Ein dringend benötigter Rollstuhl oder:
Unverhofft kommt oft
Ein Bericht von Arsen Ayrapetov und Stanislav Semenuk
Hochschule Hannover, Fachrichtung: Wirtschaftsinformatik
Anfang April 2016 erreichte Ganz unten e.V. folgende Mail:
„Guten Tag,
ich war jetzt persönlich im Heim. Ich habe nachgefragt, wer genau und ob noch ein Rollstuhl gebraucht wird. Gebraucht wird leider kein normaler Rollstuhl, sondern ein Elektrorollstuhl.
Ich habe im Internet geschaut: neu kosten die ab 1.000 € und mehr, gebraucht schon ab 450 €. Ich weiß nicht, ob man da einen Spender findet. Ich habe auch der Frau erstmal keine große Hoffnung gemacht, aber mit Hilfe von einem Übersetzer und Betreuer von DRK hat sie ein Schreiben fertig gestellt mit Infos.
Bewerbung um eine Spende für einen Elektrischen Rollstuhl
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin Selvinaze G., 33 Jahre alt und komme aus dem Kosovo. Ich lebe zur Zeit in einer Flüchtlingsunterkunft des Roten Kreuzes in Hannover-Linden zusammen mit meinem Mann.
Nach einem schweren Autounfall vor einigen Jahren und einer misslungenen Operation im Kosovo bin querschnittsgelähmt und sitze im Rollstuhl.
Anfang des Jahres bin ich nach Deutschland gekommen, um erneut operiert zu werden, um das Absterben meiner Beine zu verhindern.
Inzwischen habe ich einen Ablehnungsbescheid meines Asylantrages bekommen und muss deshalb demnächst wieder ausreisen. Ich hoffe, dass vorher der geplante Operationstermin trotzdem stattfindet kann.
Da ich zurzeit auf Grund meiner aktuellen gesundheitlichen Situation komplett auf die Hilfe meines Mannes angewiesen bin, würde mir ein elektrischer Rollstuhl enorm helfen, meine Unabhängigkeit zurück zu erlangen. Besonders im Kosovo wird es meinem Mann nicht möglich sein, mich in diesem Maß zu unterstützen, da er vor allem um die teuren Medikamente für mich zu finanzieren, sehr viel arbeiten muss.
Ich bewerbe mich aus diesen Gründen um eine Spende für einen elektrischen Rollstuhl und bitte Sie, mein Anliegen zur Kenntnis zu nehmen.
Mit freundlichen Grüßen
S.G.
Orginalschreiben mit Unterschrift liegt bei mir vor.
Ich hoffe, Sie finden oder kennen jemanden, der dieser jungen Frau hilft.“
Das war eine ideale Aufgabe für unsere engagierten Studenten der Hochschule Hannover, die jeweils ein Semester bei uns ein soziales Praktikum machen. Und hier nun deren Bericht:
Wir sind Studenten an der Hochschule Hannover in der Fakultät Wirtschaft und heißen Arsen Ayrapetov und Stanislav Semenuk. In Rahmen eines Studienprojekts sollen wir uns mit mehreren Aufgaben befassen. Eine davon war die Aktion „Rollstuhl“.
Es ging hier um Kauf eines Rollstuhls für eine Asylbewerberin, die kurz vor der Abschiebung steht.
Als wir mit diesem Projekt angefangen haben, war Frau Suleyman, die schon seit Längerem bei Ganz unten e.V. ehrenamtlich tätig ist, mit der Aufgabe schon befasst.
Erfreulicher Weise konnten dann 500 € Sponsorengeld für den Kauf eines Rollstuhls zur Verfügung gestellt werden.
Nach einer ersten Kontaktaufnahme mit Frau Suleyman haben wir erfahren, dass sie schon einen gebrauchten Rollstuhl gekauft hatte. Der Rollstuhl stand bereits im Asylheim. Als wir uns dann das erste Mal mit Frau Suleyman im Asylheim getroffen haben, erzählte sie uns, dass die Suche nach einem passenden Rollstuhl sehr umfangreich und zeitaufwendig gewesen sei. Angefangen habe Frau Suleyman wie üblich mit einer Internetrecherche, aber da habe sie festgestellt, dass es fast unmöglich sei, für dieses Budget einen passenden, elektrischen Rollstuhl zu finden. Meistens würden die gebrauchten elektrischen Rollstühle über 500 € kosten und dazu kämen noch hohe Transportkosten.
Als Frau Suleyman dann am Wochenende einen Rundgang über den Flohmarkt gemacht habe, sei sie aber zufällig auf einen Verkäufer gestoßen, der Gehhilfsmittel verkauft habe. Und: er habe auch einen gebrauchten, elektrischen Rollstuhl zu Hause! Man habe dann einen Termin für die Besichtigung des Rollstuhls in Garbsen vereinbart.
Zu dem vereinbarten Termin sei Frau Suleyman dann mit ihrem Vater nach Garbsen gefahren, der sich mit den Gepflogenheiten bei Händlern dieser Kultur auskenne und der sich mittlerweile auch mit viel Freude im Verein Ganz unten e.V. engagiere....
Nach langen Verhandlungen, von denen Frau Suleyman nicht so alles genau verstanden habe, habe man sich dann aber auf einen Preis von 350 € geeinigt. Was für ein Erfolg! Endlich ein Rollstuhl! Und obwohl der Rollstuhl schon etwas abgenutzt und alt ausgesehen habe, habe der Verkäufer immer wieder versichert, dass das Gerät voll voll funktionstüchtig sei.
Als wir den Rollstuhl dann aber gemeinsam angeschaut haben, waren die Akkus trotz langer Ladezeit nicht aufgeladen. Wir haben versucht, die Rollstuhlverkabelung auf einen Wackelkontakt hin zu prüfen. Leider führte auch dies nicht zum Erfolg. Wir haben dann die Akkus und das Ladegerät zu einem Sanitätshaus gebracht, die netter Weise gratis die Funktionsfähigkeit überprüft haben, nachdem wir die Sachlage erklärt hatten. Außerdem haben wir versucht, ein Ersatzladegerät durch Internetrecherche zu finden, aber leider werden solche Modelle schon seit längerer Zeit nicht mehr produziert.
Bei der Überprüfung in dem Sanitätshaus ergab sich dann, dass der Ladegerät nicht mehr zu reparieren ist, weil die Akkus schlicht schon zu alt sind.
Der Fachmann dort war super nett, er hat sich in die Situation hineinversetzt und: ..... Er hat dann einen Kundenersatzrollstuhl GESCHENKT !!!!!!
Keiner von uns hätte sich vorstellen können, dass so etwas möglich ist. Es ist ein moderner, voll funktionsfähiger, elektrischer Rollstuhl.
Jetzt gab es nur noch eine Herausforderung: der defekte Rollstuhl musste zurück nach Garbsen. Der Flohmarktverkäufer hat noch versucht, zu verhandeln und wollte „einfach eine Autobatterie einbauen“, das ginge dann schon. Aber wir sind hart geblieben und er hat am Ende den bezahlten Preis erstattet.
Beim nächsten Treffen konnten wir endlich einen sehr guten – und funktionierenden ! - Rollstuhl an Frau Selvinaze G. übergeben. Zusammen mit Frau Suleyman und einer Mitarbeiterin von DRK warteten wir unten vor dem Fahrstuhl auf Frau G.
Als sie mit ihrem Mann herunterkam und den Rollstuhl sah, konnten wir ihre überraschten Augen sehen. Der Ehemann hat ihr geholfen, sich in den neuen Rollstuhl zu setzen. Dann hat sie den Rollstuhl selbstständig ausprobiert. Es ist noch etwas Übung nötig, um den Rollstuhl vorsichtig und geschickt zu bedienen. Aber: Sie war glücklich!
Und wir erst....
Durch diese Aktion konnten wir einen Menschen etwas glücklicher machen, obwohl beide Eheleute wahrscheinlich bald in den Kosovo abgeschoben werden. Im Kosovo wird sie es aber nun einfacher haben, da sie sich selbstständig bewegen kann und vielleicht kleine Einkäufe tätigen kann.
Wir konnten aus diesem Projekt lernen, dass man am Ball bleiben muss, dass es Menschen gibt, die helfen, einfach nur, weil sie Freude geben möchten.
Das nehmen wir in unseren späteren Berufs- und Lebensweg mit.