Ein Bericht über eine eigene Erfahrung
von Luiza Stepniak
BBA, Hochschule Hannover, Fachrichtung: Bwl
Dank unserer Dozentin bot sich mir die Gelegenheit, einige soziale Projekte zu initiieren.
Diese waren:
1. Einem obdachlosen Menschen meine Hilfe anzubieten, mit ihm ein Gespräch führen
2. Mehr Schlafmöglichkeiten für obdachlose Menschen zu schaffen
3. Den Verein „Aktion Sonnenstrahl„ zu unterstützen
Ich musste gar nicht lange überlegen, schon kam die erste Blitzidee: “Ich verschaffe mir einen Einblick über das (Über-)Leben auf der Straße.“
Der Hintergrund dieser Überlegung war ein älterer Herr, den ich früher auf meinem Weg zur Arbeit beobachtet hatte. Er war nur morgens in der Stadt anzutreffen. Anscheinend hatte er dort seine Nächte verbracht. Nie hat er sich bemerkbar gemacht, geschweige denn, um Almosen gebeten. Trotz seiner Obdachlosigkeit schien er mit sich im Reinen zu sein. Hin und wieder ließ ich ihm beim Vorbeigehen etwas Warmes zu trinken oder etwas Essbares da. Nach seinem Befinden oder ob ich ihm helfen könne, fragte ich jedoch nie.
In erster Linie versuchte ich, mir einen Überblick zu verschaffen über diverse Möglichkeiten, einem obdachlosen Menschen zu helfen. Die Caritas Hannover konnte mir Auskunft erteilen. Ich erfuhr dort, dass im Raum Hannover 20-30 Obdachlose ihre Nacht draußen bei Minusgraden verbringen müssen.
Quelle: Wilfred Feege
Als Zufluchtsort dienen sogenannte Notfallbunker. Diese sind meist die ganze Nacht offen und bieten jedem Einzelnen Körperpflege und eine Übernachtungsmöglichkeit. Die Caritas Teestube hat leider nur vormittags geöffnet, deswegen bietet sich eine weitere Alternative namens "Bahnhofsmission" für obdachlose Menschen an. Dort wird Menschen in der Not bis 0:00 Uhr geholfen.
Ich spitzte die Ohren, als der Begriff „beheizte Container“ fiel. Meine Recherche ergab, dass es sich um eine warme Übernachtungsmöglichkeit handelt, die bereits in Kiel zum Einsatz kommt. 20-30 Personen können pro Nacht aufgenommen werden.
Eine ärztliche Versorgung wird von den Johannitern angeboten, diese fahren jedoch nur zweimal die Woche immer dieselben Plätze ab. Die Caritas dagegen hat in ihrem Hause einen Arzt, der sich um Notfallpatienten kümmert. Mit diesen Informationen gerüstet, fühlte ich mich bereit, zu starten.
Um sieben Uhr morgens fuhr ich in die Innenstadt, in der Hoffnung, den besagten Herren wieder zu sehen, mit ihm ein Gespräch aufzubauen und ihm meine Hilfe anzubieten. Ich hatte die Hoffnung, ihn auf ein Frühstück einladen zu können. Bei meiner Ankunft stellte ich jedoch fest, dass dieser Herr leider nicht da war. Ich drehte meine erste Runde über die Georgstraße bis hin zum Steintor, dann Richtung Bahnhof und wieder zurück Richtung Georgstraße. Er war leider nicht da.
Ich beschloss dennoch, zu bleiben und platzierte mich neben der Kröpcke Uhr. Gegen 10 Uhr tauchten Menschen auf, die aussahen, als könnten sie Hilfe brauchen. Was mir bei meiner Beobachtung auffiel, waren die unterschiedlichen Gruppierungen. Junge Menschen, die sich in großen Gruppen versammelten. Uns allen ist der Begriff „ Punks“ bekannt. Sie bleiben immer sehr freundlich und stets bei guter Laune. Sie klimpern mit ihren Pappbechern und fragen freundlich nach etwas Kleingeld. Leider sind mir auch die Bierflaschen aufgefallen. Den Konsum von Alkohol möchte ich aus persönlichen Gründen nicht unterstützen. Schließlich ist Alkoholsucht nicht nur in meinen Augen eine sehr ernstzunehmende Krankheit. Einige von ihnen tauchten jedoch mit einem warmen Getränk und einem Brötchen auf, anstatt etwas Alkoholischen.
Die anderen Menschen waren Bettler, einige verharrten in der Hoffnung auf etwas Geld STUDENLANG in ein- und derselben Position. Ihre Augen sahen trostlos und müde aus. Ein sehr trauriger Anblick…
Ebenfalls sind mir Menschen aufgefallen, die wahrscheinlich unter dem Existenzminimum leben müssen. Sie waren zwar meist in kleineren Grüppchen, zwischendurch aber auch alleine unterwegs. Sie verschwanden und tauchten später wieder auf. Sie waren alkoholisiert und baten ebenfalls nach Kleingeld.
Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass es ist mir unfassbar schwer gefallen ist, jemanden anzusprechen. Obwohl es schon Mittag war, blieb ich immer noch in der Stellung der stillen Beobachterin. Irgendwie war ich selbst von mir enttäuscht.
Als eine bettelnde Frau auf mich zu kam und sagte: „Bitte Geld“, fragte ich sie: „Haben Sie Hunger?“ Sie antwortete: „Ja, bitte Geld.“ Darauf wollte ich von ihr wissen, was sie gerne essen würde. Anstatt zu antworten, beharrte sie weiter auf dem Wortgebrauch: „Bitte Geld.“ Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich ihr gerne helfen würde und ihr etwas zu essen kaufen möchte. Daraufhin wurde sie leider sehr pampig. Sie nuschelte etwas vor sich hin. Das Unangenehme daran war das Gefühl, sie würde mich in ihrer Sprache beleidigen. Dank meiner Recherche weiß ich, dass es ein bereits bekanntes Problem zu sein scheint. Menschen werden teilweise durch kriminelle Organisationen gesteuert. Je mehr Geld sie abends vorweisen können, desto länger leben sie unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen. Trotz dieses Hintergrunds bleiben es arme Opfer, auf die man nicht genervt reagieren sollte. Also fragte ich sie erneut, ob ich ihr helfen kann. Ich sagte ihr, dass es viele Möglichkeiten gäbe und sie nicht auf der Straße betteln müsse. Ich sagte, dass ich ihr zwar kein Geld geben könne, aber sie mit Essen und Trinken versorgen würde. Ich befürchte, sie hat mich leider nicht verstanden, denn sie murmelte weiterhin wütend vor sich hin, während sie sich abwand und fortging. Es war nicht gerade das Ergebnis, was ich gerne als Tagesabschluss mitgenommen hätte. Aber dies gehört nun mal dazu. Die gleiche Erfahrung machte ich bei den alkoholisierten Menschen.
Trotzdem wollte ich nicht aufgeben. Also fuhr ich ein zweites Mal in die Stadt. Wieder auf der Suche nach dem besagten Herren. Ich habe ihn wieder nicht finden können, so beschloss ich dieses Mal, Eigeninitiative zu ergreifen und bedürftige Menschen anzusprechen. Meine Kleidung war praktisch, es war nicht mehr kalt draußen. Ich wollte nicht auffallen und die Befürchtung haben, mein Vorhaben könne eventuell falsch interpretiert werden.
Ich traf auf einen jungen Mann mit kurzem Haar, zerrissener Hose und schwarzen Stiefeln. Ein typisches Punker Outfit. Er kam gerade aus dem Bahnhof raus und ich ergriff die Chance. Ich lächelte ihn an und fragte: „Wie geht’s?“ Er lächelte zurück und antwortete: „Sehr gut!“ Er war keineswegs verblüfft über meine Suche nach einem Gespräch. Ich fand das einfach nur toll!
Wir unterhielten uns. Er erzählte mir, dass er ursprünglich aus Köln käme und dass er jetzt hier leben würde. Mit seinen Eltern pflegt er keinen Kontakt mehr und das Leben in der Innenstadt Hannovers würde ihm mehr zusagen. Meist übernachten sie alle bei einigen Kollegen. Ich gehe davon aus, dass es wohl eine soziale WG sein muss. Wir gingen ein Stück. Ich habe ihn bis in die Packhofstraße begleitet, dort warteten schon andere Menschen. Ich fragte ihn, ob er hungrig oder durstig sei, er antwortete: „Nein aber jetzt wo wir hier sind, wäre es ganz toll wenn Du mir einen Kakao kaufen könntest.“ Ich fragte ihn: „Nur das?“ und er bejahte dies. Hinzufügte er: „Hier bei Edeka schmeckt er am besten.“ Diesen Tipp kann ich nur weiter geben. Ich meinte zu ihm: „Komm doch mit“ und er sagte: „Ne, ne lieber nicht. Die sehen mich da unten nicht so gerne. (Unten daher, da der Edeka in der Packhofstraße unten ausgebaut wurde.) Habe auch schon mal dort Einiges mitgehen lassen.“ Ich grinste und kaufte ihm einen Kakao und dazu abgepackte Berliner. Er bedankte sich sehr freundlich und ich mich ebenfalls.
Es war eine wundervolle Erfahrung. Diese ermutigte mich, weiter zu machen.
Bei meinem nächsten Stadtbesuch lief mir eine ältere Dame über den Weg. Sie hatte schulterlanges Haar, eine dunkelblaue Jacke, Jeans und Sandalen an. Sie schleppte einige, etwas verdreckte Stoffbeutel mit sich herum. Sie wirkte etwas verloren. Ich fragte Sie, ob ich ihr helfen könne. Sie war ganz erstaunt und fragte sofort nach etwas Geld. Ich sagte zu ihr, dass ich ihr kein Geld geben kann, aber gerne etwas zu Essen. Sie schaute mich mit großen Augen an und fing an zu strahlen. „Ehrlich, das würden Sie tun? Das wäre ja wundervoll.“ Sie wollte sich gerne etwas vom Bäcker aussuchen. Also entführte ich sie in die Back Factory am Kröpcke. Sie suchte sich ein Paar Leckereien und eine kalte Cola aus. Sie war so dankbar und erfreut über so etwas Kleines und für mich Alltägliches. Sollte ich sie wieder sehen, werde ich ihr ein vernünftiges Schuhwerk kaufen (falls sie es zulässt). Ich denke, die Situation hat mich so perplex gemacht, dass ich in diesem Moment nicht daran gedacht habe.
Auf der einen Seite erfreute mich der Gedanke, ihr geholfen zu haben, auf der anderen Seite bleibt bis heute ein bitterer Nachgeschmack der Realität.
Den besagten Herren habe ich bis heute nicht mehr wiedergesehen. Dennoch bin ich an vielen Erfahrungen reicher.
Danke.