Besuch in der JVA
Geschrieben von Kay Bartelt, Stratmann-Stiftung
Unsere Stiftung hilft jungen Menschen dabei ihre Ideen zu verwirklichen. Häufig treffen wir auf muntere und tatenfreudige Jugendliche, die sich voll Neugier und Begeisterung ins Berufsleben stürzen, um ihre Karriere erfolgreich zu gestalten. Sie haben das Glück in liebevollen Familien aufzuwachsen, die sie bei ihrem Werdegang unterstützen. Leider bleibt dieses Glück aber einigen Kids verwehrt.
Als wir neulich Gelegenheit bekommen einen vom Wege abgekommenen jungen Mann im Gefängnis zu besuchen, sagen wir sofort zu. Mit leichtem Kribbeln im Bauch und einer größeren Portion Ungewißheit im Kopf wagen wir uns in die JVA in der Schulenburger Landstraße und erleben dort Unerwartetes.
Verstoßen, ungeliebt, verachtet...
Nachdem wir zahlreiche Schleusen passiert haben, gelangen wir ins Besuchsgebäude der JVA. Wir treffen dort auf einen lebenslustigen 25-Jährigen, der das Pech hatte in eine Problemfamilie geboren zu sein. Trotz der Tatsache, dass er vier Mordversuche der eigenen Familie überlebte und bis vor kurzem mit starken Alkoholproblemen kämpfte, will H. wieder "nach oben".
Den letzten Tötungsversuch überlebte H., als er zu seiner Prüfung als Zweiradmechaniker fuhr. Seine Mutter vergiftete sein Mittagessen, damit er seine Ausbildung nicht beenden sollte. Er kollabierte auf dem Weg zur Abschlussprüfung, konnte aber glücklicherweise gerettet werden. Daraufhin fasste er den Entschluß nicht mehr nach Hause zu gehen und lebt seit diesem Tage auf der Straße.
Ohne abgeschlossene Ausbildung, ohne Geld und ohne Familie bekommt er schnell jene Probleme, die viele Obdachlose haben: Gewalt, Diebstahl, Schwarzfahren. Wegen mehrerer Delikte sitzt H. nun eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten ab. Für viele bedeutet "Knast" das Ende des "normalen" Lebens. Für H. ist es ein neuer Anfang.
Die straffen Vorgaben im Vollzug geben dem jungen Mann genau die Tagesstruktur, die er in seiner momentanen Verfassung braucht. Inzwischen trinkt er nicht mehr, hat das Rauchen eingestellt und arbeitet mit dem sozialen Dienst in der JVA zusammen. H. führt sogar ein Bewerbertraining durch. Sein großer Wunsch ist, nach der Haft in seinem Traumjob zu arbeiten. Laut eigener Aussage kann er alles reparieren, was zwei Räder hat.
Die vielen Rückschläge haben H. gelehrt nichts mehr vom Leben zu verlangen. Er kann die Frage nach seinem dringlichsten Wunsch nicht beantworten. Wer so misshandelt wird, hört auf zu träumen. Doch wir geben nicht auf und bitten ihn seinen Haftalltag zu beschreiben. So finden wir heraus, was ihm zurzeit wichtig ist. Die Sachen sind normalerweise keiner Rede wert. Aber was ist für H. schon normal?
Trotz allem: Der Lebenswille ist vorhanden
Einen Tag später freut sich H. über neue Badelatschen und einen neuen Wasserkocher. Er muss sich nun nicht mehr dreckige Wischlappen um die Füße binden und kann in seiner Zelle Teewasser zum kochen bringen. Einfache Dinge sind für ihn zu dem Luxus geworden, der für uns selbstverständlich ist.
Und weil wir seinen Lebensmut bewundern und ihn ermuntern wollen, weiterhin an sich zu glauben, legen wir Weihnachten und Ostern in seinen Oktober. Er bekam heute Spielkonsole Game Cube plus Monitor und einigen Spielen geschenkt. Damit kann er die Zeit bis zur Entlassung etwas abwechslungsreicher gestalten.
Aber damit nicht genug. H. braucht mehr als ein paar neue Sachen. Er benötigt vor allem Unterstützung, wenn er wieder "draußen" ist. Denn das schlimmste am Leben eines Obdachlosen ist, dass er niemanden mehr hat, der froh darüber ist, dass es ihn gibt. Obdachlose Menschen haben kaum soziale Bezugspunkte und sind sich selbst überlassen. Oft haben sie darüber das Vertrauen in andere Menschen verloren.
Unsere Stiftung bemüht sich bei der Wiedereingliederung von H. behilflich zu sein - über verschiedene Kontakte wird es uns gelingen, den hoffnungsfrohen und bescheidenen jungen Mann ins normale Leben zu führen. Wir sind sicher, dass er es schafft und bleiben für ihn am Ball. Er hat es verdient.