2016
HAZ vom 16.12.2016, S. 15:
Mehr Menschen in Hannover obdachlos
In städtischen Notunterkünften leben doppelt so viele Obdachlose wie vor fünf Jahren, immer ,ehr schlafen auch auf der Straße. Viele von ihnen kommen aus Osteuropa.
Von Uwe Janssen und Andeas Schinkel
In Hannover müssen immer mehr Menschen ohne Wohnung zurechtkommen. Die Zahl der Obdachlosen, die in städtischen Notunterkünften leben, hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. 1100 sind es derzeit, die Zahl steigt jährlich um 10 Prozent. Das hat die Stadtverwaltung als Antwort auf eine Frage der CDU-Fraktion im Bezirksrat Mitte mitgeteilt. Die Christdemokraten hatten in der Innenstadt viele Obdachlose im öffentlichen Raum bemerkt und sich nach Unterbringungsmöglichkeiten im Winter erkundigt.
Der Anstieg deckt sich mit den Beobachtungen der Sozialdienstleister vor Ort: Gut 3000 Obdachlose in Hannover war die geschätzte Zahl des Diakonischen Werks im vergangenen Jahr, ein Zehntel davon auf der Straße lebend und im Freien übernachtend. Aber Leiter und Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes sagt schon jetzt: „Wir gehen auf die 4000 zu.“
Die hannoverschen Zahlen spiegeln die Entwicklung im gesamten Bundesgebiet wider. Laut Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungshilfe droht die Zahl der wohnungslosen Menschen von rund 335 000 Wohnungslosen im Jahr 2014 auf etwa 536 000 im Jahr 2018 anzusteigen.
Der sprunghafte Anstieg hat vor allem mit der Öffnung der europäischen Grenzen und dem Flüchtlingsstrom nach Deutschland zu tun. „Es sind in den vergangenen Jahren viele Osteuropäer dazugekommen, und auch anerkannte Flüchtlinge gehören mittlerweile dazu. Daneben gibt es noch die ,klassischen‘ Obdachlosen“, sagt Müller-Brandes. Das stelle in Hannover die Helfer vor neue Probleme. Denn es fehlten in der Stadt kleine Wohnungen, was er und seine Kollegen schon seit geraumer Zeit beklagen. Gerade in diesen Tagen, in denen die Programme zur Winternothilfe wieder anlaufen, steigen die Gefahren für Menschen ohne Unterkunft.
Quelle: Dröse (Archiv)
„Wir vermuten, dass vermehrt Menschen aus Osteuropa mit Bussen nach Hannover reisen“, sagte Ordnungsdezernent Marc Hansmann (SPD) kürzlich im Finanzausschuss. Sie versprechen sich ein besseres Leben, doch viele finden keinen Halt. So besteht die Trinkerszene auf dem Raschplatz zum großen Teil aus Osteuropäern. Die meisten von ihnen sind nach Einschätzung der Stadt obdachlos. „An die ist schwer heranzukommen“, heißt es unter Sozialarbeitern.
Der Anstieg der Obdachlosen-Zahlen in Hannover ergibt noch eine andere Baustelle, für die nach Ansicht des Diakoniepastors „dringend eine Lösung gefunden werden muss“. Denn wer als Obdachloser öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen will, braucht eine Postadresse. Das kann bei einer öffentlichen Einrichtung wie der Zentralen Beratungsstelle der Diakonie für Wohnungslose in der Hagenstraße sein. Allerdings sind mittlerweile 880 Menschen dort gemeldet, darunter 255 Flüchtlinge, was für die Mitarbeiter nicht mehr zu bewältigen ist. Viele anerkannte Flüchtlinge wohnen mittlerweile bei Freunden und Familien in Hannover. Die Gastgeber aber melden neue Mieter nicht, weil sie Angst haben, dass der Vermieter ihnen kündigt. Müller-Brandes fordert dringend eine Clearing-Stelle, die unter diesen neuen Voraussetzungen Lösungen sucht und findet.
HAZ vom 15.12.2016, S. 16:
Frühstück für arme Kinder in Gefahr
Peter-Ustinov-Schule sucht neuen Sponsor
(jr). Sie kamen lange Zeit hungrig zur Schule. Seit rund einem Jahr gab es für von Armut betroffene oder vernachlässigte Kinder an der Peter-Ustinov-Schule in Ricklingen aber Hilfe: einen Frühstücksclub. Dessen Existenz ist jetzt aber in Gefahr: Der Sponsor, mit dessen finanzieller Unterstützung die Deutsche Lebensbrücke das Frühstück unterstützte, hat die Förderung nach einem Jahr eingestellt. Die Lebensbrücke ist eine private Hilfsorganisation, die ähnliche Clubs in anderen großen Städten organisiert.
Mit einer Spende des Lions Clubs Hannover-Tiergarten kann das Angebot an Brötchen, Aufschnitt, Obst und Kakao für rund 40 Fünft- und Sechstklässler sowie Schüler der Sprachlernklassen noch bis Ende Januar aufrechterhalten werden. Für die Zeit danach suchen Schule und Lebensbrücke händeringend Sponsoren. „Den Kindern fehlt es an allem“, sagt Konrektorin Petra Günther: „Mit dem Frühstücksclub können wir wenigstens den Tagesbeginn so gestalten, dass sie satt starten.“ Weitere Infos: (0 89) 79 19 98 59 oder info@lebensbruecke.de.
HAZ vom 15.12.2016, S. 18:
Klimawandel am Raschplatz?
Mehr Kontrollgänge, häufige Reinigung: Die Stadt zählt deutlich weniger Trinker auf dem Raschplatz / Dunkle Ecken sollen umgestaltet werden
Von Andreas Schinkel
Mehr Kontrollen, hellere Lampen, häufige Reinigung und ein Umbau der Passarelle – die Stadtverwaltung will den Raschplatz attraktiver machen und die Trinkerszene eindämmen. Erste Maßnahmen haben nach Ansicht der Stadt bereits Früchte getragen. „Die Lage hat sich entspannt“, sagte Finanz- und Ordnungsdezernent Marc Hansmann (SPD) gestern im zuständigen Ausschuss. Man schaue jetzt bewusster hin. „Es darf keine Zone in Hannover geben, durch die wir nur zögerlich gehen würden“, sagt Hansmann.
Im Sommer hatte es etliche Beschwerden von Geschäftsleuten, Passanten und Ratspolitikern über die Zustände auf dem Raschplatz gegeben. Trinkergruppen versammelten sich auf der Freitreppe zum Hauptbahnhof und im Passarellen-Bereich, zechten und gerieten nicht selten in handgreifliche Streitereien. Dunkle Ecken wurden als Toilette benutzt.
Quelle: von Ditfurth
Jetzt zählt die Stadt deutlich weniger Trinker auf dem Platz. Statt 40 bis 50, sind es jetzt zehn bis 20, häufig weniger. Das dürfte nicht nur auf die verstärkten Kontrollen durch die Sicherheitsfirma Protec und die Ordnungshüter der Stadt zurückzuführen sein, sondern auch auf die kalte Witterung.
Mindestens dreimal täglich zu wechselnden Zeiten schauen die Mitarbeiter der Stadt auf dem Platz nach dem Rechten. Zusätzlich patrouillieren sie mit den Protec-Kräften zweimal in der Woche durch das Gebiet. Die Kontrollgänge dauern nach Angaben der Stadt bis zu zwei Stunden, weil die stark alkoholisierten Menschen zum Teil kaum ansprechbar sind. Zudem hat die HRG, Eigentümerin des Platzes, ihre Reinigungsintervalle erhöht. Das zusätzliche Putzen führt insgesamt zu jährlichen Kosten in Höhe von fast 85 000 Euro. Auch die Beleuchtung wurde verstärkt.
„Ordnungsmaßnahmen können keine Sozialpolitik ersetzen“, sagt Hansmann. Man stehe vor einer neuen Situation, etwa durch Zuwanderer aus Südosteuropa. „Wir müssen schneller reagieren, wenn es soziale Verschiebungen auf dem Platz gibt“, sagt Hansmann. Deshalb habe man ein Frühwarnsystem etabliert. Sobald Polizei, Sozialarbeiter und Protec Veränderungen in der Szene erkennen, reagiere die Stadt.
Auch baulich soll sich einiges tun auf dem Raschplatz. Die Flächen unterhalb der Bahnhofstreppe will die HRG in den kommenden zwei Jahren umgestalten. Dadurch sollen dunkle Ecken verschwinden und Platz für weitere Geschäfte in der Passarelle entstehen
HAZ vom 09.12.2016, S. 22:
Projekt soll Obdachlosen helfen
EHAP und Region zahlen 850.000 Euro
(jr). Die Zahl der Wohnungslosen in Hannover steigt. Hatte man es 2015 noch mit rund 3000 Wohnungslosen zu tun, so steuert man nach Schätzungen von Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes 2016 auf die Zahl 4000 zu. Um Obdachlosen zu helfen, wieder ein Dach über dem Kopf zu bekommen, aber auch um zu verhindern, dass sie überhaupt wohnungslos werden, hat die Region Hannover für alle 21 Kommunen mithilfe des „Europäischen Hilfsfonds für die am meisten benachteiligten Menschen“ (EHAP) das neue Projekt „RE_StaRT“ aufgelegt. Rund 850 000 Euro stehen für drei Jahre zur Verfügung.
Eine zentrale Aufgabe sei eine Art Lotsendienst, sagte Müller-Brandes gestern. Das Hilfesystem in der Region sei mittlerweile so komplex, dass viele Betroffene sich nicht mehr darin zurechtfänden.
Besonders ist auch: Die Sozialarbeiter von „RE_StaRT“ sind ganz leicht per Handy zu erreichen. Sie kommen zu den Betroffenen, von wo auch immer sie sich melden, und begleiten sie bei Behördengängen. „Wir haben uns schon an Kirchentreppen oder Parkbänken getroffen“, sagte Sozialarbeiter Gerd Geil von „RE_StaRT“ gestern. Ungewöhnlich ist auch: Wenn das Jobcenter, Vermieter oder andere Institutionen sich melden, weil beispielsweise eine Räumungsklage droht, versuchen sie auch, den Betroffenen zu helfen.
Von Wohnungslosigkeit bedrohte, junge, schwangere Frauen nutzen Geil zufolge das Hilfsangebot besonders. Ihr Anteil liege bei fast 50 Prozent. Die Schwellenangst sich zu melden sei niedriger als bei einem der klassischen Angebote der Drogen- oder Wohnungslosenhilfe, sagte Petra Tengler von der Selbsthilfe für Wohnungslose.
HAZ vom 03.12.2016, S. 18:
„Kluft zwischen Arm und Reich wächst“
Immer mehr Menschen sind auf kostenlose Mahlzeiten angewiesen / Essenausgabe zieht in größere Räume
Von Simon Benne
Heute also Schweinebraten. Mit Kartoffeln und Gemüse. Siegfried Schmidt kann nicht sprechen, doch er reckt den Daumen hoch und lächelt die Helfer an der Essenausgabe an. Auf einem Zettel, den er in seinen Taschen verwahrt, hat der 68-Jährige seine Lebensgeschichte aufgeschrieben. Ein Schicksal auf zwei Din-A4-Seiten. Von Prügeln in der Kindheit ist dort die Rede, von vielen Heimaufenthalten und davon, dass die Schläge seines Vaters ihm Sprache und Hörvermögen genommen haben.
Quelle: Petrow
Immer mehr Menschen schlafen auch draußen – ein Zeichen von Verelendung.
Der Mann mit der Strickmütze ist Stammkunde bei der Ökumenischen Essenausgabe. Immer mehr Bedürftige nutzen im Winter das Angebot einer kostenlosen warmen Mahlzeit: „Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer“, sagt Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes. Die Zahl der Wohnungslosen in Hannover schätzt er auf bis zu 4000, Tendenz steigend: „Immer mehr Menschen schlafen auch draußen – ein Zeichen von Verelendung.“ In den vergangenen Jahren kämen verstärkt Osteuropäer zur Essenausgabe: „Sie fallen bei uns durch die sozialen Netze“, sagt der Pastor. Doch auch ältere Menschen seien zunehmend von Armut betroffen.
Im vergangenen Winter gaben die Helfer rund 14 000 Mahlzeiten aus – fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren. In dieser Saison, also von Dezember bis Mitte März, rechnen die Organisatoren mit 15 000 Portionen. Im Schnitt kommen rund 170 Menschen täglich. Am Monatsende, wenn das Geld knapp wird, sind es deutlich mehr.
Wegen der großen Nachfrage musste die Ökumenische Essenausgabe, die vom Diakonischen Werk und mehreren Kirchengemeinden organisiert wird, für ihre 28. Saison jetzt in größere Räume umziehen. Bislang war sie beim Caritas-Verband untergebracht, nun werden die Mahlzeiten von montags bis sonnabends im Gemeindehaus der Heilsarmee am Marstall ausgegeben. Hier finden Bedürftige auch Beratungsangebote.
„Wir wollen Menschen mit ihren äußeren und inneren Nöten helfen“, sagt Heilsarmee-Kapitän Steffen Aselmann. Die evangelische Freikirche (Schlagwort: „Suppe, Seife, Seelenheil“) kümmerte sich in der Zeit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert um die Armen in den Slums von London. In Hannover hat sie heute rund 50 Mitglieder. „Es ist uns bewusst, dass wir die Situation der Menschen nicht grundlegend ändern können“, sagt auch der katholische Pfarrer Johannes Lim, „aber wir wollen doch für sie da sein.“
Es ist voll an diesem Tag; schon wenige Minuten, nachdem die Heilsarmee ihre Türen geöffnet hat, sitzen rund 60 Besucher im Speisesaal an langen Tischen. Cord Kelle, eigentlich Chef des Jägerhofs in Langenhagen, steht am Tresen und gibt Braten aus: Zweimal wöchentlich packt der Gastronom, der den Verein „Kochen für Obdachlose“ gegründet hat, hier mit an. Er ist einer von vielen ehrenamtlichen Helfern: „Es ist gut, die Menschen hier kennenzulernen und etwas über ihr Schicksal zu erfahren“, sagt er. Der stumme Siegfried Schmidt lächelt dem Koch zu, als er seinen Teller abgibt. Die beiden Männer klopfen sich auf die Schulter. Wie man das eben tut, wenn man sich gut kennt.
HAZ vom 02.12.2016, S. 14:
Pfandringe starten als Pilotprojekt
In der List, in Linden und am Steintor gibt es jetzt Spezialbehälter, mit denen Flaschensammlern geholfen werden soll
Von Juliane Kaune
Lange wurde über sie debattiert – nun sind sie da: An drei Standorten im Stadtgebiet gibt es seit gestern öffentliche Pfandbehälter, in denen leere Flaschen abgestellt werden können. Damit soll sozial bedürftigen Menschen geholfen werden, die Pfandflaschen sammeln, um ihre finanzielle Lage zu verbessern. „Wir möchten sie unterstützen“, sagt Sozialdezernentin Konstanze Beckedorf. Sie war gestern zur Installation der sogenannten Pfandringe gekommen, die fortan neben der Treppe zur U-Bahn-Station am Lister Platz zu finden sind. Auch am Steintor und in der Limmerstraße in Linden wurden diese Behälter an Straßenmasten und Laternenpfählen montiert.
Quelle: Franson
Die Stadt und der Abfallwirtschaftsbetrieb Aha haben damit ein zunächst auf ein Jahr befristetes, rund 21 000 Euro teures Pilotprojekt gestartet, das sozialwissenschaftlich begleitet wird. Jede Woche besucht eine Mitarbeiterin des Karl-Lemmermann-Hauses einen der drei Standorte, um zu beobachten, wie die Pfandringe genutzt werden. „Wir werden auch mit den Menschen vor Ort sprechen – mit den Sammlern und mit denen, die die Flaschen abgeben“, erklärt Harald Bremer, Geschäftsführer des Karl-Lemmermann-Hauses. Ziel sei, verlässliche Daten zu gewinnen, welche Personengruppe durch die Pfandflaschen ihr Einkommen aufbessert. „Das sind längst nicht nur Wohnungslose.“ Je mehr man über die Sammler wisse, desto gezielter ließen sich weitere Hilfen anbieten.
Die Pfandringe sind umstritten, weil Kritiker meinen, die Armut der Betroffenen werde institutionalisiert. Befürworter argumentieren, den Sammlern werde das würdelose Wühlen in Müllcontainern erspart. Beckedorf bezeichnet das Projekt als „grenzwertig“. Es sei eine Realität, dass die finanziellen Hilfssysteme für manche nicht ausreichten. Dies aber sei ein Problem auf Bundesebene und nicht von den Kommunen zu lösen.
Die Initiative für die Pfandringe ging vom Bezirksrat Linden-Limmer aus. Der Rat der Stadt hatte sich im Oktober 2015 angeschlossen und die Verwaltung mit einem Konzept beauftragt. Die von Aha entwickelten und vom TÜV geprüften Flaschenhalter aus Edelstahl können jeweils drei Flaschen aufnehmen. An jedem der Standorte werden vier der vertikalen Sammelbehälter aufgehängt.
HAZ vom 23.11.2016, S. 14:
Kinder vom Burgweg schwänzen 60 Tage pro Jahr
Rumänische Familien aus den Obdachlosenunterkünften haben beträchtliche Integrationsproblembieme
Von Bärbel Hilbig
Dass die meisten Kinder aus den Obdachlosenunterkünften im Burgweg nur unregelmäßig zur Schule gehen, ist bekannt. Nun liegen dazu genauere Zahlen vor. Die Stadt unterhält in der ehemaligen Paul-Dohrmann-Schule im Burgweg 5 eine Notunterkunft für obdachlose Familien aus Rumänien. Zu den Bewohnern gehören 33 schulpflichtige Kinder im Alter von sechs bis 17 Jahren. Das Gebäude liegt im Einzugsbereich der Grundschule Wendlandstraße in Herrenhausen. Schulleiterin Hilke Bertram schätzt, dass rund 20 Kinder zwischen sechs und elf Jahren aus der Unterkunft ihre Schule besuchen.
Im Durchschnitt kommen diese Schüler an 60 Tagen im Schuljahr nicht in die Schule. „Das bedeutet, dass manche Kinder an 30 Tagen fehlen, andere an 90 Tagen im Jahr“, erläuterte Stadtbezirksmanagerin Astrid Schepers jetzt im Bezirksrat Nord. In der Obdachlosenunterkunft Burgweg 13, einem Containerbau, leben weitere 21 schulpflichtige Kinder, von denen die rund 15 Grundschüler der Fichteschule in Hainholz zugeordnet sind. Schulleiterin Cornelia Heimbucher hatte bereits bei anderer Gelegenheit berichtet, dass auch diese Kinder sich bis auf wenige Ausnahmen sehr schwer damit tun, regelmäßig zu kommen.
Die Lehrer versuchen, mit schriftlichen Mahnungen auf den Schulbesuch hinzuarbeiten. Fruchtet das nicht, verhängt das Ordnungsamt der Stadt Bußgelder. „Die Eltern direkt anzusprechen ist aus sprachlichen Gründen sehr schwierig. Und die Sozialarbeiter in der Unterkunft können die Eltern auch nicht zwingen“, sagt Hilke Bertram. An die beiden Grundschulen gehen weitere Schüler, die nicht Deutsch sprechen, Flüchtlinge und andere Einwandererkinder. „Bei allen diesen Kindern stellen sich schneller Lernerfolge ein“, berichtet die Leiterin der Grundschule Wendlandstraße. Denn in der Regel haben sie Vorkenntnisse, die den Schulbesuch erleichtern, sie wissen, wie sie einen Stift halten, mit einer Schere hantieren.
Den Kindern aus der Obdachlosenunterkunft fehlen diese Erfahrungen, sagt Hilke Bertram. „Eigentlich brauchen wir eine zusätzliche Person im Unterricht, die sie orientiert, was sie als Nächstes machen sollen.“ Dennoch sieht Bertram es bereits als Erfolg, dass diese Kinder überhaupt zur Schule kommen. Die Eltern hätten meist keine Schule besucht.
Im Bezirksrat Nord bestanden Zweifel, ob ein Bußgeld bei Familien ohne Einkünfte viel bewirken könne. Stadtbezirksmanagerin Astrid Schepers verwies auf die beträchtlichen Kindergeldzahlungen für oft sechs bis acht Kinder pro Familie. Sie berichtete von einem Paar, das für acht Wochen nach Rumänien in die Heimat gefahren ist. Ihre Kinder ließen die Eltern in Hannover, weil sie Bußgelder vermeiden wollten. „Diese Folge wünscht sich auch niemand.“
HAZ vom 18.11.2016, S. 19:
Gottesdienst erinnert an tote Obdachlose
(be). In der Marktkirche werden am kommenden Sonntag im Gottesdienst 26 Kerzen angezündet – eine für jeden Toten: In einem Gedenkgottesdienst erinnert die Gemeinde am Ewigkeitssonntag an die verstorbenen Wohnungslosen des vergangenen Jahres. Dabei werden die Namen von 24 Männern und zwei Frauen verlesen. Von einigen sind nur die Vornamen bekannt. Der Gottesdienst mit Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann beginnt um 10 Uhr. Das Bachorchester und die Kantorei St. Georg intonieren darin unter anderem Mozarts Requiem.
Insgesamt leben in Hannover rund 450 Menschen auf der Straße. Die Gesundheit von Menschen ohne festen Wohnsitz ist oft angegriffen, viele erreichen das 60. Lebensjahr nicht. Etliche von ihnen leben sozial isoliert, erklärt der Stadtkirchenverband. Daher habe die Würdigung am Ewigkeitssonntag eine besondere Bedeutung.
HAZ vom 08.11.2016, S. 12:
Vom Wohnheim in den Vatikan
Der Papst lädt Tausende von Obdachlosen ein – und auch „Asphalt“-Verkäufer aus Hannover fahren nach Rom
Von Simon Benne
Verreist ist er noch nie. In seinem ganzen Leben nicht. „Ich war niemals weg aus Hannover und Umgebung“, sagt Klaus Ludewig. „Dafür kenne ich viele Wohnheime von innen – ich war ganz unten.“ Wenn der 57-Jährige von seinem Leben erzählt, erzählt er von wenigen Freunden und viel Alkohol, von Krankheiten und davon, wie er seine Arbeit und seine Wohnung verlor. Derzeit lebt er in einer WG einer sozialen Einrichtung. Oft steht er als Verkäufer des Straßenmagazins „Asphalt“ am Tempelhofweg im Sahlkamp. Und am nächsten Wochenende hat er einen Termin beim Papst.
„Diese Reise bedeutet mir sehr viel“, sagt Ludewig. Papst Franziskus hat Obdachlose und Menschen mit sozialen Problemen aus aller Welt in den Vatikan eingeladen. Rund 6000 werden dort am Freitag erwartet, etwa 600 sollen allein aus Deutschland kommen – darunter sechs „Asphalt“-Verkäufer aus Hannover. „Acht hatten sich für die Plätze gemeldet, wir haben gelost“, sagt „Asphalt“-Geschäftsführer Reent Stade. Die Kosten für die Reise – rund 600 Euro pro Person – sponsert das Diakonische Werk. Und so fliegen in dieser Woche vier Männer und zwei Frauen aus Hannover nach Rom, Menschen zwischen 50 und 66 Jahren, „denen gemein ist, dass sie in ihrer Biografie Brüche hatten, die sie aus der Bahn geworfen haben“, wie Stade sagt. Untergebracht werden die Reisenden in einer Pilgerherberge am Rande Roms, von dort geht es täglich mit einem Shuttle-Service in die „Ewige Stadt“.
Quelle: Heusel
„Den Papst kenne ich nur aus dem Fernsehen“, sagt Klaus Ludewig, „aber ich glaube, dass er ein Herz für Menschen wie uns hat. Sonst würde er sich nicht mit uns zusammensetzen.“ Franziskus hat im derzeitigen „Heiligen Jahr der Barmherzigkeit“ schon römische Stadtstreicher auf eine Pizza eingeladen. Unweit des Petersdoms hat er für die Obdachlosen der Stadt Duschen und einen Friseursalon eingerichtet. „Dieser Papst setzt sich für die Bekämpfung von Armut ein“, sagt Peter Szynka vom Diakonischen Werk.
Bei einem Vorbereitungstreffen haben sich die sechs „Asphalt“-Verkäufer mit dem 23. Psalm beschäftigt, in dem es um die Höhen und Tiefen des Lebens geht. „Ich glaube ganz klar an Gott, am meisten, wenn ich Angst habe“, sagt Klaus Ludewig, der selbst evangelisch ist. An den drei Tagen in Rom stehen neben Besichtigungen und Bibelarbeiten zu den Themen Trost, Vergebung und Hoffnung auch ein Empfang durch den Papst und eine Messe mit Franziskus im Petersdom auf dem Programm. Er sei natürlich schon ein bisschen nervös, gesteht Ludewig, aber es überwiege die Freude darüber, mal ein anderes Land und andere Menschen zu sehen. „Und klar bin ich stolz darauf, den Papst in natura zu erleben.“
Darüber, was er ihm sagen wird, wenn es zu einem Gespräch kommt, hat Klaus Ludewig sich noch keine Gedanken gemacht. „Manchmal kann ich ja meine Klappe nicht halten – aber ich weiß nicht, ob mir dann was einfällt“, sagt er. Für den Empfang wolle er sich schon saubere Klamotten anziehen. Einen Anzug oder eine Krawatte habe er allerdings nicht. „Das wird den Papst aber auch nicht so interessieren“, sagt er: „Den interessiert der Mensch.“
HAZ vom 07.11.2016:
Die Unsichtbaren sichtbar machen
Börsenhändler Chris Leamy spielt für New Yorker Obdachlose und erzählt ihre Geschichten – das hat ihm einen Plattenvertrag eingebracht
Von Stephanie Ott
New York. Es ist Rushhour in New York. Tausende Menschen hasten eilig durch die Straßen am Union Square in Manhattan. Doch einige stoppen in dem Trubel, als sie einen jungen Mann hören, der auf seiner Gitarre an einer Straßenecke Musik spielt. Neben ihm sitzt ein weiterer Mann, er freut sich, schaut immer wieder zu dem Musiker neben sich. Hassan Ali, 50, lebt seit zwei Jahren auf der Straße. Der Mann mit der Gitarre, Chris Leamy, ist jedoch keinesfalls obdachlos. Der 29-Jährige arbeitet tagsüber als Börsenhändler in New York und hat es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht, den Ruf von Obdachlosen zu verbessern.
Ali, der Vater zweier Kinder, hat Hepatitis C. „Das Leben auf der Straße ist hart, meine Gesundheit wird immer schlechter und vor allem im Winter ist es bitterkalt.“ Sein neunjähriger, autistischer Sohn wohnt mit seiner Mutter in New Jersey. Einmal pro Woche kratzt Ali genug Geld zusammen, um ihn zu besuchen. Sein zweiter Sohn ist bereits erwachsen und lebt nördlich von New York.
Vor zwei Jahren wurde Ali durch einen Unfall arbeitsunfähig, manchmal bekommt er Gelegenheitsjobs. „Ich bin hier fern von meiner Familie und keiner beachtet mich“, sagt er. „Doch Chris ist anders“, sagt er.
Quelle: dpa
„Menschen, die auf der Straße leben, fühlen sich vergessen“, schildert Leamy seine Erfahrungen. „Die Leute laufen einfach an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten. Der Obdachlose ist scheinbar unsichtbar. Vor zwei Jahren habe auch ich nicht zweimal über Obdachlose nachgedacht.“ Doch eine Nacht im März 2015 veränderte seine Einstellung. Leamy war auf dem Heimweg von einer Musiksession in Brooklyn, als eine obdachlose Frau auf seine Gitarre deutete und sagte: „Es wäre einfacher, wenn ich ein Talent wie Musikspielen hätte, um ein bisschen mehr Geld bekommen zu können.“ Leamy begann, obdachlose New Yorker anzusprechen, ob er neben ihnen ein paar Lieder spielen kann. Die Menschen, die er dabei trifft, stellt er auf Instagram vor und erzählt dort ihre Lebensgeschichten. Das sorgte rasch für Aufmerksamkeit. Sogar ein Musiklabel wurde auf ihn aufmerksam und nahm ihn unter Vertrag. „American Man“ heißt Leamys erstes Album. Im vergangenen Jahr startete der 29-Jährige eine Online-Spendenkampagne für Obdachlose und sammelte innerhalb von einem Monat mehr als 4000 Dollar.
Obdachlose gehören zum Stadtbild in New York. Sie schlafen in U-Bahn-Zügen, Parks, auf Gehwegen und in Bahnhöfen. Derzeit gibt es so viele Obdachlose auf den Straßen der Metropole wie seit der Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre nicht mehr. Auf mehr als 60 000 schätzt der Verband Coalition for the Homeless die Zahl, davon fast 24 000 Kinder. Die Dunkelziffer liegt noch weit darüber.
Leamy hat bislang rund 100 Obdachlose in New York kennengelernt. Einer davon, Miguel Correa, hat es geschafft – er hat nun einen Job und eine kleine Wohnung. „New Yorker sind toughe Menschen, alle haben so viel zu tun“, sagt Leamy. „Wenn ich es schaffe, dass sie stehen bleiben und meiner Musik zuhören, ist das ein Erfolg für mich. Ein noch größerer Erfolg ist es aber, wenn ich durch meine Musik auch negative Klischees über Obdachlose abschaffen kann.“
Bis heute spielt Leamy mindestens einmal die Woche auf der Straße. Innerhalb von einer Viertelstunde nimmt er oft bis zu 30 Dollar an Spenden ein, die er immer den Obdachlosen gibt. „Mir geht es um kleine zwischenmenschliche Gesten. Sogar ein Lächeln oder ein Gruß von einem Passanten kann den Tag eines Obdachlosen aufhellen. Ich versuche nicht, Berge zu bewegen, sondern ich verbringe meine Zeit damit zu zeigen, was für eindrucksvolle Menschen es sind. Jeder Mensch hat eine Geschichte, die es wert ist, gehört zu werden.“
HAZ vom 03.11.2016 (Stadt-Anzeiger-Süd, S. 3):
Nachbarn wollen Flüchtlinge neu einkleiden
Bemerode. (cli) Der Unterstützerkreis Kronsbergnachbarn bittet um Spenden, damit eine neue Kleiderkammer für Flüchtlinge bestückt werden kann. „Für die neue Kleiderkammer benötigen wir dringend noch warme Jacken, Winterkleidung, Bettwäsche, Handtücher, gut erhaltene Schuhe“, sagt Christa Kalbau vom Unterstützerkreis. Besonders gefragt ist Kleidung für junge Männer, denn mit den Klamotten sollen die neuen Bewohner der Containeranlage vor dem Ramada-Hotel in Kronsberg-Mitte ausgestattet werden. Außerdem kümmern sich die mehr als 80 ehrenamtlichen Helfer von den Kronsbergnachbarn auch um die unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge, die in der sogenannten „Flüchtlingsvilla“ in Bemerode und am Annastift betreut werden.
Die Kleiderkammer hat gestern im Nachbarschaftsverein Habitat am Jakobsweg 13 ihren Betrieb aufgenommen – die offizielle Eröffnung steht aber noch aus. „Die Firma Gundlach hat uns kostenlos zwei Räume zur Verfügung gestellt“, berichtet Kalbau. Hier haben die ehrenamtlichen Helfer auch schon den „Treffpunkt international“ eingerichtet, der immer mittwochs zwischen 16 und 18 Uhr zur Begegnung zwischen Flüchtlingen und Hannoveranern einlädt.
Kleiderspenden können zu folgenden Zeiten abgegeben werden: montags von 16 bis 17 Uhr, mittwochs von 16 bis 18 Uhr und donnerstags von 18 bis 19 Uhr. Weitere Öffnungszeiten können per E-Mail an christa.kalbau@gmail.com erfragt werden. Mehr Informationen zum Unterstützerkreis gibt es im Internet unter www.kronsbergnachbarn.de.cli
HAZ vom 24.10.2016, S. 5:
Obdachloser stirbt in Abfallcontainer
56-Jähriger suchte nach essbaren Resten
WINSEN. Auf der Suche nach Essen ist ein Obdachloser im Kreis Celle kopfüber in einen Abfallcontainer mit Fleischresten gestürzt und gestorben. Der Unfall ereignete sich auf dem Gelände eines Supermarktes in Winsen/Aller. Wie die Polizei mitteilte, entdeckte der Fleischer des Marktes am Sonnabendmorgen den leblosen 56-Jährigen in dem Behälter. Der geschockte Mann verständigte die Polizei. Ein Notarzt konnte aber nur noch den Tod des Obdachlosen feststellen. Woran er genau starb, sei unklar, sagte ein Polizeisprecher am Sonntagmorgen.
Auf Videoaufzeichnungen ist zu sehen, wie der Mann sich über den Abfallcontainer beugt und mit einer Taschenlampe nach essbaren Resten sucht. Dann stürzt er in den Behälter. Danach habe der 56-Jährige offensichtlich Panik bekommen und sei nicht mehr aus dem Container herausgekommen. "Hinweise auf ein Fremdverschulden gibt es nicht", sagte der Sprecher. Ob eine Obduktion durchgeführt wird, ist noch unklar. Der Abfallcontainer stand im Bereich der Lieferzone des Marktes, er ist offen zugänglich.
HAZ vom 20.10.2016, S. 17:
Diakonie bittet um Kleiderspenden
(jr). Die hannoversche Diakonie sucht Kleiderspenden für obdachlose Männer und Frauen in Hannover. Viele Wohnungslose hielten sich auch bei kälteren Temperaturen tage- und manchmal nächtelang im Freien auf, teilte das Diakonische Werk Hannover jetzt mit.
Die Nachfragen nach warmer Bekleidung und festem Schuhwerk würden deshalb in den nächsten Wochen ansteigen, hieß es weiter. Auch Haushaltsgegenstände wie beispielsweise Geschirr und Töpfe würden benötigt.
Spenden könnten bei der Bekleidungsausgabestelle in der Hagenstraße 36 von montags bis donnerstags von 9 bis 13 Uhr und freitags von 9 bis 12 Uhr abgegeben werden.
Von dort werden die Spenden auch an andere Einrichtungen weitergeleitet. Unter der Telefonnummer (05 11) 9 90 40 59 kann überdies eine Abholung vereinbart werden.
HAZ vom 10.10.2016, S. 11:
Der Kampf ums Kleingeld
Sind in der Innenstadt organisierte Bettlerbanden unterwegs? Kaufleute beobachten immer wieder Szenen von „Spontangesundung“ und „Schichtwechsel“
Von Andreas Schinkel
Einkaufsbummler hasten an dem kauernden Mann vorbei, die meisten beachten ihn nicht. Ab und zu wirft einer Kleingeld in den Pappbecher. Neben dem Bettler liegt ein Hund dösend in der Sonne. Stundenlang geht das so. Dann kommt Bewegung in die Szene. Jemand beugt sich hinunter, klopft dem Bettler auf die Schulter und grinst. Der Bettler richtet sich steifbeinig auf, nimmt seinen Becher und geht. Der Neuankömmling macht es sich am Eingang zur Großen Packhofstraße bequem, der Hund bleibt liegen. „Ablösung“, sagt Michael Groß. Von seinem Stand gleich gegenüber hat der Schmalz- bäcker solche Szenen jeden Tag im Blick. „Manchmal tragen sie auch Kinder auf dem Arm“, sagt Groß. Das sei alles gut durchorganisiert.
In der City Hannovers bitten mehr Menschen um Geld als in den vergangenen Jahren, darin sind sich Händler und Sozialarbeiter einig. Auch Ordnungsdezernent Marc Hansmann (SPD) hat auf Anfrage der CDU im Rat eingeräumt, dass „gefühlt“ die Zahl der Bettler in Hannover gestiegen sei. Konkrete Zahlen liegen den Behörden nicht vor und dürften auch schwer zu ermitteln sein. Betteln ist grundsätzlich nicht verboten, die Frage ist nur, in welcher Form um Geld gebeten wird. Ist ein unter die Nase gehaltener Pappbecher schon aggressive Bettelei? Dürfen Bettler Einkaufsbummler direkt ansprechen? Welche Hilfsmittel, um Mitleid zu erregen, sollen toleriert werden? Zumindest auf die letzte Frage hat die Stadtverwaltung schon eine Antwort gefunden. Betteln mit Kindern als Mitleidshilfe ist untersagt. Sobald eine Bettlerin mit Kind im Arm um Almosen bittet, schreitet die Stadt ein und erteilt einen Platzverweis. Aber ist ein Hund ein zulässiges Instrument, um den Geldbeutel zu füllen?
„Die Stadt Hannover muss klare Definitionen festschreiben“, fordert der Geschäftsführer der City-Händler, Martin Prenzler. Aggressives, gewerbsmäßiges Betteln müsse von einer demütigen Bitte um Kleingeld unterschieden und mit „drakonischen Strafen“ belegt werden, sagt Prenzler. Das könne darin gipfeln, das erbettelte Geld abzunehmen.
An der scharfen Tonlage wird sichtbar: Die Kaufleute in Hannovers Fußgängerzone haben die Nase voll von der Bettelei. Sie vergraule die Kunden und sei geschäftsschädigend. Die Geschäftsleute meinen, dass die Innenstadt längst in der Hand von gut organisierten Bettelbanden ist, zumeist aus Südosteuropa. Prenzler erzählt gern vom dunklen Mercedes Vito mit seinen getönten Scheiben, der jeden Vormittag einen Trupp Bettler in die City fährt – und gewissermaßen zur Arbeit bringt.
Auf der Bahnhofstraße schlendern zwei Frauen mit bunten, langen Röcken durch den Strom der Passanten, zwei Pappbecher in den ausgestreckten Armen. Sie sprechen kein Wort, halten ihre Becher nur den Entgegenkommenden hin. Die meisten Einkaufsbummler weichen aus und heben abwehrend die Hände. Die Frauen schlendern weiter Richtung Hauptbahnhof.
Für den Chef der City-Gemeinschaft müsste eine solche Form des Bettelns bereits mit Bußgeld belegt werden. „Rechen“ nennt Prenzler diese Art des Geldverdienens. Die Frauen pflügten wie ein Rechen durch die Masse der Passanten und hofften, dass die eine oder andere Münze „hängen bleibt“. „In vielen Geschäften haben die Bettlerinnen bereits Hausverbot“, sagt Prenzler. Sie hielten sich in der Innenstadt nicht nur auf, um um Almosen zu bitten, sondern auch, um Waren mitgehen zu lassen. Der Chef der City-Gemeinschaft lässt nur eine einzige Form des Bettelns durchgehen: das ruhige, wortlose Ausharren am Straßenrand mit einem Kleingeldbehälter vor den Füßen.
Quelle: Thomas
Solche Bettler sieht Schmalzkuchen-Bäcker Groß nur noch selten auf der Georgstraße. „Wir haben jetzt viele Profis am Start“, sagt er. Groß berichtet von Männern, die sich an Krücken durch die Straße schleppen, am gesamten Körper zitternd. Gegen Abend, wenn sich die City leert, genesen die Männer auf wunderbare Weise und kommen plötzlich ohne Gehhilfe aus. „Die haben großes schauspielerisches Talent“, sagt Groß.
Für die City-Gemeinschaft gehören alle demonstrativ vorgezeigten Krücken ebenfalls auf die rote Liste des Bettelns. Auch ausgestreckte Arm- und Beinstümpfe sollten als Mittel zum Zweck nicht mehr toleriert werden, meint Prenzler. Er habe beobachtet, dass Versehrte morgens im Rollstuhl in die Fußgängerzone gebracht und abends wieder abgeholt werden. „Es gibt verschiedene Treffpunkte, an denen sich die Gruppen zuvor sammeln, etwa vor der Markthalle“, sagt Prenzler.
Treibt tatsächlich eine Bettelmafia ihr Unwesen in Hannovers City und verdrängt andere Bedürftige? Der Nachweis ist schwer zu erbringen. „Fest steht, dass der Konkurrenzdruck unter den Bettlern steigt“, sagt Pascal Allewelt, Sozialarbeiter beim Obdachlosen-Kontaktladen Mecki. Er höre von verschiedenen Obdachlosen, dass es einen harten Kampf um die besten Bettelplätze in der Innenstadt gebe. „Manche berichten, dass sie von Roma-Familien vertrieben werden, unter Androhung von Gewalt“, sagt Allewelt.
Ob es im Hintergrund wirklich einen Boss gibt, der bei den Bettler-Familien abkassiert, bleibe unklar. „Jeder Bettler sollte das eingenommene Geld für sich behalten dürfen“, meint er. Wo aggressives Betteln anfange und demütiges Bitten aufhöre, sei schwer zu sagen. Hunden oder gar Kindern als Mitleidshilfe kann auch der Mecki-Mitarbeiter nichts abgewinnen. „Wir sollten uns aber davor hüten, bestimmte Ethnien sogleich in die kriminelle Ecke zu stellen.“
HAZ vom 05.10.2016, S. 6:
Ein wenig Luxus für Londons Ärmste
Der Brite Joshua Coombes verhilft Obdachlosen zu schöneren Spiegelbildern – mit einem Gratis-Haarschnitt
Von Katrin Pribyl
London. Als Paul in den kleinen Handspiegel schaut, erkennt er sich zunächst kaum wieder. „Wer ist dieser Mann?“ Er fragt dreimal ohne eine Antwort zu erwarten. Der weiße, lange Vollbart ist sauber abrasiert, die grauen Haare sind kurz geschnitten und gestylt. Der 54-Jährige lächelt Joshua Coombes an, während an den beiden Hunderte von Menschen vorbeieilen und Doppeldeckerbusse durch den dichten Verkehr ächzen – es ist ein intimer Moment zwischen zwei Fremden, die sich erst eine halbe Stunde vorher auf einer der geschäftigsten Straßen Londons nahe Trafalgar Square getroffen haben.
Paul lebt seit fünf Jahren ohne festen Wohnsitz, nachdem der Brite erst seinen Job als Mechaniker verloren hat, dann die Ersparnisse aufgebraucht waren und schließlich sein Leben völlig aus den Fugen geriet. Joshua Coombes arbeitet als Friseur, aber längst verpasst der 29-Jährige nicht mehr nur im schicken Studio wohlhabenden Kunden einen neuen Schnitt. Seit mehr als einem Jahr schneidet er auch regelmäßig und kostenlos die Haare von Obdachlosen. Am Morgen spontan auf dem Weg zur Arbeit, am Wochenende, wenn er etwas Zeit übrig hat, oder sogar im Urlaub – in seinem Rucksack stecken stets Schere, Kamm und Rasierer.
Quelle: Joshua Coombes/Matt Spracklen
„Es geht unter anderem darum, Obdachlosen ihre Würde zurückzugeben“, sagt Coombes. Zudem will er eine Verbindung herstellen, lässt sich die zum Teil „unglaublichen“ Geschichten erzählen, in denen bei seinen Kunden oft Emotionen wie Hoffnungslosigkeit, Scham und Einsamkeit hochkommen. Bei der Kritik, dass die Ärmsten der Armen eher eine Wohnung oder eine Decke bräuchten als einen neuen Haarschnitt, winkt er ab. „Was ich mache, löst das Problem nicht, aber ich versuche, ihnen ein gutes Gefühl und etwas Selbstvertrauen zu geben, bevor oder während das Problem gelöst wird.“
Sein Freund, der Fotograf Matt Spracklen, hält die Szenen fest oder macht Vorher-nachher–Fotos, die Coombes unter dem Hashtag #DoSomethingForNothing (Tue etwas kostenlos) auf Instagram teilt. Es sind berührende und einfühlsame Bilder, die trotz des Themas beinahe melancholisch schön wirken. Mittlerweile verfolgen fast 190 000 Menschen seine Arbeit. Dabei motivieren Coombes nicht Ruhm und Reputation. Vielmehr wolle der Brite andere Menschen inspirieren. Sich ein paar Minuten mit Obdachlosen unterhalten, Aufmerksamkeit schenken, einen Kaffee ausgeben, ein Picknick organisieren – unter dem Hashtag haben bereits Hunderte Nutzer dokumentiert, wie sie Menschen ohne Wohnsitz unterstützen. Immerhin lebten 2015 laut offizieller Statistik rund 940 Obdachlose in London, in England waren es 3569 – eine Steigerung von 30 Prozent zum Vorjahr.
Die tatsächliche Zahl dürfte noch deutlich höher sein, geben Experten zu. So schätzt die Gesamtverwaltung für den Großraum London, dass von April 2014 bis März 2015 fast 7600 Menschen mindestens eine Nacht auf der Straße verbracht haben. Obdachlosigkeit zeige „auf krasseste Art und Weise die Spaltung der Gesellschaft“, findet Coombes. Porsche-Fahrer im Anzug träfen auf Menschen, die kaum mehr als ihren Schlafsack besitzen. „Manche hatten einfach Pech im Leben, andere haben falsche Entscheidungen getroffen und sind jetzt vielleicht alkoholkrank – aber das heißt doch nicht, dass man sie ausgrenzen und vergessen kann“, meint er.
Seine Bewegung, die über den Hashtag in sozialen Medien Hilfswillige anspricht und auffordert, erhält so großen Zulauf, dass er vor lauter Engagements kaum noch zum Haareschneiden kommt. Trotzdem will er keine Wohltätigkeitsorganisation gründen, bei der die Prozesse sofort komplizierter würden. „Ich glaube daran, dass wir, wenn wir etwas Gutes tun wollen, das heute machen können“, sagt Coombes, Typ Vollbart und Hipster-Klamotten. Gerade ist er in Athen unterwegs und frisiert in den dortigen Straßen Flüchtlinge, die aus Kriegs- und Krisengebieten stammen und in Europa Zuflucht suchen.
HAZ vom 05.10.2016, S. 6:
Berliner Fotografin porträtiert Obdachlose
Persönlichkeit, Würde, das Selbstwertgefühl zurückgeben: Mit dieser Motivation ist die Berliner Fotografin Debora Ruppert durch die Straßen der Hauptstadt gezogen, um Obdachlose zu treffen und zu porträtieren. Sieben Jahre lang war sie für das Projekt Street Life Berlin in der Berliner Quirligkeit unterwegs – am „Kotti“ (Kottbusser Tor), dem Leopoldplatz, am Bahnhof Zoo, am Alex, im Kleinen Tiergarten oder auf der Adalbertstraße.
Wer sind die Menschen hinter den Schicksalen, was bewegt sie? Das wollte Ruppert bei den Begegnungen wissen. Ihre Fotos sollten vor allem die Geschichten der Menschen erzählen und nicht die Not auf den Straßen dokumentieren. Dabei habe auch nicht das Foto als Werk im Vordergrund gestanden. Auch wenn jemand sagte, dass er nicht porträtiert werden möchte, sei sie mit ihm im Gespräch geblieben. „Ich bin nicht gekommen, um Fragen zu stellen oder um zu fotografieren, sondern um ihnen zu begegnen“, sagt die Fotografin. Viele Begegnungen sind deshalb nicht festgehalten worden. Viele aber doch. Auf ihrer Internetseite street-life-berlin.com zeigt Debora Ruppert sehr nahe, intensive, aber vor allem würdevolle Porträts der Obdachlosen. so
HAZ vom 26.09.2016, S. 5:
Viele Flüchtlinge nutzen die Tafeln
Hannover. Die Tafeln in Niedersachsen und Bremen versorgen immer mehr Flüchtlinge mit Lebensmitteln. Insgesamt hat sich die Zahl der Nutzer durch den Zustrom der Flüchtlinge deutlich erhöht, in einigen Städten sogar verdoppelt, sagte der Vorsitzende des Landesverbands der Tafeln in Niedersachsen und Bremen, Karl-Heinz Krüger. Als der Zuzug vor rund einem Jahr sehr stark war, habe es Probleme mit Lebensmitteln und der Verständigung gegeben. Manche Flüchtlinge hätten auch ein Anspruchsdenken gehabt, da sie nicht wussten, dass die Tafeln ehrenamtlich arbeiten. „Mittlerweile ist aber eine Routine eingetreten“, betonte Krüger. Tafeln verteilen Lebensmittel an Menschen, die nachweisen können, dass sie Sozialleistungen beziehen.
NP vom 23.09.2016, S.1:
Armutsrisiko in Hannover hoch
Nur zwei Städte sind schlimmer dran
Von Britta Lüers
HANNOVER. Armutszeugnis für Hannover: Nach Nürnberg und Stuttgart ist das Risiko, arm zu werden, in keiner anderen Stadt so groß wie hier. Gestern stellte das Statistische Bundesamt die jüngsten Zahlen vor. Die Landeshauptstadt landete dabei auf dem dritten Platz.
Noch 2014 hatte Hannover im Vergleich deutlich besser abgeschnitten und Platz acht belegt, das Jahr zuvor sogar nur Platz neun. „Jetzt landet Hannover nicht im besten Feld. Über die Gründe kann nur spekuliert werden“, sagte Arne Lehmann vom Landesamt für Statistik in Niedersachsen, beteiligte sich aber nicht an den Spekulationen.
Auch im restlichen Niedersachsen stieg die sogenannte Armutsgefährdungsquote leicht an. In absoluten Zahlen waren demnach 2015 insgesamt 1,2 Millionen Menschen von Armut betroffen. Besonders gefährdet sind dabei Alleinerziehende sowie Menschen mit Migrationshintergrund.
Doch warum steigt die Gefahr, arm zu werden, in Hannover so rapide an? Wirkliche Erklärungsansätze konnte gestern kein Experte liefern. Aber so viel: „In Ballungsräumen nimmt die Zahl der armen Menschen generell zu“, sagte Meike Janßen vom Sozialverband Deutschland. Lars Niggemeyer vom DGB in Hannover ergänzte: „Der wirtschaftliche Aufschwung kommt bei vielen Menschen nicht mehr an. Da bildet leider auch Hannover keine Ausnahme.“ Hinzu kämen prekäre Arbeitsverhältnisse und deutlich gestiegene Mieten. Niggemeyer: „Wir betrachten die Entwicklung mit Sorge. Sie ist Zeugnis einer falschen Politik, die jahrelang nur auf Unternehmensförderung gesetzt hat.“
HAZ vom 19.09.2016, S. 1:
17-jähriger Flüchtling fährt auf Zugdach nach Deutschland
Fischbach am Inn. Ein minderjähriger Flüchtling aus Pakistan ist mehrere Stunden auf dem Dach eines Güterzuges von Österreich nach Deutschland mitgefahren. Wie die Bundespolizei mitteilte, entdeckte ein Lokführer den jungen Mann am Sonntagmorgen auf dem Dach eines entgegenkommenden Güterzuges zwischen Kufstein und Rosenheim. Die Notfallleitstelle der Bahn sperrte die Strecke und ließ den Zug stoppen. Der 17-Jährige wurde schließlich unverletzt unter einem Waggon gefunden. Laut Polizei hatte er sich zunächst einige Tage alleine im italienisch-österreichischen Grenzgebiet aufgehalten und war dann mehrere Stunden auf dem Zug Richtung Deutschland gefahren. Der junge Mann wurde dem Jugendamt übergeben.
HAZ vom 19.09.2016, S. 4:
Wohlfahrtsverbände fordern stärkeren Kampf gegen Armut
Hannover. Angesichts einer anhaltenden Armutsbedrohung hat die niedersächsische Landesarmutskonferenz die Kommunen aufgefordert, Betroffene besser zu unterstützen. Unter anderem forderte sie am Sonntag, dass Menschen mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1000 Euro Busse und Bahnen kostenlos benutzen dürfen, sowie öffentlich geförderte Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose.
Nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist der Anteil der von Armut bedrohten Menschen im vergangenen Jahr bundesweit auf 15,7 Prozent gestiegen – 0,3 Prozentpunkte mehr als noch 2014. Als armutsgefährdet gelten Menschen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen. Die Konferenz ist ein Zusammenschluss der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen.
HAZ vom 13.09.2016, S. 1:
Zahl der armen Kinder in Deutschland steigt
Hannover/Gütersloh. Immer mehr Kinder in Deutschland leben in Armut. Im vergangenen Jahr wuchsen laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung mehr als 1,9 Millionen unter 18-Jährige in Hartz-IV-Haushalten auf. Das sind 52 000 mehr als 2011. Die Quote liegt damit bei 14,7 Prozent. In Niedersachsen gibt es besonders in Wilhelmshaven und Delmenhorst viele arme Kinder. In diesen beiden Städten leben mehr als 30 Prozent der Kinder in Familien, die Grundsicherung beziehen. In ganz Niedersachsen waren insgesamt rund 192 000 Kinder von Armut betroffen, damit liegt das Land etwa im Bundesdurchschnitt. Einen traurigen Rekord bundesweit hält Bremerhaven. Hier gelten 40,5 Prozent der Kinder als arm.
HAZ vom 09.09.2016, S. 16:
Stadt testet Pfandringe
(asl). In der Ratspolitik sind Pfandringe lange diskutiert worden, jetzt will die Stadtverwaltung einen Versuch an drei Standorten starten. Am Lister Platz, in der Limmerstraße und am Steintor soll das Entsorgungsunternehmen Aha jeweils mehrere Edelstahlbehälter an Laternenpfähle schrauben. Wer Pfandflaschen wegwirft, soll nicht Abfalleimer wählen, sondern die Behälter. Damit will es die Stadt Pfandsammlern leichter machen. Ein Jahr soll der Versuch dauern, sozialwissenschaftlich begleitet vom Karl-Lemmermann-Haus. Insgesamt 21 200 Euro lässt sich die Stadt den Test kosten. Die CDU begrüßt den Vorstoß, moniert aber, dass es vier Jahre gedauert habe, bis sich die Verwaltung dazu durchringen konnte. „Ich erinnere daran, dass die Stadtspitze vor zwei Jahren die Initiative Pfand gehört daneben, die in Linden 20 Pfandkisten aufgestellt hatte, mit der Androhung einer kostenpflichtigen Zwangsentfernung torpedierte“, sagt CDU-Fraktionschef Jens Seidel.
HAZ vom 07.09.2016, S. 18:
Flüchtlinge brauchen „Ort der Sicherheit“
Regionalkonferenz für Erzieher zum Umgang mit Flüchtlingskindern in Kitas
Von Jutta Rinas
Sie sind zum Teil noch keine sechs Jahre alt – und haben die Erfahrungen des Krieges und eine zum Teil monatelange Flucht durch mehrere Länder hinter sich. 11 000 noch nicht schulpflichtige Kinder sind nach aktuellen Schätzungen des niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes 2015 nach Niedersachsen gekommen, 2016 werden es möglicherweise noch einmal so viele sein, die jetzt verstärkt in die Kindergärten drängen.
Um Erzieher fit für den Umgang mit ihnen zu machen, veranstaltet das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (Nifbe) morgen in der Hochschule Hannover die erste von zehn Regionalkonferenzen zu dem Thema „Kinder und Familien mit Fluchterfahrungen in der Kindertagesbetreuung“. Sie bietet Vorträge und Workshops für Kita-Leiter und Fachberatern.
Den Kitas komme eine Schlüsselrolle bei der Integration zu, weil die Kinder dort die ersten Erfahrungen mit der deutschen Gesellschaft und der deutschen Sprache machten, sagt Karsten Herrmann, Pressesprecher von Nifbe. Kindergärten müssten gerade für solche Kinder zu Orten der Sicherheit, der Verlässlichkeit werden, um ihnen den Weg in ein neues Leben zu ebnen. Flüchtlingskinder bräuchten oft eine geregeltere Tagesstruktur als andere Kinder. Diese gebe ihnen zusätzlichen Halt. Musik, Tanz oder Bewegungsspiele würden helfen, um Sprachbarrieren zu überwinden. In einer Großstadt wie Hannover, in der es Kitas mit einem Anteil von bis zu 90 Prozent von Kindern mit Migrationshintergrund gebe, hätten viele Einrichtungen schon Erfahrungen mit Kindern aus anderen Ländern, sagt Herrmann.
Gerade traumatisierte Flüchtlingskinder stellten Erzieher allerdings noch einmal vor andere Herausforderungen. So gebe es Kinder, die ständig verspätet in die Kita gebracht würden. Wer sich nicht mit der Flüchtlingsproblematik beschäftigt habe, erkläre sich das möglicherweise mit dem Vorurteil, dass in anderen Ländern eine andere Vorstellung von Pünktlichkeit herrsche. Tatsächlich komme es aber genauso oft vor, dass ein Kind aufgrund eines Traumas oder aufgrund der ungewohnten Umstände in einer Erstunterkunft nachts kaum schlafe – und die Eltern es morgens nicht weckten, um ihnen wenigstens zu ein bisschen Ruhe zu verhelfen.
Die heutige Veranstaltung ist bereits seit Langem ausgebucht. Die nächste Regionalkonferenz zu dem Thema gibt es am 5. Oktober in Lüneburg.
HAZ vom 07.09.2016, S. 18:
Wahlstelle für Wohnungslose im Kontaktladen Mecki
(be). Auch Wohnungslose dürfen wählen – sofern sie eine EU-Staatsbürgerschaft haben, mindestens 16 Jahre alt und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. „Sie müssen allerdings seit drei Monaten in Hannover übernachtet haben“, sagt Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes. Dann gilt ein Passus im Niedersächsischen Wahlgesetz: „Bei Personen ohne Wohnung gilt der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts als Wohnsitz“, heißt es dort.
Menschen ohne Meldeadresse können dazu in dieser Woche im Kontaktladen Mecki am Raschplatz Briefwahlunterlagen bekommen: Am Donnerstag von 10 bis 11 Uhr ist dort ein Mitarbeiter des Wahlamtes, bei dem Wohnungslose die Unterlagen anfordern können. Dazu müssen sie ihren Personalausweis mitbringen. Später können sie die Unterlagen dort auch in Empfang nehmen. „Selbstverständlich sind auch Wohnungslose wahlberechtigt“, sagt Müller-Brandes: „Auf diese Weise können sie von ihrem Recht Gebrauch machen.“ Bei vergangenen Wahlen hätten jeweils etwa 20 Menschen das Angebot genutzt.
HAZ vom 02.09.2016, S. 17:
Abhängige sollen sich stabilisieren
Obdachlosenunterkunft für Süchtige wird 20 Jahre alt
Von Jutta Rinas
Sie sind heroinabhängig, koksen, nehmen Crack oder eine der modernen Designerdrogen wie Crystal Meth. Ihre Sucht hat überdies dazu geführt, dass sie auf der Straße leben. Solchen Menschen bietet die Laher Unterkunft für drogenabhängige Obdachlose (U.D.O) seit 20 Jahren ein Dach über dem Kopf. In den Anfängen, als U.D.O in Containern in der Alten Peiner Heerstraße als Projekt begann, habe niemand damit gerechnet, dass sich daraus ein so erfolgreiches Modell der akzeptierenden Drogenarbeit entwickeln würde, sagte die stellvertretende Regionspräsidentin Angelika Walther gestern.
76 Plätze für süchtige Männer und Frauen bietet die bundesweit einmalige Unterkunft, die 2010 in die Kirchhorster Straße umgezogen ist. Derzeit sind 71 besetzt. Neun Monate bleiben die Abhängigen in der Regel, sagt Stefan Sawade, Dienststellenleiter im Johanniter- Ortsverband Hannover-Leine, der U.D.O. betreut. Sie könnten in der Unterkunft zur Ruhe kommen, sich stabilisieren für den nächsten Schritt: die Aufnahme in ein Methadonprogramm, einen Entzug, eine eigene Wohnung. Ziel sind solche Maßnahmen aber erst im zweiten Schritt. U.D.O. ist zunächst einmal dafür da, auch schwer Drogenabhängigen ein menschenwürdiges Leben zu bieten. Manche schätzen den sicheren Platz zum Schlafen und die Unterstützung durch die dort arbeitenden Sozialarbeiter so sehr, dass sie jahrelang bleiben. Reiner wohnt seit 20 Jahren in einem schmalen Zweibettzimmer, das nur mit dem Allernötigsten ausgestattet ist: Schrank, Bett, Tisch, Stuhl. „Er hat Angst, allein zu leben“, sagt eine Sozialarbeiterin: „Das hier ist für ihn ein Zuhause.“
HAZ vom 30.08.2016, S. 1:
Millionen Kinder können nicht verreisen
Berlin. Die Familien von Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland können sich keine Erholungsreise leisten. Nach den jüngsten offiziellen Zahlen lebten 2014 mehr als 3,4 Millionen Kinder und Jugendliche in einem Haushalt, der aus finanziellen Gründen keine einwöchige Urlaubsfahrt gemacht hat. Die Daten des Europäischen Statistikamtes Eurostat lagen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor. Das waren 23,8 Prozent aller unter 18-Jährigen in Deutschland. Die Daten stammen aus einer Erhebung zu verschiedenen finanziellen Mangelerscheinungen. 1,2 Millionen unter 18-Jährige lebten 2014 in Haushalten mit Problemen, die Miete oder Rechnungen für Versorgungsleistungen rechtzeitig zu begleichen.
HAZ vom 30.08.2016, S. 15:
GOP-Gala hilft Obdachlosen
(sul). Unter dem Titel „Wir lassen niemanden im Regen stehen“ treten verschiedene Künstler bei einem Benefizabend am 19. September (20 Uhr) im GOP auf. Akrobaten wie das Duo Fate Fusion, der Clown Monsieur Momo und die Frauenband Herzen in Terzen stehen dann auf der Bühne an der Georgstraße 36; Entertainer und Zauberer Desimo moderiert. Die Künstler verzichten auf ihre Gagen. Als Ehrengäste sind etwa der frühere Bürgermeister Herbert Schmalstieg, Propst Martin Tenge und Sozialministerin Cornelia Rundt angekündigt. Mit dem Eintrittsgeld und den Spenden wird die medizinische Versorgung Wohnungs- und Obdachloser in Hannover unterstützt. Für den Abend, initiiert von der Niedergerke-Stiftung, gibt es noch Karten. Die Tickets kosten jeweils 39 Euro.
HAZ vom 25.08.2016, S. 12:
Für die Einschulung reicht das Geld nicht
Diakonie fordert Aufstockung der staatlichen Hilfe für ärmere Familien / Petition läuft noch zehn Tage
Von Bärbel Hilbig
Auch dieses Mal ist der Schulstart für manche Erstklässler nicht rund gelaufen. Die Kinder kommen ohne Schultasche, Stifte und Hefte in die Klasse, oft, weil in den Familien das Geld knapp ist. In der Egestorffschule suchen die Lehrer dann im Fundus, ob sie mit Dingen wie einem liegen gebliebenen Tuschkasten helfen können. „Das ist aber nicht besonders beliebt bei den Kindern. Oft helfen auch andere Familien aus, wenn sie noch einen Ranzen übrig haben. Der ist ja besonders teuer“, berichtet Schulleiter Horst Kemmling.
Quelle: Franson
Die Erfahrungen in der Egestorffschule sind beileibe keine Ausnahme. Die Diakonie in Niedersachsen hat kürzlich in einer Studie aufgezeigt, dass Eltern im Schnitt für ihre Kinder in den Klassen eins bis zehn pro Jahr jeweils 214 Euro für den Schulbedarf ausgeben müssen.Leihgebühren für Schulbücher, Ranzen und Sportsachen sind dabei noch nicht einmal eingerechnet. Bedürftige Familien können aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes jedoch nur 100 Euro auf Antrag bekommen. Mit einer Petition will die Diakonie auf dieses Missverhältnis aufmerksam machen und erreichen, dass der Bundestag sich mit dem Thema beschäftigt. Mindestens 50 Euro mehr seien für Kinder in Niedersachsen notwendig, denn der tatsächlich existenznotwendige Bedarf liege durchschnittlich bei 153 Euro.
„Eltern fällt es oft schwer, darüber zu sprechen, dass das Geld für die Schule nicht reicht“, berichtet Kirchenkreissozialarbeiter Reiner Roth. Erst auf Nachfrage räumten sie Probleme ein. Kürzlich hat Roth eine Alleinerziehende beraten, deren erstes Kind jetzt in die Schule gekommen ist. 217,04 Euro sollten Hefte, Stifte und das andere Arbeitsmaterial kosten. Für Ranzen, Turnbeutel, Federmappe, Schlamper und Schultüte hatte die Frau preiswerte Angebote für zusammen 90 Euro herausgesucht. Das Kind brauchte aber auch noch Hausschuhe, Turnschuhe und Sportkleidung für die Grundschule. Nicht finanzierbar für die Mutter, die mit ihren beiden Kindern auf Sozialleistungen angewiesen ist. Für solche Fälle, für Klassenfahrten und Nachhilfe, hält das Diakonische Werk Hannover jedes Schuljahr ein Budget von 20 000 Euro aus Spenden bereit. Dieses Mal ist der Topf bereits jetzt, drei Wochen nach Schulbeginn, leer.
„Eltern sollen sich nicht schämen müssen, wenn sie ihren Kindern Bildung ermöglichen wollen“, sagt Cornelius Hahn, Vorstand der Diakonie in Niedersachsen. Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, kritisiert, dass Gutverdienende über Kinderfreibeträge mehr profitieren als Geringverdiener vom Kindergeld. „Die Förderung muss vereinfacht werden, damit der Grundbedarf gesichert ist.“ Die Onlinepetition unter www.gerechter-schulbedarf.de läuft noch zehn Tage. Notwendig sind 50 000 Unterschriften, von denen erst ein Bruchteil zusammengekommen ist. Der Bundestag kann sich aber auch freiwillig mit dem Thema befassen.
HAZ vom 19.08.2016, S. 16:
Streit eskaliert: Mann würgt Arbeitskollegin
(isc). Bei einem Streit unter Mitarbeitern in einem Sozialkaufhaus in Hainholz soll ein 42 Jahre alter Mann eine Kollegin so stark gewürgt haben, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste. Warum die beiden Angestellten des Stöber-Treffs, eines sozialen Kaufhauses des Vereins Werkstatttreff Meckenheide an der Straße Rehagen, am Vormittag gegen 11 Uhr in Streit gerieten, ist noch unklar. Die Auseinandersetzung eskalierte jedoch, als der Mann die 45 Jahre alte Frau plötzlich am Hals packte und würgte. Zwei Sozialarbeiter, die das mitbekommen hatten, gingen dazwischen und riefen die Polizei. Der Angestellte flüchtete zunächst, konnte später aber an der Büttnerstraße festgenommen werden. Gegen ihn ermittelt nun die Staatsanwaltschaft wegen versuchter Tötung. Die Behörde hat beantragt, dass der 42-Jährige heute dem Haftrichter vorgeführt wird. Die 45-Jährige kam mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus und wurde dort ambulant behandelt. Das Sozialkaufhaus beschäftigt unter anderem Langzeitarbeitslose, um ihnen den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erleichtern.
HAZ vom 19.08.2016, S. 13:
Trinker-Krawall vor dem Spielwarenladen
Neuer Unmut über Zecherszene auf Weißekreuzplatz
Von Andreas Schinkel
Das aggressive Verhalten der Trinkergruppe auf dem Oststädter Weißekreuzplatz ärgert auch Kaufleute. „Es wird immer schlimmer, kürzlich mussten wir wieder die Polizei rufen“, erzählt Nora Schwenger vom Spielwarenladen Fridolin’s. Ein betrunkenes Paar sei am Mittwoch vor dem Geschäft lautstark in Streit geraten. Der Mann verletzte sich selbst, blutete am Hals, wurde immer aggressiver. Seine Freundin rannte ins Geschäft und bat darum, die Polizei zu rufen. „Wir mussten die Polizei regelrecht bitten, zu kommen“, sagt Schwenger. Der Mann wurde überwältigt, von Sanitätern versorgt und dann in die Psychiatrie gefahren. Die Polizei bestätigt den Vorgang.
„Bisher haben Trinker noch keine Kinder in unserem Laden belästigt“, sagt Schwenger. Dennoch seien solche Szenen wie am Mittwoch erschütternd, nicht nur für Kinder. „Wir finden es auch nicht lustig, wenn Betrunkene unsere Bälle in der Auslage durch die Gegend schießen.“ Sie schlägt einen Spielplatz auf dem Weißekreuzplatz vor. Kinder gibt es rundum genug.
Den Vorschlag teilt die Aktion Lister Meile, ein Zusammenschluss von Geschäftsleuten. „Dann kann auf dem Platz ein Alkoholverbot ausgesprochen werden“, sagt der Sprecher des Vereins, Klaus Eberitzsch. Mit einer Spendenaktion könnten sich die Kaufleute an den Kosten für den Umbau beteiligen. „Wir haben Oberbürgermeister Stefan Schostok am 19. Juli die Idee unterbreitet, aber noch keine Antwort bekommen.“
Anwohner hatten sich kürzlich im Bezirksrat Mitte über die Trinkerszene auf dem Weißekreuzplatz beschwert. Sie beklagten, dass die Zecher aggressiver und zahlreicher würden. Bis zu 50 Menschen versammelten sich nach Beobachtung der Anwohner in den Nachmittagsstunden auf dem Platz. Die Stadt lehnte den Bau eines Spielplatzes mit der Begründung ab, dass die Trinker dann vom Platz verdrängt würden.
Die CDU ist der Ansicht, dass es so nicht weitergehen könne. „Ein öffentlicher Platz ist keine Sozialstation“, sagt Hannovers CDU-Chef Dirk Toepffer. Zugleich müsse sich die Stadt um die alkoholkranken Menschen kümmern.
Quelle: Schaarschmidt
HAZ vom 17.08.2016, S. 13:
Anwohner fordern Konzept gegen Zechgelage
Aggressive Trinker sorgen rund um den Weißekreuzplatz für Unfrieden – und auch am Raschplatz ist das Problem nicht gelöst
Von Andreas Schinkel
Lärm, Gestank, Glasscherben und zu viel Aggressivität: Auf den Weißekreuzplatz in der Oststadt ist die Trinkerszene zurückgekehrt. Rund 50 bis 60 Personen umfasst die Gruppe, schätzt die Stadtverwaltung. Anwohner beobachten bis zu 40 Trinker, die sich auf dem Platz versammeln. „Das Gebrüll ist kaum zu ertragen. Unsere Kinder mögen dort nicht mehr vorbeigehen“, sagte Anwohner Holger Jongen in der Sitzung des Bezirksrats Mitte am Montagabend. Mehrere Nachbarn seien bereits ausgezogen. „Es wird immer schlimmer“, meint Anwohnerin Ursula Hedermann. Mit gutem Zureden und der Bitte um eine geringere Lautstärke komme man nicht weiter, sagt Jongen, ein ausgebildeter Sozialarbeiter. Die Trinker reagierten äußerst aggressiv.
Nicht erst seit der Räumung des Protestcamps vor einigen Monaten werde der Platz wieder von Zechern okkupiert, betonen die Anwohner. Aber es seien jetzt deutlich mehr. Die Anwohner schlagen vor, auf dem Areal einen Spielplatz anzulegen. Dadurch könne ein Alkoholverbot durchgesetzt werden und Familien gewännen einen Teil des öffentlichen Raumes zurück. Das aber lehnt die Stadtverwaltung ab.
Quelle: Schaarschmidt
„Der Platz sollte allen Nutzern zur Verfügung stehen, ein Spielplatz würde eine Gruppe verdrängen“, sagt Stadtbezirksmanagerin Claudia Göttler in der Bezirksratssitzung. Auch die Trinker gehörten zum Leben einer Großstadt. Dennoch räumt Göttler ein, dass es Probleme gebe auf dem Weißekreuzplatz, ebenso auf dem benachbarten Raschplatz. „Überall in Hannover wird gebaut, etwa auf dem Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB), sodass die Trinkergruppen vertrieben werden und sich an anderen Orten sammeln“, sagt Göttler.
Die City-Händler wollen das nicht so stehenlassen. „Wir erleben eine erhebliche Zunahme von Trinkergruppen, nicht bloß eine andere Verteilung“, sagt der Geschäftsführer der City-Gemeinschaft, Martin Prenzler. Niemand unter den Kaufleuten wolle Menschen aus der Innenstadt vertreiben, aber die Trinkerszene sei kaum zugänglich. „Wir suchen das Gespräch, erleben aber immer mehr Respektlosigkeiten“, sagt Prenzler. Der Zustand sei nicht mehr haltbar.
Den Eindruck bestätigen die Anwohner des Weißekreuzplatzes. „Die Trinkergruppe verschließt sich der Sozialarbeit“, sagt Sozialarbeiter Jongen. Das liege nicht nur an sprachlichen Barrieren. Ein Teil der Zecher stamme vermutlich aus Osteuropa, andere redeten Deutsch miteinander. „Was sich die Polizei oft anhören muss, geht nicht in Ordnung“, sagt Jongen. Die Polizeiinspektion Ost betont, dass sie ihr Möglichstes tue, um für Ruhe auf dem Platz zu sorgen. „Wir sprechen auch Platzverweise aus, aber nach ein bis zwei Stunden sind die Leute wieder da“, sagt ein Vertreter der Inspektion.
In der Politik reichen die Reaktionen von Ratlosigkeit bis zum Ruf nach hartem Durchgreifen. „Osteuropäer hören nur auf einen starken Staat“, sagt CDU-Bezirksratsfrau Joanna Konopinska. Sie plädiert für ein Alkoholverbot auf dem Platz. Das aber lehnt die Stadt ab, weil es gerichtlich anfechtbar ist. Die Grünen wollen sich noch nicht von der Idee eines Spielplatzes verabschieden. „Zudem brauchen wir Anlaufstellen für Trinker, möglicherweise einen eigenen Trinkertreff“, sagt der stellvertretende Bezirksbürgermeister Norbert Gast (Grüne).
HAZ vom 16.08.2016, S. 13:
„3200 Wohnungen fehlen für die Ärmsten“
Stadt will Belegrechte befristet aufgeben / Diakonie: „Sozialer Sprengstoff“ / Opposition in Sorge
Von Jutta Rinas
3200 Wohnungen sollen künftig nicht mehr besonders armen Menschen zur Verfügung stehen, sondern Menschen mit besseren Einkommen – obwohl die Stadt eigentlich genau für die Ärmsten vor Jahren sogenannte Belegrechte gekauft hatte. Hannover gibt diese Belegrechte jetzt befristet auf, damit die soziale Mischung in Problemquartieren besser wird – aber im Sozialausschuss des Rates gab es gestern eine heftige Diskussion.
Quelle: von Ditfurth
Vor allem die Ärmsten der Armen würden leiden. „Bei allem Verständnis für eine gute Durchmischung: Die Wohnungsnot sorgt schon jetzt für sozialen Sprengstoff“, sagt Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes: „Das würde durch die Maßnahme der Stadt verstärkt.“ Die Stadt will künftig 1258 Belegrechtswohnungen von den Belegungsbedingungen komplett freistellen und bei 1948 Wohnungen auf das Ausüben der städtischen Belegrechte verzichten. Dann bestimmt nicht mehr sie, wer in die Wohnung einzieht, sondern der Vermieter selbst darf sich seinen Mieter aussuchen. Beides soll bis März 2019 befristet sein.
Die Verwaltung erhofft sich dadurch eine bessere soziale Durchmischung etwa in Hainholz, Vahrenheide, Linden-Süd und im Roderbruch. Es gebe in Hannover Quartiere, in denen sich durch die Belegrechtswohnungen eine teils schwierige Mieterklientel balle. Die problematische Sozialstruktur unter den Bewohnern wolle man dadurch entflechten, dass man es auch einkommensstärkeren Mietern ermögliche, in Sozialwohnungen einzuziehen.
Was zunächst sinnvoll klingt und in der Vergangenheit zumindest teilweise erfolgreich war, birgt vor dem Hintergrund steigender Wohnungsknappheit gerade bei Wohnungen für sozial Schwache aber erheblichen Konfliktstoff. Seit Monaten schlagen Sozialverbände und Obdachloseninitiativen Alarm, weil bezahlbarer Wohnraum für Menschen am unteren Rand der Gesellschaft fehle. Die städtischen Notunterkünfte seien voll, könnten zusätzliche Wohnungslose gar nicht mehr aufnehmen, warnt Müller-Brandes, Vorsitzender des Diakonischen Werks Hannover. Und nicht nur das: In den Obdachlosenunterkünften warteten Wohnungslose mittlerweile Monate, manchmal Jahre vergeblich auf den Umzug in eine eigene Wohnung. Eigentlich sollten sie nur wenige Tage oder Wochen dort untergebracht sein.
Auch die stationären Einrichtungen mit etwa 400 Plätzen seien voll – und könnten in Notlagen geratene Menschen nicht mehr aufnehmen. Dazu komme, dass die Zahl der Wohnungslosen stetig steige. Habe man es Schätzungen zufolge 2015 noch mit rund 3000 Wohnungslosen zu tun gehabt, so steuere die Zahl 2016 auf 4000 zu. Die Situation habe sich so verschärft, dass an einigen Orten Hannovers, etwa in der Eilenriede, erste Ansätze heimlicher Slums sichtbar würden. Nicht nur einer, sondern bis zu vier Obdachlose ließen sich in ihrer Not im Wald in verlassenen Hütten nieder. Im Sozialausschuss äußerten gestern Ratspolitiker aller Parteien bis auf die SPD ähnliche Sorgen wie der Diakoniepastor. Katrin Langensiepen (Grüne) fragte: „Wie will die Stadt sicherstellen, dass problematische Mieter, ehemalige Obdachlose, Frauen aus Frauenhäusern, Ex-Häftlinge, noch eine Chance auf eine Wohnung haben, wenn sie darauf verzichtet, ihre Mieter in Sozialwohnungen selbst auszuwählen?“ Jutta Barth (CDU) sagte, sie sei sprachlos, dass die Verwaltung ein Steuerungselement für Menschen in Not aus der Hand gebe. Oliver Förste (Linke) kritisierte, es sei „nicht hinnehmbar“, dass de facto Wohnungen für Notleidende verloren gingen. Lediglich die SPD äußerte sich positiv: Sie stünde für eine gute soziale Durchmischung der Stadtteile, hieß es gestern. Als Nächstes behandelt der Bauausschuss das Thema.
HAZ vom 09.08.2016, S. 14:
Schule ist für jedes fünfte Kind zu teuer
Eltern geben im Schnitt 214 Euro pro Jahr aus / Diakonie startet Petition, weil Hilfe vom Bund nicht reicht
Von Saskia Döhner
Eltern müssen im Schnitt für ihre Kinder in den Klassen eins bis zehn pro Jahr jeweils 214 Euro für den Schulbedarf ausgeben. Das ist das Ergebnis einer empirischen Studie, die in Kooperation des Diakonischen Werks evangelischer Kirchen in Niedersachsen, der Landeskirche Hannover und des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland entstanden ist. Nicht eingerechnet sind dabei die Leihgebühren für die Schulbücher, die zwischen 60 und 80 Euro liegen, und die Extrakosten für Ranzen, Turnbeutel oder Sportschuhe.
Besonders teuer seien die Übergänge, sagte Diakonie-Vorstandssprecher Christoph Künkel, also der Wechsel vom Kindergarten in die Grundschule oder nach der vierte Klasse auf Gesamt-, Real-, Oberschule oder aufs Gymnasium. Das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes, das an bedürftige Familien ausgezahlt wird, reiche hinten und vorne nicht, statt 100 Euro seien mindestens 153 Euro nötig. Deshalb startet die Diakonie unter www.gerechter-schulbedarf.de eine Onlinepetition für höhere Sätze. Rund 50 000 Unterschriften sind bundesweit dafür notwendig. Die Unterstützung von Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) hat die Diakonie schon sicher, obwohl die Petition noch gar nicht freigeschaltet worden ist. Jedes fünfte Kind in Niedersachsen sei von Armut bedroht, sagte die Ministerin. In den Schulen fehle dafür vielfach noch das Bewusstsein, dass der Anteil bedürftiger Familien stetig wachse. Immer noch gebe es Lehrer, die auf Anschaffung bestimmter Markenartikel bestünden. Bei der Studie hatten knapp 60 Prozent der Lehrer in einer Onlinebefragung angegeben, dass sie bei Tuschkästen eine klare Markenempfehlung gäben.
Quelle: Schaarschmidt
Dies bestätigen Elternvertreter aus Hannover. „Oft wird gar nicht berücksichtigt, dass es auch Familien mit mehreren Kindern gibt“, sagte etwa die stellvertretende Vorsitzende des Regionselternrates, Ramona Schäfer. Nicht nur der grafikfähige Taschenrechner, sondern auch das digitale Wörterbuch, das rund 140 Euro kostet, könne Eltern von Siebtklässlern schnell an den Rande ihrer finanziellen Belastbarkeit bringen. „Für den Rücken der Kinder ist das gut, wenn sie nicht zwei schwere Wörterbücher schleppen müssen, für den Geldbeutel der Eltern ist es eine Herausforderung.“ Es müsse auch nicht unbedingt ein ganz neuer Atlas gekauft werden, nur weil sich bei einem Land die Grenzen verschoben hätten, findet ein anderer Elternvertreter. Bernd Feierabend vom Stadtelternrat hat an den Schulen schon eine höhere Sensibilität für das Thema Kosten wahrgenommen.
Rundt und Künkel kritisierten das bürokratische Verfahren beim Bundes- und Teilhabepaket. Gerade bildungsschwache Familien oder Migranten würden die Hilfe gar nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Formulare nicht ausfüllen könnten. Stefan Bredehöft, Vorsitzender des Landeselternrates, sagte, viele Familien könnten Sonderangebote von Discountern gar nicht nutzen, weil das Geld zu spät ausgezahlt werde.
Die Region hat jetzt an alle 11.000 Erstklässler in Hannover und im Umland Postmappen mit Informationen zum Bundes- und Teilhabepaket verteilt. So sollen laut Sozialdezernent Erwin Jordan Hemmschwellen abgebaut und die Antragsstellung erleichtert werden.
HAZ vom 03.08.2016, S. 11:
Neue Unterkunft für Obdachlose in der City
Bis zu 30 Bedürftige sollen hinter Hauptbahnhof wohnen
Von Christian Link
Hinter dem Hauptbahnhof soll eine neue Unterkunft für wohnungslose Menschen entstehen. „Die Stadtverwaltung beabsichtigt, auf dem Grundstück Augustenstraße 11 eine neue Obdachlosenunterkunft einzurichten, die voraussichtlich im ersten Halbjahr des Jahres 2017 bezogen werden kann“, heißt es in einer Entscheidung der Stadtverwaltung, mit der sie auf einen Antrag des Stadtbezirksrats Mitte reagiert. Die Lokalpolitiker hatten einstimmig die Einrichtung einer neuen Unterkunft gefordert, die den Obdachlosen „zumindest das Minimum an einer Privatsphäre gewährleisten“ kann.
Den Plänen der Stadt zufolge soll das Heim ausschließlich über kleine Wohneinheiten verfügen. Bei den Wohnräumen soll es sich entweder um Einzelzimmer oder Zimmer für bis zu drei Personen handeln. „Jeder Bewohner wird über ein Bett, einen abschließbaren Spind, einen Stuhl und einen Tisch verfügen“, verspricht die Stadt. Insgesamt sollen in dem Gebäude, das eine Nutzfläche von rund 500 Quadratmetern erhalten wird, bis zu 30 obdachlose Menschen untergebracht werden. Die sozialpädagogische Betreuung der Obdachlosen wird im Rahmen einer Ausschreibung an eine Betreiberfirma vergeben.
„Es ist unendlich wichtig, dass in Bahnhofsnähe eine Obdachlosenunterkunft entsteht“, begrüßt Bezirksbürgermeister Michael Sandow (SPD) die Entscheidung der Stadtverwaltung. Die Behörde habe alle Forderungen des Stadtbezirksrats erfüllt. Massenunterkünfte seien für Obdachlose unattraktiv.
HAZ vom 25.07.2016, S. 10:
Zwei Tagestreffs für Wohnungslose gekündigt
Diakonie sucht händeringend neue Räumlichkeiten / Zahl der Bedürftigen nimmt zu – auch durch Flüchtlinge
Von Michael Zgoll
Bei den hannoverschen Tagestreffs für Obdachlose droht Wohnungsnotstand: Zwei Einrichtungen müssen in absehbarer Zeit schließen, die Diakonie sucht händeringend neue Räume. Zunächst einmal trifft es den Tagestreffpunkt „Dach übern Kopf“ (DüK) in der Lavesstraße 72, der dort seit 25 Jahren angesiedelt ist. Nach Auskunft von Pastor Rainer Müller-Brandes, Leiter des Diakonischen Werks Hannover, ist die bisherige Vermieterin verstorben – und der neue Eigentümer habe dem DüK zum Ende dieses Jahres gekündigt. Bis Ende März 2017 hingegen muss der „Tagesaufenthalt Nordbahnhof“ am Engelbosteler Damm 113 geräumt sein, den der gemeinnützige Verein „Selbsthilfe für Wohnungslose“ (SeWo) betreibt. Auch hier hat der Vermieter Eigenbedarf angemeldet.
In beiden Tagestreffs können Wohnungslose ohne Anmeldung vorbeikommen und duschen, einen Kaffee trinken, essen, Wäsche waschen oder einen Computer nutzen. Die Öffnungszeiten sind gestaffelt, sodass Interessenten frühmorgens den Kontaktladen „Mecki“ am Raschplatz aufsuchen können, am Vormittag das „DüK“ und am Nachmittag den „Nordbahnhof“; dieser hat sogar sonntags geöffnet. Daneben betreibt die Diakonie noch weitere Einrichtungen wie den „Saftladen“ in der Podbielskistraße 136 oder den Tagestreff für Frauen in der Burgstraße 12. Doch die Kündigungen schlagen empfindliche Lücken in das Betreuungsnetz. Das „DüK“ wird täglich von 50 bis 80 Menschen besucht, der „Nordbahnhof“ gar von 150.
Wenn diese beiden Einrichtungen wegfallen, so Müller-Brandes, würden Innenstadt und Raschplatz noch stärker von Wohnungslosen frequentiert als bisher. Besonders mit Blick auf den Raschplatz ist dies problematisch, wird hier doch schon länger über eine Verwahrlosung des Areals und die übermäßige Nutzung des Platzes durch Trinker und Obdachlose diskutiert. Gesucht werden nun neue Tagestreff-Räume an zwei Standorten in Hannover. Sie müssen in der City oder den innenstadtnahen Stadtteilen wie Oststadt, Südstadt, Nordstadt oder Linden liegen und sollten jeweils 150 bis 200 Quadratmeter groß sein. Ideal wären Ladenlokale, doch unter Umständen würde die Diakonie auch eine größere Wohnung umgestalten. „Uns ist klar“, sagt der leitende Pastor, „dass es Vorbehalte gibt, an eine Einrichtung für Wohnungslose zu vermieten“. Doch seien diese Ängste unbegründet: Es seien immer Sozialarbeiter vor Ort und man pflege immer den Kontakt mit den Nachbarn. „In der Lavesstraße etwa gab es in den vergangenen 25 Jahren so gut wie keine Probleme“, ergänzt Müller-Brandes. Außerdem sei die Diakonie ein verlässlicher Partner – um ausbleibende Mietzahlungen muss sich hier niemand sorgen.
Nach Schätzungen der Diakonie sind derzeit rund 4000 Menschen in Hannover wohnungslos, etwa 400 leben auf der Straße. Die Tendenz ist steigend, auch, weil inzwischen die ersten Flüchtlinge auf der Straße stehen. Vermieter, die der Diakonie möglicherweise neue Räume für einen Tagestreff anbieten möchten, können unter der Telefonnummer 9 90 40 31 anrufen oder eine E-Mail an leitung@zbs-hannover.de schicken.
HAZ vom 15.07.2016, S. 14:
Straßenambulanz gehen die Ärzte aus
Die mobile Behandlung für Arme und Obdachlose sucht Ehrenamtliche – Zahl der Patienten steigt
Von Bärbel Hilbig
Die Straßenambulanz der Caritas für Arme und Obdachlose steht möglicherweise vor einem Umbruch. Bisher behandeln Ärzte und Pflegekräfte die mittellosen Patienten ehrenamtlich. Auch der Fahrer des Kleinbusses, der verschiedene Standorte im Stadtgebiet ansteuert, ist als Freiwilliger aktiv. „Wir denken über eine Kombination aus Ehrenamtlichen und einem angestellten Arzt nach, um die Versorgung dauerhaft zu sichern“, sagt Andreas Schubert, Vorstand des Caritasverbands Hannover.
Quelle: Körner
Aktuell engagieren sich zehn Ärzte, 17 medizinische Begleiter sowie Fahrer in dem Team, das Sprechstunden in Unterkünften für Wohnungslose oder an der Straße abhält. Manche Ärzte sind seit dem Start im Jahr 1999 aktiv. Viele sind wie die ehemalige Hausärztin Anne Heidenreich nach der eigenen Pensionierung eingestiegen. „Wir rechnen damit, dass manche in absehbarer Zeit aufhören, und es ist sehr schwierig, neue Freiwillige zu gewinnen“, erläutert Schubert.
„Unsere Patienten scheuen den Weg in eine Arztpraxis“, berichtet Anne Heidenreich. In die kostenfreie Sprechstunde zu gehen fällt vielen leichter. Über die Jahre baue sich oft ein Vertrauensverhältnis zu den behandelnden Ärzten auf. Heidenreich berichtet, dass der überwiegende Teil der obdachlosen Frauen unter ihren Patienten unter psychischen Erkrankungen leidet. Für die obdachlosen Männer ist Ähnliches anzunehmen. In den vergangenen zwei bis drei Jahren hat sich die Gruppe der Armen, die sich in der Ambulanz behandeln lassen, deutlich gewandelt. Viele Migranten aus Osteuropa sind hinzugekommen, auch Roma-Familien mit kleinen Kindern. Zugleich kommen immer ältere obdachlose und wohnungslose Patienten. Dadurch bedingt haben die ehrenamtlichen Ärzte immer häufiger altersbedingte, schwerere Krankheiten zu behandeln.
Sollte ein Arzt angestellt werden, würde der Bedarf an Spenden für die Ambulanz deutlich anwachsen. Bisher werden mit den Spenden Medikamente oder Zuzahlungen finanziert. Inzwischen sind rund 50 Prozent der Klienten nicht krankenversichert. Die Bürgerstiftung Hannover und die Ricarda-und-Udo-Niedergerke-Stiftung haben jetzt 25 000 Euro Anschub für das nächste Jahr gespendet. Die Zahl der Bedürftigen steigt. 2015 haben die Ärzte rund 3500 Behandlungen an 2500 Patienten geleistet. Dieses Jahr, so die Schätzung, wird es auf 4000 Behandlungen hinauslaufen.
HAZ vom 12.07.2016, S. 14:
„Trinker sind nicht das Hauptproblem“
Sozialarbeiter am Raschplatz können Osteuropäern wenig bieten / Kritik am „Vorglühen“ der Discobesucher
Herr Bremer, die Stadt will den Raschplatz als Ort für alle Bürger attraktiver gestalten. Kulturprogramm, mehr Reinigungs- und Sicherheitspersonal – reicht das, damit die Trinkerszene Passanten nicht mehr abschreckt?
Der Raschplatz ist generell ein unwirtlicher Ort. Wenn Stadt und HRG hier mehr reinigen lassen und die Lichtverhältnisse verbessern, ist das sicher sinnvoll. Grundsätzlich ist die Idee richtig, den Platz mehr zu beleben statt zuzusehen, wie die Bürger sich zurückziehen. Veranstaltungen können dabei helfen. Allerdings gibt es weiter das Problem, dass der Platz nur für eine begrenzte Zuschauerzahl zugelassen ist. Es ist dringend anzuraten, das mit einem neuen Gutachten zu überprüfen.
Der Oberbürgermeister betont, Umbauten und Belebung sollten keine Gruppe vertreiben. Redet er damit nicht nur höflich um das herum, was jetzt passiert?
Es wäre nicht viel gewonnen, wenn diese Leute einfach 100 Meter weiterwandern. Damit sich nachhaltig etwas ändert, sind mehr Sozialarbeiter vor Ort notwendig.
Es heißt doch aber, diese größeren Trinkergruppen von manchmal rund 50 Leuten seien sehr unzugänglich. Ihr Verein hat sie im Auftrag der Stadt für ein Gutachten ein Jahr lang beobachtet. Was ist das Problem?
Wir betreuen einige andere Plätze in verschiedenen Stadtteilen. Dort treffen sich feste Gruppen, eine Stammkundschaft, mit denen wir ins Gespräch kommen können. Oft halten sie sich eine Weile lang an Regeln, wenn sie hören, dass sie andere Leute mit ihrem Verhalten stören. Am Raschplatz ist die Situation aber schwierig, weil die Szene groß ist und die Leute häufig wechseln. Verschiedene Gruppen setzen sich voneinander ab und halten sich an verschiedenen Ecken des Platzes auf. Wenn einer Stress in der einen Clique hat, geht er zur nächsten. Das Aggressionspotenzial untereinander ist manchmal hoch. Und vor allem gibt es in dieser sehr gemischten Klientel eine neue Gruppe, für die sich keiner so recht zuständig fühlt.
Wie kommt das denn? Rund um den Raschplatz gibt es doch mehrere Beratungseinrichtungen, den Kontaktladen Mecki, Bahnhofsmission, Fixpunkt, Café Connection.
Auf dem Platz halten sich auch Obdachlose und Drogenabhängige auf, die ihre Anlaufstellen in der Nähe haben. Viele der auffälligen Nutzer, die sich dort treffen, kommen allerdings aus osteuropäischen Ländern, hauptsächlich aus Lettland, der Ukraine, Russland. Diese Gruppe nimmt im gesamten Stadtgebiet zu. Viele kommen auf gut Glück, denken, sie könnten hier arbeiten. Die meisten wissen bereits vorher, dass sie hier keine Sozialhilfe bekommen. Manche sind vielleicht auch als Saisonarbeiter gekommen und dann hier hängen geblieben.
Warum scheitert die Kommunikation mit diesen Leuten? Liegt das allein an der Sprache?
Sicher gibt es Verständigungs- und Mentalitätsprobleme. Unsere Mitarbeiter sprechen diese Sprachen nicht. Wir haben dann Einzelne aus der Gruppe übersetzen lassen, aber das ist problematisch, weil es Hierarchien schafft und unzuverlässig ist. Die Stadt hat schon vor einiger Zeit auf das Problem reagiert und extra einen spezialisierten Dienst eingerichtet, der auch Straßensozialarbeit leistet. Das reicht aber personell nicht aus. Diese Mitarbeiter vermitteln die Osteuropäer unter anderem an die Tafeln oder das Medizin-Mobil der Caritas. Es ist aber nicht möglich, die Situation dieser Gruppe grundlegend zu ändern, denn sie haben kein Anrecht auf Sozialleistungen oder Unterbringung.
Sie haben also nicht viel zu erwarten, wenn sie sich auf Sozialarbeiter einlassen?
So ist es. Sie freuen sich nicht über jede Hilfe und beäugen Sozialarbeiter skeptisch. Die bringen kein Geld oder Essen.
Warum treffen sich diese Osteuropäer am Raschplatz?
Sie finden an diesem zentralen Platz Landsleute, die ihnen Tipps geben, wie sie in Hannover zurechtkommen, etwa auch an Essen und Kleidung kommen. Die meisten leben vom Flaschensammeln. Einige haben kurze Zeit sogar direkt unter der ungeschützten Hochbrücke geschlafen. Andere haben ihr Lager unter Brücken in Stadtteilen wie Linden aufgeschlagen oder an der Uhlhorn-Kirche.
Was lässt sich machen?
Wir haben zwei Leuten, die das wollten, über Spenden aus einer Kirchengemeinde verloren gegangene Pässe und damit die Möglichkeit zur Rückreise organisiert. Am Raschplatz sind die Trinkergruppen aus unserer Sicht aber nicht das Hauptproblem, denn sie tragen Streitereien unter sich aus. Ich verstehe, dass sie Passanten unangenehm sind. Aber normale Bürger müssen sich nicht bedroht fühlen. Problematisch ist die Situation eher an den Wochenenden, wenn Partygänger, Jugendliche und junge Erwachsene auf dem Platz „vorglühen“. Dann ist richtig was los.
Interview: Bärbel Hilbig
Quelle: Schaarschmidt
HAZ vom 13.05.2016, S. 14:
Wer erschlug Obdachlosen im Bothfelder „Polen-Lager“ ?
Zum Auftakt des Schwurgerichtsprozesses bestreiten Angeklagte eine Tatbeteiligung / Zwei weitere Trinkkumpane derzeit nicht auffindbar
Von Michael Zgoll
Der Tod des 36-jährigen Obdachlosen, der am 7. September 2015 in einem Bothfelder Wäldchen starb, wird qualvoll gewesen sein. Ein Gerichtsmediziner zählte gestern im Schwurgerichtssaal des Landgerichts eine Fülle von Verletzungen an Kopf und Körper des Opfers auf, die nur einen Schluss zulassen: Der Lette „Malutki“ (heißt: „der Kleine“) wurde brutal zu Tode geprügelt und getreten. Auf der Anklagebank sitzen der 35-jährige Kazimierz K. und der 36-jährige Piotr W., die sich wegen Totschlags verantworten müssen. Doch waren die beiden Männer aus der Trinker- und Obdachlosenszene wirklich die – alleinigen – Täter? Kann man ihnen die Bluttat zweifelsfrei nachweisen? Oder schlugen doch andere zu? Die beiden Polen streiten die Vorwürfe ab. Gestern ließen sie sich bereitwillig befragen und präsentierten ihre Version der Dinge.
Das Opfer war an jenem September-Montag im sogenannten „Polen-Lager“, einem heruntergekommenen Camp zwischen Burgwedeler Straße und An den Hilligenwöhren, schrecklich zugerichtet aufgefunden worden. Auf den Toten aufmerksam gemacht hatten die beiden Angeklagten sowie ein dritter, derzeit verschwundener Mann. Die drei waren am Tattag zunächst bei der Bahnhofspolizei im Hauptbahnhof und kurz darauf in der Wache Herschelstraße aufgetaucht und hatten von einer leblosen, in eine Decke gehüllten Gestalt in Bothfeld berichtet. Der Alkoholisierungsgrad aller Beteiligten – auch des Opfers – war erheblich, er lag zwischen drei und vier Promille.
Zunächst verlasen die Verteidiger Christian Neumann und Oliver Langer namens ihrer Mandanten längere Erklärungen, dann äußerten sich Kazimierz K. und Piotr W. selbst. Sie seien bereits vier Jahre mit dem Opfer befreundet gewesen, gemeinsam durch etliche Städte getingelt und nie in Streit geraten. Am Sonntagabend habe man zu fünft – mit zwei anderen Polen – friedlich vor einem Wohnwagen im Camp gehockt, reichlich Wein, Wodka und Bier konsumiert und dabei gegrillt. Irgendwann seien sie eingeschlafen und hätten das Opfer dann am Morgen tot im Wohnwagen liegend gefunden. Die anderen zwei Trinkkumpane hätten den nur 1,63 Meter großen „Malutki“, der Epileptiker war, gleich begraben wollen. Das aber lehnten K. und W. nach eigenem Bekunden vehement ab. Stuhlbeine, die als Tatwerkzeuge gelten, hätten sie lediglich zum Grillen benutzt; woher das Blut des Opfers an diesen Hölzern komme, wüssten sie nicht – ebenso wenig, warum Blut an ihren Schuhen entdeckt wurde.
Die Kammer unter Vorsitz von Wolfgang Rosenbusch verlas frühere, von der Polizei aufgenommene Aussagen der beiden anderen Männer, die derzeit gesucht werden. Der eine hatte bekundet, das Opfer habe einen epileptischen Anfall gehabt, später sei er selbst von seinen Kumpels verprügelt worden und nach einem Filmriss tags darauf in einer Klinik aufgewacht. Der andere bestritt in einer nicht minder zweifelhaften Aussage, in der Nacht zum 7. September überhaupt in Bothfeld gefeiert zu haben.
HAZ vom 11.05.2016, S. 14:
Menschen ohne Papiere können jetzt zum Arzt
Eine neue Vergabestelle in Linden gibt anonyme Krankenscheine aus / Kosten übernimmt das Land
Von Jutta Rinas
Wer Angst vor Abschiebung hat, wagt sich nur in den seltensten Fällen zum Arzt – auch wenn er schwer krank ist. In Hannover bekommen Flüchtlinge, deren Aufenthaltsstatus ungeklärt ist, jetzt aber Hilfe. Seit Januar gibt es in Linden, im Freizeitheim in der Windheimstraße, die Vergabestelle „Anonymer Krankenschein“. Sie läuft als Modellprojekt zunächst über drei Jahre und wird vom niedersächsischen Sozialministerium finanziert. Hannover und eine weitere Vergabestelle in Göttingen erhalten zusammen jährlich 500 000 Euro.
„Es ist zumindest ein Schritt dahin, das Menschenrecht auf eine Gesundheitsversorgung zu gewährleisten“, sagt Katrin Volkenand. Die Pädagogin und Gesundheitswissenschaftlerin leitet die Vergabestelle mit einer halben Stelle und gibt dort auch die Papiere aus. Auf Englisch und Spanisch kann sie sich verständigen, Französisch lernt die 32-Jährige derzeit noch nebenbei. Noch eine Sprache also, die ihr bei ihrer Aufgabe künftig weiterhelfen kann.
„Eine ärztliche Notfallambulanz sind wir aber nicht“, betont sie: „Hier gibt es nur den Krankenschein und nicht die ärztliche Hilfe.“
Im niedersächsischen Landtag wurde länger über den anonymen Krankenschein diskutiert – und manchen Helfern, wie der Medizinischen Flüchtlingsberatung Hannover, „MediNetz“, geht er noch nicht weit genug. EU-Bürger, Arbeitsmigranten aus Rumänien oder Bulgarien beispielsweise, bekommen ihn nicht, auch wenn sie nicht krankenversichert sind. Auch Asylbewerber werden nicht versorgt: Ihnen steht aber laut Gesetz eine medizinische Basisversorgung zu. Außerdem wird zwar bei akuten, nicht aber bei chronischen Krankheiten geholfen.
Patienten mit Schmerzzuständen, schwangere Frauen, Kinder, die nicht essen wollten oder keine Nahrung bei sich behielten, hat Volkenand schon vor sich gehabt. Menschen, die hierhin geflohen sind, sich aber nie irgendwo gemeldet oder um Asyl gebeten haben, in der Regel, weil sie wissen, dass sie chancenlos sind. Menschen, die mit einem Visum für ein paar Monate eingereist und nicht wieder zurückgegangen sind. Man schätze, dass die Dunkelziffer der Personen, die illegal in Deutschland lebten, bei etwa einer halben Million liege, sagt Volkenand. Die Tendenz sei aufgrund der Flüchtlingskrise steigend. Rund 25 Gespräche hat sie selbst in der Vergabestelle seit Januar bereits geführt, rund 20-mal hat sie einen Krankenschein ausgegeben. Anders als früher können die sogenannten „papierlosen Menschen“ mithilfe der Vergabestelle jetzt zum Arzt. Die Kosten sind durch das Land gesichert, die Ärzte können sich also tatsächlich ganz auf den Gesundheitszustand ihrer Patienten konzentrieren.
Die Vergabestelle im Freizeitheim Linden, Windheimstraße 4, ist immer montags, dienstags, freitags von 9 bis 11 Uhr geöffnet, donnerstags von 13 bis 16 Uhr. Telefon: (05 11) 92 06 61 94.
HAZ vom 10.05.2016, S. 12:
Messerstich trifft Zechkumpan im Rücken
Staatsanwaltschaft fordert für Täter fünfeinhalb Jahre Haft
Von Michael Zgoll
Er stach seinem gehbehinderten Zechkumpan eine 20 Zentimeter lange Küchenmesserklinge in den Rücken, ließ den Schwerverletzten in dessen Wohnung in Linden-Süd zurück – um ihm wenige Stunden später durch einen Anruf bei der Polizei das Leben zu retten. Seit gestern muss sich der 64-jährige Manfred W. vor dem Schwurgericht wegen der Messerattacke im November 2015 verantworten. Doch lautete die Anklage zunächst auf versuchten Mord, plädierte die Staatsanwaltschaft gestern nur noch auf versuchten Totschlag und forderte für W. eine Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren. Für Verteidiger Egbert Wöbbecke ist der Messerstich lediglich als gefährliche Körperverletzung einzustufen, er plädierte für eine Bewährungsstrafe.
Manfred W. legte über seinen Anwalt ein Geständnis ab. Demnach war er im November obdachlos, hatte auf Einladung des 61-jährigen Mieters ein paar Nächte bei diesem übernachtet. Als es zu der Bluttat kam, hatten er und sein Opfer schon 24 Stunden lang Bier und Wodka konsumiert. Später wurde bei dem Täter ein Blutalkoholwert von 2,88 Promille gemessen, beim Opfer 2,56 Promille. Gegen Mittag des Tattages, so der Angeklagte, sei es zu einem Streit um den Kauf von weiterem Wodka gekommen, bei dem ihm sein Trinkkumpan Schläge mit einer Krücke angedroht habe. Daraufhin habe er mit den Worten „Jetzt weißt du, was wehtut“ zugestochen.
W. verließ die Wohnung, setzte sich in einen nahen Park, kehrte Stunden später aber zurück und fand sein Opfer leblos im Sessel vor. Draußen vor der Tür rief er dann – zunächst unter falschem Namen – die Polizei an. Er glaubte, seinen Kumpel umgebracht zu haben.
Das Messer hatte sich der 61-Jährige selbst aus dem Rücken gezogen, hatte auch noch den Namen des Täters auf eine Fernsehzeitschrift gekritzelt. Dann sackte er in seinem Sessel zusammen und wurde ohnmächtig. Dank einer Notoperation im Friederikenstift konnte er gerettet werden. Schon heute will die Kammer unter Vorsitz von Wolfgang Rosenbusch ihr Urteil verkünden.
HAZ vom 10.05.2016, S. 14:
CDU: Keine Angst vor Obdachlosen
(dö). Private Vermieter sollen künftig leichter an Obdachlose vermieten können. Das fordert die CDU angesichts einer neuen Vereinbarung zwischen hannoverschen Wohnungsunternehmen und den freien Trägern der Wohnungslosenhilfe. Ziel ist es, Obdachlosen Zugang zu Bestandswohnungen zu ermöglichen sowie Mieterbegleitung nach Einzug anzubieten. „In Hannover herrscht eine extreme Wohnungsknappheit“, sagte die sozialpolitische Sprecherin der CDU-Ratsfraktion, Jutta Barth. Deshalb sei es wichtig, private Vermieter einzubinden und auf die Möglichkeit der Beratung und Betreuung beispielsweise durch die Soziale Wohnraumhilfe aufmerksam zu machen. „Es ist die Angst vor der Störung des sozialen Friedens in einer Hausgemeinschaft und vor Überforderung des Eigentümers, die Vorbehalte schüren“, sagte Barth. Dies müsste man dringend abbauen.
HAZ vom 04.05.2016, S. 14:
Angst und Ekel
SPD-Chef Kirci: „Möchte meine Kinder nicht allein über den Raschplatz gehen lassen“
Von Andreas Schinkel
Ein Alkoholverbot für den Raschplatz, Verweise für Trinker, die sich daneben benehmen, mehr Sozialarbeiter, mehr Kontrollen: Viele Ideen werden derzeit in den sozialen Medien und in der Ratspolitik diskutiert, um die Verhältnisse hinterm Bahnhof zu verbessern. Wie berichtet, treffen sich auf den Freitreppen und im Eingangsbereich zur Niki-Passage täglich 20 bis 30 Zecher. Sie belästigen keine Passanten, erleichtern sich aber in dunklen Ecken, auf den Freitreppen und in Fahrstühlen. Manchmal kommt es zu Streit und Handgreiflichkeiten innerhalb der Gruppe.
Quelle: Franson
„Ich möchte meine Kinder nicht allein über den Platz gehen lassen“, sagt Hannovers SPD-Chef Alptekin Kirci. Für den Raschplatz müsse dringend eine Lösung gefunden werden. „Die Stadtverwaltung und die Grundstücksgesellschaft HRG, Eigentümerin des Platzes, müssen das Heft in die Hand nehmen“, fordert Kirci. Kreative Lösungen seien gefragt, entwickelt zusammen mit Anrainern, etwa der Sparkasse. Der SPD-Chef kann sich bauliche Veränderungen vorstellen, unter anderem eine Bepflanzung des Platzes.
Auch für etliche HAZ-Leser, die sich auf der Facebook-Seite der HAZ zu Wort gemeldet haben, sind die Zustände auf dem Raschplatz nicht mehr hinnehmbar. „Schlimm ist es, wenn man mit Kinderwagen und Gepäck zur U-Bahn-Linie 9 will und den Aufzug nehmen muss“, sagt Leser Julian Born. Der Fahrstuhl sei voller Urinlachen. Leserin Petra Wontorra ist als Rollstuhlfahrerin auf den Aufzug angewiesen und beklagt sich ebenfalls über die stinkenden Kabinen. „Ich meide die Gegend so gut es geht, vor allem, wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin“, sagt HAZ-Leserin Jessica Santelmann. Sie empfinde nicht nur Angst vor den zechenden Gruppen, sondern auch Ekel.
Quelle: Franson
Seit mehreren Jahren treffen sich Trinkergruppen auf dem Raschplatz. Kenner der Szene befürchten, dass sich die Gruppe vergrößert und auch das Gelände des ehemaligen Zentralen Omnibusbahnhofs okkupiert. Die Grundstücksgesellschaft HRG betont, dass die Sicherheit auf dem Raschplatz nicht gefährdet sei. Dreimal pro Tag werde das Areal gesäubert, Wachtrupps seien vor Ort. Die Stadt Hannover verlegt sich aufs Beobachten. Man sei mit den Verantwortlichen vor Ort im Gespräch, teilt eine Sprecherin mit.
Quelle: Franson
Das ist der Ratspolitik zu wenig. Die CDU schlägt ein Bündel von Maßnahmen vor. „Wir müssen soziale Angebote schaffen, aber auch durchgreifen“, sagt Fraktionschef Jens Seidel. Dazu gehörten Platzverweise und schärfere Kontrollen. Zudem schlägt Seidel vor, die Trinker mit klassischer Musik zu beschallen, um sie zu vertreiben. „Hannover ist doch City of Music“, meint er.
Quelle: Franson
Auch die Linke im Rat erkennt, dass es so nicht weitergehen kann. „Aber wenn die Trinker vertrieben werden, suchen sie sich einen anderen Platz“, sagt Linken-Fraktionschef Oliver Förste. Er schlägt vor, einen Anlaufpunkt für die Szene zu schaffen, ähnlich dem Fixpunkt für Süchtige. Die FDP wünscht sich eine harte Linie. „Wir sollten den Trinkern Eimer und Feudel in die Hand drücken, damit sie ihre Ausscheidungen selbst wegputzen“, sagt Fraktionschef Wilfried Engelke. Über ein Alkoholverbot für den Platz wäre nachzudenken.
Quelle: Franson
HAZ vom 03.05.2016, S. 13:
Trinkerszene am Raschplatz breitet sich aus
Bahn will Arkaden ihrer geplanten Zentrale nachts vergittern / Sozialarbeiter können nichts ausrichten
Von Andreas Schinkel
Die Zustände am Raschplatz werden immer schlimmer – und veranlassen die Bahn, sogar die Planungen für ihre Hannover-Zentrale danach auszurichten. Betrunkene, die auf der Freitreppe schlafen, Urin in den Ecken und lautstarke Streitigkeiten sind zum alltäglichen Bild hinter dem Bahnhof geworden. Viele Hannoveraner meiden den für viel Geld umgestalteten Platz mittlerweile ganz.
Quelle: von Ditfurth
Jetzt wächst die Befürchtung, dass die etwa 20- bis 30-köpfige Trinkerszene mehr Zulauf bekommt und sich auf andere Flächen, etwa den ehemaligen Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) ausdehnt. Dort entsteht demnächst der hannoversche Hauptsitz der Deutschen Bahn, ein repräsentatives Klinkergebäude mit Arkaden im Erdgeschoss. Die Bahn erwägt, die geplanten Arkaden abends mit Gittern zu verschließen, um zu verhindern, dass es sich Obdachlose und Betrunkene dort bequem machen. „Das ist in der Tat im Gespräch“, bestätigt Thomas Heinemann, Geschäftsführer der HRG, Eigentümerin des Raschplatzes.
Er berichtet, dass Reinigungskolonnen den Raschplatz dreimal am Tag putzen. „Manche aus der Trinkergruppe schaffen es nicht zur Toilette“, sagt er. Die Stadt hatte vor drei Jahren eine kostenlose Toilette auf dem Raschplatz eingerichtet, um damit die Hygieneprobleme zu lösen – offenbar mit wenig Erfolg. Immer wieder beschwerten sich Ladeninhaber, sagt Heinemann. Aber ein Platzverweis sei unmöglich, solange die Trinker Passanten nicht belästigen. Ein Wachdienst schaue ständig nach dem Rechten.
„Wir brauchen ein Sozialkonzept für den Raschplatz“, fordert eine Kennerin der Szene. Ansonsten werde es auf dem Platz insbesondere in den wärmeren Monaten immer schlimmer. Das sieht auch Bezirksbürgermeister Michael Sandow (SPD) so. „Wir müssen den Menschen, die sich dort treffen, eine Perspektive eröffnen“, sagt er. Erfahrene Sozialarbeiter sollten sich um die Trinkerszene kümmern. „Hier hilft kein Polizeiknüppel“, sagt Sandow.
Die Stadt Hannover hält sich zurück. Sie hatte vor zwei Jahren die Sozialarbeiter vom Karl-Lemmermann-Haus beauftragt, einen Bericht über die Trinkerszene auf dem Raschplatz anzufertigen und Lösungen vorzuschlagen. Der Bericht wird unter Verschluss gehalten. Auf Nachfrage teilt die Stadt lediglich mit: „Das Karl-Lemmermann-Haus hat festgestellt, dass die Szene am Raschplatz so heterogen und wechselnd ist, dass sich ein sozialpädagogisches Konzept nicht umsetzen lässt.“ Derzeit gebe es keine Beschwerden von Passanten, man beobachte die Situation. Tatsächlich brechen Aggressionen nur innerhalb der Trinkergruppe aus. Dann werden Beschimpfungen ausgestoßen, es kommt zu Handgreiflichkeiten. „Unsere Wachdienste fragen oft nach, ob sich jemand aus der Gruppe gefährdet fühle, aber dann schütteln alle den Kopf“, berichtet HRG-Chef Heinemann.
Quelle: Kutter
Die Gruppe besteht zu großen Teilen aus Osteuropäern. „Wir dürfen nicht zu oft vorbeischauen, sonst fühlt sich die Szene belästigt und die Stimmung kippt um“, sagt Heinemann. Er plädiert grundsätzlich für einen offenen Umgang mit den Trinkern. „Wir wollen keine Ghettoisierung“, sagt er.
HAZ vom 03.05.2016, S. 15:
Betrunkener sticht Saufkumpan nieder
(jki). Die Polizei hat einen 46 Jahre alten Mann in der Nordstadt festgenommen, der unter Verdacht steht, einen 41-Jährigen schwer verletzt zu haben. Nach Informationen der Behörde waren die zwei offenbar alkoholisierten Männer am Sonntag am Engelbosteler Damm aneinandergeraten. Im Zuge dessen hatte der 46-Jährige seinem Gegenüber ein Messer in den Hals gerammt. Das Opfer kam mit schweren Verletzungen in eine Klinik. Der mutmaßliche Täter wurde kurz darauf im Rahmen der sofort eingeleiteten Fahndung an der Marschnerstraße festgenommen. Die Kriminalpolizei ermittelt wegen des Verdachts des versuchten Totschlags.
NP vom 30.04.2016, S. 27:
Wer anderen hilft, hilft am Ende auch sich selbst
Von Helmut Nowak
Kürzlich berichtete eine Frau, die intensiv an der Verbesserung ihrer Lebensqualität arbeitet, dass sie ihr Leben grundsätzlich umgestellt habe. Sie war ausgestiegen aus einer sinnlosen beruflichen Tätigkeit und arbeitet nun in einer Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Frauen zu unterstützen, die am Rande der Gesellschaft ein trostloses Dasein fristen.
Ein wesentlicher Impuls zu dieser Entwicklung war eine Geschichte von Leo Tolstoi, in welcher sie die Tiefgründigkeit der darin enthaltenen Botschaft erkannt hatte. Es handelt sich im die Geschichte eines Kaisers, der vor langer Zeit auf der Suche nach der besten Haltung war, um seinem Volk zu Wohlergehen zu verhelfen. Nach intensiven Überlegungen war er überzeugt, dass es lediglich der Antworten auf drei Fragen bedurfte. Die erste Frage lautete: "Wann ist die wichtigste Zeit?" Die zweite: "Wer ist der wichtigste Mensch?" und die dritte Frage lautete: "Was ist das Wichtigste, was zu tun ist ?"
Der Geschichte zufolge hatte der Kaiser alle Berater und Weisen in seinem Umfeld befragt, doch keine Empfehlung konnte ihn wirklich überzeugen. So entschloss er sich, einen in der Ferne lebenden Eremiten zu befragen, von dem der Ruf großer Weisheit ausging. Durch schicksalhafte Erlebnisse in unmittelbarer Nähe des Einsiedlers wurden ihm die Antworten offenbar. Vielleicht mögen Sie sich an dieser Stelle einen Moment Zeit nehmen, um Antworten für sich selbst zu finden ?
Manch einer mag es ahnen - die Antwort auf die erste Frage lautet: "Jetzt". Denn das ist die einzige Zeit, die uns zur Verfügung steht, um etwas zu gestalten. Die Vergangenheit ist vorbei und die Zukunft ist unbestimmt. Genau das ist ein wesentlicher Aspekt der auf Achtsamkeit basierten Lebensphilosophie: Leben im Hier und Jetzt, statt den Geist in der unveränderlichen Vergangenheit herumirren zu lassen oder ihm zu erlauben, erdachten Zukunftsphantasien Wirklichkeit beizumessen. Aktuelle wissenschaftliche Forschungsergebnisse bestätigen eindrucksvoll: Je mehr wir mit unserem Geist im jetzigen Moment verweilen, desto besser fühlen wir uns und desto besser sind wir im Kontakt mit unserer inneren Weisheit.
Nun zur zweiten Frage: "Wer ist der wichtigsten Mensch?" Die Antwort lautet: "Es ist der Mensch, mit dem wir gerade im Kontakt sind." Empathisch, zugewandt in voller Präsenz. Das führt bei dem anderen und einem selber zu angenehmen Gefühlen, weil in diesem Moment die bedeutsamsten emotionalen Bedürfnisse, nämlich Vertrautheit und Verbundenheit, erfüllt sind. Und wenn man alleine ist, wer ist dann der Nächste? "Ich selbst." Heißt, mit sich selbst im Frieden zu sein, im Einklang mit seinen Empfindungen und Lebensgegebenheiten zu sein, sich selbst zum Freund zu erklären. Wie kann man das erreichen? Durch die Entwicklung und Kultivierung von Achtsamkeit.
Wenden wir uns nun der dritten Frage zu: "Was ist das Wichtigste, was zu tun ist?" Die Antwort scheint im Moment einfach: "Sich kümmern." Gemeint ist damit, das zu tun, was in dieser augenblicklichen Situation angemessen ist - mit voller Aufmerksamkeit, sehr bewusst, fürsorglich und liebevoll. Das nennt man Mitgefühl, nämlich die Kombination von Empathie und Kümmern. Dies wiederum führt auch wieder zu angenehmen Gefühlen. Bei dem anderen, das ist klar, aber auch bei einem selbst. Denn zum Wohlergehen anderer Menschen beizutragen, ist ein Bedürfnis aller Menschen. Es gelingt am Besten, wenn man vor allem ein gut entwickeltes Mitgefühl zu sich selbst hat. Je mehr ich in meiner Mitte stehe, desto wirksamer kann ich mich nämlich auch um andere kümmern. Sie ahnen es auch hier schon, wie das entwickelt werden kann? Richtig: Durch ein regelmäßiges Training von Achtsamkeit.
Fassen wir die drei Fragen und Antworten zusammen. Erstens: Wann ist die wichtigste Zeit? Jetzt. Zweitens: Wer ist der wichtigste Mensch? Es ist der Mensch, mit dem wir gerade im Kontakt sind. Und drittens: Was ist das Wichtigste, was zu tun ist? Sich kümmern.
HAZ vom 29.04.2016, S. 19:
„Wir haben eine soziale Verantwortung“
Zahl der Obdachlosen steigt drastisch / Bauunternehmen und soziale Einrichtungen arbeiten „auf kurzem Dienstweg“ zusammen
Von Gerko Naumann
Für die Ärmsten der Gesellschaft ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Hannover dramatischer denn je. Wer ohnehin schon auf der Straße oder in einer Einrichtung für Wohnungslose leben muss, hat auf dem regulären Markt fast keine Chance auf eine Wohnung. Aus diesem Grund haben sich jetzt Wohnungsbauunternehmen und Träger der Wohnungslosenhilfe zusammengeschlossen, um die Situation für Menschen ohne festes Dach über dem Kopf zu verbessern.
Quelle: Thomas
Die Zahl der Obdachlosen ist im vergangenen Jahr rapide gestiegen. In Hannover leben derzeit rund 4000 Menschen, die keine Wohnung haben, darunter viele Migranten aus Osteuropa. Diese Zahl sei eine Schätzung, sagte Rainer Müller-Brandes, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Hannover, bei der Vertragsunterzeichnung der Kooperationspartner. Vor einem Jahr waren es noch rund 1000 Wohnungslose weniger. Zum Vergleich: In städtischen Einrichtungen sind derzeit rund 4700 Flüchtlinge untergebracht, von denen viele künftig auf den Wohnungsmarkt drängen werden. „Für diesen Ansturm gibt es viel zu wenig kleine, kostengünstige Wohnungen“, betonte Müller-Brandes.
Großer Verlierer dieser Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt seien eben die Obdachlosen. „Sie haben so gut wie keine Perspektive“, sagte Diakonie-Pastor Müller-Brandes. Deswegen richteten die Verantwortlichen der Betreuungseinrichtungen einen Hilferuf an die Politik. Und die wiederum wandte sich direkt an die Wohnungsbaugesellschaften. Drei von denen – die Gesellschaft für Bauen und Wohnen in Hannover (GBH), Gundlach und die KSG – machen bei dem neuen Bündnis mit der Forderung „Vergesst die Wohnungslosen nicht“ mit.
„Wir haben eine soziale Verantwortung“, sagte Nadine Otto von Gundlach. Ihr Unternehmen mache das, was es am besten könne: Wohnraum zur Verfügung stellen. Die bis dahin Wohnungslosen, die dort einziehen, werden dann von Sozialarbeitern auf dem Weg zurück in einen normalen Alltag begleitet.
Die Vermittlerrolle in diesem System nimmt die Soziale Wohnraumhilfe (SWH) ein. „Wir wollen so viele Wohnungslosen wie möglich auf kurzem Dienstweg Wohnungen verschaffen“, erklärt deren Geschäftsführer Jürgen Schabram. Er hofft, dass das kurzfristig bei 20 bis 30 Menschen klappt. Langfristig müssten günstige Wohnungen in Hannover neu gebaut werden.
Das hob auch SPD-Ratsfrau Gudrun Koch hervor. „Wir brauchen schnellstmöglich neue Wohnungen im günstigen Segment, sonst schieben wir die Menschen nur hin und her“, sagte sie. Von neuen Wohnungen würden auch Studenten profitieren. Michael Dette von den Grünen lobte die „verantwortungsbewusste Wohnungswirtschaft“ in Hannover, die nicht nur auf Gewinn aus sei.
HAZ vom 12.04.2016, S. 14:
„Nicht nur im Winter Hunger“
Caritas und „StäV“ laden Bedürftige ein
(uj). Es gibt Currywurst mit Pommes, Schnitzel mit Champignonrahmsoße, Flammkuchen und Rote Grütze. Die rheinische Schankwirtschaft Ständige Vertretung am Aegi tischt gratis für ein Publikum auf, das sonst eher selten in Restaurants speist, weil es sich das nicht leisten kann. Bedürftige, Wohnungslose. Ein Social Lunch, zum dritten Mal organisiert von der Caritas. Zweimal ist die Aktion bereits im Besitos am Tiedthof gelaufen, davon hat Gastronom Matthias Wenkel Wind bekommen, hat in seine „StäV“ eingeladen – und kann an diesem Montag um 14 Uhr schließlich in geschlossener Runde 120 Gäste begrüßen.
Quelle: Treblin
„Die ökumenischen Essensausgaben, die Tafeln sind mittlerweile geschlossen, und Armutsbevölkerung hat nicht nur im Winter Hunger“, sagt Caritas-Sprecherin Christiane Kemper. Kollegin Ramona Pold ergänzt: „Die Leute sollen spüren, dass sie herzlich willkommen sind.“
Hans-Joachim Grothe, der regelmäßig den Caritas-Tagestreff in der Nordstadt besucht, freut sich über das Angebot. Als er sich in der Essensrunde umschaut, sagt er: „Ich kenne fast alle hier.“ Grothe hat Schnitzel bestellt. „Wenn schon, denn schon.“
HAZ vom 08.04.2016, S. 14:
Hilfe für Wohnungslose wird obdachlos
Verein sucht neue Räume nördlich der Innenstadt
Von Conrad von Meding
Täglich kümmert sich Hannovers Selbsthilfe für Wohnungslose (Sewo) um obdachlose Menschen – jetzt ist sie selbst gekündigt. „Wir suchen schon seit Wochen ein Ersatzquartier in den nördlichen Stadtteilen – bis jetzt ohne Erfolg“, sagt Petra Tengler, Geschäftsführerin des gemeinnützigen Trägervereins. Allmählich wird es eng: Zu Ende Juli sind die Räume am Engelbosteler Damm gekündigt.
Gegründet vor 35 Jahren, betreibt der Verein vier Anlaufstationen für Menschen ohne feste Wohnung in Hannover: den „Saftladen“ an der Podbielskistraße, den Frauentreff „Szenia“ in der Altstadt, wo auch eine Beratungsstelle für Frauen angesiedelt ist, sowie eben den „Nordbahnhof“ an der Kreuzung von Engelbosteler Damm und Auf dem Loh vor der Eisenbahnbrücke, der mit seinen Nachmittags- und Sonntagsöffnungszeiten eine wichtige Bereicherung für Hannovers Obdachlosenszene darstellt. 150 bis 200 hilfsbedürftige Menschen kämen täglich zum „Nordbahnhof“, sagt Tengler. Von den 20 fest angestellten Vereinsmitarbeitern arbeiten vier Sozialpädagogen dort, zusätzlich sind Hausmeister und Wirtschaftskräfte auf geförderten Stellen im Einsatz und viele Ehrenamtliche.
In den Tagestreffs erhalten Wohnungslose Essen und Trinken, können duschen und eine Beratung in Anspruch nehmen. „Wir benötigen 180 Quadratmeter mit einem großen Raum sowie mehreren Zusatzräumen etwa für Beratungen und Waschmaschinen“, sagt Tengler. Man zahle ortsübliche Miete und nehme Einbauten wie etwa Duschen selbst vor. „Viele Vermieter sind skeptisch, wenn sie unseren Namen hören – aber wir sind sehr verlässliche Mieter“, verspricht Tengler. Die CDU-Ratsfraktion hat gestern die neue Sozialdezernentin Konstanze Beckedorf aufgefordert, sich um das Raumproblem zu kümmern.
HAZ vom 23.03.2016, S. 14:
Mehr Hilfe für Wohnungslose gefordert
Beratungsstelle ruft nach Unterstützung / Die Zahl der Bedürftigen steigt
Von Martina Sulner
Die Zahlen steigen und steigen: In Hannover leben immer mehr Menschen, die keine Wohnung haben. Viele von ihnen kommen bei Verwandten oder Freunden unter, viele aber wenden sich an die Zentrale Beratungsstelle (ZBS) des Diakonischen Werkes, die Wohnungslose unterstützt. Doch es steigen allein die Zahlen der Hilfsbedürftigen – nicht die der Helfer. Das müsse sich dringend ändern, sagte Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes gestern: „Dies ist ein Hilferuf.“
Quelle: Schaarschmidt
Rund 1650 Wohnungslose sind 2015 in die ZBS an die Hagenstraße gekommen, um Hilfe bei der Wohnungssuche zu erhalten oder auch, um sich dort postalisch anzumelden. Denn nur, wer eine Postadresse hat, kann Leistungen beim Jobcenter beantragen. In die ZBS kommen laut deren Leiterin Nadine Haandrikman-Lampen hauptsächlich drei Gruppen: deutsche Wohnungslose, EU-Migranten und anerkannte Flüchtlinge. In den vergangenen Jahren ist nicht nur die Zahl der Bedürftigen insgesamt um 30 Prozent nach oben geschnellt, sondern laut den Sozialarbeitern Anne Tiemann und Stefan Winter hat sich die Anzahl der Ausländer mehr als verdoppelt. Das sind zum einen Osteuropäer, die in Deutschland vergeblich auf einen guten Job und gutes Geld hofften – „Menschen, deren Träume sich nicht erfüllt haben“, wie Müller-Brandes sagte. Zum anderen sind das anerkannte Flüchtlinge. Absehbar sei laut Haandrikman-Lampen, dass deren Zahl demnächst rapide ansteige, weil über Asylanträge schneller entschieden werden solle.
Die ZBS-Leiterin und der Diakoniepastor möchten eine sogenannte Clearing-Stelle aufbauen, die für Erstberatung bei Wohnungslosen zuständig ist. Die Stadt habe 2015 den Antrag auf solch eine Einrichtung abgelehnt, sagen die beiden. Gebraucht würden zwei zusätzliche Stellen: eine für einen Sozialpädagogen, eine für eine Verwaltungskraft. Bei der ZBS arbeiten derzeit fünf Sozialpädagogen, die insgesamt 3,75 Stellen besetzen. „Damit ist unsere Arbeit einfach nicht mehr zu schaffen“, sagte Haandrikman-Lampen – weil die Zahl der Wohnungslosen steigt, weil der Arbeitsaufwand durch Sprachbarrieren größer wird, weil es immer weniger Wohnungen gibt. Wohnungslose zu unterstützen sei eine nötige und wichtige Hilfe zur Integration, sagte Müller-Brandes. „Das ist eine Riesenherausforderung.“
HAZ vom 21.03.2016, S. 11:
Männerbekleidung gesucht
(mak) Die Bekleidungsausgabe der ambulanten Wohnungslosenhilfe Hannover benötigt dringend Männerbekleidung in allen Größen. Vor allem Schuhe, Hosen, Pullover, Jacken und Unterwäsche sind begehrt. Die Spenden können täglich bis 13 Uhr in der Zentralen Beratungsstelle in der Hagenstraße 36 (Mitte) abgegeben werden oder jederzeit in den Kleidercontainer im Innenhof gelegt werden. Nach telefonischer Rücksprache unter der Nummer (0511) 9904059 ist auch die Abholungen der Spenden möglich.
HAZ vom 19.03.2016, S. 18:
Obdachlose ziehen in Kirchengebäude
Stadtkirchenverband verkauft Haus der evangelischen Jugend an das Wohnungsunternehmen Gundlach
Von Mathias Klein
Im bisherigen Haus der evangelischen Jugend in Linden werden künftig 22 ehemals Obdachlose untergebracht. Die Firma Gundlach, die das Gebäude dem Stadtkirchenverband abkauft, will dort außerdem 10 Studentenwohnungen einrichten. Das haben der Stadtkirchenverband und Gundlach gestern mitgeteilt.
Quelle: Eberstein
Gundlach wird an dem Gebäude an der Straße Am Steinbruch insgesamt 6 Millionen Euro investieren, berichtet Geschäftsführer Lorenz Hansen. Über den Kaufpreis hatten Gundlach und der Stadtkirchenverband Stillschweigen vereinbart. Die 22 Obdachlosenwohnungen sollen jeweils rund 45 Quadratmeter groß werden. Durch die gleichzeitige Unterbringung von Studenten in dem Gebäude solle „ein Ort des Miteinanders“ geschaffen werden.
Gundlach plant einen gründlichen Umbau. Die kaufmännische Leiterin des Unternehmens, Nadine Otto, rechnet mit einem Bezug der Wohnungen zu Beginn des Jahres 2018. Die soziale Wohnraumhilfe Hannover, ein Tochterunternehmen unter anderem von Diakonie und Gundlach, kümmert sich um die Vermittlung der Obdachlosen und um deren soziale Betreuung.
Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes hofft, dass das Projekt von Gundlach ein Vorbild für andere Wohnungsbesitzer in Hannover ist. Bei dem Wohnungsunternehmen sind derzeit bereits 78 ehemals wohnungslose Frauen und Männer untergebracht.
Die Behindertengruppe, die sich jeden Tag in dem Gebäude trifft, kann dort vorerst bleiben, sagte Stadtsuperintendent Hans-Martin Heinemann. Bis zum Sommer 2017 dürfe die Gruppe die Räume im Keller mietfrei nutzen, für den darauffolgenden Zeitraum müssten Gespräche geführt werden.
Der Stadtjugenddienst wird mit seinen Büros ab dem Sommer in der Nordstadt untergebracht. Dort befindet sich in der Lutherkirche auch die Jugendkirche des Stadtkirchenverbands. Wo der Verband christlicher Pfadfinder, der in dem Haus der evangelischen Jugend sein Büro hat, künftig arbeiten wird, ist noch unklar.
Stadtsuperintendent Heinemann bezeichnete den Verkauf als „gutes Ergebnis jahrelanger Bemühungen“. Die Immobilie sei „nicht mehr angemessen zu betreiben“ gewesen. Es sei daher überfällig gewesen, dieses Gebäude abzugeben. Beim Haus der evangelischen Jugend handele es sich um eine „überdimensionierte Bauhülle mit viel zu hohen Kosten“.
Das Haus war 1965 in Betrieb genommen worden. Damals hatte es Räume für die unterschiedlichsten Aktivitäten, berichtete Heinemann. Beispielsweise gab es eine Nähwerkstatt, eine Lehrküche und einen Brennofen für Emaillearbeiten. Inzwischen habe die evangelische Jugend aber völlig andere Konzepte.
Was aus dem Saal im Haus der evangelischen Jugend wird, ist derzeit noch ungeklärt. Den Raum mieten derzeit Gruppen wie zum Beispiel ein Orchester, eine Tanzgruppe oder die Weight Watchers für Treffen und Übungsabende. Gundlach hat für den Raum keine Verwendung und will ihn wegen des Personalaufwands auch nicht weiter betreiben. Geschäftsführer Hansen sagte aber, falls sich ein Betreiber finde, könne der Saal auch künftig wie bisher genutzt werden.
HAZ vom 18.03.2016, S. 14:
Stadt hilft beim Vertreiben Obdachloser
Supermarkt darf Fahrradständer aufstellen, damit Wohnungslose dort nicht lagern / „Das ist erschreckend“
Von Mathias Klein
Immer wieder wird in Hannover versucht, Obdachlose von ihren Lagerplätzen zu vergraulen. Jetzt unterstützt die Stadtverwaltung eine Supermarktkette beim Vertreiben von Obdachlosen. Das Unternehmen Penny darf an seiner Hauswand zur Sallstraße (Südstadt) Fahrradständer über den Lüftungsschächten aufstellen. Das hat die Verwaltung der Firma genehmigt, wie aus einer Antwort des Rathauses auf eine Anfrage von SPD und Grünen im Bezirksrat Südstadt-Bult hervorgeht.
Mitgliedern beider Fraktionen war aufgefallen, dass das Unternehmen vor einiger Zeit an der Front zur Sallstraße auf einer Länge von 20 Metern insgesamt 36 Fahrradklemmbügel montieren ließ. Allerdings stehen seit der Sanierung der Sallstraße im Jahr 2013 auf dem Gehweg bereits zehn Bügel, um dort bis zu 20 Räder anlehnen zu können. Das sei völlig ausreichend, heißt es bei SPD und Grünen. „Die 36 Fahrradklemmbügel hat die Firma Penny eigenmächtig ohne Abstimmung mit der Verwaltung aufgestellt“, teilt die Stadtverwaltung als Antwort auf die Politikeranfrage schriftlich mit. Deshalb müsse das Unternehmen die Klemmbügel entfernen – dürfe es aber dann gegen ein von der Stadt genehmigtes Modell austauschen. Denn es solle dort nicht wieder eine Situation entstehen „wie vor der Errichtung der dort befindlichen Fahrradklemmbügel“. Damit bezieht sich die Verwaltung offenbar auf den Aufenthalt von Obdachlosen vor der Wand. Wie aus dem Schreiben hervorgeht, übernimmt Penny die Kosten für die Entfernung der alten und für die neuen Fahrradständer.
Quelle: Kutter
Bezirksratsmitglieder reagierten in der Sitzung des Gremiums am Mittwochabend empört. Für die CDU sagte Fabian Niculescu, das Verhalten von Penny sei „sehr erschreckend“. Fraktionskollege Jan Alexander Scholz sagte, um Obdachlose müsse sich nicht die Stadtverwaltung sondern die Polizei kümmern. SPD-Fraktionschef Roland Schmitz-Justen richtete sich direkt an die in der Sitzung anwesenden Rathaus-Mitarbeiter: „Nehmen sie in die Stadtverwaltung das Unwohlsein über das Verdrängen der Obdachlosen mit.“
Stadtbezirksmanager Sven Berger verteidigte die Genehmigung. Obdachlosigkeit gehöre zwar zum Alltag. Aber gerade an diesem Standort habe es viele Beschwerden gegeben – „weil es ein bisschen ausgeufert ist“, wie er sagte. „Es geht nicht darum, Obdachlose zu vertreiben“, betonte Berger. Es müssten jedoch auch die Interessen des Handels berücksichtigt werden.
Der Bezirksrat will sich mit der Antwort der Verwaltung nicht zufriedengeben. Der stellvertretende Bezirksbürgermeister Ekkehard Meese (Grüne) schlug deshalb einen Ortstermin gemeinsam mit den Experten der Stadtverwaltung und Vertretern von Penny vor.
In der Limmerstraße in Linden hat ein Supermarkt mit einem ähnlichen Trick versucht, Obdachlose zu vertreiben. Dort hat der Betreiber zum Abstellen der Einkaufswagen ein langes Geländer an der Front aufgestellt. Dort können jetzt keine Obdachlosen mehr lagern.
Auf dem Andreas-Hermes-Platz hatte eine Hausverwaltung eine Musikanlage installiert und beschallte den Platz in den Sommermonaten ab 22 Uhr mit Klängen von Johannes Brahms und Joseph Haydn. Damit sollte Party-Trinkern und Obdachlosen der Aufenthalt so unangenehm wie möglich gemacht werden.
HAZ vom 18.03.2016, S.4:
Flaschensammler stirbt bei Überquerung der A 2
Schwerer Unfall an Raststätte bei Braunschweig: 20-jähriger Fußgänger läuft auf Autobahn und wird überfahren
Von Rebecca Krizak und Johannes Giewald
Braunschweig. Sie wollten Pfandflaschen sammeln und begaben sich dabei in Lebensgefahr: Zwei Männer haben an einer Raststätte bei Braunschweig die Autobahn 2 zu Fuß überquert – einer der beiden kam bei einem schrecklichen Unfall ums Leben.
„Er wurde von einem Auto erfasst, in die Luft geschleudert und flog 53 Meter weit“, sagte Hans-Hermann Ehlers von der Autobahnpolizei Braunschweig. Anschließend hätten ein weiteres Auto und ein Lastwagen den Körper des 20-Jährigen überrollt. Der Lkw-Fahrer fuhr weiter, ohne anzuhalten. Von ihm fehlt bisher jede Spur.
Der Unfall ereignete sich am späten Mittwochabend. Die zwei Männer gehörten zu einer Gruppe, die auf dem Weg nach Rumänien eine längere Pause an der Raststätte Zweidorfer Holz machte. Während ein Teil der Gruppe zum Duschen ging, beschlossen die beiden jungen Männer, an der Raststätte nach Pfandflaschen zu suchen, berichtete der Polizeisprecher.
Die zwei liefen zunächst unbeschadet einmal über die A 2 zum nördlichen Teil der Raststätte. Dort ließen sie sich das Pfandgeld für ihre gesammelten Flaschen auszahlen und kauften Lebensmittel. Anschließend kam es zu einem Streit mit dem Raststätten-Personal, weil die zwei Männer unbezahlte Lebensmittel geöffnet und angebissen wieder ins Regal zurückgelegt haben sollen. Die beiden wurden aus der Raststätte geworfen und bekamen Hausverbot.
Beim anschließenden Versuch, die Autobahn noch einmal zu überqueren, kam es zu dem Unfall. Wie die Polizei berichtete, habe der 22-Jährige unverletzte Begleiter noch bei der Unfallaufnahme erneut versucht, über die Autobahn zu laufen. Er habe unter erheblichem Alkoholeinfluss gestanden. Die Polizei nahm den Mann daraufhin zu seinem eigenen Schutz in Gewahrsam. „Wir haben ihm erst am Morgen in der Vernehmung sagen können, dass sein Begleiter tot ist“, sagte Polizeisprecher Ehlers.
Die Reaktion des Mannes und das Verhalten der anderen Gruppenmitglieder sei schockierend gewesen. „Sie alle hat das kaum interessiert. Die Gruppe ist noch in der Nacht weitergefahren“, sagte der Polizeibeamte. In dem Bus habe unter anderem die Cousine des Getöteten gesessen. Die Polizei suchte gestern Vormittag weiter nach dem Lkw-Fahrer. Die Autobahn war wegen der Rettungsarbeiten etwa viereinhalb Stunden gesperrt. Die Autos stauten sich auf etwa drei Kilometern.
HAZ vom 11.03.2016, S. 4:
Bischof Bode lädt Obdachlose zum Essen ein
Osnabrück. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode hat sich am Donnerstag mit einem Mittagessen in einer Kirche bei den Armen und Bedürftigen der Stadt bedankt. Seit 1995 werde er jedes Jahr an Heiligabend in die Wärmestube für Obdachlose eingeladen – dafür wolle er danken, sagte Bode bei der Begrüßung in der Herz-Jesu-Kirche. Der Bischof sagte, er habe die Bedürftigen bewusst in eine Kirche eingeladen, auch weil er seit 20 Jahren im Amt sei und vor 25 Jahren seine Bischofsweihe empfing. Serviert wurde den 100 Gästen Putengeschnetzeltes mit Reis oder Kartoffeln.
HAZ vom 02.03.2016, S. 1:
Sollen Straßenmusiker bald vorspielen?
HANNOVER. Für Straßenmusiker gelten künftig strengere Regeln. Sie müssen ab 2017 Genehmigungen bei der Stadtverwaltung beantragen. Hannovers Tourismus-Chef Hans Nolte schlägt zudem vor, das Können von Straßenmusikern vor ihren Auftritten von einer Jury beurteilen zu lassen. "Wer mitmachen will, muss sich qualifizieren", sagt er. Das sei ein Beitrag zur UNESCO City of Music.
Schon jetzt gelten nicht mehr allgemeine Richtlinien für das Musizieren auf öffentlichen Plätzen, sondern eine erst gestern erlassene, rechtlich verbindliche "Allgemeinverfügung". Verstoßen Musiker etwa gegen die Vorschrift, alle 30 Minuten ihren Ort zu wechseln, wird ein Bußgeld fällig. Die City-Händler hatten sich über eine Dauerbeschallung vor ihren Geschäften beschwert. Die Stadt betont, dass sie nicht spontan auf die Klagen reagiert habe, sondern seit Längerem an einer Neufassung der Straßenmusik-Bestimmungen arbeite.
HAZ vom 27.02.2016, S. 19:
Bürgerengagement ist toll - wenn es nicht stört
Förderverein für Gartenfriedhof löst sich auf
Von Conrad von Meding
Der Gartenfriedhof am Südrand der Stadtmitte gilt als Kleinod der Renaissancekultur in Norddeutschland. Ein Unterstützerverein hatte sich die Aufgabe gesetzt, das lange vernachlässigte Areal aufzuwerten - mit Patenschaften, Kulturevents und Spendensammlungen. Jetzt hat er sich aufgelöst - "bitter enttäuscht" von mangelnder Unterstützung der Stadt, wie der scheidende Vorstand schreibt. Statt die Würde des Ortes aufzuwerten, habe die Stadt zugelassen, dass das Drogenmilieu auf inzwischen täglich bis zu 60 Trinker angewachsen sei. Die Stadt weist den Vorwurf zurück.
140 Mitglieder umfasste der Verein zuletzt, hat in knapp fünf Jahren 34 zahlende Grabmalpatenschaften mobilisiert, 25.000 Euro direkte Spenden zur Sanierung der historischen Anlage eingeworben und mehr als 100.000 Euro Stiftungsgeld. Nun hat er seine eigene Liquidation beschlossen. Man gebe auf wegen des Gefühls, "immer wieder gegen Wände zu laufen." Politik und Verwaltung hätten zwar stets Wohlwollen signalisiert, in den entscheidenden Fragen aber abgeblockt. Weder die schriftlichen Hilferufe der Kirchengemeinde noch das Drängen des Unterstützervereins seien ernst genommen worden, zugesagte Projekte wie etwa der Einbau von Toren, wie sie an anderen Friedhöfen üblich sind, jahrelang verzögert worden. Bürgerschaftliches Engagement, sagt Vereinsvorstand Dieter Zinßer plakativ, sei in der Landeshauptstadt offenbar "gern gesehen, aber nicht, wenn es stört."
Tatsächlich hatte der Konflikt um eine Gruppe von Trinkern und Methadonpatienten, die täglich in der Parkanlage campiert, die Kooperation zwischen Stadt und Verein von Anfang an überschattet. Der Verein wollte eine Satzung wie für andere Friedhöfe, die das Lagern und den Alkoholkonsum verbietet. Die Stadt aber und insbesondere die rot-grüne Mehrheit stufen den Friedhof als normale Grünfläche ein, die ausdrücklich für alle Bürger offen sein soll.
Umweltstadträtin Sabine Tegtmeyer-Dette (Grüne) betonte gestern gegenüber der HAZ, dass sie die Auflösung des Vereins ausdrücklich bedauere und die Aufwertung des Gartenfriedhofs fortsetzen wolle. Die Kritik, dass die Stadt nicht genug für das Areal tue, lässt sie nicht gelten. Gut 50.000 Euro habe man seit 2011 investiert, wegen der teils problematischen Klientel sei die Fläche "die am intensivsten kontrollierte Grünfläche der Stadt."
Auf dem 1741 angelegten Gartenfriedhof befinden sich die Gräber unter anderem von Charlotte Buff-Kestner (1753-1828, die "Lotte" aus Goethes Werther), dort sind etwa die weltberühmte Astronomin Caroline Herschel (1750-1848) oder der Entzifferer der Keilschrift, Georg Friedrich Grotefend (1775-1853), bestattet und viele andere bedeutende Hannoveraner, darunter Mitglieder der Familien Tramm, Hardenberg, Arnswaldt, Hinüber, Ramberg oder Heiliger.
HAZ vom 20.02.2016, S. 6:
Endstation Uelzen
Nacht für Nacht stranden Flüchtlinge am Hundertwasser-Bahnhof / Hilfe bekommen sie von Ehrenamtlichen
Von Manuel Lauterborn
Uelzen. „Ein Bahnhof, so schön wie ein Märchenschloss“ – so wird im Internet für den Hundertwasser-Bahnhof in Uelzen geworben. Nachts verwandelt sich das Märchenschloss allerdings in eine Festung ohne Einlass. Die Bahnhofshalle ist abgesperrt, einen Aufenthaltsraum für Reisende, die zum Teil stundenlang auf Anschlusszüge warten müssen, gibt es nicht. Als Ijos Bietzker davon hörte und Flüchtlingsfamilien sah, die sich in der Unterführung zum Schlafen zusammenkauerten, packte er selbst an. Seit drei Monaten versorgt der Arzt zusammen mit weiteren ehrenamtlichen Helfern die Gestrandeten mit Essen, Kleidung und einem Schlafplatz. „Es muss sich jemand verantwortlich fühlen“, meint er.
Kurz vor Mitternacht. Zwei junge Männer stehen am Bahnsteig und schauen sich an. Eigentlich wollten sie direkt weiter nach Hamburg, doch ihr Zug hatte Verspätung, ihren Anschluss haben sie verpasst. Nafii Muanhi, einer der zwei Übersetzer, die in dieser Nacht im Einsatz sind, bietet den 22 und 28 Jahre alten Afghanen Hilfe an und nimmt sie mit zu den eingerichteten Räumen in einem Nebengebäude des Bahnhofs.
„Hallo! Wie geht’s?“, ruft einer der beiden Flüchtlinge auf Deutsch, als sie eintreten. Die Männer hatten vor, mit dem nächsten Zug weiterzufahren. Doch mit ihrem zeitlich nur begrenzt gültigen Niedersachsenticket wären sie aus Uelzen gar nicht mehr weggekommen – normalerweise. Während sie eine Linsensuppe löffeln, ruft Ijos Bietzker bei der Bahn an und besorgt zwei Plätze im letzten ICE nach Hamburg – eine Sonderregelung, die die Helfer ausgehandelt haben. Um 0:50 Uhr kündigt Bietzker der Fahrgastbegleiterin auf dem Bahnsteig die zwei zusätzlichen Fahrgäste an. Die Frau blickt mürrisch, aber sie nickt. Die Männer dürfen mitfahren.
Bietzker hat in den drei Monaten einiges aufgebaut, auch, weil viele mitgeholfen haben. Die Deutsche Bahn hat die Räume zur Verfügung gestellt, Bahn- Betreiber Metronom hat die Räume renoviert und finanziert die Reinigung, die Stadt hat eine Waschmaschine und einen Trockner beschafft. Viele weitere Spender haben Bettwäsche, Jeans oder Gummistiefel organisiert – und die Diakonie bezahlt drei geringfügig Beschäftigte, die mithelfen. Trotzdem hadert Bietzker: „Man müsste dankbar sein für diese häppchenweise Hilfe, aber das fällt schwer. Die Stadt und die Bahn haben sich sehr preiswert freigekauft.“
Die Stadt solle statt Waschmaschinen auch Helfer zur Verfügung stellen, meint der ehrenamtliche Helfer. Und die Bahn müsse sich kümmern, so der 49-Jährige, und die Menschen nicht einfach in Uelzen absetzen und sie dort warten lassen. Warum die Bahnhofshalle abgesperrt ist, versteht Bietzker nicht. „Die Halle im Bahnhof kann nachts nicht geöffnet werden, da die dortigen Verkaufsflächen offen sind“, heißt es auf Anfrage von der Bahn. Die kostenfrei überlassenen Räume seien „eine gute Alternative“, weiteren Handlungsbedarf sehen Bahn und Stadt derzeit nicht.
Quelle: von Ditfurth
So bleibt die Arbeit den ehrenamtlichen Helfern überlassen. 15 von ihnen schieben regelmäßig die sechsstündigen Nachtschichten. Einige Helfer reisen extra aus Hamburg oder Göttingen an. Nur wenige kommen aus Uelzen, so wie Svenja Kohanke. „Wenn die Leute ihre Geschichten erzählen, bin ich oft sprachlos“, sagt sie. Auch Ijos Bietzker erinnert sich an besondere Momente. „Wir haben schon Kinder im Rollstuhl und Mütter mit wenigen Wochen alten Säuglingen aufgenommen. Viele Kinder sind so müde, dass sie im Stehen schlafen.“
Heute feiern die Helfer dreimonatiges Jubiläum. Sie wünschen sich nur eins: dass aus der Notlösung kein Dauerzustand wird.
HAZ vom 16.02.2016, S. 17:
Kein sozialer Zaun für Hannover
CDU scheitert im Ausschuss mit Projekt für Obdachlose
Von Jutta Rinas
Mit einem Antrag zur Einführung eines „sozialen Zaunes“ in Hannover ist die CDU gestern im Sozialausschuss gescheitert. Nur sie stimmte für das Projekt, das aus Darmstadt kommt und aufgrund des Namens gestern im Ausschuss für Spötteleien sorgte. (O-Ton Wilfried Engelke, FDP: „Wollen wir nicht gleich eine Mauer bauen?“)
Der Name sei irreführend, wurde die CDU nicht müde zu betonen. Der Kern der Idee: Bürger können Obdachlose – so jedenfalls läuft es laut CDU in Darmstadt – „unkompliziert mit notwendigen Dingen versorgen“, indem sie durchsichtige Tüten mit nützlichem Inhalt (Kleidung, Hundefutter oder Zahnbürsten) an einen dafür bestimmten Zaun hängen. Die Obdachlosen könnten sich die Tüten abholen, führte CDU-Ratsherrin Georgia Jeschke weiter aus.
Die Vorstellung stieß im Ausschuss auf energischen Widerspruch: Es gebe weitaus bessere Angebote für Obdachlose in Hannover, das Kaufhaus Fairkauf oder der Kontaktladen Mecki, waren nur die geringsten von SPD und Grünen geäußerten Einwände. Wilfried Engelke, der im Internet recherchiert hatte, wusste zu berichten, dass der Darmstädter Zaun per Kamera bewacht werde. Das impliziere, dass man mit Ärger rechne.
„Menschenunwürdig“, „eine Tierfütterung wie im Zoo“, nannte Oliver Förste von den Linken den Vorschlag, weil man den Menschen einfach etwas hinschmeiße. „Warum sind die nur selber auf so etwas gekommen?“ fragte er: Das in Hannover so scharf kritisierte Projekt wurde in Darmstadt von Obdachlosen entwickelt.
Ebenfalls keine Mehrheit fand die CDU gestern für ein überinstitutionelles Ethikkomitee für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Dieses soll, wie berichtet, dazu beitragen, in schwierigen Situationen ethisch tragbare Behandlungsentscheidungen zu treffen. Gudrun Koch von der SPD zeigte grundsätzlich Sympathie für so einen Vorschlag, da es in diesem Bereich großen Bedarf an Unterstützung gebe. In Krankenhäusern gebe es diese Kommissionen aber bereits – und in der Pflege sei die Frage, ob die Kommune ein geeigneter Träger sei.
HAZ vom 13.02.2016, S. 17:
Zecher wegen Totschlags angeklagt
Gelage eskaliert, weil Opfer sich eingenässt hatte?
von Jörn Kiessler
Fünf Monate nach dem Tod eines obdachlosen Letten in Bothfeld hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Totschlags gegen zwei 35 und 36 Jahre alte Männer erhoben. Die beiden waren Zechkumpanen des Opfers Aleksanders B. und hatten ursprünglich die Polizei alarmiert. Die beiden Obdachlosen waren allerdings im November vergangenen Jahres verhaftet worden, nachdem Kriminaltechniker der Polizei die Spuren am Tatort in einer Barackensiedlung in Bothfeld ausgewertet hatten. Dort hatten die beiden nun Angeklagten laut ihrer eigenen Aussage am 7. September den Leichnam des 36-Jährigen gefunden. „Die Untersuchungen der Kriminaltechnik mündeten jedoch in einem dringenden Tatverdacht gegen die beiden Männer“, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. So wurde unter anderem die DNA der mutmaßlichen Täter gefunden.
Quelle: Dillenberg
Den beiden Männern, die seit dem 13. November in Untersuchungshaft sitzen, soll nun der Prozess vor dem Schwurgericht gemacht werden. Nach Meinung der Ermittler prügelten die beiden Angeklagten an dem Sonntag Anfang September mit Stuhlbeinen und einem anderen langen Holzstück so lange auf den Oberkörper und den Kopf des Letten ein, bis dieser gelähmt war und dann an den Folgen von inneren und äußeren Blutungen starb. „Wir haben Erkenntnisse, dass die beiden Angeklagten, das Opfer, aber auch noch andere Zechkumpane an diesem Abend ein Trinkgelage an der Barackensiedlung veranstalteten“, sagt Klinge.
Im Laufe des Abends soll nicht nur der Alkoholpegel der Beteiligten immer weiter gestiegen sein, sondern auch das Aggressionspotenzial. So soll einer der Obdachlosen irgendwann so betrunken gewesen sein, dass er sich selbst einnässte. Das war Grund genug für mehrere andere Obdachlose, um auf ihn einzuprügeln. Wie genau der tödliche Streit zwischen den beiden Angeklagten und dem 36-Jährigen, der in der Obdachlosenszene auch unter dem Spitznamen „Malutki“ bekannt war, ausgelöst wurde, ist noch unklar. Die beiden Angeklagten, die nach ihrer ersten Befragung im September zunächst wieder auf freien Fuß gekommen waren, bestreiten die Anschuldigungen.
HAZ vom 06.02.2016, S. 16:
Bahnhofsmission hat immer mehr zu tun
Die Einrichtung am Hauptbahnhof unter Gleis 14 ist seit 120 Jahren Zufluchtsort für Obdachlose, Durchreisende und Flüchtlinge
Von Isabell Rollenhagen
Immer mehr Menschen bekommen in der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof Unterstützung. Vor allem seit Beginn der Flüchtlingskrise im Jahr 2014 kommen immer mehr Hilfebedürftige in die Einrichtung am Nordwesteingang unter Gleis 14. Das teilte die Bahnhofsmission gestern mit. „Mittlerweile haben wir insgesamt zwischen 25 000 und 28 000 Kontakte pro Jahr“, sagt die Diakonin und Leiterin der Mission, Andrea Weber. Das sind ihren Angaben zufolge etwa 15 bis 20 Prozent Besuche mehr.
Quelle: Heusel
Die Situation mit den Flüchtlingen kam für Weber und ihr Team im Sommer 2014 völlig überraschend. „Wir waren darauf nicht vorbereitet“, sagt sie. Mittlerweile habe man aber Routine, auch diesen Menschen helfen zu können: Es gebe einen regen Austausch mit den Notunterkünften und dem Sozialamt.
Einen Großteil der Besucher machen aber obdachlose Männer aus. Wer den ganzen Tag draußen verbracht hat, bekommt hier am Abend einen Kaffee und kann sich aufwärmen. Außerdem verteilt die Bahnhofsmission Jacken und Zahnbürsten. Die Situation am Bahnhof hat sich laut Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes vor allem auch seit dem Umbau des Zentralen Omnibusbahnhofs verändert. „Die Obdachlosen rücken seitdem immer näher an den Hauptbahnhof heran“, sagt der Aufsichtsratchef der Mission. Weber und ihre Mitarbeiter beobachten neben der Zunahme von Flüchtlingen und Obdachlosen aber auch eine wachsende Zahl an psychisch kranken Frauen, die in der Einrichtung Zuflucht suchen. In erster Linie versuchen die vier hauptamtlich Beschäftigten und rund 30 ehrenamtliche Helfer, die Menschen von der Straße zu holen. Doch die Stadt bietet für Frauen nur eine Unterkunft in Vinnhorst an.
Trotz all der neuen Umstände sieht sich die Bahnhofsmission, die in diesem Jahr bereits ihren 120. Geburtstag feiert, personell und finanziell gut aufgestellt. Im Jahr kann die Mission laut Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes 200 000 Euro für die Betreuung von Obdachlosen, Flüchtlingen und gestrandeten Reisenden ausgeben. Der Betrag setzt sich aus Mitteln der Stadt, der Diakonie und der Caritas und Spenden zusammen. Davon werden auch die Fortbildungen der Mitarbeiter finanziert.
HAZ vom 28.01.2016, S. 14:
Immer mehr junge Flüchtlinge
Stadt und Region suchen weitere Gastfamilien
Von Jutta Rinas
Die Zahl der Jugendlichen, die ohne Eltern nach Deutschland fliehen, steigt weiter dramatisch an. Noch Anfang November 2015 waren nach Angaben der Region in ganz Niedersachsen 3143 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge registriert. Ende Januar 2016 seien es über 1000 mehr, nämlich 4911, sagte Regionssprecherin Sonja Wendt gestern.
Für die Region und die Stadt Hannover bedeutet das, dass sie viel mehr Jugendliche als bisher unterbringen müssen. In Hannover beispielsweise waren es Anfang November 2015 noch 275. Damals rechnete die Stadt sogar damit, zunächst keine weiteren jugendlichen Flüchtlinge mehr aufnehmen zu müssen, weil ein neues Gesetz vorsah, dass auch die Kommunen stärker beteiligt werden. Inzwischen leben 335 jugendliche Flüchtlinge in der Stadt. In den 16 Kommunen, für die das Jugendamt der Region zuständig ist, sind es aktuell 202. Ende Oktober 2015 waren es 70. Platz sollen die Jugendlichen, für deren Unterbringung besondere Bestimmungen gelten, unter anderem in Wunstorf in der ehemaligen Außenstelle der BBS Neustadt finden.
35 Bewerbungen für Gastfamilien lägen in der Region derzeit vor, sagte Wendt. Für zehn Jugendliche seien Familien ermittelt worden. Die Stadt Hannover hat 30 Gastfamilien für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gefunden. Weitere Familien werden gesucht.
HAZ vom 27.01.2016, S. 17:
Hilfe für „Papierlose“
Zahl der Obdachlosen steigt / Marktkirchen-Gemeinde spendet 30 000 Euro
Von Martina Sulner
Die genau Zahl kennt zwar keiner, doch klar ist: In Hannover leben immer mehr Wohnungslose. Rund 4000 Menschen ohne Wohnung soll es in der Stadt geben; vor einem Jahr waren es noch 3000. Die meisten von ihnen kommen irgendwie unter – auf der Straße leben ein paar Hundert Menschen, vielleicht 400, möglicherweise auch 600. Alle Zahlen seien jedoch nur Schätzungen, sagt Joachim Teuber, Sozialarbeiter im Kontaktladen Mecki. Und die Not wachse, wie Teuber erläutert, weil immer mehr Menschen aus Osteuropa hier stranden, weil immer mehr Menschen ohne Krankenversicherung „Platte machen“, weil es immer weniger günstige Wohnungen gibt. Bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum konkurrieren Obdachlose nicht etwa mit Flüchtlingen, die zurzeit in die Stadt kommen, sondern vielmehr mit sogenannten Geringverdienern und Studenten.
Jede Spende für Obdachlosenprojekte ist somit hochwillkommen. Wie die, die Marktkirchen-Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann und Jörn Hilfrich, Mitglied des Kirchenvorstandes, gestern im Mecki-Laden überreichten. Insgesamt 30 000 Euro spendet die Gemeinde; knapp die Hälfte des Geldes stammt aus Kollekten, die andere Hälfte aus Mieteinnahmen der Gemeinde. Mit 15 000 Euro wird die medizinische Versorgung der Obdachlosen im Mecki-Laden unterstützt, mit weiteren 15 000 Euro die Beratungsstelle für papierlose Flüchtlinge (DiaMIPa).
Im Portal der Marktkirche erlebe sie täglich Wohnungslose, sagt Kreisel-Liebermann. Auch mit Menschen, die ohne gültige Papiere in Hannover lebten, habe sie manchmal Kontakt. Das Diakonische Werk hat eine halbe Stelle für die Beratung der „Papierlosen“ geschaffen, so Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes. Das ist aller Ehren wert, sei aber nicht ausreichend. „Die Zahl der ,Papierlosen‘ ist deutlich gestiegen“, sagt Müller-Brandes. „Wir versuchen, uns um sie zu kümmern, denn diese Gruppe hat keine Lobby.“
Obdachlose bekommen durchaus Hilfe, doch könnte man bei Mecki – bei aller Freude über die aktuelle Spende – weitere Unterstützung brauchen. Rund 70 Stühle stehen in dem Kontaktladen am Raschplatz. Wenn die Temperatur fällt und dort besonders viele Menschen Schutz suchen, reicht das jedoch nicht: „An kalten Tagen haben wir Stuhlmangel“, sagt Sozialarbeiter Joachim Teuber.
Wer einen Obdachlosen sieht, der hilfsbedürftig wirkt, kann bei der Winternotfallnummer anrufen: (05 11) 9 90 40 15.
HAZ vom 21.01.2016, S.6:
Mit Anlauf: Mann stößt Frau auf Gleise
20-Jährige wird überrollt und stirbt noch am Unfallort
Von Manuel Fernandes-Stacke
Berlin. Ein 28 Jahre alter Mann soll eine Frau auf einem U-Bahnhof in Berlin-Charlottenburg mit Anlauf vor einen Zug gestoßen haben. Die 20-Jährige wurde am Dienstagabend auf dem U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz von dem einfahrenden Zug überrollt und getötet, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte. Zeugen hielten den Mann fest und übergaben ihn alarmierten Beamten. Die 5. Mordkommission des Landeskriminalamtes hat die Ermittlungen übernommen.
Laut Staatsanwaltschaft stammte der 28-Jährige aus Hamburg. In Berlin habe er vergeblich versucht, in einer Obdachlosenunterkunft unterzukommen. Auf dem Weg in eine andere Unterkunft sei es zu der Tat gekommen. Sein Opfer wählte er offenbar nicht bewusst. Motiv des Mannes war zunächst unklar. Laut Staatsanwaltschaft ist der 28-Jährige kein unbeschriebenes Blatt: Eine „erhebliche Gewalttat“ liege etwa 15 Jahre zurück. Zudem habe es zuletzt in Hamburg weitere Verfahren gegen ihn gegeben. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) kritisierte die norddeutschen Justizbehörden: „Es muss die Frage gestellt werden, warum dieser Mann mit seiner Vorgeschichte nicht frühzeitiger gestoppt wurde.“
HAZ vom 16.01.2016, S. 10:
Girokonto für alle kommt auf den Weg
Bundestag berät Basiskonto / Neues Gesetz soll auch Kontowechsel erleichtern
Von Werner Herpell
Berlin. Der Bundestag hat sich am Freitag erstmals mit dem geplanten „Konto für alle“ befasst. Der Gesetzentwurf sieht einen Anspruch auf ein Bankkonto für diejenigen vor, denen es bislang oft verwehrt wurde, wie Obdachlose und Asylsuchende. Geplant sind in dem Gesetz außerdem Erleichterungen für Kontoinhaber.
Nach Darstellung des Finanzministeriums kommt das neue Konto rund einer Million Menschen zugute. Mit einem solchen Gesetz sei Deutschland „das Land, das europaweit am weitesten vorangeschritten ist“, sagte der Parlamentarische Finanz-Staatssekretär Michael Meister (CDU) am Freitag im Bundestag. Nur so könnten alle Menschen in Deutschland voll am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben. Die nun im Parlament beginnenden Beratungen über das Gesetzesvorhaben seien daher „für eine große Zahl von Menschen ein bedeutender Tag“, und zwar zunehmend auch für Flüchtlinge. Trotz Skepsis der Kreditwirtschaft würden die Pläne nicht mehr geändert.
Das neue Zahlungskontengesetz, mit dem eine EU-Richtlinie umgesetzt wird, sieht die Einführung eines sogenannten Basiskontos für alle vor. Dieses einfache Girokonto auf Guthabenbasis soll künftig jeder eröffnen können, der sich legal in der Europäischen Union aufhält – und zwar bei einer Bank seiner Wahl. Über das Basiskonto sollen alle grundlegenden Zahlungsdienste zur Verfügung stehen. Der Parlamentarische Staatssekretär im Verbraucherministerium, Ulrich Kelber (SPD), sagte, der Gesetzentwurf schaffe „eine besonders einfache und effektive Möglichkeit zur Rechtsdurchsetzung“. Verbraucher, denen ein Basiskonto verweigert wird, könnten gegen die Ablehnung nicht nur vor den Zivilgerichten oder vor einer Verbraucherschlichtungsstelle vorgehen, „sondern sie können sich auch direkt an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht wenden“. Denn für viele Menschen, die auf ein Basiskonto angewiesen sind, sei der Gang zum Zivilgericht eine erhebliche Hürde.
Caren Lay (Linke) kritisierte, dass eine Gebührenfreiheit oder zumindest eine Deckelung der Gebühren für das Basiskonto im Gesetzentwurf nicht vorgesehen seien. „Für Flüchtlinge sind zehn Euro im Monat jede Menge Geld.“ Ein Basiskonto müsse daher kostenfrei sein, darüber solle vor der Verabschiedung des Gesetzes noch Einigkeit hergestellt werden.
Seit 1995 gibt es zwar für die Einrichtung von „Jedermann-Konten“ in Deutschland eine Selbstverpflichtung der Banken. Die Regierung war mit der Umsetzung aber unzufrieden. Bisher wurden Wohnungslose und Asylbewerber nur von einigen Sparkassen und Volksbanken als Kunden akzeptiert.
Das gestern auf den Weg gebrachte Gesetz sieht außerdem vor, dass Banken ihre Kontogebühren künftig so veröffentlichen müssen, dass auch Verbraucher ohne Fachkenntnisse problemlos verschiedene Angebote vergleichen können. In Vergleichsportale im Internet sollen die Verbraucher auch Angaben über das Filial- und Geldautomatennetz einzelner Institute sowie deren Dispo- und Überziehungszinsen finden können. Wer sein Konto kündigen und zu einer anderen Bank wechseln möchte, soll einen Anspruch darauf haben, dass beide Institute ihn unterstützen, damit sich der bürokratische und finanzielle Aufwand in Grenzen hält.
HAZ vom 09.01.2016, S. 5:
Hundefutter im Kochtopf
Osnabrücker Tafel verteilt versehentlich Tiernahrung
Georgsmarienhütte. Rehfleisch und Kartoffeln mit Gartengemüse – das klang verlockend, erst recht so kurz nach den Feiertagen. Um den Menschen eine Freude zu bereiten, verteilten Mitarbeiter der Tafel in Osnabrück das vermeintliche Festessen an Bedürftige – doch leider hatten die Mitarbeiter das Kleingedruckte auf den edel aussehenden Gläsern nicht gelesen. Denn die Delikatesse war nicht für den Menschen gedacht, sondern für seinen vierbeinigen Freund: In den Gläsern befand sich Hundefutter.
„Das ist eine Panne, die uns leidtut“, sagte der Vorsitzende der Tafel, Dieter Möllmann, am Freitag. Der Lagerleiter müsse täglich mehrere Tonnen Lebensmittel sichten, und das Glas sehe auf den ersten Blick wie eine Verpackung für ein normales Ragout aus. In der Tat ist auf dem vorderen Etikett von einem Fleischmenü die Rede. Erst auf der Rückseite ist in kleinen Buchstaben vermerkt, worum es sich genau handelt: „Alleinfuttermittel für ausgewachsene Hunde“.
An mindestens drei Senioren wurden versehentlich Gläser verteilt, ob es noch mehr Abnehmer gab, wisse er nicht, sagte Möhlmann. „Uns sind nur drei bekannt.“ Wie die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) berichtet, stutzte eine Person in Georgsmarienhütte beim Kochen über den seltsamen Geruch – bei näherem Hinsehen stellte sie fest, dass sie Tierfutter in ihrem Topf erhitzte. Wie der Hersteller der NOZ sagte, bestehe das Futter ausschließlich aus Fleisch in Lebensmittelqualität. Der Verzehr sei für den Menschen unbedenklich.
Jeder, der Lebensmittel von einer Tafel erhalte, müsse vor dem Verzehr prüfen, ob diese noch genießbar seien, sagte Möhlmann. „Das sind alles Produkte, die kurz vor dem Ablauf der Mindesthaltbarkeit stehen.“ So war es auch im Fall des Hundefutters, das von einem Supermarkt aussortiert worden war.