Einander helfen:
„Mitgefühl mit bedürftige Obdachlose“
Ein Bericht von Diba Rasul und Seinab Heidari
BBA, Hochschule Hannover, Fachrichtung: BwL
Die Menschen sind da, um einander zu helfen und wenn man eines Menschen Hilfe in rechten Dingen nötig hat, so muss man ihn dafür ansprechen. Das ist der Welt Brauch und heißt noch lange nicht betteln.
(Jeremias Gotthelf)
Mit diesem Zitat wird verdeutlicht, dass um Hilfe Bitten nichts Schlimmes ist und etwas Gängiges in unserer Welt sein sollte.
Immer mehr Menschen in Deutschland suchen Hilfe, weil sie obdachlos sind oder ihnen die Obdachlosigkeit droht.
Somit haben wir uns bei unserem studentischen Projekt ein Motto gesetzt: „Einander Helfen“. Genauer gesagt, wollten wir Obdachlosen in Hannover durch das Verteilen von Kleinigkeiten eine Freude bereiten. Gleichzeitig wollten wir versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und Genaueres über ihre Lebenslage zu erfahren, um die für uns gänzlich unbekannte Situationen auf der Straße besser nachvollziehen zu können.
Wir starteten noch gutgelaunt einen Tag vor dem Feiertag 03.10.2014. Zu zweit und sonst ganz allein trafen wir uns im Stadtzentrum und wollten mit den ersten Versuchen prüfen, ob es uns leicht fällt, auf die Menschen zuzugehen und sie anzusprechen. Nach kurzer Zeit merkten wir, dass es uns viel Überwindung kostet und absolut nicht leicht fällt, dies zu tun. Es war für uns eine große Überraschung, da wir beide als Mensch sonst eigentlich sehr offen und eher extrovertiert sind.
Nachdem wir uns nach mehr als einer Stunde noch nicht überwinden konnten und uns vor den Reaktionen scheuten, haben wir es an dem Tag mit dem Ansprechen doch nicht gewagt. Wir haben uns beschlossen, erst einkaufen zu gehen und am nächsten Tag, wie geplant, das Projekt zu starten.
Bei unseren Gesprächen über die einigen Stunden, an denen wir uns nicht trauten, auf die Menschen zuzugehen, ist uns klar geworden, wie schwer es ist, fremde Menschen auf der Straße anzusprechen. Es war uns zwar nicht peinlich, auf der Straße Obdachlose anzusprechen, sondern es war eher die Angst vor den Reaktionen, dass sie es eventuell negativ aufnehmen und sich in einer Art und Weise beleidigt oder schlecht fühlen, was uns davon abgehalten hat, dies zu tun.
Auch haben wir uns instinktiv in die Lage der Obdachlosen versetzt, die täglich auf der Straße nur von fremden Menschen umgeben sind. Uns ist deutlich geworden, wie groß die Überwindung sein muss, fremde Menschen um Hilfe zu bitten. All das hat uns schier gelähmt.
Am nächsten Tag den 03.10.14 haben wir uns aber dennoch erneut um 09:00 Uhr im Stadtzentrum getroffen. In einem zweiten Anlauf haben wir dann die Parole gemurmelt, jetzt einfach auf die Menschen zuzugehen, um sie „lieb und höflich“ anzusprechen.
Nach ca. 5 Minuten haben wir uns getraut, den ersten Obdachlosen anzusprechen. Er saß vor dem Eingang der Galeria Kaufhof auf dem Boden. Wir sprachen ihn an und bemerkten, dass er leider kein Deutsch sprechen konnte. Gerne haben wir ihm etwas Warmes zu trinken, Brötchen und Süßigkeiten angeboten. Mit wenigen Worten hat er uns deutlich gemacht, dass er aus Rumänien stammte und seine 5 Kinder dort bleiben mussten. Wir bedauerten es sehr, nicht mehr über seine Situation erfahren zu können. Leider konnten wir nicht viel mit ihm sprechen, aber seine Dankbarkeit war überwältigend und an seiner Körpersprache deutlich zusehen. Es berührte uns sehr, dass wir mit so einer Kleinigkeit jemandem eine derartige Freude bereiten konnten.
Seine positive Reaktion machte uns Mut, mit dem Projekt fortzufahren und so gingen wir schon vor der Sparkasse am Kröpcke auf John Sänge zu. Er ist ein 50 Jahre alter Mann, der es schwer hatte, nach einer Haftstrafe wieder ins Leben zurückzufinden.
Vorsichtig näherten wir uns ihm und fragten höflich, ob wir ihn kurz stören dürften. Daraufhin schilderten wir John, wer wir sind und was wir vorhaben. Glücklich und dankbar nahm er sich einen Kaffee, Brötchen und etwas Obst. Er erzählte uns, dass er im Gefängnis war und schon vor 20 Jahren freigelassen worden sei. Seitdem hat er es nicht mehr wirklich geschafft, wieder einen Job und eine Wohnung zu finden. John reist innerhalb von Deutschland von Stadt zu Stadt und bleibt in einer Stadt nur solange, bis er genug Geld für eine Fahrkarte zusammen bekommen hat. Nichts und niemandem hält ihn in einer Stadt fest, obwohl er 3 Kinder hat und sie alle volljährig sind. Der Kontakt zu seinen Kindern ist abgebrochen und seit drei Jahren hat er nur noch einen Hund, der ihn begleitet. Da er über eine lange Zeit ständig auf der Straße lebte, bemerkte er, dass sein Körper Schaden erleidet. Er habe nun viele Beschwerden mit der Wirbelsäule und am Hals, erzählt uns John.
Wir bedankten uns dafür, dass er uns über sein Leben und seine Situation berichtete und verabschiedeten uns von John.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurden wir auf einen etwas älteren Herrn aufmerksam, der auf einem wackeligen, alten Hocker mit einem Becher ausgestreckt in der Hand saß. Sein Hund lag eingewickelt in einer alten Decke direkt vor ihm. Selbstbewusster als am Anfang des Tages, gingen wir beide auf ihn zu und sprachen ihn an. Wir bemerkten, dass der Mann nicht in der Lage war zu sprechen, da er leider stumm war.
Wir haben ihm ein warmes Getränk, etwas zu essen und Süßigkeiten dagelassen. Obwohl er nicht in der Lage war zu sprechen, war es ihm anzusehen, wie groß seine Dankbarkeit für unsere kleine Tat war. Er machte uns mit seiner Körpersprache bewusst, dass er für uns beten würde und er sich bedanken möchte.
Von allen Personen, welche wir an dem Tag angesprochen hatten, hat uns beiden dieser Herr am meisten berührt. Denn obwohl er mit uns nicht sprechen konnte und wir seine Situation oder Herkunft nicht kannten, bemerkten wir, wie schwer er es im Leben haben musste und dass er mit Sicherheit in seinem Leben einige sehr schwere Zeiten hatte. Dennoch konnte man seine Menschlichkeit nicht übersehen.
Zu guter Letzt trafen wir vor dem Bahnhof auf einen jungen Mann, der mit seinem Hab und Gut von Berlin nach Hannover angereist war.
Als wir ihn ansprachen, bemerkten wir, wie schüchtern er war. Wir schilderten ihm ebenfalls, warum wir ihn ansprachen und fragten, ob er eine Kleinigkeit zu essen oder etwas Warmes zu trinken haben möchte. Höflich und dankbar lehnte er ab und bat uns, es jemand anderem anzubieten, dem es vielleicht schlechter gehe als ihm und der es nötiger habe. Dies zeigte uns, dass er ein reines Herz hatte und obwohl er kaum etwas besaß, dennoch an seine Mitmenschen dachte. Während unserer Unterhaltung mit ihm haben wir rausgefunden, dass er sonst immer in Berlin ist und nur an dem Tag in Hannover war, um an einer Demonstration teilzunehmen. Der junge Mann hieß Jörg und war 34 Jahre alt. Er erzählte uns, dass er seit 12 Jahren auf der Straße leben würde. Weil er Schulden hatte, beantragte er vor ca. einem Jahr Hartz IV und nachdem er seine Schulden zurückgezahlt hatte, meldete er sich wieder ab.
Nun lebt er seit Dezember letzten Jahres wieder auf der Straße.
Auf die Frage, warum er sich wieder abmeldete, meinte er, er wolle das Geld jemandem überlassen, der es notwendiger brauchen würde. Puh.
Schließlich machten wir uns auf den Rückweg nach Hause und sahen an der Christuskirche, direkt an der Bahnstation, einen älteren russischen Mann, im Alter von ca. 60 Jahren, der halbwegs auf einer Matratze lag und kaum die Augen aufhalten konnte. Aufgrund seiner Angetrunkenheit und Übermüdung war er nicht in der Lage, mit uns ein Gespräch aufzunehmen. Auf seiner Matratze hatte er teilweise zwei Decken und einige Kleidungsstücke, die überaus beschmutzt waren.
Mehrmals haben wir versucht, ihm deutlich zu machen, dass wir Studenten aus der Hochschule Hannover sind und wir ein Projekt starten, was hilfsbedürftige Menschen angeht, doch leider konnte er uns nicht wahrnehmen. Dann haben wir uns überlegt, ihm ein warmes Getränk und Brötchen hinzustellen, damit er später mehr oder weniger etwas zum Frühstücken hat. Einige Meter entfernt stand ebenfalls eine Gruppe von Menschen, die auch am frühen Morgen noch angetrunken waren. Diese haben uns angepöbelt, warum wir den Mann ansprechen würden. Einer von ihnen kam mit einem bösen Blick und einer Bierflasche in der Hand auf uns zu, war aber dennoch nicht so boshaft, wie wir befürchtet hatten. Als er bemerkte, dass wir keine bösen Absichten haben und nur etwas Essen dort gelassen haben, unterhielt er sich tatsächlich noch mit uns. Er hat uns einige Informationen über den Mann gegeben und teilte uns mit, dass er kein Wort Deutsch verstehe, geschweige denn Deutsch sprechen könne, und dass er oft stark betrunken sei. Wir bedankten uns bei ihm und verabschiedeten uns höflich.
Der erste Anlauf in unserem Projekt hat uns deutlich gemacht, dass man die Mitmenschen, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, nicht einfach ignorieren sollte, denn zusammen sind wir eine Kette, jeder hat seine Aufgabe. Der eine spendet, der nächste rechnet, andere planen, weitere verteilen - all das ergibt die Barmherzigkeit.
Eine Spende heißt nicht nur, Menschen vor dem Hunger zu bewahren, sondern auch Schutz zu bieten und Trost, Liebe und Hoffnung - Freundschaft in guten wie in schlechten Zeiten.
Geschafft.