häusern im Stadtgebiet, für Privatunternehmen wie Gundlach oder Kirchengemeinden.
Auch die Vertreter der Wohnungsunternehmen durften gestern ihre Wünsche äußern. Rainer Beckmann von Haus & Grundeigentum beklagte, dass Investoren durch überzogene Auflagen der Bauverwaltung abgeschreckt würden. Die Deutsche Annington Immobilien, Eigentümerin von 1325 Wohnungen mit Belegrechten, unter anderem auf dem Mühlenberg, dämpfte Hoffnungen auf Neubaupläne. Angesichts der anstehenden Fusion mit der Gagfah sei dies erst mittelfristig möglich. Die GBH erinnerte daran, dass sie in den nächsten fünf Jahren 1500 Wohnungen bauen werde. Eine höhere Landesförderung sei allerdings nötig, da die Töpfe bereits leer seien, sagte Geschäftsführer Karsten Klaus.
HAZ vom 15.06.2015, S. 8:
Konto für jedermann kommt 2016
Berlin. Voraussichtlich schon Anfang 2016 sollen in Deutschland auch Flüchtlinge und Obdachlose das Recht auf ein Bankkonto haben. Ein entsprechendes Gesetz könne voraussichtlich schon Anfang 2016 in Kraft treten und damit deutlich vor Ablauf einer Frist durch die zugrunde liegende EU-Richtlinie, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Von dem neuen Gesetz sollen geduldete Flüchtlinge oder Menschen ohne festen Wohnsitz profitieren. Diese Gruppen haben bisher Schwierigkeiten damit, ein Konto zu bekommen, um darüber etwa eine Mietwohnung zu bezahlen.
Weigern sich Banken, ein Konto zu eröffnen, müssen sie den Plänen zufolge künftig mit Konsequenzen rechnen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht soll Banken anweisen können, die Betroffenen als Kunden anzunehmen. Zur Durchsetzung soll auch ein Bußgeld verhängt werden können. Das EU-Parlament hatte vor einem Jahr grünes Licht für das EU-weite Recht auf ein „Girokonto für jedermann“ gegeben.
HAZ vom 09.06.2015, S. 5:
Einbrecher macht’s sich gemütlich
Bergen. Terrasse fegen, Bett aufschütteln, duschen und dann Brötchen holen: Sinn fürs Häusliche hat ein Einbrecher in Bergen im Kreis Celle entwickelt. Wie die Polizei am Montag mitteilte, beobachtete ein Nachbar den Mann, als dieser Scherben auf der Terrasse zusammenfegte. Alarmierte Beamte stellten fest, dass die Scheibe einer Tür eingeschlagen worden war und jemand im Haus übernachtet hatte. Das Bett war benutzt, und es hatte jemand geduscht. Plötzlich erschien ein 46-Jähriger mit einer Brötchentüte in der Hand. Es handelte sich um einen Obdachlosen, der in dem Haus übernachtet hatte. Noch geklärt werden muss, woher die Geldbörse stammt, mit der sich der Mann zum Bäcker aufgemacht hatte – sie gehörte laut Polizei weder ihm, noch wurde sie aus dem Haus gestohlen.
HAZ vom 22.05.2015, S. 18:
SPD dringt auf Feldversuch mit Pfandringen
Von Andreas Schinkel
Die SPD im Rat dringt auf einen Modellversuch mit sogenannten Pfandringen – und stellt sich damit gegen die Stadtverwaltung. Die hatte den Sammelbehältern für Pfandflaschen bereits eine Absage erteilt. Andere Städte hätten „problematische Erfahrungen“ mit den Behältnissen gemacht, lautete eine der Begründungen der Stadt. Die meist um Laternenpfähle und neben Mülleimern montierten Behälter würden Vandalismus und Glasbruch provozieren. Zudem könnten sich auch Menschen bedienen, die nicht auf das Pfandsammeln angewiesen sind.
„An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert“, sagt Stadtsprecherin Konstanze Kalmus. Doch die SPD bleibt hart. „Wir bestehen auf den Modellversuch“, sagt SPD-Ratsherr Lars Kelich. Die Stadtverwaltung habe den Auftrag des Rates auszuführen, ansonsten werde man noch einmal nachhaken.
Mit den Flaschenhaltern soll Pfandsammlern das mühsame Wühlen in Mülleimern erspart werden. An der Limmerstraße in Linden, wo abends viele Nachtschwärmer mit Flaschen in der Hand unterwegs sind, und auf der Lister Meile sollen die Behältnisse installiert werden, so wünscht es sich die SPD.
Ursprünglich kam die Anregung von der CDU, später griffen Rot-Grün, Linke und Piraten die Idee auf. Auf den Versuch zu verzichten wäre „ein Schlag ins Gesicht von Bedürftigen“, sagt Piraten-Mitglied Thomas Ganskow. Die Begründungen für die Absage der Stadt seien an den Haaren herbeigezogen.
HAZ vom 21.05.2015, S. 15:
Gottesdienst für verstorbene Obdachlose
(be). Mancher von ihnen hat so isoliert gelebt, dass kaum jemand da war, der um ihn trauern konnte. In einem ökumenischen Gottesdienst steht am heutigen Donnerstag in der Marktkirche das Schicksal verstorbener Obdachloser im Mittelpunkt. Ihrer soll in dem Trauergottesdienst gedacht werden. Bei der Feier werden Mitarbeiter von Wohnungsloseneinrichtungen die Namen der Verstorbenen verlesen und für jeden von ihnen symbolisch eine Kerze entzünden.
Mit der Feier nehmen die Kirchen diejenigen in den Blick, die sonst oft aus dem Blickfeld geraten: Rund 250 Menschen in Hannover leben auf der Straße, etwa 2500 leben ohne gesicherte Mietverhältnisse bei Freunden oder Bekannten. „Ihre Gesundheit ist aufgrund ihrer eingeschränkten Möglichkeiten oft stark beeinträchtigt“, sagt Kirchensprecherin Insa Becker-Wook. So blieben eine angemessene Ernährung und hygienische Standards den Betroffenen oft verwehrt. Der „Trauergottesdienst für die Namenlosen“ beginnt um 16 Uhr.
HAZ vom 16.05.2015, S. 16:
"Jetzt muss es aber auch mal gut sein"
Nach einem Jahr Protest der Sudanesen auf dem Weißekreuzplatz stellen Anlieger die Sinnfrage
Von Tobias Morchner
Seit nunmehr gut einem Jahr kampieren sudanesische Flüchtlinge auf einem Teil des Weißekreuzplatzes in der Oststadt. Mit der Aktion wollen sie auf ihre Situation und die vermeintlichen Ungerechtigkeiten des deutschen Asylrechts hinweisen. Bislang haben die Anwohner die dauerhafte Protestaktion geduldet. Doch pünktlich zum Jahrestag der Errichtung der Zeltstadt droht die Stimmung rund um das Areal zu kippen. Insbesondere aus Sicht der dort ansässigen Gastronomen dürfe die Platzbesetzung bald ein Ende finden. „Sie haben ihre Anliegen vorgebracht und von hier aus viele Aktionen gestartet – jetzt muss es aber auch mal gut sein“, sagt ein Gastwirt, der seinen Namen aus Angst vor Repressalien nicht in der Zeitung lesen möchte.
Die Kritik an dem Zeltlager der Sudanesen richtet sich gegen unterschiedliche Punkte. Weil im Camp regelmäßig kostenloses Essen verteilt wird, fühlten sich auch viele Obdachlose und Leute aus dem Trinkermilieu zum Weißekreuzplatz hingezogen. „Die schlafen dann in den Eingängen der Läden und verrichten dort zum Teil auch ihr Geschäft“, sagt ein Betroffener. Bemängelt wird auch der Zustand des von den Flüchtlingen besetzten Areal des Weißekreuzplatzes. „Der ist von der Stadt vor noch nicht allzu langer Zeit für viel Geld hübsch gemacht worden, und jetzt wächst auf dem Zeltplatz so gut wie kein Gras mehr“, sagt ein Gastronom. Beschwerden gibt es zudem über den Gestank der Dixi-Toilette, die die Stadt für die Flüchtlinge aufgestellt hat. Darüber hinaus nehmen einige der Anwohner den Sudanesen ihr politisches Anliegen inzwischen nicht mehr ab. „Alle haben von den Behörden Unterkünfte zugeteilt bekommen, in denen sie leben können. Stattdessen treffen sie sich hier, haben die neusten Markenklamotten an, telefonieren mit Handys und surfen auf Tablets“, sagt ein Gastwirt.
Quelle: Wallmüller
Doch auch die sudanesischen Flüchtlinge sind derzeit unzufrieden mit ihrer Situation auf dem Weißekreuzplatz. In einer Stellungnahme zum Jahrestag der Besetzung des Areals, die der HAZ vorliegt, werfen sie den Politikern Ignoranz vor. „Oberbürgermeister Stefan Schostok, Doris Schröder-Köpf, Filiz Polat von den Grünen, sie alle kennen unsere Forderungen, aber sie haben nichts gemacht“, heißt es in dem Schreiben. Die Flüchtlinge kündigen an, weiter auf dem unteren Teil des Weißekreuzplatzes ausharren zu wollen. Den Jahrestag der Errichtung des Zeltlagers wollen sie im Juni mit einem großen Fest begehen, dessen Programm derzeit noch zusammengestellt wird.
Die Polizei als zuständige Versammlungsbehörde hat den Protest der Sudanesen unbegrenzt und unter gewissen Auflagen genehmigt. So lange die Flüchtlinge nicht gegen die Auflagen verstoßen, sieht die Behörde keinen Grund, gegen das Zeltlager vorzugehen. Auch Bezirksbürgermeister Michael Sandow (SPD) sieht keinen Grund, warum der Protest nicht fortgesetzt werden sollte. „Sie haben mit ihren Aktionen bereits eine Menge erreicht“, sagt er. So seien beispielsweise auch aufgrund der Proteste in der Stadt Willkommensnetzwerke für Flüchtlinge aufgebaut worden. Deswegen spricht er sich für eine Fortführung des Protestes aus. „Das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht, und das darf nicht angetastet werden“, sagt Sandow.
HAZ vom 12.05.2015, S. 18:
Gedenkort für Drogenopfer vorgestellt
(tm). Nach jahrelangen Diskussionen ist am Montag auf dem Neustädter Friedhof eine Gedenkstätte für die verstorbenen Suchtkranken in der Stadt und im Umland eingeweiht worden. Auf dem Areal in der Nähe des Königsworther Platzes liegt jetzt eine Steinplatte auf dem Rasen. Darauf ist der Satz „Wir trauern um die verstorbenen suchtkranken Menschen“ zu lesen. In unmittelbarer Nähe des Steins wurde ein Ginkobaum gepflanzt. „Mit dem ehemaligen Neustädter Friedhof haben wir gemeinsam einen würdigen Ort des Gedenkens für Eltern, Verwandte und Freunde von verstorbenen suchtkranken Menschen gefunden“, sagte Hannovers Jugend- und Sozialdezernent Thomas Walter bei der Vorstellung der Gedenkstätte. An der Feier nahmen auch Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes und Lina Müller von der Elterninitiative für akzeptierende Drogenarbeit teil.
Quelle: Behrens
Zunächst hatte es um den Ort der Gedenkstätte Meinungsverschiedenheiten zwischen der Stadt und den Hilfsorganisationen gegeben. Nachdem sich beide Seiten auf den ehemaligen Friedhof geeinigt hatten, entbrannte eine weitere Auseinandersetzung über den Gedenkstein. Ursprünglich hatten die Hilfsorganisationen einen Findling gewünscht. Diesen Vorschlag hatte die Stadt abgelehnt und das Projekt damit um ein Jahr verzögert.
HAZ vom 07.05.2014 (Stadt-Anzeiger-Süd, S. 8):
Schüler verkaufen Brot für Misereor
Südstadt. (gs) Mit fantasievollen Aktionen haben Schülerinnen und Schüler der katholischen Ludwig-Windthorst-Schule das Bischöfliche Hilfswerk Misereor unterstützt. Dank Solibrot und Pfandraising konnten sie insgesamt 321 Euro für Kinder in Entwicklungsländern übergeben. Unter dem Motto „Helft Kindern in Not – kauft Misereor-Brot“ wurden zunächst beim Tag der offenen Tür der Oberschule am Altenbekener Damm Solibrote angeboten. Dabei wurde das von einer Bäckerei in der Region Hannover hergestellte Brot mit einem Benefizanteil verkauft. Bei dieser Aktion kamen 70 Euro an Spenden zusammen.
Eine Woche später wurde während einer Veranstaltung zum Bistumsjubiläum das Pfandraising organisiert. Bei einem Auftritt des hannoverschen Kabarettisten Mathias Brodowy hatten Schülerinnen und Schüler einen Getränkeverkauf organisiert und die Besucher gebeten, das Flaschenpfand für Misereor zur Verfügung zu stellen. Aufgestockt mit Spenden der Besucher kam an diesem Tag ein Betrag von 251 Euro zusammen.
Die Ludwig-Windthorst-Schule in der Trägerschaft des Bistums Hildesheim ist seit Beginn des Jahres Partnerschule von Misereor und unterstützt das Hilfswerk mit unterschiedlichen Aktionen.
HAZ vom 30.04.2015 (Stadt-Anzeiger Süd, S. 1):
Kleidung für Flüchtlinge erbeten
(miz). MITTE. Mit der zunehmenden Zahl der Flüchtlinge in Hannover steigt die Nachfrage nach guter gebrauchter Kleidung sowie nach Geschirr und Haushaltswaren. Die Bekleidungsausgabe des Diakonischen Werks Hannover sucht dringend Herrenbekleidung – vorwiegend in kleineren Größen – sowie Sport- und Schwimmbekleidung. Ebenso benötigt werden Frühstücks- und Essgeschirr, Besteck, Töpfe, Pfannen und alles andere, was in der Küche gebraucht wird. Die Bekleidungsausgabe der Diakonie richtet sich an Personen, die in eine schwierige Lebenssituation geraten sind und von einem geringen Einkommen leben müssen. Ebenso sind die Türen für Menschen geöffnet, die vor Krieg und Verfolgung flüchten mussten. Spenden können montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr sowie freitags von 8 bis 13 Uhr in der Burgstraße 10 abgegeben werden. Für Rückfragen stehen die Mitarbeiter der Diakonie unter der Telefonnummer 3 68 70 zur Verfügung.
HAZ vom 28.04.2015, S. 13:
Zuhause für Kinder in Not gesucht
(saf). Die Stadt sucht dringend Familien, die bereit sind, Kinder in Notsituationen aufzunehmen und zu betreuen. Gesucht wird sowohl im Stadtgebiet als auch im Umland. Ziel ist, dass die Familien bereit sind, Kinder vom Säuglingsalter bis zum Alter von zehn Jahren aus Notsituationen für einen befristeten Zeitraum aufzunehmen. Im Gegenzug bietet der Fachbereich Jugend und Familie Schulung, Beratung, Supervision und auch eine finanzielle Aufwandsentschädigung. Informationen erhalten Interessierte bei Ute Schmidt-Ahrens unter der Telefonnummer (05 11) 16 84 66 45 und bei Liane Krätzig unter der Telefonnummer (05 11) 16 84 53 51.
HAZ vom 22.04.2015, S. 15:
Tim Mälzer grillt an der HDI-Arena für Obdachlose
(rm). Wenn Tim Mälzer ein Steak grillt, dann zahlen Gäste normalerweise viel Geld dafür. Rund 150 Obdachlose werden am 2. Mai kostenfrei am VIP-Bereich der HDI-Arena von dem Hamburger Starkoch bewirtet. Außerdem gibt es Getränke und Livemusik. Organisiert hat die Aktion die Benefiz-Vereinigung Charcoal Worker – eine locker organisierte Gruppe von finanziell gut gestellten Grillfans aus ganz Niedersachsen. „Wir wollen einfach Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, einen schönen Tag bereiten“, sagt der Unternehmer Horst Waizenegger von Charcoal Worker.
Zahlreiche Unternehmen und Initiativen unterstützen die Veranstaltung – darunter auch die Straßenzeitschrift Asphalt. „Eine tolle Aktion“, findet Asphalt-Geschäftsführer Reent Stade. Zurzeit laufen die Vorbereitungen – gesucht wird noch ein Bäcker, der bis zu 200 Brötchen spendet, sagt Waizenegger. Beginn der Aktion ist um 11 Uhr vor dem VIP-Bereich der HDI-Arena.
HAZ vom 21.04.2015, S. 5:
„Sind die Teil der Crew?“
Theatermacher Julian Hetzel will beim Festival Theaterformen ein Stück über das Warten zeigen. Dabei werden Bettler in einem Container zu sehen sein. Ist das ein Menschenzoo?
„Still“ ist ein Stück über das Warten. Was tun Sie, damit das nicht langweilig wird?
Langweilig wird das sicherlich nicht, weil doch relativ viel passiert. Warten muss nicht negativ sein. Es ist ein spannender Zustand, weil man im Moment des Wartens sehr offen ist. Man befindet sich zwischen dem Denken und dem Handeln. In „Still“ wird das Warten zum Gegenstand. Es kommt ins Jetzt und man kann sich ganz darin auflösen. Ich glaube, das ist alles andere als langweilig.
Als Experten des Wartens wollen Sie Bettler engagieren. Müssen die auch um die Gage betteln?
Nein. Wir arbeiten mit vier Bettlern zusammen, und sie werden selbstverständlich bezahlt. Wir überlegen, ob wir ihnen den gesetzlich vorgeschriebenenen Mindestlohn oder eine höhere Künstlergage zahlen sollen. Auf jeden Fall werden sie für ihre Mitwirkung entlohnt.
Man kann Ihnen vorwerfen – und es wurde Ihnen ja auch schon vorgeworfen –, dass Sie Bettler ausstellen.
Diese ethisch-moralischen Bedenken gegenüber unserer Performance beruhen auf einem vorschnellen Schluss. Wer uns vorwirft, wir würden einen Sozialzoo einrichten, der übersieht, dass es hier um eine Auseinandersetzung mit einem Menschen geht, der einer anderen gesellschaftlichen Schicht angehört. Es ist eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe; ein Mensch verbringt mit einem anderen zusammen Zeit. Letztlich ist es eine Auseinandersetzung mit sich selbst, die über die Begegnung mit einem anderen stattfindet.
Das Theater setzt sich ja oft mit Menschen auseinander, die einer anderen sozialen Schicht entstammen als die Theaterbesucher. Der ganze Naturalismus funktioniert so. Das Theater kann von Arbeitslosigkeit sprechen, ohne Arbeitslose auf die Bühne zu bringen. Warum können Sie das nicht?
Der Vergleich ist nicht ganz richtig, denn der Bettler befindet sich bei uns nicht auf einer Bühne. Der Raum, den man betritt, ist ein privater Raum.
Ein Kunstraum.
Ja. Der Bettler bettelt im Rahmen der Kunst. Der Zuschauer performt zunächst die Rolle des Zuschauers. Aber worauf es mir ankommt, ist Folgendes: Der Besucher befindet sich auf demselben Niveau wie der Bettler. Es ist auch immer jeweils nur ein Zuschauer zugelassen. Hier findet ein privates Treffen statt, das nicht mitgeschnitten oder sonst irgendwie dokumentiert wird. Es geht um die Auseinandersetzung zwischen zwei Personen – einen Dritten gibt es dabei nicht. Das entkräftet das Argument der Zurschaustellung. Was in dem Raum passiert, verbleibt in diesem Raum. Bisher haben alle, die in diesem Raum waren, sehr positiv reagiert.
Auch die Bettler?
Ja, natürlich. Für Menschen, die auf der Straße leben, ist es etwas Besonderes, einen Raum für sich selbst zu haben. Es ist eine großartige Chance, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Oft kehren sich im Raum die Verhältnisse um, die Besucher reden über ihre Probleme, und die Bettler hören zu. Viele verlassen den Raum sehr beglückt, manche hatten auch Tränen in den Augen
Haben Sie bei der Entwicklung des Projekt jemals gezögert – vielleicht, weil sie sich selber die Frage des Menschenzoos gestellt hatten?
Wir hatten das Projekt auch in Argentinien gezeigt. Da war es tatsächlich so, dass mein Ansatz nicht funktioniert hat und ich die Arbeit den ortsspezifischen Verhältnissen anpassen musste. In Buenos Aires leben viele Menschen auf der Straße – da war die Diskrepanz zwischen dem Kunstraum und der harten Wirklichkeit schlicht zu groß. Aber besonders der Ansatz des Bettelns hat dort nicht gegriffen, weil es schlicht keine Bettler gibt. Die Leute gehen informellen Beschäftigungen nach, da sitzt keiner einfach auf der Straße und fragt nach Geld.
Gab es bei den bisherigen Aufführungen Probleme?
Anfangs hatten wir ein paar Unsicherheiten bei Fragen, wie wir mit den Bettlern umgehen sollten. Sind die Teil der Crew? Haben die Backstage-Ausweise? Werden sie zur Eröffnungsparty eingeladen? Die Festivals wurden durch dieses Projekt immer wieder mit ganz sensiblen Fragen konfrontiert, die den Beteiligten zunächst gar nicht bewusst waren.
Diese Fragen stellen sich ja hier auch.
Nein, denn wir haben sie schon beantwortet. Selbstverständlich werden sie wie künstlerische Mitarbeiter behandelt. Sie sind Teil der Crew.
Sie wählen die Bettler in der Stadt aus. Achten Sie darauf, niemanden zu nehmen, der im Rahmen der organisierten Bettelei tätig ist?
Ja, das ist ein Auswahlkriterium. Wir werden niemanden nehmen, der zur organisierten Bettelmafia gehört.
Warum eigentlich nicht? Warum interessieren Sie sich nicht für deren Geschichten?
Weil es dann plötzlich um eine ganz andere Frage gehen würde. Das organisierte Betteln ist ein besonderes System, das ich in dieser Arbeit nicht diskutieren möchte. Aber es ist nicht so, dass wir unbedingt mit deutschen Bettlern zusammenarbeiten müssen. Wir hatten in dem Projekt auch schon mit Flüchtlingen gearbeitet, die ohne Papiere im Land leben. Wichtig ist es, Leute zu wählen, die Betteln als Arbeit verstehen. Es gibt viele Bettler, die das so sehen und beim Betteln nicht rauchen oder trinken. Auch in diesem Sektor greift also die Logik der Arbeitswelt. Das zu sehen finde ich unglaublich spannend.
Interview: Ronald Meyer-Arlt
Julian Hetzel, 1981 im Schwarzwald geboren, arbeitet als Performancekünstler in Utrecht. Beim Festival Theaterformen, das vom 2. bis 12. Juli auf verschiedenen Bühnen in Hannover zu sehen sein wird, präsentiert er seine Arbeit „Still. The Economy of Waiting“. In einer Art Containerdorf, das vor der Oper aufgebaut wird, will er Wartesituationen inszenieren. Als Experten fürs Warten sollen dort auch Bettler zu Wort kommen. Hetzel ist auch Mitbegründer der Elektropop-Band Pentatones, die am Abschlusswochenende bei den Theaterformen gastiert. Das Festival präsentiert neben dem Theater- auch ein reichhaltiges (und für die Besucher kostenloses) Konzertprogramm im Festivalzentrum.
HAZ vom 21.04.2015, S. 13:
Stadt stellt Versuch zu Pfandringen ein
Verwaltung hält nichts von Sammelsystem
Von Gabi Stief
Nicht jede gut gemeinte Idee übersteht den Praxistest. Die jüngste Idee, die gerade begraben wird, stammt von der CDU, fand sogar Anhänger bei SPD und Grünen und nennt sich „Pfandsammelringe“. Das System sollte Pfandflaschensammlern in Hannover künftig das Wühlen in Papierkörben und Containern ersparen – kurzum: das weit verbreitete Sammeln „menschenwürdiger“ machen. Im Herbst wurden an zwei Standorten, auf der Limmerstraße und der Lister Meile, Sammelvorrichtungen installiert. Testweise. Nun meldet sich die Verwaltung zu Wort und erklärt dem Sozialausschuss in einer dreiseitigen Drucksache, warum sie entschieden hat, „von der beschlossenen Erprobung eines Pfandringsystems Abstand zu nehmen“.
Die zuständige Sozialabteilung hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. In zehn Großstädten wurde nachgefragt. Als einzige hat Hamburg einen Modellversuch mit zehn eigens konstruierten Sammelbehältern gestartet. Auch die Hamburger sind mit dem Ergebnis unzufrieden. Einige Ringe werden gerade wieder abgebaut. Leipzig und Nürnberg teilten den Hannoveranern mit, dass sie „nach umfangreichen internen Prüfungen“ auf ehrenamtliche Initiativen setzen.
Und die Gründe? Die Verwaltung fürchtet Vandalismus, auch Unfallgefahr durch Glasbruch sei nicht ausgeschlossen, heißt es. Außerdem könnte es zum Streit der Bedürftigen um das begehrte Pfandgut kommen. Eine Abfrage bei den anderen Abteilungen verstärkte die Bedenken. Der Fachbereich Tiefbau erklärte spitz, dass er in der Testphase die Reinigungspflicht ablehne. Das Ressort Umwelt und Stadtgrün warnte vor der Anbringung der Ringe an Bäumen und merkte an, es könne an den Sammelbehältern „zur Bildung von Gruppen wartender Pfandsammler“ kommen.
Der Sozialausschuss nahm den Bericht gestern zur Kenntnis. Wartende Pfandsammler habe er noch nie gesehen, merkte der Linke Oliver Förste an und sprach von seltsamen diskriminierenden Formulierungen in der Drucksache. Sozialdezernent Thomas Walter wies die Vorwürfe zurück. Es gehe um die sachliche Frage, ob Pfandringe ein taugliches Instrument seien, um das Sammeln menschenwürdiger zu gestalten. Oder eben nicht.
HAZ vom 09.04.2015, S. 4:
Die Ärztin für die Ärmsten
Jenny de la Torre wird mit dem Deutschen Stifterpreis geehrt – weil sie Obdachlosen in Berlin Gesundheit und Wärme schenkt
Von Gabi Stief
Es gibt Menschen, die bereits in jungen Jahren wissen, was sie einmal in ihrem Leben erreichen wollen. Einigen fällt es leicht, den Kindheitsträumen zu folgen. Andere müssen kämpfen und mit Rückschlägen klarkommen. Jenny de la Torre musste hart arbeiten, aber ihr Ziel hat sie nie aus den Augen verloren. Die Berliner Ärztin kümmert sich um Obdachlose. Vor 13 Jahren gründete sie eine Stiftung; vor neun Jahren eröffnete die 60-Jährige ein Gesundheitszentrum in Berlin-Mitte, in dem Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter gemeinsam versuchen, mittellose, kranke Menschen von der Straße zu holen. In diesem Jahr wird sie mit dem Deutschen Stifterpreis geehrt.
Wer sie besucht, trifft auf eine warmherzige Frau, die keine Mission, aber eine Überzeugung hat. „Obdachlosigkeit ist eine soziale Krankheit“, sagt Jenny de la Torre mit einer leisen Stimme, die wirbt, nicht anklagt. „Man darf nicht wegschauen.“
Quelle: Wiechers
Sie war noch ein Kind, als sie sich das erste Mal wunderte, dass so viele wegschauen. Das war damals in ihrem Heimatland Peru. Sie fragte sich, warum sterbenskranke Menschen keine Antibiotika bekommen, warum arme Menschen nicht behandelt werden. Jenny de la Torre war empört. Fünf Jahre später begann sie in der Hauptstadt Lima ein Medizinstudium.
Peru – das ist für sie 40 Jahre später noch immer der Geruch von Tee mit Zimt und Nelken und das Dienstmädchen, das frische Milch aus dem Kuhstall holt. Einmal im Jahr fliegt sie 15 Stunden über den Atlantik und besucht ihre hochbetagten Eltern und die Familie. Aber den Rest des Jahres lebt sie in Berlin und hilft in ihrem Gesundheitszentrum Menschen, die jeden Halt im Leben verloren haben. In dem dreistöckigen ehemaligen Schulgebäude riecht es nicht nach Zimt, sondern nach Armut und Krankheit. „Der Geruch ist nicht das eigentliche Problem“, sagt sie. „Daran gewöhnt man sich.“ Aber nicht an Verwahrlosung.
Es war kurz nach der Wende, als sie lernte, was Verwahrlosung bedeutet. Wie viele andere Ärzte, die in den Ostberliner Polikliniken gearbeitet hatten, war sie nach der Vereinigung erst einmal arbeitslos. Schließlich fand sie eine von der Arbeitsagentur geförderte Stelle als Ärztin in einer Praxis für Obdachlose. „Ich begegnete Menschen, deren Socken angewachsen waren und die von oben bis unten verlaust waren.“ Wieder waren die alten Fragen aus der Kindheit da. In Schulungen hatte sie gerade gehört, was das bundesdeutsche Sozialsystem alles zu bieten hat. Aber warum fielen dann Menschen durch dieses Netz?
Mittlerweile kennt sie die Geschichten dieser Menschen. Sie wiederholen sich. Für viele beginnt der Abstieg mit dem Verlust der Arbeit. Es folgt die Flucht in den Alkohol. Die Ehe scheitert; irgendwann stehen sie auf der Straße, ohne Wohnung, ohne Freunde, ohne Geld, ohne Papiere.
Jenny de la Torre will nicht nur Salben und Hustensaft verteilen, sondern Hoffnung geben. Neun fest angestellte Mitarbeiter beschäftigt die Stiftung mittlerweile; zehn Ärzte im Ruhestand, vom Zahnarzt bis zum Augenarzt, engagieren sich ehrenamtlich. In einer Kleiderkammer können sich die Besucher Hemden und Hosen aussuchen, beim Fotografen bekommen sie Passbilder für den Ausweis; bei der Friseurin einen Haarschnitt und eine Rasur. Eine Psychologin berät an zwei Vormittagen; zwei Sozialarbeiter sind an fünf Tagen im Haus; mittwochs ist ein Anwalt da. Werktags gibt es Frühstück und warmes Mittagessen.
Die Chance, mit einer Stiftung ihre Ideen umzusetzen, kam 2002, als Jenny de la Torre den Medienpreis „Goldene Henne“ in der Kategorie Charity verliehen bekam. Das Preisgeld von insgesamt 25 000 Euro war das Startkapital für die Gründung. Die „Goldene Henne“ blieb nicht die einzige Auszeichnung. Im Jahr 2011 erhielt sie den Charity Award, 2013 die Louise-Schroeder-Medaille. Bereits 1997 wurden ihr das Bundesverdienstkreuz und die Ehrenbürgerschaft ihrer Geburtsstadt Nazca verliehen. Es ist nur ein kleiner Trost für den Verlust der Heimat, aber immerhin.
Dass sie überhaupt in der DDR gelandet war, verdankte sie eher einem Zufall. Irgendwann hatte sie in Lima von einer Kommilitonin gehört, die vorübergehend in der Heimat von Albert Einstein studierte. Die Idee gefiel ihr; also bewarb sie sich bei der Botschaft um ein Stipendium. Mit Erfolg. „Deutschland ist die Wiege der Wissenschaft“, schwärmte ihr Vater.
Eigentlich wollte sie in den Achtzigerjahren ins Elternhaus zurückkehren. Damals hatte sie ihr Medizinstudium in Leipzig gerade abgeschlossen. Doch die peruanischen Behörden wollten ihren Medizinabschluss nicht akzeptieren. Kurzentschlossen reiste sie wieder nach Berlin und machte ihre Facharztausbildung als Kinderchirurgin an der Charité. Auch ein zweiter Heimkehrversuch nach Peru scheiterte an der ausufernden Bürokratie im Andenstaat. Irgendwann entschied sie, in Berlin zu bleiben. „Ich wollte nicht mein ganzes Leben mit dem Koffer in der Hand leben.“
Diese Entscheidung dürfte für viele, die in Berlin auf der Straße leben, ein Glücksfall sein. Tausenden hat Jenny de la Torre in den vergangenen Jahren geholfen. Viele haben es sogar geschafft, wieder Freunde, Beruf und eine Wohnung zu finden. „Es muss doch möglich sein, dass wir in einem so reichen Land die Leute von der Straße holen“, sagt die Ärztin, wenn Leute sie verwundert nach den Motiven für ihr Engagement fragen. Sie könne nicht anders, sie fühle sich verantwortlich, sagt Jenny de la Torre. „Ich habe eine Menge von der Gesellschaft bekommen. Ich möchte auch etwas zurückgeben.“
HAZ vom 16.03.2015, S. 12:
Ein Festmahl zum Abschluss der Saison
Von Veronika Thomas
Zum Saisonende der ökumenischen Essensausgabe wurde auf dem Kirchplatz der Basilika St. Clemens noch einmal richtig aufgefahren. Cord Kelle, Inhaber des Restaurants Jägerhof in Langenhagen, war mit 300 Litern Erbseneintopf, 300 Bratwürsten sowie Nackensteaks, Hamburgern, Fleischklößchen und Salaten zur Caritas am Leibnizufer gekommen, um Wohnungslose und andere Bedürftige noch einmal zu verwöhnen. „Heute haben wir 900 Portionen Essen dabei“, sagte der Vorsitzende des Vereins Kochen für Obdachlose (KfO). Mit der Folge, dass sich die einigen Hundert Gäste immer wieder in der Schlage anstellten. Außerdem hatten die rund 25 freiwilligen Helfer der Ökumenischen Essensausgabe, die von Caritas, Diakonie und mehreren Kirchengemeinden seit 26 Jahren betrieben wird, Kuchen für einige Hundert Besucher gebacken.
Von Anfang Dezember bis Mitte März erhalten Bedürftige in der Ökumenischen Essenausgabe sechsmal wöchentlich eine warme Mahlzeit, jeweils mittwochs und donnerstags übernahmen Kelle und sein Team deren Versorgung. „In der Saison 2014/2015 haben wir allein 8260 Portionen gekocht“, sagte der Koch, der sich seit vier Jahren an der Suppenküche beteiligt. „Ich habe die Vision, dass es bald auch in anderen Städten wie Celle, Hameln oder Nienburg ein Netzwerk professioneller Köche gibt, die Essen für Bedürftige kochen“, sagte der engagierte Gastronom. Auch dort gebe es Armut.
Quelle: Schaarschmidt
Alle anderen Mahlzeiten wurden wie in den Vorjahren in der Küche des Friederikenstifts zubereitet. „In diesem Winter sind durchschnittlich 180 Bedürftige täglich zu uns gekommen“, sagte Koordinatorin Ramona Pold vom Caritasverband. Im Jahr zuvor seien durchschnittlich 143 Menschen pro Tag auf ein warmes Mittagessen und einen Kaffee zum Aufwärmen in die Essenausgabe gekommen. „Wir stellen fest, dass auch immer mehr alte Menschen zu uns kommen, weil ihre Rente offenbar nicht ausreicht, um sich täglich eine warme Mahlzeit zu kochen“, sagte Polds Kollegin von der Diakonie, Isabell Nowak.
HAZ vom 12.03.2015, S. 15:
Trinker werden nicht mit Bach vertrieben
(mak). In Hannover werden Trinker rund um den Hauptbahnhof nicht mit Klängen von Bach und Mozart vertrieben. Der Finanzausschuss des Rates hat gestern einen entsprechenden Antrag der CDU abgelehnt. Wenn die Menschen vom Bahnhof vertrieben würden, hielten sie sich woanders auf, sagte der Finanzexperte der SPD-Fraktion, Jens Meng. Außerdem trage die Musik zur sogenannten Lärmverschmutzung bei. Meng ergänzte, es sei wichtig, dort Lautsprecherdurchsagen zu hören. Kerstin Seitz, Finanzexpertin der CDU, entgegnete darauf, es sei „wahnwitzig, in der Unesco-Musikstadt Hannover Musik als Lärmverschmutzung zu bezeichnen“. Die CDU hatte argumentiert, dass der Raschplatz zunehmend vermülle und es dort immer häufiger nach Urin stinke.
HAZ vom 12.03.2015, S. 18:
Rewe-Zulieferer spenden für die Tafel
(nkw). Am Ende waren es mehr als sechs Transporter voller Lebensmittel – übrig geblieben, aber nicht verloren: Die Supermarktkette Rewe spendete die leckere Ladung der Hannöverschen Tafel, die sie an Bedürftige weiter verteilt. Zweimal im Jahr veranstaltet die Supermarktkette im Congress-Centrum eine Warenbörse, bei der Händler ihre Produkte vorstellen. Einen Tag lang suchen dann Einkäufer von Rewe aus, was künftig in den Regalen der Märkte liegen soll. Was am Abend über bleibt – das ist längst gute Tradition geworden –, bekommt die Hannöversche Tafel zum Verteilen.
Quelle: Körner
„Einige Händler meinten sogar, sie brächten extra mehr Waren mit, seitdem sie wissen, dass die Reste an die Tafel gehen“, sagte die Leiterin der Hannöverschen Tafel Katja Keßler bei der Übergabe der Spende durch Rewe-Einkaufschef Thorsten Ritscher und fügte erfreut an: „Es sind so viele Kisten, dass wir komplett den Überblick verloren haben.“ Heute und am morgigen Freitag verteilen die Helfer der Tafel die Nahrungsmittel vor allem an Einrichtungen mit vielen Bedürftigen wie Obdachlosenunterkünfte und Flüchtlingsheime.
HAZ vom 05.03.2015, S. 15:
Dann ist das eben so
Bettler und Obdachlose gehören zum Straßenbild einer Innenstadt. Aber muss man die Zustände daher hinnehmen, wie sie sind? Die Diskusssion ist neu entbrannt.
Von Felix Harbart und Alexander Schinkel
Hannover. Alfred Link macht den Job nicht erst seit Mittwoch, und er ist kein Mann, der zu Übertreibungen neigt. Seit zehn Jahren steht er als Wachmann vor dem Eingang eines hannoverschen Juweliers, Tag für Tag sieht er Menschen jeder Größe und Farbe die Georgstraße entlanglaufen. Er sieht, wie sich am Abend nach Ladenschluss Obdachlose auf den Bänken niederlassen, nicht in Massen, aber doch der eine oder andere. Und wie sie morgens, kurz vor Öffnung der Geschäfte, still und leise wieder verschwinden. Das ist das eine Thema.
Link sieht auch, wie Bettler Passanten um Almosen angehen. Nicht passiv, wie es zu dulden wäre, sondern „aggressiv“, wie es offiziell heißt. Und wenn man ihn fragt, ob diese aggressive Bettelei in den vergangenen Jahren zugenommen hat, sagt er gelassen, aber entschieden: „Ja, ganz klar.“ Das ist das zweite Thema.
Quelle: Schaarschmidt
Beide Themen sind so alt wie die Innenstadt selbst, und beide flammen regelmäßig auf, gerne im Frühjahr, wenn die Witterung danach ist. Beide haben jedoch in diesen Tagen eine besondere Wendung bekommen und befeuern eine Diskussion, die man leidenschaftlich führen und bei der man wunderbar aneinander vorbeireden kann. Nämlich diese: Wem gehört die Innenstadt?
Dass die Debatte um Obdachlose in dieser Woche hochgekommen ist, hat mit Fotos zu tun, die Martin Prenzler auf der Jahreshauptversammlung der City-Gemeinschaft gezeigt hat. Prenzler, Geschäftsführer des Händlerzusammenschlusses, hatte dort in dieser Woche Bilder von Innenstadtbänken in anderen Städten an die Wand geworfen. Es ging ihm darum, dass viele Kunden in der City gern mehr Gelegenheiten zum Sitzen hätten. Hängen geblieben ist bei manchen dagegen etwas, was Prenzler eher im Nebensatz gesagt hat: dass die Bänke nämlich so konstruiert sind, dass man gut auf ihnen sitzen kann - aber schlecht darauf liegen. Weil es nicht im Interesse der Händler sein kann, dass Obdachlose sich dort auf Dauer niederlassen.
Die Reaktionen darauf haben Martin Prenzler „schockiert“, wie er sagt. Im Internet stimmten ihm zwar viele zu. Ebenso viele aber fielen über ihn her und bezichtigten ihn der Unmenschlichkeit, und bei der Verdi-Demonstration am Mittwoch in der Innenstadt spuckten ihm ein paar Jusos vor die Füße. All das geht Prenzler auch deswegen nahe, weil seine Händlerkollegen ebenso wie er selbst sich in vielerlei Weise für Obdachlose engagieren. „Wir machen Streetwork, ich selbst spreche regelmäßig mit den Menschen im Kontaktladen Mecki, und wir sind immer bereit, den wirklich Bedürftigen zu helfen“, sagt Prenzler. Aber er sagt eben auch, dass Bänke „Sitzgelegenheiten“ sein sollen „und keine Stätten für hausierende Zustände“.
Die hannoverschen Grünen stimmen ihm da zu. Bänke ausdrücklich ohne Liegequalität seien zwar ein wenig unfreundlich. „Es darf aber niemand Bänke dauerhaft belegen, gewissermaßen auf ihnen wohnen“, sagt Fraktionschefin Freya Markowis. Die SPD begrüßt den Vorstoß der City-Kaufleute, die Aufenthaltsqualität der Innenstadt zu steigern. „Ich weiß aber nicht, ob die Gestaltung der Bänke dafür ausschlaggebend ist“, sagt SPD-Fraktionschefin Christine Kastning. Selbst wenn ein Mensch in einer Notlage eine Bank zur Schlafstatt wählt, „dann sei das eben so“, sagt Kastning.
Weil es hagelt an diesem Nachmittag, haben sich am Mittwoch jene, die sich sonst tagsüber mit ihren Bier- und Schnapsflaschen rund um den Raschplatz verteilen, ans Ende der überdachten Passerelle zurückgezogen. Dort stehen oder sitzen sie in Dreier- und Vierergruppen, mancher mit einem großen Rucksack zu Füßen. Es sei natürlich „eine Sauerei“, wenn sie demnächst so gar keinen Platz mehr zum Schlafen hätten, sagt einer. „Aber ich kann auch verstehen, dass die Händler keine schlafenden Leute vor der Tür liegen haben wollen“, sagt sein Bekannter. „Wer kommt denn da noch rein?“
Man könnte also trefflich darüber diskutieren, wie eine moderne Großstadt mit urbanen Phänomenen wie Armut und Obdachlosigkeit im Stadtbild umgehen muss. Martin Prenzler würde lieber darüber diskutieren, dass es in Hannover nicht genügend Unterkünfte für arme Menschen gibt, wie er meint. Die Unterbringung in Wohnheimen lehnen viele von ihnen wegen der oft unmöglichen Bedingungen dort ab. „Und eine Wohnung ist für sie meist nicht zu bekommen.“
Interessant ist, dass die Stadt keine Obdachlosen beobachtet, die Bänke tagsüber dauerhaft in Beschlag nehmen oder sogar auf ihnen nächtigen, wie Stadtsprecher Udo Möller sagt. „Es ist also nicht ersichtlich, warum man Bänke ,liegeunfreundlich‘ gestalten müsste.“ Wachmann Alfred Link fiele zu dieser Beobachtung sicher einiges ein. Vielleicht schaut die „Servicegruppe Innenstadt“, wie diese Abteilung des Ordnungsamtes heißt, ja mal bei ihm vorbei.
Diese Servicegruppe Innenstadt ist auch mit dem zweiten Streitthema dieser Tage befasst, dem aggressiven Betteln - und sieht darin kein großes Problem. Die Stadt jedenfalls konstatiert auf Nachfrage, dass „auffallend aggressives Betteln im Moment nicht beobachtet“ wird, wie Stadtsprecher Möller sagt. Das sehen die hannoverschen Händler anders. Wer sich mit ihnen unterhält, hört detaillierte Berichte von organisierten Trupps, die jeden Morgen in einem schwarzen Kleinbus in die Stadt gefahren werden, „aufrecht gehend und fröhlich“, wie es heißt, um sich dann Krücken unterzuschnallen und sich in der City zu verteilen. Und davon, dass diese Trupps abends wieder abgeholt werden. Alle paar Monate, wenn die Umsätze zurückgingen, würden die Mannschaften ausgetauscht, etwa die aus Hamburg nach Hannover gefahren und umgekehrt. Vieles davon deckt sich mit den Beobachtungen von Wachmann Link. „Das sind immer ein paar Monate lang dieselben fünf, sechs Leute, und dann kommen fünf, sechs neue.“
Es sei ein offenes Geheimnis, dass organisierte Banden von Bettlern in der Innenstadt ihrem Geschäft nachgehen, sagt CDU-Ratsherr Jens-Michael Emmelmann. Er ist sich auch sicher, dass es durchaus Bettler gibt, die Passanten am Ärmel ziehen, ihnen nachlaufen und sie vehement ansprechen. „Ein solches Betteln ist rechtlich nicht erlaubt. Die Stadt muss es unterbinden“, sagt Emmelmann. Die sagt: „Es gibt weder vermehrte Beschwerden bei unseren Mitarbeitern, noch eine für uns wahrnehmbar gestiegene Anzahl von Bettlern.“
Vielleicht liegt die unterschiedliche Wahrnehmung daran, dass die Servicegruppe Innenstadt nicht so furchtbar groß ist. In zwei Schichten gehen die Stadtmitarbeiter jeweils zu zweit eine Fläche ab, die vom Südufer des Maschsees bis zum Lister Platz reicht. „Das ist viel zu wenig Personal“, klagt Prenzler.
Alfred Link zuckt die Achseln. Er weiß nur, dass hin und wieder Passanten zu ihm kommen und ihn bitten, an irgendeiner Ecke der Fußgängerzone zu helfen und aufdringliche Bettler zu vertreiben. Das aber kann er nicht. Alfred Link ist für den Bereich vor dem Juwelier zuständig, er ist nicht die Stadt und er ist nicht die Polizei. Er sieht nur, was er sieht, seit zehn Jahren.
Das sagen die HAZ-Leser
Im Internet hat die Frage, wie in der Innenstadt mit Bettlern und Obdachlosen umgegangen werden soll, bereits kontroverse Diskussionen ausgelöst. Wir dokumentieren hier einige der sehr unterschiedlichen Positionen:
Jenny Miau: Mehr Sitzgelegenheiten in der Innenstadt finde ich gut. Wenn abends Obdachlose einen Schlafplatz darauf finden, umso besser.
Lisa Schlieper: In Deutschland muss man nicht obdachlos sein, es gibt genügend Hilfen und Möglichkeiten. Und wenn ich meinem Kind nicht mehr erklären muss, warum da ein Mann auf der Bank liegt und schläft, finde ich das richtig gut.
Peter Moldrickx: Entschuldigt bitte, aber sind diese sogenannten „Penner und Obdachlosen“ keine Menschen mehr und haben ihr Recht verwirkt auf Integration, auf Zusammensein, auf Ruhe und auf Pause?
Katalena Priebe: (...) Die City-Gemeinschaft sollte sich lieber Gedanken über die organisierten Bettler machen, die einem teilweise auch noch hinterherlaufen oder beschimpfen, wenn man nichts gibt.
Sarah-Lena Richter: Sollte man sich nicht eher um die Bedürftigen unter uns kümmern, anstatt ihnen das Leben noch schwerer zu machen?
HAZ vom 04.03.2015, S. 15:
Das Hadern der Händler
Nur sitzen, nicht liegen: City-Kaufleute wünschen sich neue Bänke, auf denen Kuden verschnaufen, aber Obdachlose nicht lagern können
Von Rüdiger Meise und Mathias Klein
Je länger sich ein Mensch in der Innenstadt aufhält, desto mehr Geld gibt er dort aus. Es ist also im Interesse der City-Händler, dass die Menschen in der Innenstadt Plätze finden, um auszuruhen. Bessere Sitzgelegenheiten müssen dafür her, wünscht sich die City-Gemeinschaft. Allerdings sollen sich nicht alle Menschen auf den Bänken und Podesten wohlfühlen: Denn weil Obdachlose und Bettler kein Geld in die Kassen der Kaufleute bringen, sondern eher potenzielle Kunden abschrecken, favorisiert die Standortgemeinschaft Bänke, auf denen man zwar sitzen kann, aber nicht liegen.
Quelle: Schaarschmidt
„Wir versuchen, auf die Stadt einzuwirken, mehr entsprechende Sitzgelegenheiten anzuschaffen“, sagt Martin Prenzler, Geschäftsführer der City-Gemeinschaft. Einige Modelle gibt es bereits in der Innenstadt. In der Georgstraße stehen Bänke, deren Mittelarmlehnen das Liegen unmöglich machen – oder zumindest sehr unbequem. Auf der Jahresversammlung der City-Gemeinschaft zeigte Prenzler Bilder weiterer Modelle – mit organischem, geschwungenem Design.
Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes lehnt die von der Standortgemeinschaft ins Gespräch gebrachten Bänke allerdings ab. „Für Menschen, die keinen festen Wohnsitz haben, ist die Innenstadt eine Art Wohnzimmer“, sagt er. Und in einem Wohnzimmer möchte man sich auch aufhalten dürfen, betont Müller-Brandes. Er bezeichnet die Pläne der City-Gemeinschaft als „unfreundlichen Akt“. Die Kaufleute wollten nur die Menschen in der City haben, die auch konsumierten, die Innenstadt sei jedoch für alle Menschen da, meint er. Müller-Brandes fordert, die Bänke so zu gestalten, dass sie vielfältig nutzbar sind.
Prenzler verweist darauf, dass laut Stadtsatzung das Hausieren in der City verboten ist – „und eine Bank zum Schlafen oder dauerhaften Betteln in Beschlag zu nehmen, ist Hausieren“. Man müsse unterscheiden, sagt Prenzler: Betteln aus sozialer Not tolerierten die City-Kaufleute, solange es nicht aggressiv, permanent oder gewerbsmäßig sei. Allerdings formten Gruppen von Punks in der City immer wieder sogenannte „Betteltrichter“, um effizienter schnorren zu können. „Diese Gruppen sind ein Fall für die Polizei“, findet er.
Steintor wird am wenigsten geschätzt
Gute Noten für die Innenstadt, aber sehr unterschiedliche Bewertungen für einzelne Plätze – das ist das Ergebnis einer Befragung, die von Studierenden der Fachhochschule für die Wirtschaft (FHDW) organisiert wurde. Demnach landet das Steintor (Schulnote: 3,51) auf dem letzten Platz und damit sogar noch hinter dem Raschplatz (Note 3,45). An erster Stelle behauptet sich der Opernplatz (Note 2,23). Befragt nach den Wünschen für die City gaben die Besucher an: mehr Grünflächen, Sitzgelegenheiten und Parkplätze.
17 Studierende haben 312 Innenstadtbesucher gefragt – darunter auch Nutzer des Wohnungslosenladens Mecki. Interessant ist im Vergleich, dass die Mecki-Nutzer bei den Plätzen die gleiche Rangfolge wählen, aber durchweg schlechtere Noten geben. Bei anderen Aspekten unterscheiden sich die Ergebnisse deutlich. So hat das Sicherheitsgefühl in der Innenstadt gegenüber früheren Befragungen deutlich nachgelassen, nur noch knapp die Hälfte (49,1 Prozent) fühlt sich sicher oder sogar sehr sicher. Bei den Wohnungslosen waren es nur 44,1 Prozent. Mehr als ein Viertel der Passanten empfindet die City als unsauber, die Bewertung der Mecki-Nutzer fiel nach Angaben von Torsten Spandl, Leiter der gemeinsam mit der Diakonie durchgeführten Studie, „signifikant schlechter“ aus.
Nur knapp die Hälfte der Befragten (40,7 Prozent) sagt, sie komme zum Shoppen – bei den Wohnungslosen gaben das naturgemäß nur 3,7 Prozent an. Weitere Gründe für den Citybummel sind „Treffen von Freunden“ (28 Prozent) und Gastronomie (7,1 Prozent).
HAZ vom 02.03.2015, S. 13:
Nicht neu, aber dringend gebraucht
Das frühere Oststadtkrankenhaus ist Hannovers größte Flüchtlingsunterkunft - an Kleiderspenden mangelt es dort nicht
Von Gunnar Menkens
Oststadtkrankenhaus, jetzt Flüchtlingsunterkunft, Kleiderkammer auf dem Flur. In kleinen Grüppchen kommen Männer und Frauen herein, damit es nicht zu voll wird. Die anderen müssen sich vor der Tür gedulden. Drinnen betrachten sie T-Shirts und Pullover, legen verworfene Stücke ins Regal zurück, probieren neue Dinge an, halten Kleider an den Körper. Vier Wochen arbeitet Ingrid Erbeck hier, ehrenamtlich natürlich, aber schnell hat sie gemerkt, wie gut es ihr gefällt. „Ich bin so ein Aufräumer vor dem Herrn“, sagt sie fröhlich, „das ist genau meine Baustelle.“ Also sortiert sie ordentlich zurück, was nicht ganz korrekt liegt. Zwischendurch hat sie eine Idee, dann fällt ihr ein Stück auf und ein Herr in der Nähe, der womöglich der passende Mensch dafür wäre. „Hier, Mister, wie wäre es mit diesem schwarzen T-Shirt?“ In diesem Fall: Nein, das wäre nichts.
Quelle: Schaarschmidt
Das frühere Oststadtkrankenhaus ist seit Dezember Hannovers größte Unterkunft für Flüchtlinge. 350 Menschen wohnen hier, der überwiegende Teil sind Männer zwischen 19 und 30 Jahren. Ein paar Wochen noch, dann sind alle 550 Plätze auf den Etagen belegt. Die Hilfe der Bürger lässt nicht zu wünschen übrig. Paulina Andrzejewska leitet das Haus für das Deutsche Rote Kreuz. Sie sagt, man könne zwar nicht alle Stücke gebrauchen, denn auch die Flüchtlinge wollen sich so modisch kleiden, wie sie es zu Hause getan haben. Bestände aus Schränken älterer Herren und verwitweter Damen sind deshalb nicht die Renner in der Kleiderkammer. Sneakers statt Lederschuhe, Jeans und Kapuzenpullover statt Hemden und Jacketts, darum geht es.
Dennoch: Mangel gibt es weiterhin. Flüchtlinge haben viel Zeit, aber wenig Geld, 327 Euro bekommt jeder pro Monat. Sportbekleidung, Joggingsachen, Fußballschuhe, daran fehlt es. Gerade in den kommenden Monaten, wenn Frühling und Sommer beginnen und draußen vor der Unterkunft ein Sportplatz hergerichtet wird – für den fehlen noch Fußballtore und auch Bälle. „Und große Töpfe“, sagt Paulina Andrzejewska noch, von fünf Liter Volumen an aufwärts, weil viel gemeinsam gekocht wird.
Es muss eine merkwürdige Welt sein für Menschen, die Not und Elend entkommen sind. Remzi Rexhepi, 25 Jahre alt, ist aus dem Kosovo geflohen. „Es war ein Albtraum“, sagt er. Polizisten, die sie an Grenzen nur gegen Bestechungsgeld ziehen ließen, manche wurden geschlagen. Rexhepi zog weiter nach Deutschland, wo er eine Zeit lang bereits als kleiner Junge lebte, in Rüdesheim, nachdem er mit seiner Familie dem Balkankrieg entkommen konnte. Seitdem spricht er gutes Deutsch. Er war bisher noch nicht in der Kleiderkammer, seine sportlichen Klamotten genügten ihm bislang. Dann hat er doch etwas gefunden, ein Hemd und ein Paar Schuhe.
Die Kammer ist in diesen Tagen gut gefüllt. Kinderschuhe finden sich hier, Spielzeug, Kleidung in unterschiedlichen Größen, es ist gut sortiert, aber es gibt Momente, da muss man wirklich schnell sein. Man lebt hier nicht am Büfett im All-inclusive-Urlaub, wo Gedrängel herrscht, obwohl doch immer nachgelegt wird. Als einmal fünf Paar Damenturnschuhe in poppigen Farben neu im Regal standen, waren sie in einer Stunde weg. Was noch fehlt, hat Ingrid Erbeck beobachtet: „Rucksäcke.“ Einige Stunden pro Woche ist die Kleiderkammer geöffnet. Helfer vom Roten Kreuz nehmen die Dinge an, wenn Spender vorbeikommen (sie sollten sich vorher anmelden), aber sie betonen auch, dass sie keine Resterampe für Sperrmüll sind.
Das frühere Oststadtkrankenhaus ist auch für Ibrahim Elsamadi, einen 38 Jahre alten Algerier, vorläufig das neue zu Hause. Seine Flucht führte ihn über Libyen und Italien nach Deutschland. Algerien sei kein Rechtsstaat, Menschen würden unterdrückt. Elsamadi spricht hervorragend Deutsch, weil er in seiner Heimat Touristen in Hotels betreute. Hier macht er Sport, hilft in der Unterkunft als Dolmetscher, und er liest viel, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. „In Deutschland als Dolmetscher zu arbeiten ist mein Traum. Ich hoffe, er geht in Erfüllung.“ Er ist zufrieden mit dem, was er erst einmal hat. Die Kleiderkammer? „Normal. Gibt gute Sachen und nicht so gute.“
Gutes tun – aber sinnvoll
Die Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Oststadtkrankenhaus ist die größte im hannoverschen Stadtgebiet. Verteilt auf mehrere Standorte, darunter drei Sporthallen sowie Containerdörfer, leben derzeit 2350 Asylsuchende in den Einrichtungen.
Längst steht fest, dass bis zum September noch einmal dieselbe Anzahl einquartiert werden muss. Angesichts der Lage etwa im Nahen Osten oder in einigen Ländern Afrikas steht nicht zu erwarten, dass der Strom zum nächsten Winter hin abreißt.
Die Heime verfügen über eine Grundausstattung, aber die Bewohner, die oft mittellos nach Deutschland gekommen sind, freuen sich trotzdem über Spenden. Allerdings ist es wichtig, die Hilfsbereitschaft gezielt einzusetzen. So wurde Kleidung zwischenzeitlich gar nicht benötigt, weil vor allem in der Zeit vor Weihnachten sehr viel davon gespendet wurde.
Wer Gutes tun will, kann sich mit den Unterstützer- und Freundschaftskreisen in Verbindung setzen, die sich an vielen Standorten der Unterkünfte gegründet haben. Oder er nimmt vorher Kontakt zu den Wohnheimbetreibern auf:
Caritas: Telefon (0511) 126001032, info@caritas-hannover.de
Wohnheim der evangelischen Freikirche, Hildesheimer Straße 161: Telefon (0511) 9806713
Fair Facility und Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte Hannover: Telefon (0152)33995661 oder unter der E-Mail-Adresse fluechtlingsheime-hannover@online.de
Deutsches Rotes Kreuz: Telefon (0511) 3671151
European Homecare: mail@eu-homecare.com (betreibt mehrere Heime auch in Hannover)
HAZ vom 28.02.2015, S. 21:
Quälte Trinkkumpan das Opfer zu Tode?
Diakonin entdeckte Toten an der Ihme / Michal K. wegen Totschlags vor Gericht
Es war ein hässlicher Tod, den der 40-jährige Ruben B. in einer Septembernacht 2014 erlitt. Am Ihme-Ufer, auf einem Fußweg neben der Benno-Ohnesorg-Brücke in Linden. B. wurde totgeprügelt. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft gewürgt, getreten, geschlagen von seinem Trinkkumpan Michal K. Der 33-Jährige muss sich seit Freitag vor dem Schwurgericht Hannover wegen Totschlags, Raubes und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Die Taten soll er im Zustand veminderter Schuldfähigkeit begangen haben. Äußern wollte sich der Angeklagte beim Prozessauftakt nicht – doch Zeugenaussagen deuten darauf hin, dass K. das Opfer bereits Stunden vor der Tat heftig malträtierte.
Eine 62-jährige Diakonin, morgens beim Walken, findet Ruben B. am 17. September um 6.40 Uhr unter dem Baugerüst eines Hauses am Walter-Wülfing-Ufer. Das führt dazu, dass die Polizei später spekuliert, ob sich B. vom Gerüst gestürzt hat oder unfreiwillig heruntergefallen ist. Doch diese Überlegungen sind schnell hinfällig. Zu Füßen von B., der reglos, mit blutverschmiertem Kopf, voller Hämatome und nur halb angezogen daliegt, sitzt Michal K., eine Bierflasche in der Hand. Er hocke dort schon eine halbe Stunde, erklärt er der Frau. Beschimpft den am Boden Liegenden plötzlich als „scheiß Jude“. Die Diakonin fürchtet um das Leben des Opfers, läuft auf die Brücke, bittet eine auf die Stadtbahn wartende Frau, die Polizei zu rufen. Doch die Rettungskräfte kommen zu spät – B. ist offenbar schon seit Stunden tot.
Michal K. hat sich klammheimlich entfernt, wird jedoch am Nachmittag in einer Wohnung in Linden-Süd festgenommen. „Lebt er noch?“, ist eine seiner ersten Fragen an die Polizeibeamten. Im Gesicht hat er Blutspuren, redet wirres Zeug und ist aggressiv.
Ruben B. wurde in Kolumbien geboren. Er kam mit drei Jahren nach Deutschland, wurde adoptiert, soll in Frankfurt aber eine unschöne Kindheit mit mehreren Heimaufenthalten erlebt haben. Sein größtes Problem wurde der Alkohol, in Hannover kam er in Kontakt mit der Trinkerszene. Er sammelte Flaschen, arbeitete in einer Fahrradwerkstatt. Und offenbar war der psychisch angeschlagene Mann das klassische Opfer. Wehrte sich nicht, wenn ihn Kumpane aus der Obdachlosenszene ärgerten. Oder schlugen. Versuchte immer witzig zu sein, machte den Kasper. Doch Michal K., gerade aus dem Gefängnis entlassen, nutzte das gnadenlos aus.
Am Nachmittag vor dem grausigen Fund am Ihme-Ufer tranken die beiden Männer in der Lindener Wohnung Bier und Wodka in rauen Mengen. Eine Bekannte, die ein paar Stunden dabei war, sagte gestern: „Michal hat sich einen Spaß daraus gemacht, Ruben zu quälen.“ Der aus Polen stammende K. forderte den Älteren auf, das Trikot der polnischen Fußball-Nationalmannschaft zu küssen. Schlug ihm mit einem Besenstiel auf den Kopf. Steckte ihm einen Nasenhaartrimmer in die Nase. Auch soll K. seinem Opfer 80 Euro entwendet haben, die dieser kurz zuvor von seinem Betreuer ausgehändigt bekommen hatte. Und das Opfer? Ließ sich alles gefallen.
Was in den frühen Morgenstunden des Folgetages genau geschah und warum Ruben B. starb – das ist bislang noch nicht zur Sprache gekommen. Der Prozess wird Mitte März fortgesetzt.
HAZ vom 27.02.2015, S. 4:
Wohnungsloser verhungert im Wald
Hessisch Oldendorf. Ein wohnungsloser Mann ist in einem Waldstück im Weserbergland vermutlich an den Folgen von Unterernährung und Kälte gestorben. Es deute alles darauf hin, dass sich der 53-Jährige aufgegeben habe, sagte ein Polizeisprecher in Hameln am Donnerstag. Die „Deister- und Weserzeitung“ hatte berichtet, dass ein Jäger den Toten am Dienstagabend in einem Wald nahe Hessisch Oldendorf gefunden hat.
Eine medizinische Untersuchung habe ergeben, dass der ursprünglich aus Rinteln stammende Mann extrem untergewichtig gewesen sei, sagte der Polizeisprecher. Es deute nichts auf ein Fremdverschulden hin. Der 53-Jährige habe sich als „wilder Camper“ schon länger in der Region aufgehalten und keinerlei Hilfe annehmen wollen.
Vor einigen Jahren hatte der Fall eines 58-Jährigen aus Hannover für Aufsehen gesorgt. Der Mann hatte sich auf einem Hochsitz im benachbarten Solling offenbar bewusst zu Tode gehungert. Er hatte seine letzten Wochen in einem Tagebuch dokumentiert. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass er schon länger arbeitslos war. Seine Ehe war gescheitert und der Kontakt zu Angehörigen abgebrochen. Als er seine Wohnung räumen musste, war der Mann mit dem Fahrrad rund 100 Kilometer weit in den Solling gefahren und hatte sich auf den Hochsitz zurückgezogen.
HAZ vom 27.02.2015, S. 15:
Bohren auf Rädern
Seit drei Jahren fährt das Zahnmobil zu Hannovers Armen. 60 Prozent von ihnen leben ohne Krankenversicherung - mitten in Deutschland. Ein Zahnarztbesuch.
Von Gunnar Menkens
Eine Woche Schmerzen, unten rechts im Kiefer. Hölle, Hölle, Hölle. Billige Tabletten betäuben diesen Druck, der nicht aufhört. Mal dumpf, mal dröhnend. Ein Zahnarzt müsste sich die Sache ansehen, aber Nurhan Nurier hat wenig Geld, und weil er wenig Geld hat, besitzt er auch keine deutsche Krankenversicherung. Er kommt aus Bulgarien, lernt Deutsch, besucht Integrationskurse und trägt Zeitungen aus, das hält ihn über Wasser. Aber seine Versicherung aus der Heimat wird hier nicht akzeptiert, oder es ist Ärzten zu mühsam, einer Kasse in Osteuropa hinterherzutelefonieren. Eine private Behandlung könnte er nicht bezahlen. Nur für ein Antibiotikum hat es gereicht.
Dann liest der 29 Jahre alte Mann, der längst Patient hätte sein müssen, dass in der Nordstadt ein Zahnarzt in einem Auto vorbeikommt und Menschen kostenlos behandelt. Arme, Obdachlose, Kranke. Das Zahnmobil parkt auf dem Bürgersteig, die Stadt hat es von Strafmandaten befreit. Vor dem Tagestreffpunkt am Engelbosteler Damm stehen Besucher, Straßenbahnen fahren vorbei, Autos holpern über Asphalt. Im Zahnmobil beugt sich Dirk Ostermann, Zahnarzt mit Praxis in der Südstadt, ehrenamtlich über den Patienten Nurier, er schaut in den Rachen und stellt fest: Ein Weisheitszahn muss raus. Die Betäubungsspritze versetzt Nerven und Gewebe in einen empfindungslosen Tiefschlaf, und bald ist der Zahn gezogen. Erst mal nichts essen.
Quelle: Schaarschmidt
In wenigen Wochen besteht die fahrende Praxis seit drei Jahren. Wie das Zahnmobil in Gedanken Gestalt annahm, beschreibt Gründerin Ingeburg Mannherz auf ihre umstandslos robuste Art so: „Da hat der frühere Diakoniepastor Walter Lampe zu meinem Mann gesagt: Mannherz, kannst du da nicht was machen?“ Lampe hatte dem Ehepaar, das da schon in den Siebzigern und tatsächlich im Wortsinne im Unruhestand lebte, von Menschen erzählt, die auf der Straße leben, und von deren oft verheerenden gesundheitlichen Zuständen. Die Zahnärztin und der Ingenieur waren genau die richtige Adresse für Lampe. Sie hatte Know-how und hörte sich bei Kollegen um; er kennt Gott und die Welt und ist ein begabter Schrauber. Das senkt die Kosten.
Firmen geben Material billiger, die Freimaurer fahren umsonst zu den Terminen, eigene Reparaturen sparen Werkstattkosten. Bei dem Wagen, der jetzt vor dem Treffpunkt in der Nordstadt steht, funktionierte noch am Morgen der Ablauf im Ausspuckbecken nicht richtig. Zu wenig Wasserdruck, erkannte Mannherz. Er hat das schnell repariert, „nicht perfekt, aber es geht“. Auch deshalb kann Nurhan Nurier damit rechnen, bald schmerzfrei zu leben.
Überhaupt die technische Seite: Der alte Rettungswagen vom Deutschen Roten Kreuz hat inzwischen den Tachostand von 300?000 Kilometern erreicht, man hatte ihn gebraucht gekauft. Innen das aus Praxen bekannte Programm: Stuhl, Säule, Tisch, Lampen, Speibecken. Möglich gemacht durch knapp 60?000 Euro Anschubfinanzierung der Stiftung Hilfswerk Deutscher Zahnärzte und am Leben gehalten durch etliche Sponsoren. Ein zweiter Kompressor musste inzwischen gekauft werden, auch der Amalgamabscheider hielt nicht, was sich Mannherz beim Kauf versprochen hatte. Ein Modell aus Korea, man wollte sparen. Heute weiß er, dass es ein Fehler war. Demnächst guckt er sich ein neues Gerät an. Nicht auszuschließen, dass er nach erfolgreichem Abschluss an einem Sonnabendmorgen in einer beheizten Garage steht, um ein neues Teil einzubauen. Einer Garage, die Enercity kostenlos zur Verfügung stellt.
Ein bedeutender Teil sozialer Hilfe kann in Großstädten mittlerweile nur deshalb geleistet werden, weil Freiwillige sich engagieren. Deshalb hat sich auch Dirk Ostermann diesen Nachmittag für das Zahnmobil frei gehalten. Er ist einer von 30 ehrenamtlichen Ärzten, die nach einem festen Tourenplan unterwegs sind, jeder macht einen Tag im Monat. Ostermann sieht, wie schlecht es den Patienten geht. Häufig sind es Menschen, denen Zähne im Gebiss fehlen. Oft sind Zähne kaputt, was Schmerzen zur Folge hat. „Viele hier haben Angst, zum Zahnarzt zu gehen. Sie fürchten, dass sie abgewiesen werden, weil sie kein Geld haben und weil man ihnen ihre Armut ansieht. Manche versuchen dann, sich selbst zu helfen. Ich habe gesehen, dass Patienten Löcher im Gebiss mit Bastelmasse ausgestopft haben.“ Die Ärzte erleben, dass sich die Lage nicht bessert. Inzwischen haben 60 Prozent der Patienten des Zahnmobils keine Krankenversicherung, darunter viele Zuwanderer aus Osteuropa.
In der Straßenrandpraxis können die Ärzte alle Zahnerkrankungen behandeln. Schwierig aber wird es, wenn eine Therapie über mehrere Termine angesetzt wird. Nicht immer erscheinen diese Patienten zur nächsten Sitzung, weil viele psychische Probleme haben. Ostermann erzählt, dass sie oft nicht wiederkommen, „wir haben schon Prothesen zwei Monate lang durch die Gegend gefahren“.
Das weiße Zahnmobil ist indes nur die sichtbare Spitze im Verhältnis von Armut und Krankheit. „Die medizinische Versorgung ist hier ein großes Problem“, sagt Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes. Erste Priorität von Obdachlosen sei das bloße Überleben. Einen Schlafplatz für die Nacht organisieren, etwas zu essen zu haben. Sorge um den eigenen Körper rückt weit in den Hintergrund, was oft zu verschleppten Erkrankungen führe, die schnell chronisch werden können.
Die Diakonie versucht, die schlimmste Not zu lindern, nicht allein mit dem Zahnmobil. Im Obdachlosenladen „Mecki“ ist eine Krankenschwester angestellt, bezahlt aus Spenden und Eigenmitteln. Sie hilft Patienten bei der Erstversorgung. Einmal in der Woche kommt ein Arzt, ein Ruheständler, vorbei, um beinahe ehrenamtlich Patienten zu helfen. Seine Praxis: ein Raum von acht Quadratmetern. „Eine wacklige Konstruktion“, sagt Müller-Brandes zu diesem Modell. Er wünscht sich eine bessere Versorgung, und die Gespräche darüber laufen mit Region und kassenärztlicher Vereinigung. Mehr Ärzte, eine psychologische Betreuung für Patienten und eine Ausstattung, die Behandlung auf mehr als acht Quadratmetern erlaubt, wünscht sich der Pastor.
Draußen vor dem Praxiswagen steht Melanie Schimmer. „Wie der Schimmer“, sagt sie zu ihrem Namen. Das Leben war oft anders. 17 Jahre Heroin haben ihre Zähne zerstört, sie saß im Gefängnis, dort hat sie ein Gebiss bekommen. Zu Dirk Ostermann geht sie heute nicht. Aber sie lebt mit Menschen, die diese Hilfe nötig haben. Sie erzählt von Sprachproblemen, von Männern und Frauen, die schon lange in Unterkünften und Containern leben und sich niemals einen Arzt leisten könnten. „Aber manchmal hat jemand ein bisschen Geld, und dann gibt er was davon fürs Zahnmobil.“
Darum fährt das Zahnmobil
(gum). Der Betrieb des Zahnmobils kostet rund 75.000 Euro im Jahr. Das Geld wird für das Gehalt einer fest angestellten Helferin, medizinisches Material, Reparaturen und Anschaffungen benötigt. Nach Auskunft des Diakonischen Werkes kommen rund 45.000 Euro durch Behandlungskosten der Krankenkassen herein. 30?000 Euro tragen Spender und Sponsoren bei, darunter die Diakonie selbst, in dessen Verantwortung das Mobil unterwegs ist. Geldgeber sind außerdem Unternehmen aus der Zahnmedizin, Sparkasse und Region Hannover, Zahnärztekammer, Nord/LB und die Marktkirchengemeinde. Weitere Sponsoren und Patenschaften sind willkommen. Werner Mannherz, einer der Initiatoren des Zahnmobils, bereitet derzeit die Gründung eines Fördervereins vor.
Weitere Informationen gibt es unter www.zahnmobil-hannover.de
HAZ vom 11.02.2015, S. 19:
Leserbrief von Katrin Timm, Wedemark
Klassik am Bahnhof – warum nicht?
"Ich finde es schade, dass der Vorschlag des CDU-Baupolitikers Felix Blaschzyk, den Hinterausgang des Hauptbahnhofes mit klassischer Musik zu beschallen, mit Gelächter quittiert wurde. Ob dadurch tatsächlich Trinker, Obdachlose oder Drogenabhängige „vertrieben“ würden mag fraglich sein. Die Probleme dieser Menschen sind dadurch ohnehin nicht zu lösen. Das bedeutete lediglich: „Aus den Augen, aus dem Sinn.“ Es könnte aber durchaus eine Wohlfühlatmosphäre für Reisende und vielleicht sogar für eben genannte Personengruppen entstehen. Mal weitergesponnen könnte es möglicherweise sogar Aggressivität mindern. Warum nicht einfach mal versuchen? Der Kostenfaktor dürfte dabei nicht erheblich sein. Und bei unerwünschten Effekten könnte man das Projekt ja auch wieder auf Eis legen."
HAZ vom 07.02.2015, S. 10:
Geben ist strafbar, nehmen auch
Norwegen plant Verbot für Bettler - sogar mildtätigen Bürgern droht Gefängnis
Von André Anwar
Oslo. Können Nächstenliebe und Barmherzigkeit Sünde sein? In Norwegen, dem reichsten Land Europas, schon. Denn die stramme Regierung aus Konservativen und Rechtspopulisten hat Bettlern aus armen EU-Ländern den Kampf angesagt. Die Hauptstadt Oslo hatte schon im vergangenen Jahr ein Bettelverbot ausgesprochen, nun soll es auf das ganze Land ausgedehnt werden. Sogar das Geben von Almosen an Bettler will die Regierung künftig unter Strafe stellen. Wer Bettlern hilft, soll mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Strafbar ist laut dem Regierungsentwurf jede Art von Gabe, die Bettelei erleichtert, ob es sich nun um Geld oder eine Herberge handelt.
Derzeit tobte eine breite gesellschaftliche Debatte im Norden Europas. Zahlreichen Norwegern sind zwar die Rumänen im Straßenbild ein Graus, mit dem Doppelschlag gegen das Betteln hofft mancher, das Image des sauberen Wohlfahrstaates bewahren zu können. Kritiker dagegen befürchten, dass das neue Verbot als Keule gegen alle ausländischen Bettler und mildtätigen Menschen instrumentalisiert wird.
Inger Husby aus Oslos Vorort Böler lädt Bettler immer wieder in ihr Haus ein. Nun hat sie Angst, dass die Polizei ihr deshalb bald nachstellen könnte. „Die haben hier mehrmals übernachtet, bekommen Mittagessen, und ich fülle ihre Tassen mit Kakao“, sagt sie in einem Fernsehinterview. Bald könnte die liebevoll „Mama Inger“ genannte Dame ins Gefängnis wandern.
„Beispiel für die Mitwirkung kann unter anderem sein, wenn eine Person Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt“, heißt es in der Gesetzesinitiative des von den Rechtspopulisten geführten Justizministeriums ein wenig umständlich. Das Verbot von Betteln und der Beihilfe wird vermutlich noch vor diesem Sommer in Gesetzesform gegossen.
Allerdings lässt sich „Mama Inger“ nicht abschrecken. „Ich würde noch mehr helfen, wenn die das wirklich verbieten sollten. Man kann doch Leute nicht bestrafen, die anderen helfen, die es schlechter haben“, sagt die resolute Dame. „Wenn die mich ins Gefängnis stecken wollen, bitte schön.“
„Es geht hier um aktive Beihilfe zu einer Aktivität, die wir wegbekommen wollen“, verteidigt der rechtspopulistische Staatssekretär im Justizministerium, Vidar Brein-Karlsen, den Vorstoß. Es gehe vor allem darum, organisierte Bettelei zu bekämpfen. Da müsse man an die Organisatoren ran, diejenigen, die die Bettler nach Norwegen holen.
Marianne Borgen von der Linkspartei kritisiert, dass laut den Definitionen der Rechtspopulisten schon zwei Bettler, Vater und Sohn, als organisierte Bande gelten würden. „Das löst doch keines der grundlegenden Probleme, um die es bei Armut geht“, sagt sie. „Europas reichstes Land kriminalisiert die ärmsten Menschen.“ Auch die anderen Oppositionsparteien – Sozialdemokraten und Christdemokraten – haben sich gegen den Vorstoß gestellt.
Unerwartete Unterstützung könnte von der Zentrumspartei, die eigentlich die Regierung unterstützt, kommen. „Beihilfe zur Bettelei unter Strafe zu stellen ist inakzeptabel. Es kann nicht strafbar sein, Menschen Kleider, Essen und ein Dach über dem Kopf zu geben“, so Fraktionschefin Marit Arnstad. Vielleicht hat Mildtätigkeit somit in Norwegen doch noch eine Zukunft.
HAZ vom 05.02.2015, S. 11:
CDU will Trinker mit Musik vertreiben
Fraktion fordert Berieselung des Raschplatzes mit Klassik - und erntet im Bauausschuss Gelächter
Von Andreas Schinkel
Mit Entspannungsmusik am Hinterausgang des hannoverschen Hauptbahnhofs will die CDU die Trinkerszene auf dem Raschplatz vergraulen und zugleich Reisenden eine Wohlfühlatmosphäre bieten. Diese Forderung der Christdemokraten hat gestern im Bauausschuss des Rates für Aufregung und Gelächter gesorgt. „Hamburg setzt die Strategie erfolgreich ein, und Hannover ist schließlich Unesco City of Music“, argumentiert CDU-Baupolitiker Felix Blaschzyk. Letztlich müsse etwas dagegen getan werden, dass der Raschplatz immer weiter vermüllt und es in vielen Ecken nach Urin stinkt.
SPD, Grüne und Linke quittierten den Vorschlag mit Kopfschütteln, die FDP gar mit Gelächter. Mancher im Ausschuss fühlt sich an die Idee von Matthias Waldraff im Oberbürgermeister-Wahlkampf erinnert. Damals regte der CDU-Kandidat an, Blaskapellen ins Stadion zu schicken, um die unflätigen Äußerungen der Ultras zu übertönen. „Wir stellen Aktionspläne gegen Lärm auf, und jetzt will die CDU den Raschplatz beschallen“, wundert sich FDP-Fraktionschef Wilfried Engelke. Das sei ein Vorschlag zum Fremdschämen.
Ernster nehmen SPD, Grüne und Linke den Antrag der CDU. Für „infam“ hält SPD-Baupolitiker Ewald Nagel das Anliegen der Christdemokraten. „Die CDU will missliebige Mitbürger mit subtilen Mitteln vertreiben“, sagt Nagel. Zwar räumt er ein, dass der Raschplatz in einem deutlich besseren Zustand sein dürfte, aber die Verwahrlosung des Platzes nur einer Gruppe in die Schuhe zu schieben sei nicht hinnehmbar. Sein Kollege von den Grünen, Michael Dette, schlägt in dieselbe Kerbe. „Wir wollen nicht bestimmen, wo sich Menschen aufhalten dürfen, das ist nicht unser sozialpolitisches Weltbild“, sagt Dette. Zudem erkenne er kein Sicherheitsrisiko auf dem Raschplatz. Linken-Fraktionschef Oliver Förste wendet ein, dass jeder Bahnhof sein Milieu habe. „Solche Maßnahmen wie in Hamburg wollen wir bei uns nicht“, sagt er. „Hannoveraner“-Vertreter Gerhard Wruck fragt sich, ob entspannende Musik nicht eine Einladung für die Trinkerszene sein könnte.
Tatsächlich werden in Hamburg manche U-Bahn-Haltestellen und Bereiche des Hauptbahnhofs mit Musik berieselt. Dass dadurch Drogensüchtige und Obdachlose vertrieben werden, gehöre ins Reich der Legende, berichtet das „Hamburger Abendblatt“. In Hannover hat die städtische Immobiliengesellschaft Union Boden vor einigen Jahren versucht, Jugendliche vor dem Eingang zum Parkhaus Mehlstraße zu vertreiben. Etliche Anhänger der Gothic-Szene saßen an Sonnabenden vor der Parkhaus-Einfahrt und ließen die Flaschen kreisen. Schräg gegenüber befindet sich eine Szene-Discothek. „Klassische Musik und selbst helle Strahler haben die Gothics nicht vertrieben“, berichtet eine Verwaltungsmitarbeiterin.
Klassik auf dem Andreas-Hermes-Platz
Auf dem Andreas-Hermes-Platz hat eine Hausverwaltung die Idee der CDU bereits in die Tat umgesetzt. Im vergangenen Sommer ließ Hausverwalter Gerhard Bode eine Musikanlage installieren und beschallte den Platz ab 22 Uhr mit Wohlklängen von Brahms und Haydn. Damit wollte er Party-Trinkern und Obdachlosen den Aufenthalt so unangenehm wie möglich machen und letztlich dafür sorgen, dass der Platz sauberer wird.
„Tatsächlich ist es besser geworden“, sagt Bode jetzt. Schließlich habe die Polizei weniger Straftaten auf dem Platz registriert. Im kommenden Sommer will er wieder seine Klassik-CDs auflegen. Im Bezirksrat Mitte ist die musikalische Offensive nicht gut angekommen.
„Es ist keine gute Idee, mit Klassik Leute zu vertreiben“, sagt der stellvertretende Bezirksbürgermeister Norbert Gast (Grüne). Ein Verbot indes können weder Stadt noch Politik erwirken, denn weite Teile des Platzes sind Privateigentum. „Obdachlose vertreibt die Musik nicht“, sagt eine Rathaus-Mitarbeiterin.
HAZ vom 04.02.2015, S. 14:
Unbekannter spendet 2000 Euro
(vt). Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate hat ein Unbekannter der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in der Region Hannover anonym Geld gespendet.
Am Montagmorgen fand eine Mitarbeiterin im Briefkasten einen an die Awo gerichteten Umschlag mit 2000 Euro in bar. „Für die Arbeitslosen, zum Beispiel für gemeinsame Unternehmungen“, stand auf dem Kuvert. „Wir freuen uns sehr über die Spende und bedanken uns herzlich bei dem unbekannten Spender“, sagte Awo-Geschäftsführer Burkhard Teuber. „Es scheint so, als ob das Geld von der gleichen Person kommt, die uns schon Anfang Dezember 4000 Euro gespendet hat.“
Teuber versichert, das Geld dem Spenderwunsch entsprechend für gemeinsame Unternehmungen mit arbeitslosen Menschen einzusetzen.
Die Awo bietet für Betroffene neben Hilfen zur Beschäftigung und Qualifizierungen auch Freizeitmöglichkeiten an. Dem anonymen Spender scheinen Arbeitslose ganz besonders am Herzen zu liegen. Bereits im November hatte vermutlich derselbe dem Ahlemer Arbeitslosenhilfeverein ASG 2000 Euro in bar in den Briefkasten seiner Geschäftsstelle in der Heisterbergallee eingeworfen.
HAZ (Stadt-Anzeiger Süd) vom 22.01.2015, S. 2:
„Die gute Fee der Bult“
Der Bezirksrat ehrt Annemarie Streit, Silek Klein und Wolfgang Ehlers für ihr ehrenamtiches Engagement
Von Mario Mowers
Südstadt-Bult. Annemarie Streit hat immer ein paar Pflaster dabei. Ebenso Tempotaschentücher. Die 87-Jährige ist stets bereit zu helfen. Und dort, wo sie unterwegs ist, brauchen die Menschen jemanden, der hilft. Seit mehr als dreißig Jahren kümmert sich die Seniorin ehrenamtlich um obdachlose, drogenabhängige und andere benachteiligte Menschen. Für ihr ehrenamtliches Engagement hat der Bezirksrat Südstadt-Bult „die gute Fee der Bult“ auf seinem Neujahrsempfang mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. „Vor allem den Obdachlosen und Süchtigen ist sie stets eine Ansprechpartnerin“, lobte der stellvertretende Bezirksbürgermeister Ekkehard Meese ihre außergewöhnliche Arbeit. Annemarie Streit ist die bislang älteste Preisträgerin des Ehrenpreises. Mit der Auszeichnung, die an insgesamt drei Einwohner des Stadtbezirks ging und mit jeweils 500 Euro dotiert ist, wird besonderes soziales oder kulturelles Engagement gewürdigt.
Wenn Annemarie Streit am Braunschweiger Platz die Drogensüchtigen sieht, blickt sie nicht auf den Boden und weicht aus, wie es viele Passanten tun. Stattdessen sucht die Rentnerin das Gespräch. Gerade mit jenen Menschen, die von anderen gemieden werden. „Aus dem Methadonprogramm kenne ich fast alle“, erzählt die rüstige Südstädterin selbstbewusst und auch ein wenig stolz. Methadon ist eine Ersatzdroge, die Süchtige vom Heroin entwöhnen soll. Als vor einigen Jahren eine Lokalzeitung herablassend über die suchtkranken Menschen am Braunschweiger Platz berichtete, schrieb sie einen zornigen Leserbrief. „Es hieß darin, dort sei alles verschmutzt und gefährlich. Das war völliger Quatsch“, sagt sie.
Annemarie Streit ist damit wohl die ungewöhnlichste Sozialarbeiterin in der Stadt. Denn sie unterstützt ehrenamtlich soziale Institutionen und benachteiligte Menschen, wo sie nur kann. Angst hat sie dabei nicht. Mit „ihren Jungs“ habe sie nur gute Erfahrungen gemacht, sagt sie. „Nicht ein einziges Mal musste ich mir zotige Witze oder derartiges anhören.“
Und das Engagement der 87-Jährigen reicht noch weiter: Für das Kinderkrankenhaus auf der Bult strickte sie Socken, und für die kleinen Patienten bastelte sie Puppen. Den Obdachlosen im Tagestreff „DüK“ in der Lavesstraße bringt sie regelmäßig warme Kleidung für den Winter. Jahrelang engagierte sie sich zudem in einem Frauenhaus. „Irgendwie habe ich ein Herz für Außenseiter“, sagt Annemarie Streit über sich selbst. Sie sei schon ihr Leben lang gerne mit Menschen ins Gespräch gekommen – auch in der Bahn und in der Holländischen Kakaostube, in der sie sich gerne mal eine Auszeit nimmt.
Woher es kommt, dass sie sich mit so viel Herzblut für benachteiligte Menschen in unserer Gesellschaft einsetzt, vermag sie gar nicht so genau zu sagen. Vielleicht spielten auch eigene schreckliche Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg eine Rolle, vermutet sie. Eine soziale Ader hatte sie aber schon ihr Leben lang. Nach der Schule machte Streit eine Schwesternausbildung in der Henriettenstiftung. Später arbeitete sie viele Jahre bei einer Versicherung. Dort war sie die Obfrau für Schwerbeschädigte in Firmen.
Nach dem Ende ihres Berufslebens widmete Annemarie Streit sich mehr und mehr der sozialen Arbeit. Gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Bruder Gerhard begann sie, sich für Alkoholkranke und Drogenabhängige zu engagieren. Nicht etwa aus Langeweile, sondern weil es ihr Spaß mache, bemerkt sie. Die Auszeichnung des Bezirksrats war für die Seniorin dennoch eine Überraschung. Sie habe sie sich darüber sehr gefreut, sagt sie. „Ich hab bislang nur eine Urkunde fürs Blutspenden.“
HAZ vom 20.01.2015, S. 13:
„Das soziale Elend ist größer geworden“
Gottfried Schöne, langjähriger Leiter der ZBS, geht nach 37 Jahren in den Ruhestand
Von Veronika Thomas
Nach 37 Jahren ist Schluss: Gottfried Schöne, langjähriger Leiter der Zentralen Beratungsstelle für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten (ZBS), verabschiedet sich in den Ruhestand. 37 Jahre Wohnungslosenhilfe, „das hatte viel mit Elend, persönlicher Not und Katastrophen zu tun“, sagt der 63-Jährige. „Schicksale, denen man sich nur schwer entziehen konnte.“ 1977, das Diakonische Werk hatte die ZBS ein Jahr zuvor gegründet, stieß der junge Sozialarbeiter zu dem zehnköpfigen Team. „Das war die Stunde null der Wohnungslosenhilfe“, erinnert sich der Vater von vier erwachsenen Kindern.
Quelle: Thomas
Bis dahin gab es nur Obdachlosenheime. Wer Hilfe suchte, erhielt gewissermaßen ein All-inclusive-Paket aus Essen, Schlafstelle, Arbeit plus Taschengeld. Die sich damals erst entwickelnde ambulante Hilfe hingegen setzte bei den Bedürfnissen der Menschen an, bot ihnen Wahlmöglichkeiten, um ihre Selbstständigkeit zu erhalten. „Wir wollten Wohnungslose niedrigschwellig an das Hilfesystem heranführen.“ Das bedeutete, wer Geld brauchte, wurde „qualifiziert“ zum Sozialamt geschickt. „Wir haben sie dabei unterstützt, ihre Rechte durchzusetzen, vor allem dann, wenn sie abgewiesen wurden“, erzählt der ZBS-Leiter. Wer eine Wohnung brauchte, wandte sich an die soziale Wohnraumhilfe. Angesichts der Wohnungsnot stößt diese Einrichtung heute allerdings an ihre Grenzen. „Wir suchen Grundstücke und Bauträger, um neuen Wohnraum zu schaffen.“
1985 entstand der Kontaktladen Mecki, eine niedrigschwellige Anlaufstelle für Wohnungslose, wo es frühmorgens heiße Getränke, Brötchen, medizinische Versorgung und Sozialberatung gibt, für Schöne ein Meilenstein. „Damals wurde die Situation der Menschen auf der Straße öffentlich“, erinnert sich der Sozialpädagoge. Die Stadt habe das Hilfesystem ZBS in all den Jahren zum Glück immer wohlwollend begleitet. Als 1983 die ökumenische Essensausgabe eingerichtet wurde, zunächst als Projekt, später wegen anhaltender Not dann dauerhaft, trieb die ZBS die Einrichtung einer Tageswohnung für Obdachlose voran, wie sie die Selbsthilfe Wohnungsloser (SeWo) bereits anbot. „Wir fanden, dass es wichtiger ist, den Menschen einen Herd zur Verfügung zu stellen, um sich selbst etwas kochen zu können, als ihnen eine warme Mahlzeit zu geben.“
So entstand 1991 in der Lavesstraße die Tageswohnung „Dach über dem Kopf“, wo Menschen ohne Wohnung waschen, duschen und kochen können. Mitte der Neunzigerjahre kam eine Krankenwohnung hinzu, in der Wohnungslose ihre Krankheiten auskurieren können. „Die meisten von ihnen kehren nicht auf die Straße zurück“, sagt Schöne zufrieden. Speziell auf die Bedürfnisse Wohnungsloser ausgerichtet bietet die ZBS auch eine Drogen- und eine Schuldnerberatung an. Heute hat die ZBS unter dem Dach des Diakonischen Werks rund 70 Mitarbeiter mit sieben Beratungsstellen, unter anderem in Celle, Hameln, Wunstorf und Holzminden.
„Die vielen Projekte einzurichten hat natürlich viel Spaß gemacht“, sagt Schöne. In den 37 Jahren sei ein gutes Netzwerk entstanden. Trotzdem sei die soziale Not nicht geringer geworden, sondern noch gewachsen. „Bedingt durch die Hartz-IV-Gesetzgebung haben wir einen hohen Zustrom an jungen Wohnungslosen, und die soziale Not in Osteuropa treibt massenweise Menschen zu uns.“ Viele von ihnen hätten sicher auch zu Hause ihre Probleme gehabt, „aber niemand verlässt freiwillig seine Heimat“, sagt Schöne. Er berichtet von einem kürzlichen Besuch des ZBS-Teams im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven, einem Museum, das sich der 300-jährigen Geschichte früherer Auswanderergenerationen widmet. „Dort ist genau dokumentiert, dass es die blanke Not war, die Deutsche nach Amerika trieb. Deshalb sollten wir mehr Verständnis für die Menschen haben, die zu uns kommen.“
Freitag ist sein letzter Tag bei der ZBS; der Abschied wird mit einer Andacht in der Kreuzkirche und einem kleinen Empfang beim Diakonischen Werk gefeiert. Schöne freut sich auf Haus und Garten im Osten der Region. „Da ist viel Arbeit liegen geblieben.“ Seine Nachfolgerin hat er in den vergangenen Wochen eingearbeitet – die 32-jährige Juristin und ausgebildete Mediatorin Nadine Haandrikman-Lampen aus Göttingen.
HAZ vom 05.01.2015, S. 12:
Kleidersammlung für Flüchtlinge
(rm). Der hannoversche Lions-Club Wilhelm Busch sammelt warme Kleidung für syrische Flüchtlinge in Jordanien. Benötigt werden vor allem Winterbekleidung, Decken, Schlafsäcke und Schuhe. Die Spenden können Donnerstag, 15. Januar, und Freitag, 16. Januar, jeweils von 15 bis 18 Uhr im Hangar Nr. 5, Völgerstraße 5 in Döhren, abgegeben werden.
HAZ vom 05.01.2015, S. 11:
Stadt sucht Wohnungen für Flüchtlinge
Eigentümer sollen dringend Metobjekte melden / Jeder dritte Flüchtling soll in eigener Wohnung leben
Von Gunnar Menkens
Vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen sucht die Stadt Hannover händeringend nach privaten Vermietern, die Wohnraum anbieten. Derzeit leben rund 450 Flüchtlinge in Wohnungen, gut die Hälfte ist jedoch in Häusern der kommunalen GBH untergebracht, deren Kapazität allein nicht genügt. „Alle Wohnungsunternehmen sowie Eigentümer sind gefragt, auf die Stadt zuzukommen“, sagte ein Sprecher am Wochenende der HAZ. Für dieses Jahr hat das Land Niedersachsen der Stadt Hannover und den Kommunen des Umlands weitere 5000 Menschen aus Krisen- und Kriegsregionen zugeteilt.
Gesucht sind nun stärker als zuvor Wohnungen jeder Größe, besonders jedoch kleine Einheiten, weil viele Einzelpersonen untergebracht werden müssen. Mitarbeiter der Stadt suchen im Internet und in Zeitungsinseraten nach freien Wohnungen. Dabei kommt nicht jedes Angebot infrage. Manche Räume sind überteuert, manche in schlechtem Zustand. Der Mietspiegel gilt als Preismaßstab. Im Rathaus heißt es, die Stadt zahle keine überhöhten Mieten, um nicht in den Wohnungsmarkt einzugreifen und Preise in die Höhe zu treiben. Ziel ist es zudem, Flüchtlingswohnungen über das Stadtgebiet zu verteilen.
Dabei kommt es mitunter zu unterschiedlichen Ansichten, ob eine Wohnung für Flüchtlinge geeignet ist. Als ein Eigentümer vor Kurzem eine kleine Wohnung in einem bürgerlichen Stadtteil zu einem keineswegs überzogenen Preis anbot, war er überrascht, dass die Stadt ablehnte. Eine Begründung dafür gab es nicht. Kurz darauf ging dieselbe Wohnung – eine Singlewohnung zum ortsüblichen Mietzins – auf dem privaten Markt an einen Mieter. Der Eigentümer ist der HAZ bekannt, seinen Namen möchte er jedoch nicht veröffentlicht sehen. Ein vorliegender Schriftwechsel bestätigt seine Angaben.
Absicht der Stadt ist es, Flüchtlinge nach dem sogenannten Drei-Säulen-Modell unterzubringen. Sie sollen etwa zu einem Drittel in Wohnheimen, Wohnprojekten und später in Wohnungen leben. Der aktuelle Mangel an Wohnungen dürfte es schwierig machen, die Menschen auf diese drei Wohnmodelle zu verteilen. Ende 2015 leben in der Landeshauptstadt aller Voraussicht nach mindestens 4600 Flüchtlinge – die Stadt benötigt daher viele Hundert zusätzliche Wohnungen, um ein Drittel der geflüchteten Menschen tatsächlich in eigenen Räumen unterzubringen.
Wohl auch deshalb betonte ein Stadtsprecher, dass die Verwaltung weiterhin nach geeigneten Hotels sucht. Flüchtlinge sollen dort nicht nur übernachten, sondern für längere Zeit leben. Notwendig seien deshalb Zimmer mit Kochgelegenheit oder gemeinschaftlichen Küchen.
HAZ vom 03.01.2015, S. 8:
Sterbender lag fünf Stunden in U-Bahn-Station
Wien. Der Tod eines Obdachlosen an Weihnachten hat in Österreich Folgen nach sich gezogen. Die Wiener Verkehrsbetriebe entließen zwei Mitarbeiter, die ihren fälligen Kontrollgang ausfallen ließen, wie das Unternehmen am Freitag mitteilte. Sie hätten den Tod des Mannes möglicherweise verhindern können.
Der 58 Jahre alte Obdachlose war gegen 2 Uhr morgens am 26. Dezember in einem Aufzug einer U-Bahn-Station in Wien zusammengebrochen. Fünf Stunden lang habe er in der Kabine gelegen, hieß es. Auf Videoaufzeichnungen sei zudem zu sehen gewesen, wie mehrere Menschen über den Mann stiegen und mit dem Aufzug fuhren. Erst kurz vor 7 Uhr habe dann ein Reiniger ihn gefunden und den Notarzt gerufen, hieß es.
Der 58-Jährige starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
HAZ vom 02.01.2015, S. 17:
Benefizkonzert zugunsten Obdachloser in Linden
(rm). Gemeinsam mit dem „Asphalt"-Magazin veranstaltet der Lindener Kulturpalast erneut zu Jahresbeginn ein Benefizkonzert zugunsten Obdachloser in Hannover.
Jegliche Art von Spenden ist willkommen – wie Kleidung, Decken, Lebensmittel oder Geld
Als Eintrittspreis gibt der Kulturpalast deshalb „einen bis 99 Euro“ an.
Rock- und Alternative-Musik gibt es von den Bands Monomaster, Banana Roadkill und Phrase Applauders, die ohne Gage spielen.
Beginn ist am heutigen Freitag um 20 Uhr im Kulturpalast, Deisterstraße 24.