Die weiße Hirschkuh zu Besuch im DüK
Julie Schraders Theaterstück Genoveva oder Die weiße Hirschkuh begeistert die Zuschauer im „Dach überm Kopf“ (DüK) in Hannover
Ein Bericht von Madita Wandrey (Studentin Pflanzenbiotechnologie, Hannover) und Marc Pinski (Student BWL, Berlin)
Es ist der 31. März 2015 um 17.00 Uhr, ein verregneter Dienstag, Orkan Niklas wütet gerade über Hannover. Nur ungern verlassen wir - mit Kamera und Block bewaffnet - das warme Haus und versuchen, möglichst schnell wieder ins trockene Auto zu kommen.
Wir machen uns auf den Weg ins DüK, dem „Dach überm Kopf“, das seinen Besucher heute eine besondere Veranstaltung bietet: Volker Kühn spielt Julie Schraders Genoveva oder Die weiße Hirschkuh – Ein wirklich großes hannöversches Drama, in dem er alle acht Rollen selbst verkörpert.
Ein Parkplatz in der Lavesstraße ist schnell gefunden und gespannt auf den Abend eilen wir zum Eingang des DüK, welches in einem kleinen Hinterhof liegt. Kaum durch die Tür gegangen, werden wir gleich sehr herzlich empfangen und uns wird das „Du“ angeboten. Uns wird auch erklärt, dass sich hier alle „duzen“ - man fühlt sich willkommen.
Obwohl wir viel zu früh da sind, sitzt bereits ein Gast im gemütlichen Gemeinschaftsraum mit Theke, der heute Abend zur Bühne des Geschehens werden wird. Um einen Paravent und einen Sessel in der Mitte des Raums stehen Stühle für die Zuschauer am Rand. Teelichter sorgen für eine warme Stimmung im Raum und uns wird sogleich ein Getränk angeboten.
Wir setzen uns zunächst und lassen diesen so herzlichen Raum ein wenig auf uns wirken. Das Unwetter draußen ist vergessen, der Weg durch den Regen hat sich gelohnt! Da bis zum Vorstellungsbeginn noch ein wenig Zeit bleibt, erkundigen wir uns, ob Herr Kühn - der Schauspieler - noch zu sprechen ist: „In fünf Minuten ist der Künstler bei euch.“ Wir warten gespannt, während das DüK sich allmählich zu füllen beginnt.
Herr Kühn kommt die Treppe des DüK herunter, er trägt bereits sein feierliches Kostüm für die Aufführung: Weißes Jackett und eine Fliege. Er begrüßt ein paar der bereits eingetroffenen Zuschauer, dreht sich um und fragt in den Raum: „Wer wollte mich sprechen?“ – Unser Zeichen. Wir springen auf und begrüßen den Künstler ebenfalls. Diktiergerät und Block in der Hand, begleiten wir Herrn Kühn vor das DüK - eine letzte Zigarette vor dem Auftritt rauchen. Es ist eine gelassene Atmosphäre, kein wichtiges „Backstage-Getue“, wie man es vom Theater erwartet.
Jeder eingetroffene Gast wird nun begrüßt. Man spürt die Vertrautheit an diesem Ort. Neben dem DüK, ein bisschen vor dem tosenden Wind geschützt, beginnt unser Interview mit dem Mann des Abends:
Ganz unten e.V.:
Herr Kühn, wie sind Sie auf die Idee gekommen ein Theaterstück in diesem Rahmen hier zu präsentieren?
Volker Kühn:
Ja, das Theaterstück ist eins meiner Programme. Ich bin Schauspieler und Regisseur und arbeite ehrenamtlich auch hier im DüK. Ich habe verschiedene Programme, mit denen ich in Kneipen, Restaurants, Bars und Cafés in Hannover und dem Umland – mittlerweile auch deutschlandweit – gastiere. Ich arbeite hier ehrenamtlich viermal die Woche hinter dem Tresen und kenne die Leute, die hier verkehren, schon seit längerer Zeit. Und dann kommt halt auch immer mal wieder die Anfrage, dass sie mich gerne mal sehen wollen. Aber natürlich kostet das sonst Eintritt bei mir. Meistens wird das Programm von dem Restaurant auch mit einem passenden Menu – also passend zur Lesung oder zum Theaterstück – begleitet und so kommt das dann leicht auf 40-50 € Eintritt und das ist natürlich zu teuer für die Leute hier. Da habe ich mal bei dem Verein Ganz Unten e.V. angefragt – ich kenne den Herrn Stenner mittlerweile schon länger und ganz gut
(Anmerkung: Herr Stenner arbeitet als Ehrenamtlicher für den Verein Ganz unten e.V. und konnte den Kontakt zwischen Herrn Kühn und Ganz unten e.V. für dieses Projekt herstellen. An dieser Stelle nochmals vielen Dank dafür!).
Wie das wäre, wenn ich mal für den Verein gastieren würde. Mit einem kleinen Menü, ein bisschen festlich, ein bisschen Buffet, damit auch mal die Leute, die wenig Geld haben, in den Genuss kommen können.
Ganz unten e.V.:
Sie haben ein vielfältiges Repertoire. Warum haben Sie sich für genau dieses Stück entschieden?
Volker Kühn:
Aus meinem Soloprogramm ist dies das einzige Theaterstück. Mit einer Bukowski-Lesung kann ich hier schlecht kommen. Halloween, „Die Nacht des Schreckens“ ist auch nicht so für Diakonie geeignet und das Weihnachtsprogramm, das habe ich schon mal gespielt – im bedeutend kleineren Rahmen – das war ein Tag der offenen Tür im November. Loriot darf ich nicht mehr spielen, da haben sie mir leider die Rechte entzogen, selbst die GEMA hat die Rechte da nicht mehr. Genovea oder Die weiße Hirschkuh ist einfach ein sehr lustiges und schräges Stück, auch dadurch, dass ich eben acht verschiedene Rollen – männlich, wie weiblich – spiele, unter anderem den deutschen Kaiser.
Ganz unten e.V.:
Möchten Sie irgendetwas Bestimmtes bei den Zuschauern erreichen? Und was glauben Sie, nehmen die Zuschauer heute Abend mit?
Volker Kühn:
Ich möchte sie einfach nur unterhalten und einen schönen Abend bereiten! So große Ansprüche habe ich da nicht. Wie gesagt, das Stück ist auch einfach lustig und die Leute sollen lachen!
Aus dem „Off“ von einem der Zuschauer: Die Leute sollen Dich mal engagieren! Damit Du Geld verdienst!
Volker Kühn:
Ja richtig, die sollen mich mal zu ihren Feiern engagieren, zum Beispiel. (lacht)
Ganz unten e.V.:
Also auch ein bisschen Eigenwerbung?
Volker Kühn:
Ja, selbstverständlich, das mache ich immer, bei jeder Veranstaltung.
Wir bedanken uns bei Herrn Kühn für das Interview und gönnen ihm noch ein wenig Ruhe vor seinem Auftritt.
Nachdem wir unsere Plätze wieder eingenommen haben, checken wir noch einmal die Kamera. Es wird um Ruhe gebeten und um 18.15 Uhr begrüßt das DüK-Team alle Zuschauer.
Spot an, Vorhang auf.
Unter tosendem Applaus betritt Herr Kühn seine kleine Bühne.
Wie es sich für einen Theaterabend gehört, gibt Herr Kühn zunächst eine kleine Einführung zum Werk und dessen Schöpferin. Julie Schrader (1881-1939) war Hannoveranerin und hat über 2.000 Werke hinterlassen. Bis zur Pause erfahren wir von Genoveva, genannt Vevchen, einer schönen, jungen Magd, im Dienste von Frau Adolphine Plückerjahn, Exzellenz zu Hannover, die sich in deren Neffen Adelkurt verliebt. Die Tante kann diese Verbindung nicht gutheißen. Dennoch vermählen sich die beiden Verliebten am Grab von Vevchens Mutter. Vevchen flieht nun vor ihrer bösen Schwiegertante nach Berlin, wo sie im dortigen Tiergarten vom Verbrecher Hugestines verfolgt wird. Gerettet wird sie vom Engel Hesekiel, der sie zu ihrem Schutz in eine weiße Hirschkuh verwandelt.
Herr Kühn spielt sich von Szene zu Szene und schafft es, jeder Rolle einen eigenen, unverwechselbaren Charakter zu verleihen. Obwohl er schon acht Rollen zu spielen hat, übernimmt er auch noch die kleinen, aber wirkungsvollen Umbauten, die jeden Handlungsort wiedererkennbar machen. Es wird viel gelacht und geklatscht.
Für eine Szene nutzt Herr Kühn das Publikum als Soundeffekt. Auf ein Stichwort wird „gegrummelt“, auf ein anderes „gesäuselt“. Der Effekt stellt so manchen Geräuschemacher in den Schatten und sorgt beim Publikum für gute Stimmung.
In der 20-minütigen Pausen genießen alle das Buffet und Getränke, für die Gäste kostenlos und finanziert über die Sponsoren, die die Arbeit von Ganz unten e.V. unterstützen.
Herr Kühn mischt sich auch unter die speisenden Zuschauer und erhält schon jetzt das eine oder andere Lob.
In der zweiten Hälfte gibt sich Adelkurt in Hannover dem Trunke und der Völlerei hin – er ist „der König vom Steintor“, wie er ausruft. Schon bald bereut er dies jedoch und bringt seine Tante im Streit um. Mit ihrem Geld reist er nach Berlin, um Vevchen zu finden. Vevchen bekommt auf Bitten des Kaisers Wilhelm ihre menschliche Gestalt zurück. Dieser ist es auch, der alles zu einem guten Ende bringt und ihnen ein Schloss schenkt.
Das schräge Stück kam bei allen Zuschauern sehr gut an. Man sieht viele fröhliche Gesichter. Nach mehreren „Vorhängen“ Applaus wird die Bühne wieder zum Gemeinschaftsraum und es regnet weiter Lob für den Schauspieler.
Nachdem sich der Trubel etwas gelegt hat, treffen wir Herrn Stenner, der den Kontakt für dieses Projekt hergestellt hat:
Ganz unten e.V.:
Herr Stenner, vielen Dank, dass Sie sich noch kurz Zeit für uns nehmen. Für den Anfang: Wie hat Ihnen das Stück gefallen?
Herr Stenner:
Sehr unterhaltsam und lustig.
Ganz unten e.V.:
Was glauben Sie, nehmen die Zuschauer heute mit?
Herr Stenner:
Ich denke in erster Linie eine gute Stimmung, dass sie sich hier wohlfühlen in der Gemeinschaft und gleichzeitig auch eine Kleinigkeit, eine Besonderheit, zu essen.
Ganz unten e.V.:
Würden Sie es begrüßen, wenn das DüK mehr solcher eher unkonventionellen Veranstaltungen fördert?
Herr Stenner:
Das fände ich gut! Für die Gäste war es doch sehr schön!
Ganz unten e.V.:
Inwiefern glauben Sie, dass auch Kultur – als immaterielleres Hilfsgut - Menschen helfen kann, wieder auf die Spur zu kommen?
Herr Stenner:
Es vermittelt auf jeden Fall ein Gefühl, dass man auch irgendwie noch mit dazugehört. Das finde ich eigentlich das Wichtigste daran.
Allmählich löst sich die Abendgesellschaft auf. Auch wir brechen langsam auf. Durch das Fenster sieht man den Regen. Schnell versuchen wir trocken zum Auto zu gelangen.
Während der Fahrt resümieren wir den Abend. Es war ein schöner, ein lustiger Abend.
Auf einmal fragen wir uns, wo die anderen Zuschauer aus dem DüK wohl die Nacht verbringen werden.
Wir schauen nach draußen.
Es ist stockfinster.
Und nass.
Und kalt.
GENOVEVA
oder
DIE WEISSE HIRSCHKUH
„EIN WIRKLICH GROSSES HANNÖVERSCHES DRAMA“
VON JULIE SCHRADER
Acht Rollen, alle gespielt und vorgetragen, mit großen Gesten und gediegenem Pathos, von dem gleichfalls hannöverschen Schauspieler und Theaterdirektor
VOLKER KÜHN
Zum Inhalt:
Genoveva, genannt Vevchen, eine schöne, junge Magd, im Dienst von Frau Adolphine Plückerjahn, Ihres Zeichens Exzellenz zu Hannover, verliebt sich in deren Neffen Adelkurt, einen jungen Lebemann. Weil nicht standesgemäß, ist die Tante natürlich gegen die Liaison. Heimlich vermählen sich die beiden Verliebten am Grab von Vevchens Mama, genannt Goldmuttchen. Vevchen flieht nun vor ihrer bösen Schwiegertante nach Berlin, wo sie im dortigen Tiergarten von dem Lustmörder Hugestines bedrängt wird. Errettet wird sie vom Standbild des Engels Hesekiel, der sie zum Schutz vor allen Unbilden der sündigen Großstadt in eine weiße Hirschkuh verwandelt.
Indes ergibt sich Adelkurt in Hannover dem Trunk und der Völlerei und führt ein liderliches Leben. Alsbald bereut er jedoch sein Handeln, bläst seiner Tante das Lebenslicht aus und reist mit deren Geld nach Berlin, um sich wieder mit seiner Liebsten zu vereinen.
Dort begegnen die Beiden seiner Majestät, dem deutschen Kaiser Wilhelm, höchstpersönlich, der alles zu einem guten Ende bringt, ihnen alles verzeiht, sie in den Adelsstand erhebt und ihnen ein Schloss in Osnabrück schenkt!
Die Dichterin:
Julie Schrader, geb. am 9. Dezemberr 1881 in Hannover, gest. am 9. November 1939 in Oelerse bei Lehrte, von ihren Freunden „Julchen“ genannt, von ihren Verehrern als der „welfische Schwan“ gefeiert, verfaßte mehr als 2000 Gedichte und zwei Theaterstücke. Ob ihre literarischen Ergüsse wirklich alle von ihr selbst stammen, ist genauso umstritten, wie ihre diversen Liebschaften mit hochgestellten Männern ihrer Zeit. Aber das ist ein anderes Kapitel! Und wer noch mehr darüber wissen will, kann das alles bei wikipedia.de nachlesen!
Der Darsteller:
Volker Kühn, geb. 1957 in Wittenberge, absolvierte seine Ausbildung von 1978 – 1981 im Studio der legendären Schauspiellehrerin Marlise Ludwig in Berlin. Anschließende Theaterengagements als Schauspieler und Regisseur u. a. in Hannover, Freiburg, Baden Baden, Oldenburg, Hamburg, Lüneburg, München, Bonn und Köln. Außerdem war er in 18 Gastrollen in Film und Fernsehen zu sehen, u. a. In „Tatort“ und „Doppelter Einsatz“.
Seit 2004 lebt Kühn als freischaffender Künstler wieder in seiner Heimatstadt Hannover, arbeitet dort als Synchronsprecher und Moderator . Mit seinen Soloprogrammen und Lesungen, gastierte er zusätzlich über 200mal in ganz Deutschland!